Buch Band IV Zeitung Daten
Band II
  1. 20 Jul 1854
  2. 21 Jul 1854
  3. 22 Jul 1854
  4. 23 Jul 1854
  5. 25 Jul 1854
  6. 26 Jul 1854
  7. 27 Jul 1854
  8. 28 Jul 1854
  9. 29 Jul 1854
  10. 30 Jul 1854
  11. 01 Aug 1854
  12. 02 Aug 1854
  13. 03 Aug 1854
  14. 04 Aug 1854
  15. 05 Aug 1854
  16. 06 Aug 1854
  17. 08 Aug 1854
  18. 09 Aug 1854
  19. 11 Aug 1854
  20. 12 Aug 1854
  21. 13 Aug 1854
  22. 15 Aug 1854
  23. 16 Aug 1854
  24. 17 Aug 1854
  25. 18 Aug 1854
  26. 19 Aug 1854
  27. 20 Aug 1854
  28. 22 Aug 1854
  1. 23 Aug 1854
  2. 24 Aug 1854
  3. 25 Aug 1854
  4. 26 Aug 1854
  5. 27 Aug 1854
  6. 29 Aug 1854
  7. 30 Aug 1854
  8. 31 Aug 1854
  9. 01 Sep 1854
  10. 02 Sep 1854
  11. 03 Sep 1854
  12. 05 Sep 1854
  13. 06 Sep 1854
  14. 07 Sep 1854
  15. 08 Sep 1854
  16. 09 Sep 1854
  17. 10 Sep 1854
  18. 12 Sep 1854
  19. 13 Sep 1854
  20. 14 Sep 1854
  21. 15 Sep 1854
  22. 17 Sep 1854
  23. 19 Sep 1854
  24. 20 Sep 1854
  25. 21 Sep 1854
  26. 22 Sep 1854
  27. 23 Sep 1854
  28. 24 Sep 1854

 

 

[LSZ - 1854.07.20]

Vierter Band.

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Fata Morgana des Suedens..

I.

    Im April des Jahres 1852 bot das Ufer des Redriver an der Stelle, wo er den Crasche-Creek in sich aufnimmt, einen lebhaften und malerischen Anblick dar. Eine Abtheilung einer Compagnie, die in Fort Belknap am Brazos in Teras stationirt war, hatte gegen Abend, kaum fünf Schritte von der rechten Begrenzung des Flußbettes entfernt, ihre Zelte aufgeschlagen und überhaupt alle nur mögliche Fursorge getroffen, um recht bequem und gut zu bivouakiren. Am Eingange eines jeden Zeltes, das aus einem über vier kreuzweis gelegten Pfählen ausgespanntem Segeltuche bestand, flatterte die Vereinigte Staaten-Flagge, von der Größe der Fähnlein, wie sie bei den Lanciersregimentern üblich sind. Die Schwule des Abends hatte die Soldaten genöthigt, ihre Röcke auszuziehen, die nun auf den wollenen Decken, die den Boden unter den Zelten bedeckten, zerstreut herumlagen. Zwei Delaware Indianer, die man als Dolmetscher und Führer mitgenommen hatte, sammelten in einem Umkreise von fünfzig bis hundert Schritten die vertrockneten Ercremente der Buffaloes. Hatten sie ihre Calassins damit gefüllt, so begaben sie sich wieder in den Bereich des Bivouaks, schütteten ihre mühselig zusammengelesene Bürde in das große Feuer, das man gleich beim Beginn des Rastens angemacht hatte und setzten sich unter die Soldaten, wobei sie ihre Pfeifen von einem Mund in den andern herumgehen lie ßen. Für diese Begünstigung, die die Bivouakirenden übrigens nicht sehr hoch anzuschlagen schienen, erhielten jene dann auch zu mehreren Malen nach Einander die Korbflasche, die mit dem besten Gin gefüllt war, den man nur immer in Texas auftreiben konnte.
    Einer von den Delaware Indianern hatte. Tags vorher einen Buffalo geschossen, demselben kunstgerecht die Haut abgezogen und die besten Fleischtheile, nachdem er sie mit den

 

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vorräthigen Salze und Gewürze tüchtig eingerieben hatte, auf den Wagen gepackt. Das Buffalofleisch wurde nun hervorgeholt, die passendsten Stücke abgeschnitten und über dem Feuer auf einer langen breiten Blechplatte mit schmaler Erhöhung, gebraten. Auch mehrere Vögel, die man geschossen hatte, wurden zum Verspeisen zubereitet. Ein scharfer fünftägiger Ritt hatte den Soldaten so großen Appetit verliehen, daß sie das Fleisch kaum halb gebraten aus der Blechplatte zogen und gierig verschlangen. Dabei vergaßen sie es nicht, den Gin tüchtig zuzusprechen. Die kleinen Vögel, denen fast noch alle Federkielchen im Leibe tacken, überließ man dem Führer dieser Compagnie Abtheilung, dem sie auch besser zu schmecken schienen, als der zähe Buffalobraten. Dieser Gourmand war Capitän Marcy, der vor kaum einem Monate vom Kriegs-Departement in Washington die Order erhalten hatte, den Red River von dem Einflusse des Crasche-Creek, der bekanntlich in den Witchita Bergen entspringt, bis zu seinen Quellen zu erforschen. Diese Erforschungsexpedition des Red River war nicht die Erste; denn schon vor fünf und vierzig Jahren, nachdem bereits vom ersten Consul von Frankreich jenes ausgedehnte Territorium, welches damals unter dem Namen Louisiana bekannt war, an die Vereinigten Staaten abgetreten worden, hatte es Capt. Sparks unternommen, den Niger Amerikas bis an seine Quellen zu verfolgen. Noch ehe derselbe mit seinen Leuten bis zu den Dörfern der Pawnee Pigua Indianer gelangen konnte, wurden sie von einem Trupp spanischer Soldaten zurückgedrängt und man sah sich daher genöthigt, sich auf den Heimweg zu begeben und das Unternehmen als ein vollkommen gescheitertes zu betrachten. Eine zweite Expedition, die das nemliche Jahr von der Vereinigten Staaten Regierung ausging und an deren Spitze der bekannte Lieutenant Pike stand, hatte kein besseres Schicksal. Dies war im Jahre 1806. In den Jahren 1819 und 20 wurde abermals ein Versuch gemacht, die Quellen des rothen Flusses zu erforschen und zwar diesmal durch Col. Long von dem Ver. Staaten Ingenieurcorps. In seinem höchst interessanten Bericht sagt er über diesen Gegenstand:*)
    „Wir langten an einem in westlicher Richtung fließenden Creek an, den wir für einen Nebenfluß des Red River hiel ten. Demgemäß folgten wir seinem Laufe noch etliche hundert Meilen weiter, wo wir zu unserer unangenehmsten Täuschung
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*) Folgendes sind die eigenen Worte Capt. Marcys, wie er sie am 22. März 1838 an die geographische Gesellschaften in New-York richtete.

 

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fanden, daß wir den canadischen Arm des Arcansas, statt des Red River untersucht hatten. Da unsere Pferde durch die lange Reise beinahe zu Grunde gerichtet und wir in der Jahreszeit bereits zu weit vorgeschritten waren, um an Rückkehr zur Aufsuchungdes Red River noch vor dem Winter zu denken, so hielten wir es für gerathen, unsern Weg nach den Ansiedelun gen an dem Arkansas fortzusetzen. Wir hingen ganz von der Karte Pike's ab, der die Quellen des canadischen Flusses, als die des Red River bezeichnet.
    Man sieht also, daß es von allen Expeditionen,die eine Erforschung des Red River versuchten, keiner gelang, die Quellen desselben zu erreichen.
    Die Merikaner und die das angrenzende Territorium bewohnenden Indianer haben die Gewohnheit, jeden Fluß, dessen Wasser etwas roth aussieht, Rio Colorado oder Red River zu nennen, und man darf sich deshalb nicht wundern,daß in einer von rothem Klee bedeckten Gegend, wie dieses canadischen Fluffes, welcher diesem einen röthlichen Schein giebt, dieser Fluß von ihnen den Namen Rio Colorado erhielt. Aus diesem Umstand läßt sich auch der Irrthum Alerander von Humboldt's erklären, den er beging,wenn er sagt, daß der Red River von Natchitoches, einige fünfzig Meilen östlich von Santa Fe entspringe, eine Nachricht, die er ohne Zweifel von den Mexikanern empfangen hat. Ebenso finden hierin die Mißverständnisse des Col. Long und Lieut. Pike ihre Erklärung.“ --

[LSZ - 1854.07.21]
    So standen die Errungenschaften hinsichtlich der Erforschung der Quellen des Red River bis zur Stunde, wo wir Capt. Marcy und seine Begleitung am Einflusse des Erasche Creek in den Red River bivouacirend antrafen. -- Außerhalb eines größeren Zeltes, dessen Eingang mit doppelten Vorhängen verhüllt war, sitzt vor einem kleinen Tischchen auf einem einfachen Feldstuhle ein kleiner, untersetzter Mann mit jenen so eigenthümlich markierten Gesichtszügen, wie man sie so häufig bei den Teras Rangers antrifft, stark gebräunt, die Backenknochen „mäßig hervortretend, fo, daß sie auf die Wangen einen partiellen Schatten werfen. Die Augen dieses Mannes sind hellgrau, aber von dunklen und vollen Wimpern überschattet.
    Diese Augen haben nichts weniger, als einen seelenvollen Ausdruck. In ihrem Spiegel sucht man vergebens die Genien des Lebens, Herz und Gemüth -- aber aus ihnen leuchtet der Späherblickdes Hunters, die wilde Natur eines Trapper, verbunden mit

 

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einer rücksichtslosen Routine beiAnwendung seiner Kenntnisse der praktische Ueberblick in Geschäftssachen -- kurz der echte Typus eines Anglosachsen, der am Rio Grande auferzogen, an Karawanen, wie sie von Meriko und den Vereinigten Staaten aus, Santa Fé berühren, theilgenommen und hie und da auch einen Strauß mit den Tonquewas Tribes bestanden hatte.
    Die senkrechte Falte, die beide Augenbraunen durchschneidet und von da abschweifend sich nach dem Centrum der hohen Stirne verläuft, deutet auf den Mathematiker, eclektischen Naturforscher und Geodeten. Sein ganzes Ensemble erinnert an Colonel Fremont, den Pfadfinder über die Felsengebirge.
    Dieser Mann ist Capitain M a r c y.
    Vor ihm auf dem kleinen Tischchen liegt die alte Karte Pike's, die einzige Autorität, die diesem Manne zu Gebote stand, um sich des ehrenvollen Auftrages, die Quellen des Red River zu erforschen, zu entledigen. In der Rechten hält er einen Nadelzirkel und setzt ihn öfter am Maßstabe an, der der Karte unten beigefügt ist. Er greift mehrere Orientirungs Punkte ab und schüttelt hie und da bedenklich den Kopf.
    Die Sterne am unbewölkten Nachthimmel glitzern wie die Brillianten an dem dunklen Purpurgewand der Ptolemäischen Könige und erscheinen um so zahlreicher, als der Mond noch nicht heraufgestiegen ist.
    Das Licht eines Schnabellämpchens brennt ruhig und gleich; denn kein Lüftchen regt sich. Es wird nur erregt, wenn einer der Delaware Indianer schnell vorbeihuscht, um nach den Pferden und Maulthieren auszuspähen, die sich die herrliche Vegetation des weichen, fruchtbaren Bottomlandes zu Nutzen ziehen und sich sogar bis an die Bluffs wagen.
    In der Nähe des Tischchens sitzen auf einem kleinen Mu nitionskasten von starkem Hikory, zwei Personen, die sich der Eskorte angeschloffen, nachdem sie vorher eine kleine Unterredung mit Capt. Marcy gehabt hatten.
    Die eine hat schönes, reiches blondes Haar und große Augen von reinster Himmelsbläue; während die Augen der andern an Dunkelheit mit der Nacht wetteifern. Beide sind in einen leichten Sommeranzug gekleidet und tragen einen kleinen Strohhut mit schwarzen Bändern, die nach weit hinten über den Rand hinausfallen.
    Sie sehen bald nach dem Capitain, bald nach dem Trupp

 

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Soldaten, die um das große Feuer sitzen und ihren Buffalobraten mit einem wahren Heißhunger verschlingen. --
    Capitain Marcy verließ jetzt seinen Platz und setzte sich neben die Beiden auf den Munitionskasten.
    „Ich glaube, es ist der nemliche räthfelhafte Mann, der schon zu den Zeiten des Baron von Carondelet vor dem Inquisitionstribunal von Louisiana gestanden hat, und als man ihm eben ein Urtheil sprechen wollte, plötzlich verschwand,“ begann der Capitan. „Es käme nur darauf an, an jene Quellen zu gelangen -- fänden wir da die Mantis Religiosa, von deren Eristenz ihr mir erzählt habt, so wäre dem Süden eine große Last abgenommen. Und sollte diese Pflanze Tausende von Aeres bedecken, sie müßte in kurzer Zeit ausgerottet sein.“ Die so Angeredeten schwiegen und schienen zu gleicher Zeit über etwas nachzubrüten.
    Der Capitain fuhr fort:
    „Die Allmacht Eures Alten wird wohl nicht so weit ge hen, daß er uns an unserm Unternehmen hindern wird und wenn Ihr, wie Ihr mir vorhin sagte, Grund habt, zu glauben, daß er nicht mehr am Leben sei, so können wir um so sicherer hoffen, zu unserm Ziele zu gelangen.“ Und dann sich an die Person mit den hellblonden Haaren und himmelblauen Augen wendend, sagte er: „Sie werden noch eine Zierde unserer Armee und im Pantheon unserer großen Republick wird viel leicht schon in kurzer Zeit zwischen Washington und Lafayette ein deutscher Heros seinen Platz einnehmen. --“
    „Das werde ich nie!“ war die schüchterne Antwort.
    „Warum nicht? Das Cadettencorps zu Westpoint wird Sie im Verlaufe von zwei Jahren zu einem tüchtigen Soldaten heranbilden -- hegen Sie keinen Zweifel in Ihre militärische Fähigkeiten und glauben Sie mir, daß Sie bisher einen unrichtigen Lebenspfad eingeschlagen und Ihre eigentliche Aufgabe, die Ihnen die Vorsehung bestimmt, verkannt haben.“
    „Capitain Marcy -- mich und meine Gefährtin hier bin det ein fürchterlicher Schwur -- wenn wir auch die Millionen, die uns der Alte zur Verfügung gestellt hat, auf eine leichtsinnige Weise verschwendet und verprasst haben, statt mit Hülfe dieser ungeheuren Mittel jene Propaganda zu unterstützen und zu nähren, die den Heloten ihre Fesseln abnehmen soll, so kann ich mich doch nie dazu verstehen, in den Dienst einer Regierung zu treten, die jene Propaganda nach allen Seiten hin verfolgt und zu Tode hetzt. --

 

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[LSZ - 1854.07.22]
    „Und die Mantis Religiosa sei demnach das Rachemittel Ihrer Propagandisten und ihre fürchterliche Wirkung soll nicht eher unterdrückt werden, bis dieselben den Sieg errungen haben -- -- -- und doch machten Sie mich mit dieser wunderbaren Pflanze bekannt? -- -- war Ihre Verschwiegenheit hierüber nicht in den Schwur mit einbegriffen? --“
    „Nein!“ war die Antwort.
    „Ja!“ ertönte es in dem nemlichen Augenblicke von dem Ufer des Red River her.
    Mit einem Schrei des Entsetzens sanken sich die Beiden in die Arme.
    Erschrocken stand der Capitain auf und trat auf sie zu. --

II.

    Wie eine Priesterin der Vesta, ernst und züchtig, schritt die Nacht jener Stunde zu, wo sie am liebsten mit Geistern verkehrt und im Austausche mit denselben für den kommenden Morgen Freuden wie Leiden vorbereitet. Auf dem höchsten Teller einer Felsenterafsse lag die brennende Sichel des zunehmenden Mondes und erleuchtete von da herab den endlosen Prairie-Ocean, aus defem Schooße die geheimnißvollen Quellen des rothen Flusses entsteigen. --
    Panther und Jaguar traten hervor aus ihrem Verstecke und sahen trunken über die mondbeglänzte Fläche. Leise und bedächtig traten sie auf, als fürchteten sie, die zahllosen Blüthen unter ihren Klauen zu zerkniken. Träge und schwer flatterten bunte Phalänen durch die ruhige Luft und sanken endlich ermattet in das Gras. Sie hatten ihren Saugrüssel in die Blüthenkelche gesteckt und gierig den berauschenden Nektar geschlürft. Die kleine smaragdgrüne Cobrichlange bäumte sich in die Höhe und zischte nach dem leuchtenden Elater, wenn er in weiten Kreisen zurückgekehrt war und dann wieder, wie neckend, um ihren Kopf flog.
    Nur das Murmeln der Quellen des Red River, die aus dem Prairie Ocean hervorsprangen, dann wieder unter einem Felsencorridor zum Vorscheine kamen, unterbrach die feierliche, majestätische Stille der Nacht.
    Aus dem Dunkel des Felsencorridor's traten ein Mann und ein Weib,
    Sie gingen über die mondbeglänzte Fläche und bückten sich oft herab nach den rosarothen Blüthen, die heute zum ersten Male ihre Kelche geöffnet hatten.

 

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    „Mantis Religiosa!“ rief der Mann im feierlichen Tone aus und pflückte eine Blüthe.
    „Du verwelkt dieses Jahr ohne Samen, um ihn das nächste Jahr millionenfach zu tragen.“
    „Hiram, ich ehre deinen edlen Grimm, aber suche die unglückliche Stadt nicht wieder heim mit jener fürchterlichen Seuche,“ sagte das Weib und rang flehend seine Hände.
    „Bedenke, auch viele der Unsrigen gehen mit den Weißen zu Grunde und würden dir fluchen, wenn sie ihren Mörder kennten.“
    „Diana Robert, es ist mein Wille und Du weißt, er wird durch keines Weibes Stimme erschüttert. Wie Du mich getäuscht, so haben es auch Emil und Lucy, auf die ich meine ganze Hoffnung gesetzt hatte. So metzle denn der Würgengel nieder, wen er kann und verschone auch Deine Stammesgenossen nicht. -- Du aber verlässest mich diesen Augenblick und begibst dich in die untern Räume der Atchafalaya Bank nach New-Orleans, wo gegenwärtig deine Verwandten und Bekannten wohnen. Sag' Ihnen, wenn sie Hiram besucht und sie eine gelbe Maske sehen, die Stadt zittern und weinen soll. Du kennst den Pfad, den wir eingeschlagen und wirst dich nirgends unterwegs aufhalten; denn die geringste Verzögerung könnte Dir das Leben kosten --“
    „Aber Hiram! Zu Fuße den weiten, weiten Weg?“
    „Du reitest mein anderes Pony, Diana Robert, es wird dich durch die Rohrbrüche und Palmettolümpfe sicher und wohl behalten nach Hause bringen.“
    Niedergeschlagen ging Diana Robert zurück in den Felsencorridor. --
    Mit einem langen Blicke hatte Hiram dem Weibe nachge sehen. Dann wandte er sein abgemagertes, von Kummer gebleichtes Antlitz gegen die Felsenterasse, von derem höchsten Teller sich eben die zunehmende Sichel des Mondes erhob.
    Die Arme hatte er horizontal ausgestreckt und glich so einem Kreuze, das trotz Sturm und Wetter noch immer nicht gefallen war und seine Form beibehalten hatte.
    „Zunehmender Mond! Symbol der Crescent City!“ rief er aus, so laut, als wollte er von der Himmelsleuchte verstanden werden: „wie lange wirst du noch das bunte Leben und Treiben in den Straßen von New-Orleans bescheinen? Den Todtengräber wirst du auf die hungrigen Hände küssen und an die Speichen der Todtenkarren hängt sich dein flimmendes

 

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Licht. O Mond, du bleibst immer derselbe, mag sich dein Schein über Leichen ergießen oder über die blühenden Kinder der reinen Natur. Glücklich, O Mond, bist nur du; dein Antlitz ist stets heiter und ruhig und dich verstimmen nicht die Verbrechen und Greuelthaten der Menschen. Beneidens werther Vasalle des großen Weltengeistes, schönster Diamant in seinem Sternen-Diademe! Mond, könnte ich mit dir wandeln und ewig deine Heiterkeit und dein Lächeln theilen! könnteHiram, das wandelnde Kreuz des Südens an dir einen Bundesgenossen am heiligen Kampfe gewinnen, deine Sichel würde die Häupter unserer Feinde abmähen und die Ketten der Heloten durchschneiden! -- --“
    Da schien es plötzlich, als hätte ihn der Mond verstanden; denn in seiner Sichel auollen dunkle Schattenwirr durcheinander, die sich nach und nach zu Zahlen zu gestalten schienen.

[LSZ - 1854.07.23]
    Hiram sah starr auf dies wunderbare Spiel der brennenden Sichel. Jetzt reihten sich die Zahlen an Einander und warfen sich gegenseitig ihre Schatten zu. Schwarz, doch glänzend standen sie.
    „Du fordert mich selbst in die Schranken, Symbol der Crescent City!“ rief Hiram in heiliger Begeisterung aus und in seinen Augen brannten die Feuer einer edlen Rache.
    „Was lese ich auf deinem leuchtenden Antlitze? das ist ja der Schreckensommer :
    Achtzehnhundert und Drei und Fünfzig!“

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Erstes Kapitel.

Engel und Genius.

„Das ist Gott Amors heilige
Domkirche, der Liebe Kathedrale;
Als Lampe brennt im Tabernakel
Ein Herz, das ohne Falsch und Makel.“
    Eine der besuchtesten Kirchen in New-Orleans ist die „Protestant Episcopal Church“ -- oder, wie gewöhnlich „Christ's Church“ genannt -- an Canal und Dauphin Straßen gelegen. An gewissen Festtagen rivalisiert sie sogar mit dem besten Erfolge mit der „Cathedrale“ und „St.Patrick's Church“ unweit von Odd Fellows Hall; der „St.Joseph's Church“ in Common street, dem himmlischen Asylum von Green Ireland gar nicht zu gedenken. Diese Frequenz

 

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hat die Episcopal Kirche nicht einer bedeutenden Anzahl ihrer Bekenner zu verdanken, denn derselben giebt es im Verhältniß zu den andern Religionssekten in New-Orleans sehr wenig, sondern einzig und allein der Noblesse unserer andächtigen Bevölkerung. In neuerer Zeit ist es unter der Creole Creme zum guten Ton geworden, wenigstens einen Sonntag über den andern, das Portal jener Kirche zu betreten. Alle Clubbs der höheren Gesellschaft findet man hier repräsentiert, gleichviel ob ihre Mitglieder Bekenner der päbstlichen oder bischöflichen Kirche sind. Sie haben ihre bestimmt markierten Betstuhle und zahlen bedeutende Miethe. So hatte der alte „Pelikan Club“ zwei Reihen inne und mußte für deren Benutzung jährlich zwei tausend fünfhundert Dollars entrichten. Diese Kirche hatte von jeher die gebildetsten und liberalsten Geistlichen, in so ferne nemlich eine bestimmte confessionelle Färbung Liberalismus zuläßt. McNeal und Ogdon sind eine große Zierde der Salons und werfen einen seltenen und beneidenswerthen Refler auf die Circel, in denen sie sich bewegen. Der erstere ist Dichter und seine Hochlands-Poesieen findet man in allen Boudoirs unserer Damen Flora. Ogdon besaß noch vor zehn Jahren einen Lehrstuhl im Jardin des Plantes in Paris, wo er der botanischen Sektion zugetheilt war und in Verbindung mit Serres jene Jussieu'iche Reorganisation bewerkstelligte. Sie Beide wohnen in der Dauphiné, wie die Creolen Dauphin Street von Bienville abwärts nennen. Ihre Galanterie, die kaum jene ritterlichen Abbés zu den Zeiten der Ludwige übertrafen, erstreckt sich so weit, daß man selten ein Album findet, in dem nicht irgend eine zarte Erinnerung für die schöne Besitzerin desselben verzeichnet, oder irgend ein bedeutungsvolles Amulett verborgen wäre. Streng und gewissenhaft in ihrem Dienste, sind sie die liebenswürdigsten Gesellschafter außerhalb desselben. Die angesehensten Familien von New-Orleans vertrauen ihnen die Erziehung und Heranbildung ihrer Töchter an, und die Erfolge waren bisher so überraschend, daß eine junge Dame, die für gebildet gelten will, nothwendig ihren Vor unterricht oder weitere Ausbildung genossen haben muß. --
    Ein hoher Festtag hatte auch heute wieder die Haute Volée von New-Orleans, besonders des zweiten Distriktes, in großer Anzahl in „Christ's Church“ geführt. Da es schon gegen 11 Uhr war, so lag die Sonne drückend heiß auf der Kirche. Die Fächer der Damen waren in beständiger Bewegung und mochten manchen Cavalier in seiner Andacht gestört haben

 

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Statt daß sich die Kirche etwas lichtete, wurde der Zudrang zu derselben immer größer und die dadurch entstehende Schwüle zwang schon Manchen, die Kirche zu verlassen, um sich nach Hause zu begeben. Unter den vielen Wagen, die vor der Kirche standen, befand sich auch eine stattliche Carriage, deren Bauch auf den feinsten, zierlichsten Federn ruhte und kaum einen Fuß vom Boden abstand. Den Schlag schmückte ein einfaches, dunkelrothes Wappenschild, durch das von der Rechten zur Linken ein silberner Balken gelegt war. In dem Abschnitt der gebrochenen Feldung erblickte man einen schwarzen Stern; ihm zur Seite einen Kelch mit einer über demselben schwebenden Hostie. Ueber dem Schilde selbst lag eine mit neun Perlen geschmückte Krone. Das nemliche Wappenschild fand seine oftmalige Wiederholung an dem mit Silber belegten Geschirr der Pferde, deren feine Beine und edle Kopfbildung auf eine vorzügliche Race schließen ließen. Auf dem hohen Bocke faß ein Neger in feinster schwarzer Kleidung und mit schneeweißen Handschuhen, von denen er den rechten abstreifte, um so desto leichter seine Peitsche wieder in Ordnung zu bringen, die sich in einen Knoten verfangen hatte. Ein anderer Neger, in der nemlichen Kleidung, stand zur Seite des offenen Schlages und klappte den mit weichem Teppich überzogenen Wagentritt auf.
    „Wem mag wohl dieser prächtige Wagen gehören?“ frug ein junger deutscher Mann, der, wie so viele Andere, vor der Kirche stand, um nach Beendigung des Gottesdienstes die Schönheiten zu mustern, einen andern, in dem man ebenfalls auf den ersten Blick den Deutschen erkennen mußte.
    „Ich weiß es selbst nicht- aber wahrscheinlich irgend einem französischen Vicomte oder Marquis-diese Frenschleute sind doch ein verrücktes Volk, hier in einer Republik ein adeliges Familienwappen an den Kutschenschlag zu hängen; wenn ich etwas zu sagen hätte, das müßte mir gleich herunter -- auf der Stelle ! Begreifen kann ich die Amerikauer nicht, wie sie einen solchen Unfug nur dulden können. Das Geschmeiß verdirbt auf diese Weise unsere einfachen republikanischen Sitten -- --“
    „Einfache republikanische Sitten?“ unterbrach ihn der Andere laut auflachend -- „man sieht, daß Du trotz Deines siebenjährigen Aufenthalts in New-Orleans noch sehr grün bist, mein Kaspar, sonst könntest Du kein solches ungereimtes Zeug schwätzen. Einfache, republikanische Sitten? Wer hat

 

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Dir das gesagt? Wo hat man Dir diesen Unsinn erzählt ? Einfachheit findest Du nur noch bei den Hinterwäldlern im fernen Westen und auch da sehr selten. Denn ihre Frauen können ohne Powder und Moschus gar nicht mehr leben.“
    „Du verstehst mich nicht -- ich rede nur von dem alten aristokratischen Unfug, von den infamen Wappen-wenn ich das gewußt, wäre es gar nicht nöthig gewesen, daß ich Deutschland verlassen hätte -- bei Gott, mein Herz kehrt sich um bei einem solchen Anblick, den ich mir in einer Republik nimmermehr geträumt hätte --“
    „Laß” die Leute Wappen an ihre Wagen malen, so viel sie wollen, das geht uns doch Nichts an. Am allerwenigsten aber könnte ich mich hierüber ärgern. Du bist auch einer von den unüberlegten Hitzköpfen, die schon in einem feinen Hemde einen Aristokraten zu wittern glauben und die sich einen guten Republikaner nicht anders denken können, als mit unordentlichen, ungekämmten Haaren und schmutziger Kleidung. Diese Flüchtlingsideen ziehen schon lange nicht mehr, mein Kaspar -- und besonders nicht in New-Orleans. -- -- Doch, begierig wäre ich doch, zu erfahren, wem dieses prächtige Geschirr gehört, komm' laß uns einmal den Nigger da oben auf dem Bocke fragen.“
    Derselbe trat nahe an die Pferde vor und sagte zu dem schwarzen Kutscher auf dem Bocke:

[LSZ - 1854.07.25]
    „Plihs, wem belangt dies Waggon?“
    „I don't know.“
    „Wem diese schöne Käridsch*) belangt?“
    „I don't know.“
    „Plihs, wissen Sie nicht, wie Ihre Herrschaft heißt, dam"d Nigger?“
    „Damnd -- --!“war der weitere Bescheid des Kutschers.
    Aergerlich unterließ jener eine weitere Frage an den Neger, aus dem einfachen Grund, weil er sich nicht vor den Umstehen den blamieren wollte; denn der schwarze Kutscher schien in der That große Lust in sich zu verspüren, dem Deutschen die Stange zu halten.
    „Wie arrogant dieses Niggervolk ist - die Kerle sind in ihrem Sclavenjoch stolzer, als wir Deutsche, brummte der ab gefertigte junge Mann, indem er den Andern beim Arm er griff, um sich so schnell als möglich mit ihm hinwegzubegeben.
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*) Carriage.

 

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Denn die Nonchalance des Negers war in der That schwer zu ertragen.
    Die Blicke der vor der Kirche stehenden Gaffer richteten sich plötzlich auf zwei Damen, die eben die breiten, steinernen Stufen herabkamen. Dieselben gingen eilig auf den Wagen zu, der nun bis dicht an's Banquet vorgefahren war.
    Der Neger am Schlage trat mit einer halben Verbeugung etwas bei Seite, indem er mit der rechten Hand den silbernen Griff zurückdrückte.
    Die Damen verhalfen sich beim Einsteigen selbst mit gegenseitiger Galanterie.
    „Die schönsten Mädchen in New-Orleans!“ rief ein Franzose, der dem Wagen lange nachsah, indem er dabei ein Spazierstöckchen mehreremale auf's Banquet schlug.
    „Es ist nur Schade, daß man sie so selten zu sehen bekommt,“ bemerkte ein Anderer.
    „Kein Wunder, sie gehen in kein Theater, in kein Con zert und wohnen keiner Fair bei -- man könnte des T--s werden -- solch"Kleinode sollten sich öfters zeigen,“ meinte ein Dritter.
    „Die Eine ist eine Million werth und hat fast so viele Lots als Haare auf dem Kopf,“ sagte ein Amerikaner. --
    Die beiden jungen Damen hatten sich im Wagen. Einander gegenübergesetzt.
    Sie fanden im gleichen Alter und mochten kaum das siebenzehnte Jahr überschritten haben. Die eine, welche in der Tiefe des Wagens saß, hatte hellblondes fast goldenes Haar, das ganz gegen die bestehende Mode in breiten Zöpfen, die über das Ohr zurückgelegt waren, das classische Oval ihres blassen und leidenden Antlitzes einschlossen. Es waren ganz die Gesichtszüge einer mater dolorosa, nur reiner und erst an gehaucht von den Strahlen der glühenden Jugendsonne. In ihrem prächtigen Augenpaar schien der unentweihte Himmels seinen Sitz aufgeschlagen zu haben -- von so heller, göttlicher Bläue waren sie -- aber an den Sternen dieses Himmels hing eine Thräne, die nur verschwand, wenn sie die weichen Wimpern deckten. Das blendende Weiß ihres Halses, die kleinen zierlichen Hände und Füße, die ruhige und sichere Haltung ihres Oberkörpers, kurz Alles deutete auf eine hohe aristokratische Abkunft --, wies darauf hin, daß diese Perle in Seide und Gold empfangen war. Das blaßgelbe Barègekleid, dessen Falbeln im Saume Atlasbänder von dem mattesten

 

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Rosa hatten, machte diese bezaubernde Blondine nur noch durchsichtiger und stach wunderbar gegen das milde verklärte Antlitz ab.
    Einen auffallenden aber wohlthuenden Contrast bildete die andere junge Dame,die der Blondine gegenübersaß. Ihre kastanienbraunen reichen Haare, die in einem breiten vollen Scheitel das reizendste Roth auf den Wangen berührten, drückten den ohnehin schon kleinen Krepphut noch weiter in den Nacken zurück, so daß das Gesicht ganz frei war und ungehindert einen frischen belebenden Zauber ausstrahlen konnte, Ihre Augen waren von der nemlichen Farbe als die Haare und bargen jenes seltene Feuer in ihren Sternen, das unwillkürlich zur Anbetung lockt, aber wenn man glaubt ihm nahe zu sein, rasch wie ein Irrlicht wieder in die Ferne entschwindet. Die Gesichtszüge dieser lebenswarmen Brünette waren übrigens durchaus nicht regelmäßig und hätten einem Künstler zu keinem genügenden Modell dienen können -- das Gesicht war nicht schön, wie es das der Blondine in der That war, aber es hatte des Reizenden und Pikanten genug; es war journalier, interessant, hübsch. Sie trug ein karmoisin rothes Kleid von dichter Gaze mit drei Reihen Volantes, derren oberste kaum eine Hand breit von der Einschnippung der Taille absäumte. Diese hielt ein chrysolidengrüner Gürtel von gewäffertem Muster, in knapper Umspannung. --
    Nachdem sie die ganze Länge der Canalstraße hinabgefahren waren, lenkte der Wagen in Tchoupitoulasstreet ein.
    Die beiden jungen Damen waren seit ihrer Abfahrt von der Kirche bis zur genannten Straße in stille Betrachtung versunken gewesen, wie es keusche und reine Seelen immer zu thun pflegen, wenn sie das Gotteshaus verlassen.
    „Wie danke ich Dir, meine gute Constanze,“ wandte sich jetzt die Blondine an die andere Dame, die eben ihren vergoldeten Marquisenkamm, der ihr aus den Haaren gefallen war, wieder an seinen Platz steckte, „daß Dich die allgütige Vorsehung in unser Haus geleitete und mir in Dir einen Schutzengel zuführte.“
    „Dein Dank gelte neben der Vorsehung Sr. kön. Hoheit, dem Prinzen Paul von Würtemberg -- nicht mir, meine liebe Dudley! Der Prinz war der Schutzgeist, der Dich bewachte und aus den unglücklichen Banden befreite, in welchen Dich der unwürdige Abbé gefesselt hielt.“

[LSZ - 1854.07.26]
    „Du mußt mich für ein Kind halten, meine gute

 

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Constanze, wenn Du daran denkt, daß ich bisher so wenig gedacht habe.“
    „Das Denken hat man Dir ja verboten, meine liebe Dudley -- es ist nicht Deine Schuld,“ erwiederte Constanze in einem schmerzlichen Tone.
    Sie schwiegen einige Augenblicke; dann sagte Constanze:
    „Das Denkenlernen ist leider immer mit einer Gefahr, verbunden -- Dein Kopf hat gewonnen, meine Freundin, aber die stille Ruhe Deines Herzens ist gestört worden.“
    „Siehst Du, welch' ein Kind ich noch bin -- Deine Worte fließen so deutlich und klar und doch kann ich deren Sinn nicht verstehen.“
    „Es ist vielleicht gut, daß Du meine Worte nicht be greift, Freundin meiner Seele.“
    „Ich habe in meinem ganzen Leben bisher nur zweimal gedacht, Constanze ; das Erstemal, als mir der Himmel meinen Vater entführte, das andere Mal, als mir das Vertrauen zum Abbé genommen wurde.“
    „Deinem Herzen war das Erstere Gewinn, beidem Andern verlorst Du,“
    „Du erschrickt mich, Constanze - ich habe verloren, aber diesen Verlust ertrage ich gerne, da mich der Himmel doppelt entschädigte, indem er mir Dein Herz gab.“
    Constanze verließ ihren Sitz und setzte sich neben ihre Freundin.
    „Du bist so gut, Dudley, und ich möchte weinen über den Verrath, den man an Deiner gottgeküßten, reinen Seele ausgeübt hat. Komm, küsse mich!“
    Der Neger, der vor der Kirche am Wagen schlage gefan den hatte und sich gleich nach dem Einsteigen der beiden Damen hinten auf postierte und in jeder Hand eine schwere Quaste hielt, sah durch das kleine Fenster, wie sich die beiden Freundinnen abwechselnd bald auf die Stirne bald auf den Mund küßten. Er lächelte und hielt sich schnell wieder zurück, um bei einer Neugierde nicht überraschtzu werden. --
    „Meine gute Freundin,“ begann Miß Dudley Evans wieder und legte ihre rechte Hand in die linke Constanzens, „wenn ich jener Stunde gedenke, wo Dich der Prinz von Würtemberg in unser Haus führte und Du von meiner Mutter so liebreich empfangen wurdest, so beschleicht mich stets ein wehmüthiges Gefühl und ich kann es Sr. kön. Hoheit kaum

 

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verzeihen, daß er nicht schon früher auf den Einfall gerieth, Deine liebe Familie mit uns bekannt zu machen. Dem Unglück, das Euch damals begegnete, wäre eine warme Theilnahme und ein sicherndes Interesse gefolgt.“
    „Doch die Theilnahme kam ja, wenn auch spät. Wer weiß, was aus mir, meinen Eltern und Geschwistern geworden wäre, wenn sich der Prinz einige Monate länger auf Reisen aufgehalten, oder wenn er nicht zufällig Gertrude getroffen hätte.“
    Miß Dudley zeigte ein vergnügtes Lächeln, als Constanze die letzten Worte sprach.
    „Du lächelt, meine Dudley, O wie gerne sehe ich das! Du denkst gewiß an jene drollige Affaire mit dem Kaffeepicken, von der Dir der Prinz in seiner charmanten Laune einmal erzählte ?“
    „Du bist glücklich im Errathen, meine gute Constanze -- eben dachte ich an Dein Schwesterchen und mit was sie gerade wieder beschäftigt ist, wenn wir nach Hause kommen.“
    „Und an ihr Genie im Kaffeepicken,“ sagte die Tochter des alten Grafen, indem sie dabei schelmisch lächelte.
    „Ja -- ich kann das nie vergessen. Ich habe mir es von ihr schon zwanzigmal erzählen lassen und ausführlicher und genauer, als es S. kön. Hoheit vortrug. Anfangs schlug Dein Schwesterchen die Augen zu Boden, wenn ich es auf dieses Thema führte -- jetzt fängt es oft von selbst davon an.“
    „Gertrude war nie fröhlicher und lieber, als jetzt, meine Dudley; sie betet Dich an, wie eine Heilige. Gestern zeigte sie mir ein Strumpfband und forderte mich auf, zu errathen wem es gehöre. Als ich gleich das Erstemal auf Dich rieth fo fiel sie mir um den Hals und that ganz närrisch.“
    „Daß sie ein Strumpfband von mir gefunden hat?“
    „Ja; sie sagte, Du hättest es bei der großen Agave neben der Laube verloren; sie hätte es gleich gesehen, aber nichts ge sagt, und als Du, ohne es zu bemerken, weggegangen warst, habe sie es aufgehoben und in ihre Schatulle verborgen. Sie meinte ferner,wenn Du nicht eigens darnach frügelt, würde sie es Dir auch nicht herausgeben.“
    „Aber was thut denn Dein Schwesterchen mit dem Strumpfbande?“
    „Sie behält es als Andenken.“
    „An mich, als Andenken? da muß ich ihr etwas Besseres geben, Constanze.“

 

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    „Es kommt darauf an, ob ihr ein anderes Souvenir besser gefiele; für sie liegt vielleicht gerade darin der Reiz, daß Du nichts hievon weißt.“
    „Jetzt weiß ich es aber doch.“
    „Aber sie glaubt,Du weißt es nicht.“
    Dudley Evans schwieg einen Augenblick und sah mit einem zärtlichen Blicke auf die Tochter des Grafen. Dieselbe reichte ihrer Freundin zum wiederholten Male die Hand.
    „Weißt Du was, Constanze,“ sagte mit einem lebhaften Accente Dudley, „wann wir zu Hause sind, werde ich thun, als suchte ich etwas.“

[LSZ - 1854.07.27]
    „Das ist gut, Dudley; Gertrude wird Dir jedenfalls ihre Hilfe anbieten und wenn Du ihr dann sagt, Du suchet das Strumpfband, so wird sie ihr böses Gewissen schon verrathen.“
    „Begierig bin ich, wie sie sich dabei benehmen wird.“
    „Gewiß sehr originell, wie immer.“
    „Ich werde das Strumpfband von ihr fordern, wenn sie die Wegnahme eingesteht.“
    „Eingestehen wird sie ihren Fehler, aber sie wird Dir das Gesuchte nicht zurückerstatten.“
    „Glaubst Du?“
    „Ja, denn ich kenne sie nur zu gut- sie würde sich zu Tode grämen, wenn Du darauf beständest.“
    „Warum nicht gar?“
    „Gewiß, sie ist einmal ein so merkwürdiges Kind.“
    „O, wie lieb seid Ihr Beide! Ich könnte Euch nicht mehr entbehren. Schon der Gedanke, wir könnten einmal getrennt werden, macht mich traurig gestimmt.“
    „Mir ist es ebenso, meine liebe Freundin, eine Trennung von Dir scheint mir unmöglich.“
    „Sr. kön. Hoheit muß ich jedesmal zürnen, wenn er mir Gertrude entführt, um ihr die schönen Schmetterlinge und glänzenden Käfer zu zeigen, auch bin ich ein bischen neidisch darauf, daß er sie angewiesen hat, ihm die Insekten aufzuheden, die sie findet.“
    „Nicht wahr, Dudley, das Haus an der Bayou Road, welches jetzt der Prinz bewohnt, gehörte früher Deiner Mutter ?“
    „Ja, mein Vater ließ es vor vier Jahren bauen. Deßhalb hätte sie es auch keinem Andern, als dem Prinzen verkauft, was ich ganz natürlich finde.“

 

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    „Wenn er es ader wieder verkauft!“
    „Das kann und wird er nicht thun; denn er erhielt es nur auf das Versprechen hin, es entweder stets selbst zu bewohnen oder meiner Mutter wieder zukommen zu lassen.“
    „Ich gönnte es auch keinem Andern, am allerwenigsten einem Amerikaner, denn ein solcher würde doch nichts von den schönen Magnolien und Cypressen verstehen.“
    „Meine Constanze,“ sagte scherzend die Blondine, indem sie dabei ihren Zeigefinger wie drohend emporhob, „ich bin auch auf diesem Beden geboren.“
    „Das ist etwas ganz anders, sind ja Dein seliger Vater und Deine Mutter in Schottland geboren; also bist Du genau genommen. Gottlob auch keine Amerikanerin.“
    „Gottlob, sagt Du, Constanze ? Ist es denn so etwas Schlimmes, eine Amerikanerin zu sein?“
    „Gewiß, weil ihnen Herz und Gemüth fehlt.“
    „Das habe ich noch nicht bemerkt.“
    „Weil Du nicht darüber nachdachtest.“
    „Du bist grausam, meine Constanze.“
    „Ich wollte Dich nicht kränken, Dudley. Verzeihe mir! -
    Dudley Evans pochte an das Wagenfenster und gab dem Kutscher ein Zeichen, rascher zu fahren. Derselbe trieb augenblicklich seine Pferde stärker an.
    „Es ist eine häßliche Straße,“ sagte sie, „und die Sonne ist unerträglich. Deine Eltern und Geschwister werden sich über dem Lake, wohlbefinden -- es weht dort eine gesündere und frischere Luft. Wir muffen noch vierzehn Tage hierzubringen; die Ueberraschung wird dann um so größer sein, wenn wir Frida und Jenny mitbringen. Wie werden sich Deine Eltern freuen, Constanze, endlich einmal die umarmen zu können, nach denen sie sich schon so lange sehnten.“
    „Wenn es dem Prinzen nur gelänge, auch meinen Bruder Emil auszukundschaften. Die arme Jenny ist in manchen Momenten ganz trostlos.“
    „Der liebe Gott wird uns auch diese Freude noch berei ten,“ entgegnete mit einem hoffnungsvollen Blicke Dudley.
    „Wie gefällt Dir Frida's Mann, meine Freundin?“
    „Ganz gut; er hat ein sehr interessantes, nobles Aeußere.“
    „Und ein schönes Gesicht, obgleich es von einer breiten Narbe durchschnitten ist.“

 

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    „Das habe ich nicht beachtet.“
    „Nicht? Du sagtest ja vorher, daß er von interessantem, noblen Aeußern sei.“
    „Ja, eine Haltung und Manieren im Umgange gefallen mir. Man sieht es ihm gleich an, daß er eine ausgezeichnete Erziehung genossen hat.“
    „Das haben die ungarischen Magnatensöhne Alle - nur sind sie etwas zu stolz und herrisch -- Widerspruch können sie selten ertragen und gerathen daher oft in die unangenehmsten Situationen.“
    „Das finde ich nicht, Constanze, ich bilde mir ein,die un garischen Offiziere müffen so und nicht Anders sein. Lajos ist ebenso, wie man es in Büchern von dieser Nation so ausdrücklich liest.“
    „Für ihn ist es vielleicht sehr gut, daß er von dem Degen eines Desperado eine gute Lehre empfangen hat.“
    „Davon hat er wohl die Narbe im Gesichte?“
    „Wie er uns erzählte, hatte er vor ungefähr einem Jahre ein Duell mit einem halbverrückten Merikaner in Matamores. Es fiel glücklich aus, keiner war im Stande, einem Gegner eine Wunde beizubringen. Doch, als sich beide Theile eben trennen wollen, stürzt der Mexikaner über Lajos her, wirft ihn zu Boden und durchschneidet ihm mit der Spitze eines Degens die Wange.“
    „Das ist aber zu schändlich!“

[LSZ - 1854.07.28]
    „Lajos meint, sein Gegner müsse im halbverrückten Zustande gewesen sein, sonst hätte er dem so ehrenwerth beendeten Kampfe keinen solchen Schandflecken angehängt.“
    „Das muß wohl so sein -- denn so roh und grausam ist doch kein Mensch.“
    „Den Mexikanern traue ich Alles zu; man darf sie nur ansehen, es ist ein wüstes Volk. Ich kann mir überhaupt keinen Spanier oder Merikaner ohne Dolch denken. Wenn man von Mexiko spricht, so denke ich immer zu gleicher Zeit auch an einen Haufen Dolchmesser oder Stilette, die sie beständig bei sich tragen.“
    „Das wüßte ich nicht, Constanze. Ist von Mexiko die Rede, so denke ich stets an die schönen gefiederten Palmen und die prächtigen Cacteen und üppigen Lianenguirlanden; hie und da fällt mir auch Santa Anna mit einem hölzernen Beine ein.

 

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    „Diese Zusammenstellung hast Du den Erzählungen des Prinzen von Würtemberg zu verdanken.“
    „Das ist wohl möglich, Constanze, der Prinz ist ganz begeistert und Eine Flamme, wenn er auf Mexiko und seine Parangas zu sprechen kommt.“ --
    Der Wagen fuhr jetzt langsamer.
    Dudley Evans erhob sich etwas von ihrem Sitze und sah hinaus.
    Man befand sich bereits vor dem Annunciation-Square. Zur Rechten, in divergierender Richtung mit der Kirche steht mitten unter Cypresen, Oleandern, Magnolia's und Weimuthskiefern die Residence von Lady Stewart-Evans, Dudley's Mutter. Dem Aeußern nach scheint dieses Wohngebäude nur ein einfaches, wenig complicirtes Framehaus, nach der gewöhnlichen amerikanischen Schablone aufgezimmert; aber setzt man seinen Fuß hinein, so läßt schon der Anblick einer doppelten Attica mit den entsprechenden Nischen auf einen geläuterten Geschmack fchließen. Im Meublement herrscht Lurus, aber nicht der plumpe Lurus eines Geldaristokraten, sondern der harmonische, finnige einer ererbten und in reinster Weise fort gepflanzten Vornehmheit -- kurz der Lurus, wie er sich hier nach allen Seiten hin entfaltet, verletzt nicht. --
    Ueber den grünen Rasen des Annunciation-Square"s ging ein schon ziemlich bejahrter Mann mit einem schönen blonden Mädchen an der rechten Hand. Sie schritten rasch, ihre Blicke auf den heranfahrenden Wagen gewendet.
    „Der Prinz und Gertrude!“ rief plötzlich Dudley freudig aus und auf die zarte, durchsichtige Blässe ihrer Wangen trat ein hübsches Rosa. Sie ließ den Neger halten und stieg mit Constanzen aus.
    „Engel und Genius!“ sagte der Prinz von Würtemberg, der mit Gertrude bereits vor den beiden Freundinnen stand.
    „Und Sie, königliche Hoheit, führen uns Psyche zu,“ entgegnete Constanze schnippisch, dabei auf ihr Schwesterchen sehend, die einen kleinen Argusfalter zwischen ihren weichen Fingerchen hielt.
    „Mythologie und Christenthum,“ betonte der Prinz von Würtemberg. -- Man begab sich zum Déjeuner à lafourchette.
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EZweitess Kapitel.

Auf der Flucht nach Niniveh.

    Es ist eine traurige, aber leider nur zu wahre Thatsache, daß schlechten Menschen der Dämon getreuer zur Seite steht und sie auf den Pfaden des Lasters und Verbrechens besser beschützt, als guten Menschen ihr Genius. Der Menschen kenner, wenn er aufrichtig sein will, muß dies unverholen ein gestehen und darf sich von der in tausend Fällen kaum Einmal vorkommenden Lehre der Fabel, daß sich das Verbrechen selbst bestraft und schon hier*) eine Vergeltung findet, nicht irre machen lassen. Wer über dieses Ariom täuschend hinwegeilt, ist weit davon entfernt, etwas Gutes zu stiften, da er mit der Behauptung einer von sich selbst verstehenden Belohnung dem Guten Indifferentismus und dem Schlechten Sicherheit und gewiegte Energie verleiht. Die Täuschungen über die Erfolge der Moral sind es allein, die uns die Begriffe über Recht und Wahrheit bisher verzerren und verhüllen ließen. Die größten Verbrecher sind sicherlich diejenigen, welche nie der Arm der Themis erreicht hat, da sie es verstanden, die Tugend oder das Laster derjenigen zu benützen, die ihnen verderblich sein konnten. Da sie von der Existenz des Gewissens nichts zu fürchten sich berechtigt glauben, so treiben sie um so mehr mit demselben Wucher und drucken es von Zeit zu Zeit als verderbenbringendes Amulett auf das kalte Herz. Während oft ein übereiltes Vergehen einen sonst guten Menschen der Gerechtigkeit überliefert, sind Tausende von Verbrechen, mit Vorsatz begangen, nicht im Stande, die Freiheit und Sicher heit des Uebelthäters zu gefährden. Ist es Connerion oder ihr Dämon,der sie auf ihren Lebenswegen beschützt? --
    Wir haben Lajos, nachdem wir ihn damals die Farm Watson's verlassen und auf die „Sultana“ gehen sahen, um mit diesem Boote nach New-Orleans zu fahren, ein Jahr später als Clubbisten von 99 und 100 wiedergefunden. Was sich vor dieser Zeit mit ihm zugetragen hatte, sowie seine Vergehen seit seiner Rückkehr in die Golfstadt bis zu jenem Momente, wo wir ihn so ehrend von den beiden Freundinnen erwähnen hörten, soll die Aufgabe sowohl dieses als auch der folgenden Kapitel sein.
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*) In sofern man niemlich eine Alternative zugesteht,.

 

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[LSZ - 1854.07.29]
    Ohne zu schaudern, wenn wir jene Lücke in seinem Leben ausfüllen, so können wir bei dieser Gelegenheit doch nicht um hin, einen ernsten Umstand ganz zu verschweigen, da er leicht im Stande wäre, die bedenklichsten Folgen in engeren Familienkreisen nach sich zu ziehen. Ein Windstoß, der von ungefähr kommen sollte, wird den Schleier ohnehin von selbst luften und uns kann dann auch nicht der Vorwurf treffen, das Herz der Unschuld verletzt und ihre Augen mit Blindheit geschlagen zu haben. --
    Als Lajos damals die Behausung des Farmers Watson verließ, hatte ein tiefer Schnee, der an manchen Stellen, wo ihn nemlich der Wind aufgehäuft und angeweht hatte, an drei bis fünf Fuß tief war, ringsum den Boden bedeckt und ermahnte, genau auf seiner Hut zu sein; denn der Bayou entlang, vom Farmerhause abwärts bis zur Brücke, die nach St.Louis hinüberführte, waren mehrere Untiefen, die, da sie mit Schnee ausgefüllt waren, für denjenigen, der mit dem Terrain und feinen Abweichungen nicht genau bekannt war, lebensgefährlich werden konnten. Lajos, der jedes Fleckchen auf der Farm und überhaupt auf ganz Bissle's Island genau kannte denm ein bis in's kleinste Detail gehender Ortssinn ist solchen Charakteren angeboren -- wich geschickt solchen Senklöchern aus und glaubte bereits seiner Aufmerksamkeit auf dieselben überhoben zu sein, als er sich über die Fence schwang und seine Schritte der genannten Brücke zulenkte. Er blieb jetzt stehen und warf einen forschenden Blick auf das eben verlassene Farmerhaus, als wollte er noch einmal etwas erspähen, was er beim Abschiede von Watson vermißt hatte.
    „Das dumme Gänschen könnte ich lieben, wenn ich Geld genug hätte,“ brummte er für sich hin, „aber so -- --“
    Er hatte seinen rechten Fuß vorgesetzt und versank in eine Grube, die der Schnee vollständig bedeckt und mit dem Boden gleich gemacht hatte und die er, da sie erst in neuester Zeit ent standen war, nicht kennen konnte. Vergebens versuchte er es emporzukommen, um wenigstens einen Kopf in’s Freie zu bringen und nach Hilfe rufen zu können. Er griff, seine bei den Arme horizontal durch den Schnee drückend, nach beiden Seiten der Grube, um ihre Breite zu erforschen. Tantalisches Bestreben! Das Senkloch war zu breit, um sich an die Wände zu stemmen und so herauszuarbeiten. Der Tod schien unver meidlich. Er hätte jetzt gerne einen Fluch herauf an’s Tageslicht gesandt; aber der Schnee drückte ihn auf die bleichen Lippen

 

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und schien das Rächeramt wegen seiner verübten Schand thaten übernehmen zu wollen. Da fühlte er plötzlich einen harten Gegenstand an seiner Schulter, der von hier abstieß und dicht an seinem Rücken hinabfuhr. Instinktmäßig griff er hinter sich und klammerte krampfhaft seine Hände um eine kaum zwei Zoll dicke Stange. Die Schwere seines Körpers zog sie mehrere Fuß tief herab, doch im nemlichen Augenblicke erhob sie sich schon wieder und er befand sich in der schneiden den Luft des Wintermorgens.
    Ein Arbeiter, der in der kaum zwei Schritte von der Brücke der Bayou stehenden Schneidemühle beschäftigt war, hatte gesehen, wie der Ungar plötzlich, in den Boden versank und war mit einer Stange an das Senkloch geeilt, umdemselben zur Hilfe zu kommen. Wie wir sahen, kam dieser Deus er machina eben zur rechten Zeit oder vielmehr zur unrechten, da es besser gewesen wäre, dieser satanische Unhold wäre auf diese Weise von der Erde verschwunden.
    „Nun kann ich doch wieder auf eine anständige Weise Luft schnappen -- dafür sollt Ihr auch von mir getrihtet wer den; denn etwas Besseres kann ich Euch nicht bieten,“ wandte sich der Ungar an einen Lebensretter, der, erstaunt über die unbeschreibliche Kaltblütigkeit dieses Mannes, etwas zurücktrat.
    „Ich weiß nicht, wie Ihr mir vorkommt, Sir, aber so viel kann ich Euch versichern, daß Ihr nicht nöthig habt, besorgt zu sein, mir auf irgend eine Weise Eure Dankbarkeit zu bezeugen. Ich sah Euer Leben in Gefahr und habe es gerettet, das ist mir Belohnung genug,“ entgegnete der Arbeiter der Schneidemühle.
    „Never mind, ich habe auch nicht die geringsten Skrupeln hierüber -- ich will Euch trihten, dann geht Jeder von uns wieder einer Wege,“ bemerkte jenem der Ungar.
    „An Eurer Aussprache erkenne ich es, daß Ihr kein Yankee seid -- Ihr seid wohl ein Deutscher -- dann freut es mich um so mehr, einen Landsmann gerettet zu haben,“ sagte der Arbeiter und sah dem Ungarn halb verwundert, halb erschreckt in’s bleiche Antlitz. Denn die Augen des Ungarn brannten mit stechender Verletzung.
    „Nichts Deutscher!“ warf Lajos, noch immer in englischer Sprache, bitterkalt hin, „aber nicht weit davon her.“
    „Dann seid Ihr wahrscheinlich ein Schweizer?“
    „Schweizer? Pah! Muß man denn ein Schweizer sein,

 

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wenn man kein Deutscher ist? Uebrigens kehre ich die Hand nicht um-Schweizer und Deutsche sind die Sündenböcke der Nationen.“
    „Ich kann es nicht verstehen, was Ihr hiemit sagen wollt, aber mir scheint es fast, Ihr habt es darauf abgesehen, mich zu kränken,“ versetzte der Arbeiter in einem würdevollen Tone.
    „Pah! Lassen wir das! Ich habe Euch zu trihten versprochen und damit Punktum!“ Der deutsche Arbeiter, ein Mann noch in den besten Jahren, schüttelte bedenklich den Kopf über dies sonderbare Benehmen des Ungarn. Schweigend ging er neben ihm her, mit Mühe durch den tiefen Schnee watend; denn es war noch früh am Tage, die Trottoirs noch nicht abgefegt und die Straßen nicht gehörig befahren, um mit mehr Bequemlichkeit über die selben zu gelangen.

[LSZ - 1854.07.30]
    „Hier ist „Farmer's Home,“ sagte der Ungar, indem er auf ein altes Framegebäude deutete, „da wollen wir Eins zu uns nehmen. Euch ist diese Liquorbude wohl auch bekannt?“
    „Nicht viel. Kaum, daß ich die des Monats öfter als drei Mal besuche. Unser Boss sieht es nicht gerne.“
    „Ich würde mich den Teufel um meinen Boss kümmern,“ versetzte Lajos, „wenn man diesen Schlingeln den Finger reicht, wollen sie gleich die ganze Hand.“
    „Da werdet Ihr nicht weit kommen, so lange Ihr gezwungen seid, zu arbeiten.“
    „Wer sagt Euch, daß ich arbeite?“
    „Eure Arme sind nervigt genug und Euer Rock paßt auch eher für einen Farmer, als für einen Nichtsthuer.“
    „Ist Euer Boss kein Nichtsthuer, läßt er Euch nicht ar beiten wie Hunde, um selbst auf der faulen Bärenhaut liegen zu können? Ihr seid die Ochsen in der Tretmühle und wenn Ihr nicht pariert, zeigt man Euch die Fuchtel.“
    „So schlimm ist es nicht, Sir. Wenn man die Freiheit hat aufzuhören zu arbeiten, wenn man will, so braucht man sich auch nichts gefallen zu lassen und wenn mein Boss ein Nichts thuer ist, so ist mir dies ganz gleichgültig, wenn er mich für mein Arbeiten nur ordentlich bezahlt.“
    Sie traten jetzt in das Barroom von „Farmer's Home.“ --
    „Farmer's Home“ war ein altes zweistöckiges Framegebäude und gehörte einem ehemaligen churhessischen Beamten,

 

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der schon in den Dreißiger Jahren Deutschland verlassen hatte und nachdem es ihm an verschiedenen Orten der Union ab wechselnd bald gut, bald schlecht gegangen war, endlich in St. Louis seinen Lebenserwerb zu suchen kam. Was er auch beginnen wollte, mißglückte ihm, bis er so weit herabgekommen war, daß sein ganzes Vermögen aus nur zwanzig Dollars bestand. Mißmuthig schlenderte er eines Tages durch die Straßen von St.Louis und ging schon mit dem Gedanken um, mit dem ihm noch übriggebliebenen Gelde die Stadt zu verlassen und mit einem Boote den River aufwärts zu fahren, da fesselten plötzlich die an einer Office ausgehängten Tafeln der Missouri Lotterie eine Aufmerksamkeit und luden ihn ein, einzutreten, um einmal auf diesem Wege ein Gluck zu versuchen. Ernahm daselbst mehrere halbe und Viertelsloose bis zum Betrage von fünfzehn Dollars, da es ihm doch zu gewagt schien, auf Ein volles ein ganzes Hab und Gut zu verwenden. Mit der größten Ungeduld verbrachte er den noch übrigen Theil des Tages. Und was sollte er beginnen, wenn er nichts gewänne? War er dann nicht auch der Mittel zur Weiterreise beraubt? Diese Gedanken quälten ihn, aber drückten ihn nicht darnieder. Ja, je näher die Zeit zur Ziehung kam, desto eifriger war er im Aufbauen seiner Luftschlöffer,die aber im nächsten Augen blicke wieder als Seifenblasen zerplatzten. Dann wurden wieder neue gebaut und mit den brillantesten Farben ausgemalt. Endlich erschien der Moment, der über sein Glück entscheiden sollte. Er selbst getraute sich nicht, bei dem verhängnißvollen Akte gegenwärtigzu sein. Selbst, als die Tafeln mit den neu herausgekommenen Nummern schon ausgehängt waren, ging er noch mehrere Male an denselben vorüber, ohne das Herz zu fassen, sich von der Gunst Fortuna's zu überzeugen. Endlich mußte es ja doch geschehen und ein rascher Blick auf die großen rothen Nummern, wie sie die Gewinnste hervorhoben, ließ ihn taumelnd einige Schritte zurücktreten und sich dann wieder vorwärts bewegen, bis die Freude über das, was er gesehen, sein Gesicht zu dem eines glücklichen Menschen herausstaffierte. Er hatte niemlich die artige Summe von 9000 Dollars gewonnen! -- Neun Tausend Dollars, so plötzlich bescheert, sind gerade auch nicht ganz zu verachten, besonders wenn man sich, wie damals unser churhessische Beamte, in der höchst kritischen Lage befindet, eine volle Kassa auf zwanzig Dollars decimirt zu sehen; zudem wird es Einem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sehr schwer, in so kurzer Zeit in den Besitz der gewonnenen

 

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nenen Summe zu gelangen. Und besonders einem deutschen Beamten in Amerika!
    Der erste Entschluß, den unser Glücksvogel faßte, war, St Louis jetzt nicht zu verlassen und eine schon lange gepflogene Idee endlich zur Ausführung zu bringen -- nemlich zu heirathen. Der Gegenstand einer heißesten Wünsche war die Tochter eines Stärkefabrikanten in St Louis, der in der südlichen zweiten Straße, dem Convente gegenüber, ein bedeutendes Etablissement besaß: der hartherzige Vater, der ihm in seinen früheren Umständen die Tochter nicht geben wollte, hatte jetzt durchaus nichts dagegen, um so weniger, da ihm der glückliche Brautwerber freiwillig zweitausend Dollars cash zur Verwendung in einem Geschäfte angeboten hatte. Dafür gab sich der Stärkefabrikant auch alle erdenkliche Mühe, seinen Schwiegersohn zu einem ansäßigen Bürger in St Louis zu machen und ihn zu uberreden, sich einen soliden Hausstand zu grunden. Seinen Wunsche aber, mit ihm in Partnership zu treten, hatte unser Beamte keine Lust nachzukommen. Vielleicht fühlte er seine Schwäche in Stärkeangelegenheiten. Der Stand seiner Angebeteten hatte etwas Aehnlichkeit mit dem seiner schon in Deutschland verstorbenen Frau, welche Weißzeugbeschlie ßerin am Hofe seines Fürsten war. Da er seine erste Frau mit allem Feuer eines schwärmerischen Juristen liebte, so war gemäß der Standesähnlichkeit auch für die zweite die beste Hoffnung vorhanden. Mehrere Monate ging es ganz leidlich. Man liebte sich und nahm gegenseitiges Interesse an den Ein künften der in Franklin Avenue errichteten Confectionary. Ice Cream, Soda, Mead, Sherbet on Pine Apples, Candies und Pies gingen ausgezeichnet und es fehlte nicht viel, so war der Grund zu einem bedeutenden Vermögen gelegt. Aber die Götter wollten es anders.

[LSZ - 1854.08.01]
    Entweder beneideten sie die wackeren Eheleute in ihrem geschäftigen Glücke oder sie wollten den ehemaligen churhessischen Beamten einer Prüfung unterwerfen. Ein ganz unschuldiges Buch: „Anleitung zum Schwimmen, besonders auf dem Rücken und im Wassertreten“, sollte feindselig in das geordnete Geschäftsleben eingreifen. Eines Tages nemlich, als es an Papier zum Einwickeln der Süßigkeiten fehlte, langte die junge Frau obiges Buch aus der Bücher-Etagère ihres Mannes, um zu genanntem Behufe Blätter auszureißen. Da fielen ihre Augen auf mehrere rylographirte Abbildungen, die Schwimmer und Schwimmerinnen vorstellten. Das reizte zur Lectüre und

 

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diese brachte die Conditorfrau auf die fixe Idee, auch eine tüchtige Schwimmerin zu werden. Ihr Mann,der ihr als ausgezeich neter Schwimmer bekannt war, sollte ihr hiebei behülflich sein und sie in ihrem Bemühen angemessen unterstützen. Da man sich liebte, so lag das Einverständniß parat. Unser Beamte nahm seine Frau mit in's Wasser und unterrichtete sie nach seinen besten Kräften in der Kunst des Schwimmens. Nach Verlauf von sechs Wochen hatte dieselbe bereits solche Fortschritte, besonders auf dem Rücken Schwimmen, gemacht, daß sie ihren Lehrmeister noch übertraf. Wer war seelenvergnügter, als unser Beamte? Wenn er sich fruher immer ennuyirte, allein zu baden, so hatte er jetzt die liebenswürdigste Gesellschafterin von der Welt. Alle seine Jugendträume von Najaden und Sirenen sah er nun buchstäblich in Erfüllung gehen. Denn die Schwimmlust seiner Schwärmeline, wie er seine Frau in seiner Zärtlichkeit immer nannte, machte noch einige Proselytinnen, die ihm sehr viel zu schaffen machten. Und die Confectionary? Sie litt augenscheinlich unter dieser Badewuth; denn während man früher alles selbst besorgte, über gab man das Geschäft jetzt anderen Händen. Die junge Frau hatte zu Nichts mehr Lust, als vom Schwimmen zu sprechen und der Mann, der den augenscheinlichen Ruin des Geschäftes immer mehr und mehr herannahen sah -- er sagte nichts zu dieser unglückseligen Manie seiner Schwärmeline, und wenn er je einmal etwas sagte, so geschah es nur mit einer leichten Anspielung. So war über ein Jahr dahingegan. Ihr Schwimmen war man Meister geworden, aber die Confectionary hatte bedenklich gelitten. Die Hoffnung, die unser Beamte auf die Wintersaison gesetzt hatte, wurde zu einem größten Schrecken zu Wasser. Da sich Schwärmeline nicht mehr im River baden konnte, so suchte sie sich zu Hause eine angemessene Entschädigung.
    Das Erste, was die badelustige Schwärmeline zur weite ren Entwickelung ihrer nautischen Kräfte vornahm, war, daß sie fich einen Monstertub auf Order anfertigen ließ. Derselbe maß zehn Fuß, drei Zoll und zwei Linien in die Länge, war vier Fuß, sieben Zoll und eine Linie breit und, gegen alle Pro portion, sieben Fuß tief. Da Schwärmeline Aphrogeneia von der Fußzehe bis zum Scheitel nur vier Fuß*) und etwas darüber groß war, so mußte sie jedesmal einen Tisch vorschieben,
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*) American Measure.

 

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um von ihm aus in die immense Badewanne steigen oder viel mehr rutschen zu können. Da ihr aber, wenn sie kerzengerade auf dem Boden der Wanne stand, das Wasser noch drei Fuß über den Kopf ging, so waren ringsherum, in einer Distance von einem halben Fuß, Henkel aus Gutta Percha fabriziert angebracht, mit deren Hilfe sie sich beliebig über die Oberfläche des Wassers erheben und wieder aussteigen konnte. Zwei über der Wanne angebrachte Hähne gaben beliebig sowohl kaltes, als warmes Wasser. Unter derlei Vorbereitungen und Comforts hatte Schwärmeline bereits zwei Monate mit dem besten Erfolge ihrer Passion obgelegen; denn nie sah sie zuvor hübscher, gesunder und mehr einziger in ihrer Art aus. Der ehemalige churhessische Beamte aber hatte schlimme Tage und noch viel schlimmere Nächte. Denn sie sprang oft mitten in der Nacht aus dem Bette, weckte ihren Mann, den im Hause beschäftigten Zuckerbäcker, dessen Schwester die Ladenjungfer, die Köchin, ja sogar den kleinen schläfrigen Jungen, der der Sicherheit halber im Laden schlafen mußte und trieb sie insgesammt dazu an, ihr das Bad zurecht zu machen oder, wie sie sich auf echt amerikanische Art ausdrückte, zu firen. Was halfen bei einer derartigen nächtlichen Rebellion die Vorstellungen ihres Mannes? Er predigte nur tauben Ohren. Schwärmeline hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, das ganze Haus auf die Beine zu bringen, wenn ihr mitten in der Nacht die Lust ankam, sich zu baden. Da alle Vorstellungen, ja sogar Drohungen nichts fruchteten, sich der arme gequälte Ehemann endlich genöthigt, mit aller Geduld eines wahren Christen sich in sein Schicksal zu ergeben. Dabei unterließ er es aber nicht, bei sich im Stillen auf Mittel und Auswege zu sinnen, die diesem Unfuge ein Ende machen sollten. Im Laden war Schwärmeline gar nicht mehr zu gebrauchen; denn sie beging in ihrer Unachtsamkeit die größten Thorheiten. Kam Jemand und kaufte sich einen Kuchen und sie erhielt z.B. ein Fünf- oder Zehndollars Bill, so wartete der bestürzte Käufer umsonst auf die Herausgabe der übrigen Münze. Es kam dann oft zum förmlichen Scandal. Der Scandal rief Leute herbei, die begierig auf den Ausgang dieser Scene warteten oder auch für den so seltsam Betrogenen Partheil nahmen. Schwärmeline versicherte hartnäckig, daß sie beschlossen habe, kein Geld heraus, zugeben, da sie sammeln müsse, um für das nächste Frühjahr eine Schwimmschule am Merimac Flusse zu errichten, worin dann diejenigen, die auf diese Weise beigesteuert hätten,

 

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umsonst baden könnten. Damit war man naturlicherweise nicht zufrieden.
[LSZ - 1854.08.02]
    Man verklagte sie und da sie auch vor Gericht auf ihrer Hartnäckigkeit bestand, so hielt man sie bald für verrückt und der Mann mußte das Geld aus seiner eigenen Schatulle herausgeben und noch obendrein die nicht unbedeutenden Gerichtskosten bestreiten. Wunderbar bleibt es übrigens, daß es unserm Beamten nicht einfiel, sich von Schwärmeline zu trennen. Wenigstens hörte man ihn nie sich darüber aussprechen. Weßhalb der Schwiegerpapa, der Stärkefabrikant in der süd lichen zweiten Straße, bei diesem Benehmen eines einzigen Töchterchens ein Auge zudrückte, blieb ein Geheimniß. So befand sich Schwärmeline am Weihnachtsvorabend, wo die Conditorei gedrängt voll Kunden war, wieder einmal in ihrer nautischen Laune. Zur Abwechslung wollte sie an diesem Abend ihr Bad selbst bereiten. Nachdem sie aus demHahne mit kaltem Wasser ungefähr so viel in die Wanne laufen ließ, daß es zweiFuß über dem Boden derselben stand, schloß sie ihn und rutschte hinab. Dann schwang sie sich an den Gutta Percha Henkeln empor und öffnete den andern Hahn, der das siedend heiße Wasser enthielt. Um sich nicht zu verbrühen, setzte sie sich an das entgegengesetzte Ende der Badewanne und sah an dächtig dem herabschießenden Wasserstrahle zu. Nach einigen Minuten sah sie sich aber genöthigt, aufzustehen, um den Hahn umzudrehen und wieder den andern zu öffnen. Zu diesem Zweck mußte sie sich aber an den Henkeln emporschwingen. Als sie eben im besten Schwunge war, riffen dieselben und Schwär meline platschte in die Wanne hinab. Das heiße Wasser floß noch immer und stand ihr bald bis an der Brust. In der höchsten Verzweiflung versuchte sie es, zu dem, Hahne emporzu kommen, aber umsonst. Sie fiel immer wieder zurück. Sie schrie aus Leibeskräften um Hilfe, aber es schien die Niemand zu hören. So fand sie einen gräßlichen Tod und erst, als die Wanne überlief und das Wasser in die nahe angelegene Confectionary floß, eilte man herbei und zog die Unglückselige entsetzlich zugerichtet aus dem verhängnißvollen Monstertub.
    Der Tod seiner Schwärmeline hatte auf den bisher gepflogenen Lebenswandel unseres Beamten einen üblen Einfluß. Um sich zu zerstreuen vernachlässigte derselbe sein Geschäft gänz lich, wurde zum Säufer und in einer hellen Stunde kaufte er sich mit dem noch geretteten Gelde das alte Framehaus in der Nähe des Broadway und etablierte die Schenke „Farmer's

 

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Home“. Diese traurige Geschichte hat unser Beamte selbst dem Arbeiter der Schneidemühle erzählt. --
    Als sich der Ungar mit seinem Lebensretter an der Bare aufgepflanzt hatte, trat ein Mann ein, der mit seiner erloschenen Cigarre geradewegs zum Spirituslämpchen vorging, um sich dieselbe wieder anzuzünden. Der Ungar stand so, daß er ihm den Rücken wieß, während der deutsche Arbeiter aus der Schneidemühle eben im Begriffe war, sein Glas mit dem des Ungarn in Berührung zu setzen, um dem üblichen Profit Genüge zu leisten.
    „Laßt das Anstoßen,“ warf Lajos etwas barsch hin und brachte sein Glas sogleich an den Mund. „Man kann das Gesöffe auch ohne Honneurs und solche Altvater-Gewohnheiten hinunterbringen. Philister seid und bleibt Ihr Alle -- nicht einmal das Saufen versteht Ihr, wie sich's gebührt. Ich biete die Hölle, wenn Ihr mir beweisen könnt, daß Ihr je einen Ungarn gesehen habt, der an einem solchen bubenmäßigen Comment Gefallen fand und nicht gleich. Jedem, der eine derartige Prätention wagte, mit dem Glase die Zähne in den Rachen hinabschlug.“
    Der deutsche Arbeiter sah den Ungarn mit großen Augen an und war, wie alle gutmüthige Menschen gegenüber solchen Charakteren, in großer Verlegenheit, was er hierauf entgegnen sollte.
    „Also ein Ungar seid Ihr?“ das war die einzige Frage, die eine Bestürzung zuließ. Dann, als der Ungar nichts darauf erwiederte, frug er weiter, zweifelsohne nur um seine Verlegenheit zu bemänteln: --
    „Wenn Ihr ein Ungar seid, so habt Ihr gewiß auch, wie so Viele Eurer Nation, vor den österreichischen Bluthunden an unser gastliches Gestade fluchten müssen?“
    „Im Gegentheile,“ versetzte Lajos in seinem bitterkalten und schneidenden Tone: „Wenn ich nicht eines dummen Streiches halber meine Heimath hätte verlassen müssen, so hätte Görgey an mir einen guten Freund gefunden.“
    „Görgey? der Schuft Görgey?“ frug der Arbeiter im erregten Tone und ein Phlegma schien zu weichen, denn er warf sich in die Brust und schlug mit geballter Faust auf den Schenktisch.
    „Schuft? Wie so Schuft? Zu einem so großartigen Verrath, wie ihn Arthur Görgey geübt, gehört mehr Courage, als zum Davonlaufen und zu den Türken flüchten. Schuft?

 

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Nur der Feigling ist Schuft! Doch das ist dummes Zeug -- lassen wir das -- zudem bin ich kein Freund zum Schwadro niren auf den Bierbänken -- laßt uns lieber noch Eines sausen; dann geht jeder einer Wege -- -- -- Aber, habt Ihr von Rosza Sandor gehört ?“
    „Warum?“ versetzte der Andere und sein Gesicht glühte von der Aufregung, in die ihn die Worte des Ungarn versetzt hatten.
    „Warum? Weil ich ihn leben lassen will! Er war der Einzige bei der ganzen Prügelei, der noch Courage im Leibe“ gehabt hat. Ein solcher Kerl ist mehr werth, als tausend Kossuth's, von dem ich leider den Vornamen trage.“
    „Wenn ich nicht Weib und Kinder hätte,“ sagte der Arbeiter mit der ganzen Würde eines gekränkten Freiheitshelden, „so solltet Ihr mir nicht mehr lebendig diesen Platz verlassen. Ihr verdientet von jedem Ungarn, der es gut mit seinem Vater lande meint, angespieen zu werden.“

[LSZ - 1854.08.03]
    „Hm! Hm! Das klingt pathetisch und würde mich zu einer praktischen Revanche verleiten, wenn sich meine Speicheldrüsen in besseren Umständen befänden und ich nicht schon zu viel von diesem edlen Gischt durch das Calomelfressen agezündet hätte.“
    Der Ungar wandte sich bei diesen Worten um und zeigte so sein Gesicht dem vorher eingetretenen Manne, der sich, wie wir wissen, am Spirituslämpchen eine Cigarre angezündet hatte.
    „Beim Teufel, Karl - wo kommst Du her, doch nicht von New-Orleans?“ redete ihn der Ungar an, den dies mal trotz seiner Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit ein kleines Mißbehagen streifte.
    „Lajos!“ rief der so Angeredete verwundert aus und musterte mit einem langen Blicke den Ungarn von Oben bis Unten. Dann trat er auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
    Mit erheuchelter Freundlichkeit erwiederte der Ungar den Händedruck des Cousins seiner in New-Orleans lebenden Frau.
    „Good bye!“ warf er dem Arbeiter der Schneidemühle mit kränkender Nonchalance hin und legte das Geld für das zweimalige Trinken auf den Counter. Ohne daß er es bemerkte, schob der Arbeiter feinen Theil zurück und bezahlte für sich selbst. --

 

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    Als sie auf die Straße traten, hing sich Lajos in den Arm Karl's, der ob dieser Zärtlichkeit nicht sehr erfreut schien. Denn er dachte an den eben gehörten Wortwechsel mit dem Arbeiter und das schändliche Verlassen Frida's. Er war zu sehr bestürzt, als daß er gleich die Sprache hätte gewinnen können.
    „Was hältst Du von diesem Menschen, Karl, den ich so in Harnisch gebracht hatte? Der Kerl wäre im Stande gewesen, mit mir zu boren oder mir gar einen Slungshot an den Kopf zu schlagen -- wenn er nicht Weib und Kind hätte,“ setzte Lajos gedehnt hinzu und sah dabei mit widerlicher Vertraulichkeit an Karl auf
    „Das war wohl nicht Dein Ernst,“ versetzte der Cousin der beiden Schwestern mit einem Anfluge von leichter Ironie und schob seine beiden Hände in die weiten Aermel seines Paletots; denn es war ein bitterkalter Morgen.
    „Ich sollte Dir es übel nehmen, Karl, daß Du hierin nur den geringsten Zweifel hegen kannst; Duweist es ja noch von New-Orleans her, daß ich gerne Spässe mache und es mir unendliches Vergnügen verursacht, dumme und alberne Menschen ein bischen an der Nase herumzuführen. Ich kann diese Unart einmal nicht ablegen. Es ist eine förmliche Passion von mir.“
    „Daß Du Deine gute, liebe Frau verließst, Lajos, war ein sehr schlechter Spaß und brandmarkt Dich zu einem gefühl losen Menschen,“ sagte Karl in einem ernsten Tone und zog seinen Arm von dem des Ungarn zurück.
    „Ich bitte Dich inständig, jetzt keine Moralpredigten zu halten. Es war ein schlechter Streich von meiner Seite aus, das gestehe ich ein, aber verwechsle Leichtsinn nicht mit Gefühl, losigkeit. Noch ehe wir uns trafen, entschloß ich mich, zu ihr nach Orleans zu eilen und mir ihre Verzeihung zu erbitten. Es wird freilich ein harter Strauß zu bestehen sein, aber ich bin gefaßt und schmeichle mir, einst wieder ihr Herz, das ich so grausam verletzt habe, zu gewinnen.“
    „Du möchtest Dich wohl täuschen, Lajos. Ich kenne Deiner Frau Charakter zu gut.“
    „Du bist wohl ein großer Verehrer ihrer Liebenswürdig keit, mein Karl?“
    „Es fände Dir besser, jede zweideutige Anspielung zu unterlassen und Dich nach dem Befinden Deiner Frau zu erkundigen.-- -- Dein Entschluß nach New-Orleans zu gehen,

 

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scheint mir in der That sehr zweifelhaft und ist wahrscheinlich nur ein Köder, den Du mir hinzuwerfen vermeintest, um Dich eines gerechten Scheltens von meiner Seite aus zu entziehen. Glaube nicht, daß ich Dich je zur Ruckkehr überreden oder mich je dazu hergeben werde, den Vermittler zwischen Dir und Deiner achtungswerthen Frau zu spielen. Im Gegentheile möchte ich ihr eher davon abrathen, falls Du es wieder wagen solltest, mit ihr in ein intimes Verhältniß zu treten -- --“
    Der Ungar trat bei diesen letzten Worten etwas zurück und schlug ein so lautes Gelächter auf, daß mehrere Personen, die auf der entgegengesetzten Seite des Broadway gingen, verwundert stehen blieben und neugierig auf die Beiden herüber blickten.
    Karl, der wohl einsah, daß er den Ungarn nicht sobald los würde, ersuchte denselben, doch wenigstens auf offener Straße eine rohen Ausbrüche zu meistern und sich mit ihm lieber in sein Hotel zu begeben,wo sie sich, unbeachtet von Andern, gegenseitig verständigen könnten, wenn es überhaupt etwas zu verständigen gäbe. -
    „Wenn aus diesen Worten nicht die Liebe spricht, so soll meine ganze Menschenkenntniß zum Henker fahren. Du, Karl, Friedensstifter und Ehebundler, Beschützer und Rathgeber thränenloser Strohwitwen, Verehrer des häuslichen Heerdes -- Du willst mir hindernd im Wege stehen, wenn sich die Reue über mein Herz ergießt und die Stimme meines Gewissens zu den verlassenen Hausgöttern ruft. - Karl, Du liebst meine Frau, gestehe es, armer Sünder?“
    „Wenn Du mich in mein Hotel begleiten willst, sollst Du das Nähere erfahren; die Straße ist nicht der Ort, wo man sich in eine derartige Diskussion einlassen kann,“ versetzte der Cousin der beiden Schwestern, dem die Frechheit des Ungarn eine tiefe Entrüstung mitgetheilt hatte, im entschlossenen Tone.

[LSZ - 1854.08.04]
    „Wenn ich Dich aber ersuchte, mich in mein Hotel zu be gleiten, wäre dies nicht das Nemliche? Die Initiative gehört vor Allem mir zu, Vetter Karl, das siehst Du wohl ein?“
    „Mir ganz gleichgültig, wenn es nur nicht in einer andern Welt ist,“ versetzte Karl, der es dem Aeußern des Ungarn wohl angesehen hatte, daß derselbe in keinem Hotel wohne,wo man viel auf Anstand und Eleganz halte.
    „Du glaubst wohl,“ entgegnete Lajos höhnisch, „ich pflege mich in keinem Hotel, oder doch wenigstens in einem sehr miserablen, was man so ein gewöhnliches Boardinghouse nennt.

 

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Das ist leicht zu entschuldigen, Vetter Karl, Du beurtheilst meine Lage nach dem schäbigen Farmerflaus, den ich am Leibe trage und glaubst Dich deshalb berechtigt, die Noblesse meines Magens in Zweifel zu ziehen.“
    Der Ungar griff bei diesen Worten in die tiefe Seitentasche seines Blanketrockes, den er, wie bereits bekannt ist, vom Farmer Watson zum Geschenke erhalten hatte und zog die ihm von eben demselben Manne überreichten zwei 20 Dollarsbills heraus und hielt die Karln dicht vors Gesicht.
    „Was soll das?“ sagte Karl und schob die Hand des Ungarn weg.
    „Ein Beweis, daß der größte Lump Geld haben kann,“ versetzte der Ungar.
    „Das geht mich nichts an und wenn Du Dich einen Lump nennt, so magst Du es vor Deinem eigenen Richterstuhle verantworten. Nur möchte ich Dich ersuchen, mir in mein Hotel zu folgen.“
    „Gut!“ antwortete Lajos und schob ein Papier wieder in die tiefe Seitentasche. Sie gingen jetzt rascher und legten eine große Strecke Weges zurück, ohne auch nur ein Wort mit Einander zu wechseln.
    Beide hatten ernstlich über Etwas nachzubrüten. Nur waren ihre Gedanken himmelweit von einander verschieden.
    Sie bogen in Franklin Avenue ein und an der Ecke des ersten Blockes angekommen, in die vierte Straße. Hier waren die Trottoirs oder Pavements von den Storleuten und Haus bewohnern vollkommen gereinigt, indem man den Schnee in die Straßenrinnen gekehrt hatte. Wenn der Vegetable Market in der dritten Straße wegen des tiefgefallenen Schnees schlecht versehen war, so sah man heute in der vierten Straße noch keinen Höcker, sogar die sieben und achtzigjährige Dutch Mary, alias Tomatoes" Lady genannt, hatte sich von dem für mischen Schneewetter abhalten lassen, mit ihrem hinkenden Wechselbalge „Eier und Butter zu stah'n.“ Nur ein Hühnermann war anwesend und schrie seine gerupften Gänse und gackernden Hennen aus. Gegenüber in Louis Bach's Bierhaus regte sich bereits das deutsche Element von St.Louis in einem vollen kräftigen Bewußtsein und proelamierte bei ewig vollen Gläsern den mit Sturmesbrausen herannahenden Völkerfrühling und eine gräßliche Niederlage der Natives bei der bevorstehenden Stadtwahl. Weiter abwärts lief ein Zeiungsträger der „Demokratischen Presse“ über Hals und Kopf

 

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davon, denn er war dafür, daß er einem Manne genanntes Blatt aufdringen und den „Anzeiger des Westens“ abschwätzen wollte, derb durchgeprügelt worden. Etwas weiter hin trieb ein rabiater Pferdehändler vier gleichfarbige Ponies dem Court hause zu, vor welchem an bestimmten Tagen ein ziemlicher Markt in dieser Thiergattung stattfindet, ein Handel, der vorzüglich von jener Sorte Menschen betrieben wird, bei denen stets ein Hengstparat steht und die sich nebenbei auch viel Geld mit dem Brechen von Maulthieren verdienen. Diese Busineßhelden „of breaking in the mules“ sind, sowohl in St Louis als auch anderwärts in den verschiedenen Unionstheilen, Menschen von dem gefährlichsten Charakter und beherrschen nicht selten mit genialer Frechheit die Stimmgeber an den Wahlurnen.
    Die Beiden waren jetzt am Plantershouse angelangt.
    Das Plantershouse nimmt in St Louis den ersten Rang unter den Hotels ein und ist, was den Comfort anbelangt, besser bestellt, als unsere St.Charles-, Verandah-, St.Louis- und City-Hotels, obwohl es den Ersteren, was Glanz und äußere Bauart betrifft, weit nachsteht.
    „Also das ist Dein Hotel, Vetter Carl?“ wandte sich jetzt der Ungar fragend an den Cousin seiner Frau, als derselbe mit ihm eintrat. Er sprach dies in einem von dem früheren ganz verschiedenen Tone. Seinen Farmerrock knöpfte er bis an den Hals zu, wahrscheinlich um sein Hemde von zweideutiger Weiße zu verbergen. Karl schwieg und ging rasch die breite Treppe hinauf. Hier trat er einen Augenblick auf die Seite und langte einen Zimmerschlüssel vom schwarzen Brette herab. Dann eilte er die schmalen Treppen längs der Attika bis in den Stock oberhalb der Bel-Etage hinauf und schloß No.135 auf. Ohne daß er es vielleicht wollte, nahm der Ungar seinen zusammengedrückten Hut ab und fuhr mit seiner rechten Hand durch eine wirren, langen schwarzen Haare. Dann schob er seine Halsbinde zurecht und trat dicht hinter Karl ein. --
    „Du wohnst hier ganz famös, Vetter Karl. Was bezahlt Du?“ frug Lajos und sah sich dabei nach allen Seiten um.
    „Zwei und einen halben Dollar per Tag,“ antwortete der Gefragte trocken.
    „Das ist nicht viel,“ entgegnete der Ungar, leicht hinwerfend. „Wenn mau. Alles zusammen berechnet und die

 

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Bequemlichkeiten bedenkt, wie die Einem hier geboten werden, so kommt man noch immer besser weg, man logiert sich gleich in ein Haus ersten Ranges ein, als sich mit dem Loafergesindel im Virginia Hotel herumzutreiben. Was man hier für Comfort mehr bezahlt, verliert man dort durch schlechte Gesellschaft und böse Laune.“
[LSZ - 1854.08.05]
    „Das finde ich nicht,“ entgegnete Karl und bat Lajos, ihm zur Seite auf dem Sopha Platz zu nehmen. „Wenn ich es zu bezahlen hätte, würde ich kein solcher Narr sein, täglich zwei und einen halben Dollar für Kost und Logis zu verausgaben und sollte ich auch über Hunderttausende gebieten können.“
    „Wenn Du's nicht bezahlt, so bin ich so frei, Dich zu fragen, wer denn so freundlich gegen Dich ist? Mir ist dies Glück noch nie widerfahren, obwohl ich es in manchen Augen blicken nothwendiger gehabt hätte, als Du.“
    „Das mag wohl sein,“ versetzte Karl, „und was die Bezahlung anbetrifft, so kommt sie auf den Account einer Firma in New-Orleans, die mir die Besorgung von westlichen Produkten übergeben hat.“
    „Dann hast Du wohl nichts mehr mit dem Sklavenverkauf zu schaffen, wie damals? Das war doch ein profitables Geschäft und Du verstandst es aus dem Fundamente; das muß man Dir zugestehen.“
    „Ich habe jenes Geschäft aufgegeben, als die ersten Schwierigkeiten meiner Existenz überwunden waren. Es hatte mich gleich Anfangs angeeckelt und ich bin jetzt herzlich froh, daß ich es los bin.“
    „Das wäre mir ganz Einerlei, wenn ich nur dabei Geld machte. Ob man Menschen oder Ochsen auf den Markt führt, kommt zuletzt doch auf Eines hinaus. Wenn Du mir ein solches Plätzchen verschaffen könntest, Vetter Karl? Ich wollte meinen Pflichten gewiß auf's Genaueste obliegen. Der Sklavenverkauf bleibt doch immer das nobelste Geschäft. Und dann der souveräne Kitzel in der eigenen Haut, wenn man die far bigen Bälger losschlägt! Du siehst, Vetter Karl, ich bin ein Mann mit südlichen Grundsätzen, ein leidenschaftlicher Champion der Nationaldemokratie!“
    „Wollen wir jetzt von andern Dingen reden, nahm Karl wieder das Wort, nachdem er einige Augenblicke ruhig dagesessen hatte.
    „Von welchen, zum Beispiel?“ frug der Ungar, der sich

 

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so hald und hald bewußt war, weshalb Vetter Karl mit ihm auf seinem Zimmer sprechen wollte.
    „Wir werden uns schießen!“ erwiederte Karl und stand auf.
    „Ich bin's zufrieden, nur möchte ich vorher den Grund wissen.“
    „Du weißt, was Du vorhin sagtest, als wir in den Broadway einbogen
    „Das weiß ich Gott verdammt nicht mehr.“
    „Besinne Dich nur!“ Der Ungar that, als ob er nachdachte, dann frug er haftig:
    „Ist's vielleicht deshalb, weil ich sagte, daß Du meine Frida liebst?“
    „Ja;deßhalb werden wir uns schießen.“
    „Aber, Spaß bei Seite, Vetter Karl, das ist eine Kinde rei. Männer, wie wir, werden sich doch nicht wegen eines Weibes eine Kugel durch's Gehirn jagen. Larifari, Karl -- dummes Zeug, Flegeljahren-Comment!“
    „Nehme es, wie Du willst. Ich finde hinlänglichen Grund, mein eigener Cartelträger zu sein. Du wirst es annehmen?“
    „Ja, wohl, wenn Du so stark darauf versessen bist. Wir schießen uns über's Sacktuch, das wird wohl das Vernünftigste sein. Gleich jetzt, hier im Zimmer, ich bin parat. Der Unpartheische wird die Kugel sein, der Satan sitzt als Secundant auf den Pistolenläufen.“
    „Ich habe Dich nicht mit hierher genommen, um mit Dir zu passen. Ich hoffe, Du wirst Dich auf eine Weise mit mir schießen, wie es einem Gentleman zukommt.“
    „Well, all right. Auf Pistolen, nicht mit Kanonen, das versteht sich -- --Du hast wohl zwei Stück vorräthig, weil Du so kampfesmuthig bist!“
    „Wenn Du einstimmt, so sage es bestimmt und verschone mich mit Deinen frivolen Späffen.“
    „Ja, ich will! Du kannst mir ein Pistol geben, ich besitze keine andere Waffe, als dieses Bowieknife hier.“
    Karl trat an einen Trumeau und nahm einen sechsläufigen Colt'schen Revolver aus der Schublade.
    „Ich habe nur diese einzige Waffe, aber ich werde sie Dir geben und mir eine andere kaufen, wenn Du zufrieden bist.“

 

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    „Ich will diesen Revolver nicht, aber ich will selbst gehen und kaufen, wenn Du mir auf mein ehrliches Gesicht hin ein paar Dollars pumpt; denn über das Geld, was ich noch im Besitze habe, ist bereits anderweitig verfügt.“
    „Das soll Dir keine Schwierigkeiten machen -- -- hier sind zehn Dollars.“
    „Einem andern, als Dir, würde ich diese zehn Dollars in's Gesicht werfen -- -- wann schießen wir uns!“
    „Morgen früh, zwischen sechs und sieben Uhr.“ „Gut -- wo ?“
    „Hinter Weizeneckers Weinberg, in Neu Bremen, wenn Dir der Ort bekannt ist.“
    „Gewiß, nicht weit vom Hyde Park.“
    „Wir sehen uns also,“ sagte Karl, indem er mit der Hand eine Bewegung machte, die dem Ungarn bedeutete, sich zu erheben und das Zimmer zu verlassen.
    Als sich der Ungar entfernt hatte, nahm Karl aus seinem Reisenecessaire einen kleinen mit schmalen Goldrändchen eingerahmten Papierbogen und legte ein elegantes, zart gepreßtes Couvert neben sich. Er ergriff nach einigem Nachdenken die Feder und schrieb folgende Zeilen nieder:

[LSZ - 1854.08.06]
    „Liebe Cousine!   Falls ich nach Verlauf von vier Wochen noch nicht in New-Orleans eingetroffen sein sollte, so ersuche ich Dich, beiliegende Papiere durch Tiberius oder sonst eine zuverlässige Person der Firma K.& W. zukommen zu lassen. Schiebe es mit der Uebergabe ja nicht länger auf, als bis zu dem von mir eben bestimmten Termine, da es leicht möglich wäre, daß durch eine zu lange Versäumniß das Geschäft genannter Firma leiden könnte. Was mich hiezu bewegt, in dieser Angelegenheit Deine Güte in Anspruch zu nehmen, ist -- Du wirst wohl so viel Geistes gegenwart haben, um nicht zu erschrecken -- daß ich mich morgen früh mit einem Bekannten, den ich hier in St Louis getroffen und der mich arg beleidigt hat, duellieren werde. Entschuldige dieses lakonische Verfahren und zeihe mich nicht der Gefühllosigkeit oder des Mangels an Zartsinn. Viele Grüße Deiner guten Schwester Jenny und wenn mir das Glück wohl will, werden wir den nächsten Sommer bei der lieben Familie des Doctor Austin in Ocean Spring einige frohe und heitere Tage verleben. Wie sehr würde es mich beruhigen, wenn wir Jenny dazu bestimmen könnten, New-Orleans auf immer zu verlassen. Denn der Gedanke an

 

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Emil erhält in dieser odiösen Stadt nur noch mehr Nahrung Lebe wohl, meine liebe Cousine und finde in dem scheinbaren Widerspruch, daß man liebevoll an eine Freundin in der Ferne denken und dabei so Etwas schreiben kann, nichts Arges. Freundschaftlichst Dein Vetter
Karl.“    
    Karl hatte den Brief kaum bis zur Hälfte geschrieben, als sich unter ihm,in einem der Staatszimmer der Bel-Etage des Plantershauses ein merkwürdiger Vorfall ereignete. Als der Ungar nemlich bis zur Bel-Etage herabgestiegen war, fesselte eine Dame, die er bei halbgeöffneter Thüre, in einem Rocking chair schaukelnd, erblickte, seine Aufmerksamkeit. Die Dame wandt" ihm den Rücken und schien mit auf die Brust herabgesenktem Kopf tief in Gedanken versunken. Durch das Strohgeflechte der Rücklehne des Stuhles sah man deutlich die Form ihres Kopfes mit reichen blonden Locken, die ringsherumflossen und noch den weiten Ausschnitt ihres Kleides streiften. Ein Shaw, der halb auf dem Boden, halb über derlinken Armlehne lag, brachte Lajos fast aus seiner Kaltblütigkeit und ihm eigenthümlichen Fassung.
    „Ob die Dame wohl schläft,“ dachte er bei sich. „Der Teufel mag mich holen, wenn das nicht meine Frau ist und der Shawl nicht der, den ihr Karl in New-Orleans überreicht hat.“ Er kniff seine Lippen zusammen und fuhr mit der Hand nach einem Bowieknife. Als ein Blick einen Augenblick von der bezeichneten Stelle abschweifte und musternd im Zimmer herumspähte, bemerkte er, ihm auf Armeslänge, auf einem klei nen mit Perlmutter eingelegten Tischchen ein chrysolidengrünes Album, das ihn vollends noch alle Zweifel bannen hieß. Bald auf die Dame, bald auf das Album fehend, trat er leise an das Tischchen vor, führte seine Hand fachte zum Album und schlug es auf. Er konnte sich nicht länger mehr täuschen. Er hatte seine eigene Zeichnung gesehen, er hatte seine Schriftzüge erkannt. Er zog das Bowieknife aus der Scheide und faßte den gebogenen Griff mit fester Faust.
    „Sie ist es! Frida ist's -- Hölle und Teufel -- Karl führt sie mit sich,“ dachte er. Plötzlich aber, als ob er sich anders besonnen hätte, steckte er das Messer wieder in die Scheide und verbarg es in die Seitentasche seines Farmerrockes. Da stieß er mit dem Fuße an das leichte Tischchen, das durchdiese Bewegung seinen Standpunkt verlor und, nachdem es zuerst einen kleinen Tanz gemacht hatte, umfiel. Erschrocken sprang

 

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die Dame auf und ihr erster Blick fiel auf den Ungarn, der wie festgewurzelt dastand und mit durchdringender Schärfe nach ihr hinsah.
    „Es bleibt Dir nur noch das Fenster übrig, meine treue Frida, die Thüre ist besetzt,“ sagte der Ungar und zog höhnisch seine Mundwinkel herab.
    „Was wollen Sie hier, Sir?“ entgegnete die Dame und sah ihm fragend in's Gesicht.
    „Bin ich besoffen oder bist Du es, meine treue Frida?“
    „Ich fordere Sie noch einmal auf, Sir, mein Zimmer zu verlassen. Ihre irrsinnigen Worte lassen mich vermuthen, daß Sie sich in einem bedenklichen Zustande befinden.“
    „Hölle und Teufel -- diese unerhörte Frechheit!“
    Die junge Dame eilte auf den Glockenzug, doch ehe sie noch im Stande war, den Ring zu fassen, hatte sie der Ungar weggezogen und hielt ihre Arme fest umspannt.
    „Schrei“ nicht, Frida, ich rathe Dir's, Du könntest mich sonst auf's Aeußerste bringen -- -- hm, Schlange, schämst Du Dich vielleicht gar meiner -- natürlich, man muß sich verstellen, um nicht gezwungen zu sein, einem so armselig aussehenden Marodeur die Hand zu bieten.“
    Das Entsetzen derDame vor diesen Worten und vor dem, der sie sprach, ist kaum zu beschreiben. Die Dame konnte doch wohl nicht Frida sein, denn eine solche Verstellung hätte sicher an Keckheit Alles übertroffen, was noch je eine Actrice in diesem Genre geleistet hat. Und denke man sich die sanfte, so ruhig besonnene und klar denkende Frida. Sie sollte hier vor ihrem Gatten, und wenn sie ihn auch von Grund der Seele aus haßte, was übrigens, wie wir später erfahren werden, durchaus nicht der Fall war, eine derartige Pseudomanie begehen? Und doch täuschte sich der Ungar nicht? Es konnte kein Spuck einer erhitzten Phantasie sein. Die Laterna magica der Eifer sucht konnte ihm keine falschen Formen zuführen; denn die Eifersucht kennt ihren Gegenstand bis auf das kleinste Härchen, das ihm im Nacken sitzt -- die Aussprache, die Betonung der Worte, die trotz der Gewandtheit die Deutsche verriethen und auch hierin Frida ganz wiedergaben, es war Frida und muß Frida sein!

[LSZ - 1854.08.08]
    „Hölle und Teufel, Frida, sieh' auf, mein Schatz -- Du könntest selbst den Gescheidtesten noch verrückt machen -- unerhört -- was soll ich mit Dir beginnen? Sieh' mich an -- laß diese verfluchte Herzensteufelei! Sieh' mich an -- oder glaubt

 

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Du denn, Du könntest mir durch Dein Benehmen so den Kopf verdrehen, daß ich zuletzt gar noch glauben sollte, Du sei'st es nicht? Nun, bei Gott! Frida, Frida, treib' es nicht zu weit! -- --“
    Die Dame hatte die letzten Worte nicht mehr vernehmen können, denn sie war ohnmächtig niedergesunken, so daß ihr Peiniger seine Hände von den ihrigen lassen mußte, um einen Arm um ihre Taille zu drücken und sie so vor einem zu harten Falle zu bewahren. Er hatte dies nicht aus Zartheit, sondern blos aus Instinkt gethan, wie es Jedem, auch dem Rohesten, eigen ist. Denn die Dame war ein schönes Weib und wer ist im Stande, eine Schönheit ohnmächtig zu Boden sinken zu sehen, ohne ihr zugleich ihre Lage so viel als möglich zu erleich tern? Das fühlen sogar Centauren. -Nachdem sich der Ungar überzeugt hatte, daß sich die Dame nicht verstelle, sondern einer wirklichen Ohnmacht unterlegen sei, fand er einige Augenblicke mit verschränkten Armen vor der vermeintlichen Gattin! Was sollte er nun beginnen? Sollte er hinauseilen, die Thüre absperren und zu Karl hinauftürmen, um an ihm eine fürchterliche Rache zu nehmen? Sollte er schweigen? Sich entschädigen? Sie so ohne Hilfe liegen lassen -- -- ohne sich an ihr zu rächen?“
    Diese Gedanken durchwühlten sein Gehirn und stritten sich gegenseitig um die Siegespalme.
    „Wenn sie es dennoch nicht wäre?“ sagte er für sich hin, und doch bei allen Teufeln, sie muß es sein!“
    Da fiel ihm plötzlich das Muttermalein, das sich in Form eines getheilten Herzens am linken Oberarm einer Frau befand, und das er schon an Bord des Schiffes Gutenberg durch die weißen Gazärmel erspäht hatte.
    Das Vorhandensein dieses Muttermales, in der nemlichen Form und von demselben schwarzjammetnen Glanze, fand sich auch, wie ihm seine Frau in einer zärtlichen Stunde erzählte, am Arme Jenny’s vor, nur war es etwas weiter gegen die Einbiegung des Armes zu heruntergerückt.
    Der Ungar bückte sich auf den Boden herab und faßte den untersten Perthenabsatz des Aermels, um ihn aufzustreifen. Doch es ging nicht so leicht, als er es sich vorstellen mochte. Nach mehrmals angestellten Versuchen wurde er endlich ärgerlich, zog ein Bowieknife hervor und schlitzte den Aermel mit einem einzigen Striche durch. Der Arm lag so, daß, war das Muttermal in der That vorhanden, es ihm gleich in

 

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die Augen fallen mußte, sowie der Arm von einer Bekleidung entblößt war. . .
    Hätte sich der Ungar in diesem Momente selbst in die Augen sehen können, so hätte er in ihnen einen nackten herrlichen Arm wiederspiegeln sehen, auf dem sich ein Anker eingebrannt zeigte, in der Weise, wie man es bei den Matrosen zu finden pflegt, wenn sie die Schiffsjungenhofen durchgerutscht haben.
    Der Ungar, dessen ganze Einbildungskraft auf das Auffinden des getheilten Herzens concentriert war, sah den Anker nicht, eben weil es nicht das Muttermal war. So geht es öfters bei den gewöhnlichsten Vorfällen des Lebens, daß, wenn man z.B. irgend eine Person erwartet und immer nach ein und derselben Stelle hinsieht, woher sie kommen soll, man für keinen anderen Gegenstand ein Auge hat und oft Erscheinungen an sich vorübergehen läßt, die, wenn man sich in weniger gespannter Aufmerksamkeit befunden hätte, uns sicherlich nicht entgangen wären.
    Eine häßliche Fratze schnitt der Ungar, als er das erwartete Muttermal nicht vorfand.
    „Wenn sie es nicht ist, in gewisser Beziehung desto besser,“ warf er vor sich hin und sandte einen unbeschreiblichen Blick auf die Ohnmächtige.
    „Beim Teufel aber, das Album!“ besann er sich plötzlich, „Sollen das auch nicht meine Schriftzüge sein? Es wäre doch zu amusant, wenn es dennoch ihr Album wäre, wenn es den noch meine Schriftzüge wären -- -- Diesmal hat mich Herr Satan einen tüchtigen Bock schießen lassen! Der Kerl wird sich unbändig witzig fühlen!“
    Bevor er das Album, das mit dem Tischchen zu Boden gefallen war, aufhob, machte er zur größern. Vorsicht die Thüre zu.
    Das Tischchen stellte er nicht wieder auf die verrätherschen Beine, sondern nahm nur das chrysolidengrüne Album und schlug es mit einer Haft auf, daß es ihm bald entfallen wäre.
    „Donner und Doria! Der Wisch ist ein ganz anderer ! Andere Bilder, andere Gedenkemeins. Aber meine Sachen, meine Schriftzüge? Er blätterte um und um, endlich fand er die verhängnißvolle Seite vor:
    Er sah, las und las wieder.
    „Autographen-Wahlverwandtschaft! Sonst nichts! Wie kommt der Hallunke nach Amerika? Ist er aus den Bleikammern

 

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von Venezia entsprungen? Und ein solcher Hallunke hat sich ein Nestchen im Souvenirbuche einer so schönen Dame gebaut? Den können wir aufsuchen, wenn unsere Herrlichkeit nach New-Orleans kommt, wo er zu sein scheint, wie dies hier ausweist. Köstlich, ercellent! Eine californische Goldader in der Dreckstadt -- mit dem Halunken in Verbindung läßt sich in der That Geld machen!“
    Er hatte Folgendes mehrere Male mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gelesen:

[LSZ - 1854.08.09]
    „Von dem Augenblicke, wo Sie, mein Fräulein, sich eines unschuldig Verurtheilten erbarmten, und ihm zu seiner Befreiung aus der tödtenden Kerkerluft hülfreich die Hand boten, ist der Stern meines Glückes, der auf ewig untergegangen schien, wieder helle und glänzend aufgetaucht und scheint mir in stillen Nächten, wo die Liebe die Schläge meines Herzens zählt, in mährchenhafter Pracht entgegen. Mein Beruf bestimmt mich, meine Pflichten als Arzt in New Orleans auszuüben, und ich werde besonders jener Seuche meine ungetheilteste Aufmerksamkeit schenken, die in manchen Jahren so viele Unglückliche hinwegrafft. Auch habe ich Ihren so wohlgememten Rath befolgt, einen andern Namen anzunehmen, um etwaige Difficultäten zu vermeiden. Ich sehe Sie nicht wieder; behalten Sie diese Zeilen als Andenken an einen Mann, der Sie nie besitzen kann, weil ihn das Vorurtheil in der alten Welt zum gemeinen Verbrecher gestempelt hat. Mein Glück besteht darin, Sie ewig im Herzen zu tragen und keinen an dern Wunsch in mir aufkommen zu lassen, als den, Sie glücklich zu wissen. Sie werden auf Ihrer Reise nach Milwaukee die Zerstreuung finden, die Ihrem unruhigen Geiste sowohl thun wird. Ihr dankbarer Gabor von Rokavar.
    „Infamer Heuchler und moralischer Lump!“ stieß der Un r heraus. „Der Halunke ist der nämliche geblieben -- die lern Venezia"s haben das Gift dieser Kröte nicht gehwächt -- -- doch dies Blatt kann ich vielleicht noch benützen, oder mit ihm doch wenigstens deu dankbaren Geber zum Narren halten und vielleicht, falls der Hallunke etwas besitzt, von ihm Geld erpressen.“
    Er riß das Blatt aus dem Album und steckte es in seinen Farmerrock.
    Im Hotel wurde jetzt das Zeichen zum Lunchen gegeben. Zu gleicher Zeit hörte der Ungar mehrere Thüren sich öffnen, und sie zuschlagen. Er eilte aus der Thüre, und als wenn

 

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gar nichts vorgefassen wäre, mit ziemlicher Fassung die Treppe hinab.
    Auf der untersten Stufe angelangt, begegneten ihm zwei Damen in elegantem Anzuge, und er hörte die Eine von ihnen die Worte sagen:
    „Unsere gute Frida scheint noch zu schlafen, wir werden sie im Bette überraschen.“
    „Es ist leichtsinnig von ihr,“ erwiederte die Andere, „wo sie doch weiß, daß Lajos bis eilf Uhr zurückkommt.“ Der Ungar stand einen Augenblick bestürzt still, dann eilte er schnell aus dem Plantershause und als er beim Courthause vorüberging, murmelte er vor sich hin:
    „Das ganze St Louis ist ein Herennest -- jetzt auch sogar noch einen Lajos!“ ---
    Das Erste, was der Ungar unternahm, war, daß er in das nächste Kaffeehaus ging, einen hot whiskey punch zu sich nahm und dann im „Missouri Republican“ unter der Rubrik der Steamboote nach dem nächsten Dämpfer sah, der nach Orleans abgehen sollte. Er fand, daß die „Sultana“ den andern Morgen um zehn Uhr ihren Wharf für die Crescent City verlassen werde. Sein Entschluß mit diesem Dämpfer nach New Orleans zu fahren, war schnell gefaßt, da ihm über haupt sehr viel daran gelegen war, aus dem nächsten Bereiche seiner unerhörten Schandthaten und Verbrechen wegzugelan gen. Nach einem solchen Entschluffe konnte natürlich von einem Halten des Versprechens, sich zum Duelle einzufinden, keine Rede mehr sein. Nach seiner Art und Weise bespöttelte er das Vertrauen, das Vetter Karl in dieser Beziehung auf ihn gesetzt hatte. Die zehn Dollars, die ihm dieser für den Ankauf der bestimmten Waffe übergeben hatte, trug er in einen Hutstore und kaufte sich einen feinen Castorhut um den Preis von neun Dollars. Dann paßte er sich ein Paar silbergraue Glacehandschuhe an und bezahlte sie mit dem noch übrigen Dollar. Von den vierzig Dollars, die er vom Farmer Watson erhalten hatte, gab er zehn für einen zwar nicht feinen, aber gut und fashionabel aussehenden Rock und fünf für schwarze Beinkleider hin. Eine einsache, schwarze Alpaccas Weste bezahlte er mit zwei, und ein halbes Dutzend Store hemden mit neun Dollars. Von den übrigen vierzehn Dollars nahm er sich ein Paar feine Schuhe und einen Reisesack, beides um den Preis von zehn Dollars.
    Seine ganze Casse, die sich mit Einschluß der zehn Dollars

 

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von Vetter Carl auf fünfzig Dollars belaufen hatte, war nach diesen Verausgabungen somit auf vier Dollars zusammengeschmolzen.
    Er suchte nun ein Privatboardinghaus auf, wo er glauben konnte, daß er noch nicht bekannt war, und in einem solchen angelangt, ordnete er seine Siebenfachen und machte sich geschickt für die morgige Reise. Seine ganze bisher getragene Kleidung, sowie die zerrissenen Schuhe und den zerlumpten Hut, stopfte er. Alles in den großen Reisesack, so daß derselbe in der That einen stattlichen Bauch bekam und dem, der ihn trug, in der That nur zur Ehre gereichen konnte. Seine neue Kleidung zog er gleich an. Er sah in dieser so verändert aus, daß ihn seine Wirthin, als er zum Mittagstisch unten erschien, fast nicht mehr erkannt hätte. Nach dem Mittagtische ging er wieder aus und besorgte sich noch einige Kleinigkeiten, die seine Caffe ebenfalls stark dezimieren sollten. Cigarren-Etui, Cigarren, einen Kamm, Zahnbürste mußten nothwendiger Weise angeschafft werden. Als er jetzt überrechnete, hatte er nur noch anderthalb Dollars im Besitze. Einen halben Dollar wenigstens kostete das Boarding bis auf den nächsten Tag. Von dem noch übrig gebliebenen Dollar vertrank er noch fünfzig Cents, so daß er, als er den andern Morgen das Boot betrat, nur noch über einen halben Dollar verfügen konnte.

[LSZ - 1854.08.10]
    Dieser sollte in der Gesellschaft des Capitäns der „Sultana“ vertrihtet werden, um bei dieser Gelegenheit gleich des fen nähere Bekanntschaft zu machen, die unumgänglich noth wendig war, um den mittellosen Passagier auf Pump bis nach New-Orleans fahren zu lassen. Wie es sehr häufig vorkommt, daß Spitzbuben vom Glücke mehr begünstigt werden, als der bescheidene ehrliche Mann, so war dies auch hier der Fall. Gleich nach dem ersten Drink fand der Capitän der „Sultana“ aus, daß der Ungar ein sehr netter, unterhaltender Mann sei, of high education -- wie er sich ausdrückte, und hatte gar nichts dagegen einzuwenden, als ihm dieser ausgezeichnete Gentle man bedeutete, daß es ihm rein unmöglich wäre jetzt gleich die Kajütenpaffage, die sich auf fünf und zwanzig Dollars belief zu bezahlen. Wäre er nur einmal in New-Orleans angelangt, so hätte es durchaus keine Schwierigkeit mehr, die Schuld auf der Stelle zu decken. Der Clerk des Bootes machte ein mißtrauisches Gesicht, als ihm der Capitän seine Resolution in die ser Sache mittheilte. Doch das hatte ja nichts zu bedeuten, Lajos war ja vorläufig gut geborgen und trefflich aufgehoben,

 

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Für einen insolventen Passagier ist ein Capitän kein zu verachtender Mäcenas. --
    Schon als man Cairo passierte, fühlte der Ungar eine unausstehliche Langeweile. Die Gesellschaft des Capitäns schien er sogar zu vermeiden, wahrscheinlich weil ihm der Versuch, denselben zu einer pecuniären Gunstbezeugung zu bewegen, gänzlich mißlungen war. Die einzige, ziemlich hübsche Lady, die sich in der Damenkajüte befand und mit der er auf dem Decke während einer wunderschönen, mondhellen Nacht eine leichte Bekanntschaft angeknüpft hatte, wurde ihm schon beim zweiten Zusammentreffen unausstehlich, da sie von Nichts Anderem sprach, als von ihrem Baby, das in St Louis an der Cholera gestorben sei und von ihrem Manne, der sie nach New-Orleans beschieden, in welcher Stadt er einen Drygood store eröffnet hätte und „plenty money“ machte. Aergerlich ging er auf dem Boote herum, setzte sich bald auf's Radhaus, bald auf die Stufen der Obertreppe, rauchte, warf seine Cigarre in den Fluß und steckte sich wieder eine andere an, legte sich auch oft während des Tages Stundenlang in seine Koje, . bis ihn das Läuten zum Mittag- und Abendessen heraustrieb. In dieser Weise ging es bis nach Donaldsonville. Hier sollte in die Einförmigkeit eines Dahinlebens etwas Abwechslung kommen. Als er sich nemlich des Abends über das hintere Geländer des Kajütendeckes beugte, vernahm er vom Zwi fchendecke herauf einen herrlichen Gesang. Besonders war es eine Frauenstimme, die ihn mit aller Macht anzog. Es schie nen ihm wohlbekannte Töne, die manche Erinnerungen aus der alten Welt hervorzauberten. Man fang den schönen Wechselgesang in Alessandro Stradella. Welch' herrliche Stimme dieses Stradella im Zwischendecke!
„Italia, mein Vaterland,
Wie bist du schön zu schauen
Umwallt vom blauen Wogenband,
Bekränzt mit Blüthenauen.
Dich preis't mein Mund -- dir tönt mein Sang,
Dir schlägt mein Herz im heißen Drang.

Venezia bella -- du Meeresbraut,
Gepriesen sei du mir vor Allen,
Wo Abends in leisem, tändelndem Laut
Die Barcarolen erschallen.
Es schaukelt und gauckelt vor hohem Balcon
Der Liebenden Nachen wohl aufund ab,
Und Rosen fallen als freundlicher Lohn
Zum Sänger der Lieder herab.“

    Unruhig schob sich der Ungar auf dem Geländer hin und

 

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her, als Leonore ihre Strophe aufgriff. Sollte der Gesang auf das Herz eines Mörders wirken können?
„Ich lobe mir Roma's heilige Mauern,
Erhab'ner Kuppeln mächtigen Bau.
Es füllt die Brust mit frommen Schauern,
Zum Herzen spricht's: auf Gott vertrau' !“
    „Damn'd!“ rief der Ungar dazwischen und zwar so laut, daß einer der Deckpaffagiere aussah und drohend den Fluch wiederholte. Die Sängerin aber ließ sich nicht stören:
„Und der Campagna Wogenhügel
Wie herrlich, wenn Aurora glüht,
Die Lerche hebt die leichten Flügel
Und zwitschert fanft ihr Morgenlied.“
    „Da möchte man des Teufels werden!“ rief Lajos noch mals dazwischen, „das Pack da unten wäre im Stande, Einen weich zu stimmen.“
    „Ruhig da oben!“ tönte es zu ihm herauf und er sah, wie sich einige von ihrem Sitze, der aus einem schräg übergelegten Brette bestand, erhoben und sich überbogen, um den Friedensstörer zu erspähen.
    Barbarino's Gesang übertönte das starke Rauschen der „Great Missouri“, welche die „Sultana“, die mit jener eine . Wettfahrt unternahm, eben überflügelte.
„Ich lob' mir Neapel, (ließ sich Malvolio nicht stören)
Den sonnigen Brand,
Da ruh' ich im Stapel
Und gähne am Strand,
Und schluck' Maccaroni
Herein ohne End'
Mit Euch Lazzaroni
Beim dolce far nient'.
Ich schlaf allastella
Vom Himmel bedeckt
Und tanz' Tarantella
Wenn Liebchen mich weckt!“
    Drängte es den Ungar jetzt wirklich oder that er es nur aus Eitelkeit, um sich hören zu lassen, daß er, nachdem Malvolio geendet hatte, mit voller kräftiger Stimme die vorletzte Strophe der „Romanze“ sang?
„Jo sono pittore
Gar flink bei der Hand,
Und bin Salvatore
Il rosa genannt.
In Kluft
Und Gruft
Und Graus
Zu Haus!“

[LSZ - 1854.08.11]
    Da Capo! Da Capo! erscholl es jetzt aus. Aller Munde von dem Decke herauf und man gab sich alle Mühe, um hinauf zu sehen nach dem unbekannten Theilnehmer am Gesange. Als

 

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der Ungar dies bemerkte, trat er von der Brüstung des Geländers, über das er sich fast mit halbem Leibe gebogen hatte, etwas zurück. Da streifte ihn das Atlaskleid einer Dame und zu gleicher Zeit fühlte er eine Hand auf seine Schulter legen. Erstaunt sah er sich um. Es war die nemliche Lady, welche ihm so viel von ihrem Baby vorgejammert und ihn deshalb so gelangweilt hatte, daß er sie seit einigen Tagen ganz vernachlässigte.
    „Wie süß und gefühlvoll Sie doch singen können, Sir!“ rief die Dame lebhaft aus und fügte dann etwas ruhiger hinzu: „that's a very nice song, indeed, Sir -- nach unsern Yankeeliedern sind die ungarischen doch die schönsten.“
    „Das war nicht ungarisch, sondern deutsch!“ erwiederte der Ungar ärgerlich; denn die Gegenwart der Dame war ihm sehr lästig.
    „Mein Gott, das war deutsch, Sir? Das hätte ich nicht geglaubt, daß die Songs in deutscher Sprache auch so süßklingen können, very sweet, migthy beauty, indeed.“
    „To be sure!“ betonte der Ungar in einem spöttischen Tone, um ihr zu gleicher Zeit eine Revanche für ihr classisches „indeed“ zu geben.
    „Certainly,“ sagte die Dame, ohne nur im geringsten die Malice des Ungarn bemerkt zu haben. „Wie süß müffen Sie gefühlt haben, Sir, als Sie dieses Lied sangen?“
    „Das könnte ich gerade nicht sagen, Ma'm, ein bischen Gefühlsdusel -- das ist Alles!“
    „O, das erinnert mich so schmerzlich an mein Baby!“
    „Was, mein Gefühlsdusel?“
    „O, spotten Sie nicht, Sir! Jedes Lied erinnert mich an mein Baby, weil ich ihm immer vorsingen mußte, bevor es einschlief.“
    „Dann sind Sie wohl auch Sängerin, Ma'm?“ versetzte der Ungar und verbeugte sich.
    „Certainly, Sir!“
    „Dann werden Sie mir wohl eine bescheidene Bitte nicht versagen?“
    „Ein Lied zu singen?“
    „Das Schönste, was Amerika aufzuweisen hat, ja, Ma’m.“
    „Das Schönste? Nun ja!“ Die Dame drückte fo graziös als möglich ihre beiden Hände gegen den Busen und begann:

 

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„Miss Lucy has a baby,
Lucy, Lucy la
She rock's the baby Lucy
And 'put it in the grass -- --“
    Ein höllisches Gelächter, das von unten heraufschallte, störte die edle Sängerin in ihrem Gesang. Erzürnt eilte sie hinweg, da sie auch noch bemerken mußte, daß der Ungar Freude an dieser Unterbrechung zu haben schien. --
    Wer die Sänger und die Sängerin Leonora waren, hat der Ungar nie erfahren. Sie haben sich auch nicht mehr hören lassen. Er selbst schalt sich im Stillen aus, daß er denselben überhaupt nur feine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und fast in eine sentimentale Stimmung versetzt worden wäre.
    Als das Boot in New-Orleans angekommen war, hatte er kurz vor dem Aussteigen noch einmal das Vergnügen, zu hören, wie die Dame dem Mate die nemliche Geschichte von ihrem Baby vorjammerte, wie ihm bei seiner ersten Bekanntschaft.

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Drittes Kapitel.

Zwischenfaelle.


    Wir führen die geneigten Leserinnen wieder nach Algiers, in jenes wunderliebe Häuschen, das die beiden Schwestern bewohnten.
    Der weite und ruhige Sinn Frida's schien seit einiger Zeit einen beruhigenden Einfluß auf Jenny’s ungestümes und leidenschaftliches Herz für den verlorenen Gatten ausgeübt zu haben. Jene Nächte, in denen Letztere ihr herbes Mißgeschick beklagte und beweinte und oft Stundenlang am Halse ihrer Schwester hing, wurden immer seltener, ja manchmal däuchte es Frida, als ob Jenny’s Sehnsucht nach Emil nachlasse oder wenigstens eine gelindere Form angenommen habe.
    Seit jener Zeit, wo wir Jenny und Frida das Erstemal kennen gelernt haben; seit jenem Tage, wo Jenny in Vetter Karl so freundlich drang, ihn zum Verbleiben in New-Orleans zu bewegen, waren in ihrem kleinen Haushalte bedeutende Veränderungen vorgegangen. Nicht als ob man von der einmal bestimmten Lebensweise abgewichen wäre -- nein, das

 

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Hauswesen ging auch jetzt noch seinen geregelten Gang, wie früher -- sondern weil man Beschäftigungen und Erwerbszweige acceptiert hatte, die auf eine bessere Zukunft schließen ließen und den Schwestern wenn gerade kein glänzendes, doch immer noch beneidenswerthes Loos bereiten sollten. Hatte man zu jener Zeit nur von den Interessen des noch übrig gebliebenen Capitals, das, wie wir wissen, Emil’s Ausschweisung und Verschwendung so sehr dezimiert hatte, gelebt, so konnte man dieselben jetzt für unvorhergesehene Unglücksfälle schonend bei Seite legen und sie einer abermaligen, wenn auch nur geringen Verzinsung unterwerfen, da man sich jetzt selbst das erwarb, was man zu einer gemäßigten Eristenz nöthig hatte.
[LSZ - 1854.08.12]
    Die beiden Schwestern, wohl wissend, daß man in New-Orleans ohne genaue Kenntniß der englischen und französischen Sprache stets eine nur untergeordnete Stellung ein nimmt, hatten sich mit der größten Ausdauer und einen bewundernswerthen Eifer auf die Erlernung dieser Sprachen gelegt und diese ihre Bemühungen belohnten sich um so reichlicher und schneller, als sie bereits glänzende philologische Kenntnisse von Deutschland aus besaßen. Was die englische Sprache anbetrifft, so hatte Frida vor Jenny einen kleinen Vorsprung gewonnen, so wie wieder Jenny ihre Schwester im Französischen übertraf. Es lag diese unterscheidende Befähigung ganz genau in ihren Charakteren. Die mehr schwärmerische und leidenschaftliche Jenny mußte sich eher der französischen Sprache zuneigen, während der mehr reflektierenden Frida das Englische leichter wurde. So geschah es, daß Frida, als sie in Boursier's Institution, (Rue Toulouse No.184, zwischen Rampart und Burgundy) -- um eine passende Stellung als Lehrerin nachsuchte, nach einem vor der Direktion abgelegten Eramen für genanntes Institut sogleich engagiert wurde, wenn auch anfangs nur mit dem mäßigen Honorar von 35 Dollars per Monat. --
    Jenny hatte bereits seit zwei Monaten als Clavierlehre rin in mehreren reichen französischen Familien Eintritt gefunden und sich einen nicht unbedeutenden Ruf erworben. Ihre Schülerinnen liebten und achteten sie und entfalteten einen so großen Wetteiser und eine so rege Theilnahme, daß sich Jenny während der Unterrichtsstunden in einer höchst angenehmen Situation befand. Die raschen Fortschritte ihrer Elevinnen zogen andere herbei, die bereits anderswo Unterricht im Piano genaßen, jedoch denselben auf den Wunsch der Ein verlassen

 

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mußten, da man es für besser hielt, sie dem bedeutenderen Lehrertalente Jenny's zu unterstellen.
    Die Mußestunden der beiden Schwestern theilten sich in die Pflege des kleinen Blumengärrchens vor dem Hause, in's Heranziehen von seltenen, guten Gemüsen, in Revidierung und Verbesserungen der zum Haushalte gehörenden Utensilien und -- was vorzüglich Sonntags geschah -- in schöngeistige Lectüre. Frida hatte Göthe zu ihrem Lieblinge auserkoren, den sie förmlich zu studieren begann und ihm nicht blos -- wie es die meisten ihres Geschlechtes zu thun pflegen -- eine flüchtige ufmerksamkeit widmete. Eine ruhige, sichere Lebensanschauung, die sich von der Poesie begleiten, aber nicht leiten läßt, war die nächste Folge hievon. Wenn Frida ihres Mannes gedachte, so hätte sie wahrlich Ursache gehabt, mit ihrem Schicksale zu grollen, aber ihr Schmerz verzog sich in die leichten Silberwölkchen des italienischen Himmels und fand bei den beiden Leonoren ein gesichertes Asyl. Jenny hingegen drückte lieber die Lyra Karl Egon Ebert's und Lenau's an ihr Herz, oder suchte in Kinkel's „Otto der Schütz“ nach ihrem Emil. Romane zu lesen fürchtete sie sich. --
    Wegen der ihnen an den Wochentagen zu knapp zugemes jenen Zeit, da ihre Unterrichtsstunden, die sie genau und gewissenhaft einhielten, sie den ganzen Tag in Anspruch nahmen, hatten sie ein deutsches Mädchen, das erst vor einigen Monaten auf einem Bremerschiffe angekommen war, zu sich in den Dienst genommen. Es war noch ein ganz blutjunges Ding, aber trotz ihres Alters eine sehr gewandte und praktische Köchin. Sie hatte schon als Mädchen von zwölf Jahren in mehreren Studentenkneipen serviert und führte bei Suiten die Oberaufsicht in der Küche. Im Uebrigen war die gute Kleine ein herzlich dummes Rotznäschen. Für sie gab es, sowie die von dem Kochherde ging, sonst Nichts als spanische Dörfer, Es scheint dies um so unbegreiflicher, als Studentenmädchen in allen Dingen erfahren sind, sowohl aufder Mensur als im Seraglio. Doch es wäre hier am unrechten Platz, ihr etwas von ihrer Vergangenheit vorzuhalten, da der jungfräuliche Boden Amerika's alle Sünden abwäscht. Jungfrauen sind und bleiben sie. Alle, wenn sie keinen Mann mit herüber bringen. Das Mädchen hieß Urschl. -- Mit dem kleinen Tiberius hatten die Schwestern ihre liebe Noth. Er wollte durchaus nicht mehr recht parieren. Statt auf das Haus. Obacht zu geben, wenn seine Herrschaft abwesend war, strich er im Busch

 

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herum oder balgte sich mit der jungen schwarzen Mannschaft auf den nächstgelegenen Plantagen. Das wäre noch nicht so schlimm gewesen, aber daß sich Don Juan schon in ihm zu regen begann, war doch ein bischen zu arg -- auch vielleicht etwas zu früh, denn Tiberius zählte seit dem vergangenen Monate erst zehn Jahre. Aber auch dies wäre noch nicht so gar schlimm gewesen, wenn seine Gedanken beiden Töchtern Aethiopiens geblieben wären, aber so übersprang eine Phantasie dieses ergiebige Feld und lehnte sich mit süßem Verlangen an eine Weiße -- an eine Tochter Germania’s. Als nemlich Urschl, die wackere Köchin, in’s Haus kam, glaubte sich Tiberius das Prognostikon stellen zu dürfen, einst einen Sitz in ihrem Herzen einzunehmen, aus dem ihn kein Maffa und keine Missus zu verjagen im Stande sein sollten. Miß Urschl, die noch ganz grün und gerade aus den Klauen des Einwanderer Intelligenz-Bureau's mit heiler Haut entwischt war, ließ sich die Courmacherei des kleinen Tiberius ganz gut gefallen, um so mehr, als ihr der Schlaukopf weiß gemacht hatte, er sei nach den beiden Ladies der Erste im Hause und dieselben hätten ihm ausdrücklich den Oberbefehl über ihr Verhalten in und außer der Küche zugetheilt. Die wackere Köchin aus der Lüneburger Haide -- wo ihr Ohm noch heute über mehrere Buch weizenfelder zu gebieten hat -- hatte natürlicherweise noch keine südlichen Begriffe von dem Unterschied zwischen schwarz und weiß und so unterstellte sie sich ohne Widerspruch den Be fehlen des Mohren, wie sie die Schwarzen nannte.

[LSZ - 1854.08.13]
    Doch war Tiberius klug genug, besagter Köchin in Ge genwart der Schwestern seine Suprematie nicht fühlen zu lassen. Sothanes Einverständniß mit Miß Urschl wurde noch gehoben, daß Tiberius der deutschen Sprache in so weit kundig war, daß er ihr auch seine erotischen Gefühle beibringen konnte. Als die Lüneburger Haiderin zur Einsicht gelangte, daß ihr Tiberius in der That ernstlich nachstelle, so fing sie an, die Spröde zu spielen und ihre schwarze Schattierung umsonst seufzen und girren zu lassen. Daß Miß Urschl ein sehr dummes Gänschen war, bezeugt folgender Vorfall: Die Schwestern hatten, wie gewöhnlich, um acht Uhr Morgens auf dem Fer ryboote Algiers verlassen, um in New-Orleans ihrem Berufe nachzugehen. Tiberius befand sich mit Urschl allein in der Küche. Er hatte früher eine Zeitlang den Koch gespielt und verstand es wirklich ganz vortrefflich, einige Speisen zuzubereiten, was ihm Frida mit großer Mühe beigebracht hatte;

 

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denn die Schwestern konnten sich durchaus nicht mit der amerikanischen Kochkunst befreunden. Bouillon à la Reine, Ragout en coquilles, Kalbsbraten mit Sauce Romoulade, Flammeris, Blanc mangés und Cremes; Bettelmann, armer Ritter, Saucisschen auf Magdeburger Art; ja sogar bairische Dampfnudel, Rahmstrudel und Mehlspatzen waren für Amerika seltene Gerichte. Urschl war so ziemlich mit dem Zubereiten genannter Gerichte vertraut, daher man auch Tiberius aus der Küche verabschiedete. Deßungeachtet schlich er sich, so oft er nur konnte, in Urschl's Atelier und die wackere Köchin war in der That sehr erstaunt über seine Kenntnisse in der Kochkunst und hatte ihm mehr wie einmal versichert, daß sie dergleichen nie einem Mohren zugetraut hätte. Aber noch viel mehr erstaunt war Urschl, als ihr Tiberius einmal betheuerte, daß er Alles aus sich selbst heraus habe und darüber noch nie Jemandes Rath sich erholt hätte. Ein weiterer Grund zu seiner Entfernung aus der Küche war, daß er sich das Naschen nicht abgewöhnen konnte und auch noch die heillose Unart besaß, ganze Hände voll Rosinen und Nelkenpfeffer fortzuschleppen, um seinen Gespielen damit ein Präsent zu machen. Einmal erwischten ihn die Damen eben dabei, wie er einen ganzen Zuckerhut für einen papiernen Drachen umtauschte. Natürlich mußte der Zuckerhut wieder herausgegeben werden und der Drache wanderte wieder zu seinem alten Herrn. Tiberius aber wurde zur Strafe vier Stunden lang -- Diner Zeit mit inbegriffen -- in das Kühl-Loch unter der Eisterne gesteckt, wo er noch so unverschämt war, ein ganzes Glas voll eingemachter Pfirsiche, die die Damen an selben Orte aufbewahrt hatten, aufzuessen. Kaum hatten die Damen heute das Ferryboot betreten, als er auch schon wieder in die Küche eilte und sich neben Urschl, die eben mit dem Tassen-Abspülen beschäftigt war, auf den Boden setzte. Da seine Zärtlichkeit stets so weit ging, seine Angebetete in die bloßen Beine zu zwicken, so hatte Urschl aus Vorsicht ihr Kleid zwischen die Beine geschoben und dieselben fest aneinander gedrückt,
    „Mein süßes Herz,“ begann der kleine schwarze Don Juan.
    „Was willst Du?“ frug Urschl und schielte etwas auf die Seite hin, wo der schwarze Beau saß.
    „Ich wollte, wir wären die Herren im Hause, oder Ich Massa und Du meine Lady.
    „Ich wollte es auch,“ versetzte die wackere Köchin.

 

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    „Ich wollte, wir könnten uns gleich heirathen.“
    „Ich wollte es auch -- aber es ginge doch nicht, wir haben ja kein Geld.“ -
    „Wir werden uns Geld sparen. Zwanzig Dollars und einen Picayune haben wir schon -- noch fünfmal so viel, dann gehen wir zum Friedensrichter.“
    „Morgen ist mein Monat aus, dann haben wir acht Dollars mehr.“
    „Hebe das Geld nur ordentlich auf, Tiberius, damit es uns Niemand stiehlt.“
    „Sei unbesorgt, mein süßes Herz, es liegt an einem guten Platz. Wenn Du morgen Deine acht Dollars erhältst, so sieh' zu, daß die Ladies es nicht bemerken, wenn Du sie mir zum Aufbewahren giebt.“
    „Das versteht sich, daß ich aufpasse,“ versetzte Urschl.
    „Komm' setze Dich zu mir, mein süßes Urschl.“
    „Nein, jetzt nicht, Tiberius -- ich habe keine Zeit -- gestern hätte ich mich bald mit dem Essen verspätet.“
    „Never mind, wenn die Ladies auch ein paar Minuten auf's Essen warten müssen.“
    Tiberius wollte schon zudringlich werden, als sie ober sich Jemanden rasch auf und ab gehen hörten.
    „Devil!“ rief der kleine Schelm aus, „es ist Jemand im obern Zimmer.
    „Geh' nur schnell hinauf, Tiberius und sieh, wer es ist; hast schon wieder die Thüren offen stehen lassen,“ sagte Urschl in ängstlichem Tone und machte sich sogleich am Kochherde zu schaffen.
    „Devil, Hell!“ fluchte Tiberius und drückte noch einen herzhaften Kuß auf Urschl’s Nacken. Dann verließ er eilig die Küche.
    „Jemand hier?“ rief er, als er in den Flur trat und sich allenthalben umsah.
    „Jemand hier?“ wiederholte er und sprang die Treppe hinauf ins obere Stockwerk.
    Als Tiberius die Thüre des Drawingrooms öffnete, saß ein junger Mann in der dunkelblauen, weißbordirten Uniform der Feuer-Compagnie American No.2, nachläßig, mit über einander gelegten Beinen im tiefen Fauteuil zur Seite des Piano.

[LSZ - 1854.08.15]
    Seinen schweren Hut hatte er neben sich auf den Boden gelegt und zwar so, daß derselbe seine Oeffnung nach oben

 

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kehrte. In den Händen hielt er ein Notenheft, das er bald auf- bald zurollte. Seine Augen waren starr auf ein ihm gegenüber hängendes Bild geheftet, das eine sehr junge und schöne Dame vorstellte. Dieselbe trägt ein schwarzfammetnes Kleid und über ihren Busen lauft ein breites hellblaues seidenes Band, an dem ein emailliertes Ordenskreuz hängt, das halb versteckt in silbernen Fransen liegt. Wer diesen jungen Mann das Erstemal sah, mußte ihn zweifelsohne für einen Creolen halten. Der bräunliche, reine Teint, der schöne schwarze Schnurrbart und die vollen dunklen Haaren berechtigten vollkommen zu dieser Annahme.
    Tiberius hatte den jungen Mann nicht gleich erkannt, den die Feuermann's Uniform in der That auf den ersten Augenblick unkenntlich machte."
    „Die Damen sind wohl nach der Stadt hinüber?“ frug der junge Mann den kleinen Neger, der ihn verblüfft ansah. Wahrscheinlich war derselbe in feiner Uniform eine ungewöhnliche Erscheinung.
    „Die Ladies kommen bis Mittag wieder nach Hause,“ er wiederte der noch immer erstaunte Tiberius und ging wieder rückwärts nach der Thüre zu.
    „Sage den Damen, ich wäre hier gewesen und werde nach der Feuermanns-Parade wieder zurückkommen.“
    „Yes, Sir.“
    Der junge Mann machte mit der Hand ein Zeichen, daß sich Tiberius entfernen könne. Er blieb noch einige Zeit im Fauteuil sitzen und schwärmte mit dem ihm gegenüber hängen den Bilde. Dann verließ er rasch das Häuschen und begab sich auf das Ferryboot, das eben vom jenseitigen Ufer angekommen war.
    Auf New-Orleanser Boden angekommen, sah er, wie sich eben der Festzug der Feuer-Compagnieen längs Canalstreet hinaufbewegte. Die mit farbigen Bändern, Rosetten und Blumenguirlanden geschmückten Engines, die flatternden Banner, die jugendlich frischen Gesichter und rüstigen Gestalten der verschiedenartig uniformierten Feuerleute, das glückliche Spiel der Musikbanden, auch mitunter stattlich herausgeputzte Neger mit Trommel und Pfeife -- das bot. Alles einen zwar sehr phantastischen, aber höchst erfreulichen Anblick dar. Die Blüthe der Ritterschaft von ganz New-Orleans war auf den Beinen und die Petits-Maitres des französischen Distrikts sahen sich fast die Augen aus nach den hundert und hundert Damen,

 

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die auf den Verandah's und Balkons standen und hie und da scharfgespitzte Pfeile nach den Herzen der Feuerleute andten, die keck und verwegen der Damen Flora der Crescent City in das rabenschwarze Auge schauten. Man war wirklich ganz seelenvergnügt und heiter. Nur die Money Real-Estate und House- Cotton- Provisions- und et cetera Brokers schnitten dumme, aschgraue Gesichter; dafür wurden sie aber auch von den geputzten Damen keines einzigen Blickes gewürdigt.
    Der junge Mann, den wir noch kurz vorher im Häuschen der beiden Schwestern angetroffen haben, trat jetzt in die Reihen seiner Compagnie und faßte mit an dem reich verzierten Schlauche.
    Sehen wir wieder zurück nach dem wunderlieben Häuschen in Algiers.
    Tiberius war, nachdem er geduldig abgewartet hatte, bis sich der hübsche Feuermann entfernte, sporntreichs wieder in die Küche geeilt, um seiner Urschl von Nauem seine ungetheilte Aufmerksamkeit zu widmen. Er fand die wackere Köchin eben beschäftigt, einen Eggplant in Scheiben zu schneiden, um ihn zu den andern in die Pfanne zu legen, die bereits auf den Rost, unter dem ein ziemlich starkes Holzkohlenfeuer knisterte, gestellt war. Geschmorte Eggplants waren ein Lieblingsessen der beiden Schwestern und mußten stets einen über den andern Tag auf der Tafel erscheinen. Es war dies vielleicht das einzige amerikanische Gericht, dem man Geschmack abgewinnen konnte. Tiberius verfiel gleich wieder in seine alte Unart d.h. er setzte sich auf den Boden und kneipte die wackere Köchin in die bloßen Beine. Dabei ließ er es aber nicht bewenden. Er stöhnte und seufzte wie ein liebekranker Adonis, obwohl der Schlingel kaum erst zehn Jahre zählte. Urschl hatte in der That einen sehr schweren Stand. Sie sah sehr wohl ein, daß es nicht leicht möglich wäre, zwei Herren zugleich zu dienen. Entweder mußte das Mittagsessen zur bestimmten Stunde fertig werden und Tiberius eine Galanterieen unterlassen, oder man versäumte das Erstere und gab dem schwarzen Adonis Gehör. Was war nun vorzuziehen? Urschl, die ihrer Herrschaft keine Gelegenheit geben wollte, mit ihr unzufrieden zu sein, auf der andern Seite aber ihren Tiberius nicht zu hart behandeln wollte, nahm zu einer List ihre Zuflucht.
    „Wie viel Uhr ist's, Tiberius?“ frug sie plötzlich den schwarzen Schelm, der mit seinen Zudringlichkeiten unausgejetzt fortfuhr.

 

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    „Ich weiß nicht,“ entgegnete derselbe, „es mag wohl nicht weit von zehn Uhr sein.“
    „Oh, sieh" einmal hinauf in's Diningroom nach der Uhr.“
    „Das ist nicht nöthig, meine liebe, fuße Umschl; es mag wohl ungefähr um die Zeit sein, wie gestern.“
    „Geh' hinauf und sieh" nach der Uhr, Tiberius, sonst be komme ich Verdruß, wenn die Ladies kommen.“
    „Weßhalb denn?“
    „Die Ladies trugen mir kurz vor ihrem Weggehen auf, Dir zu sagen, daß Du die kleinen Teppiche heruntertragen und ausklopfen sollst, bis sie wiederkommen. Auch sollst Du die Rabbits einfangen, die in den Blumengarten entwischt sind und so viel Unheil anstiften.“

[LSZ - 1854.08.16]
    „Die Teppiche will ich ausklopfen, mit dem Einfangen der Rabbits hat's bis auf Morgen oder Uebermorgen Zeit.“
    „Nein, das hat es nicht, Tiberius; die Ladies befahlen mir ausdrücklich, Dich dazu anzutreiben, daß Du sie noch Vormittag einfangen und wieder in ihr messingenes Häuschen stecken sollst.“
    „Never mind, Ursch, das hat bis auf ein Andermal Zeit; ich kann ja sagen, daß ich nach den verdammten Rabbits gesucht, sie aber nicht erwischt habe.“
    „Wenn Du mir Verdruß ersparen willst, so thu's, Tiberius,“
    „Aber wenn ich die Teppiche ausgeklopft und die Rabbits eingefangen habe, komme ich wieder zu Dir, meine süße, liebe Urschl.“
    Die wackere Köchin belohnte den Gehorsam des kleinen
    Tiberius mit ein paar saftigen Küssen. Derselbe verließ die Küche und machte sich schleunigst an die ihm gebotene Pflicht. Tiberius hatte volle zwei Stunden mit dem Ausklopfen und Reinigen der Teppiche zu thun, so daß es bereits zwölf Uhr vorüber war, als er sich anschickte, im Blumengärtchen nach den entsprungenen Kaninchen zu suchen. Es wollte ihm nicht gelingen. Vergebens hatte er Alles durchstöbert, auch hie und da einen neugierigen Blick über Nachbar's Fence geworfen, um sie vielleicht auf fremdem Terrain zu erspähen. Umsonst -- die Kaninchen hatten sich entweder unter den Boden gewühlt, um von hier aus einen gesicherten Angriff auf die jungen, frischen Pflänzchen zu wagen, oder sie waren

 

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dieser Gegend verschwunden -- oder, was ziemlich wahrscheinlich war, von lüsterner Hand abgefangen worden.
    Schon wollte er sich aus dem Gärtchen entfernen, um in der nahe anstoßenden A)ard unter den Holzhaufen und aufgeschichteten Zuckercanes zu suchen, als er, zufällig einen Blick nach der Nordseite des Häuschens hin richtend, zu einem höchsten Erstaunen die beiden Kaninchen auf den Deckbrettern der Cisterne bemerkte. Das Eine, ein recht hübsches und schneeweißes Thierchen, machte eben ein Männchen; das Andere, auch weiß, aber mit einem schwarzen Streifen gegen den sammetweichen Bauch zu, hockte in umgekehrter Richtung. Es hatte ganz die Manieren, wie ein Weibchen.
    Tiberius, der so viel zoologische Kenntnisse besaß, oder auch aus Erfahrung wissen mochte, daß Kaninchen auf keine Cisterne klettern, sondern hübsch auf dem Boden bleiben, glaubte im ersten Augenblicke, Urschl hätte sich diesen Spaß erlaubt, um ihn recht lange suchen zu lassen. Bei genauerer Nachforschung fand er aber aus, daß die beiden Kaninchen auf gewöhnliche Weife auf die Cisterne gelangt waren. Dieselbe war nemlich in gleicher Höhe mit einem sehr tiefen Fenster, das einem Cabinette angehörte, in welches die Kaninchen von Frida kurz vor ihrem Weggehen gesperrt waren. Bei dieser Gelegenheit hatte sie jedoch vergessen, die Fenster ganz herab zulassen und so kam es denn, daß die eingesperrten Kaninchen durch diese Oeffnung einen Ausweg fanden und nirgend anderswo hingelangen konnten, als auf die Cisterne. Als Tiberius diese Bemerkung gemacht, konnte er es kaum mehr erwarten, die Thierchen in seine Hände zu bekommen. Entwischen konnten sie ihm nicht; das däuchte ihm so ziemlich sicher zu sein und wenn sie auch wieder durch die Oeffnung des Fensters in's Cabinet liefen, wo man sie dann noch viel leichter greifen konnte.
    Tiberius flog mehr als er ging die Treppe hinauf bis zur Thüre des Cabinets, von dem aus die Rabbits einen Spaziergang durch die Oeffnung des Fensters auf die Haube der Cisterne gewagt hatten. Leise, doch rasch trat er ein. Die Kaninchen waren noch auf derselben Stelle; das Eine machte noch immer ein Männchen, das Andere hatte noch immer die Manieren, wie ein Weibchen.
    „Bissy, Bissy, Bissy!“ lockte der vergnügte Schelm und rieb Daumen und Zeigefinger schnalzend an einander.
    Sei es nun, daß sie die Liebe blind gen oder daß sie

 

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durch das so plötzliche Erscheinen des Negerjungen in Schrecken versetzt wurden -- die Kaninchen plumpsten durch die zu weit auseinander gelegten Deckbretter hinab in den tiefen Bauch der Tonne.
    „Tuff!“ rief der Neger erschrocken und steckte seinen Kopf neugierig in die Cisterne. Dieselbe faßte an zweitausend Gallonen Wasser, wenn sie bis ans oberste Band gefüllt war. Zur Zeit aber, als sich die hier angeführten Zwischenfälle er eigneten, stand das Wasser kaum drei Fuß über dem Boden, obwohl es zwei Tage nach einander sehr heftig geregnet hatte. Diese Verminderung hatte man der Nachlässigkeit Urschl’s zu verdanken, die, als sie noch spät in der Nacht für den darauffolgenden Tag Wasser abließ, den Hahnen nicht fest genug schloß, so daß derselbe, als bereits. Alles im tiefen Schlummer lag, umschnappte und so das Herausfließen des so nothwendigen Elementes bewirkte. Man wird gleich sehen, daß es ein guter Geist war, der den Hahnen umschnappen ließ und so das Leben zweier Menschen von einem sonst unvermeidlichen Tode errettete.
    „Tuff Tuff! Bissy! Bissy! Bissy!“ rief Tiberius in einem fast zärtlichen Tone in die Tiefe der Cisterne hinab, wo die beiden Kaninchen, indem sie sich gegenseitig bei den Löffeln, gefaßt hielten, herumplatschten. Wie war hier an eine Rettung des guten Pärchens zu denken ohne Beihilfe einer zweiten Person?
    „Urschl, Urschl!“ heulte der Kleine von der Cisterneherab.

[LSZ - 1854.08.17]
    Erschrocken und am ganzen Leibe zitternd, eilte die wackere Köchin aus der Küche und als sie ihren Tiberius mit auseinan dergespreizten Beinen, so weit es nämlich bei Negern möglich ist, auf den Deckbrettern der Cisterne stehend erblickte, wußte sie im ersten Augenblicke nicht, ob derselbe passe, oder ob sein Geheul wirklich begründet sei. Da er aber sein Urschlheulen durchaus nicht unterließ, so lief sie die Treppe hinauf nach dem Cabinet und flog mit Windeseile an das bewußte Fenster, das Tiberius aufgeschoben hatte, ehe er auf die Cisterne trat.
    „Urschl, Urschl! guck, wie die Rabbits ertrinken -- -- Tuff, Tuff - Bissy, Bissy, Bissy!“
    „Jesus Christ, Tiber, -- hat sie hineingeschmissen?“
    Die wackere Köchin war bei diesen Worten so hart an Tiberius gestreift, daß er ausglitschte und, indem er sich an Urschl’s Kleidern festhalten wollte, dieselbe mit in die Cisterne

 

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hinabzog. Der Fall war jäh, aber nichts weniger als bedenk lich, insoferne man die daraus entspringenden Folgen aus nimmt ! Tiberius, der auf die Füße zu stehen kam, zog die wackere Köchin, die, minder glücklich, mit dem Kopf unter's Wasser gerathen war, mit wunderbarer Geistesgegenwart aus den Tiefen des feindseligen Elementes. Zum Danke spritzte ihm dieselbe auch gleich das verschluckte Wasser ins Gesicht.
    „No matter, Urschl,- das Wasser ist nicht tief.“
    „Aber die Bissy's, Tiber? Jesus Christ, wenn die Ladies kommen!“ -
    „Never mind- die hätten eben so gut hineinfallen können, wie wir.“
    „Aber, Tiber -- die Bissy's, die Bissy's?“
    „No matter, die sind anyhow ganz todt.“
    So war es auch. Die guten Thierchen hatten bereits ihr Leben eingebüßt. Umsonst versuchte es die wackere Köchin, die erloschenen Geister durch Erwärmen an ihrem Busen wieder wach zu rufen. Charon's Nachen hatte sie für immer aus der Wärme des Lebens gerudert. --
    Erst jetzt dachten sie an das Herauskommen.
    Lange gafften sie Einander stillschweigend an, als sie ihr Gefängniß nach allen Seiten hin gemustert hatten und die Unmöglichkeit erkannten, an’s Tageslicht zu gelangen. Tiberius brach zuerst das Stillschweigen. Bis an den Bauch im Wasser stehend, hier und da Muskitoes abwehrend, die nun zu Tausenden im Bereiche der Cisterne herumschwärmten, da die Deckbretter ganz und gar abgestoßen waren und somit ein Einzug sehr leicht möglich war; Urschl, erst Wasser, dann Feuer in den Augen; Tiberius, stampfend wie ein junges Füllen, das von der üppigen Wiese eingeholt an einen Pfahl gebunden wird -- wer wagt es, Angesichts eines solchen Tableau noch an Romantik in Amerika zu zweifeln ?
    Die Romantik ist da, aber man sieht sie nicht, weil Jung frau Columbia bis jetzt noch keinen Tieck und keine Stollberge geboren hat.

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Viertes Kapitel.

Ein Papagey im Dienste
Amor's.

    Als die Schwestern nach Hause kamen, waren sie nicht

 

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wenig erstaunt, Gartenthüre, Yardgate und den Fronteingang offen zu finden. Ihr Erstaunen verwandelte sich aber in ei nen nicht geringen Unmuth, als sie zwei Kühe bemerkten, die schonungslos in den Blumenbeeten und Rabatten herumtram pelten und gierig den frischen Blätterwuchs der jungen, von ihnen selbst gepflanzten Maulbeerbäume abfraßen. Als sie dann noch sehen mußten, daß auch die beiden Beete, die man zu beiden Seiten des schattigen Ganges in Herzform abgesto chen hatte, all' ihres Schmuckes beraubt waren, so traten ihnen die Thränen in die Augen.
    „Es ist doch schändlich von Tiberius, so wenig auf unser Eigenthum Acht zu geben,“ sagte Frida zur Schwester.
    „Wir haben ihm bisher zu viel nachgesehen, meine liebe Frida, wir hätten ihn strenger überwachen und manchmal tüchtig abstrafen sollen,“ entgegnete Jenny und spähte ängstlich nach einer neuen Verwüstung umher.
    „Ich glaube, es wäre am besten, ihn zu verkaufen, noch ehe uns aus einem grenzenlosen Leichtsinn ein neuer Schaden erwächst,“ bemerkte Frida.
    „Ich hätte Dir das schon längst in Vorschlag gebracht, wenn Tiberius nicht zugleich eine Erinnerung an Emil wäre, der mir ihn an meinem ersten Geburtstage in der neuen Welt zum Geschenke gegeben hatte. Tiberius schien mir damals ein ganz folgsamer Junge -- erst später mußte ich zu meinem Bedauern bemerken, daß er einen heimtükischen Charakter besitzt, der sich durch die beste, zarteste Behandlung nicht ummodeln läßt.“
    „So sind die Neger Alle, meine Jenny. Nur eine wahr haft militärische Disciplin kann sie im Zaume halten. Du hast gesehen, daß er sich nicht zu mucken getraute und so folgsam war, wie ein Hündchen, wenn Vetter Karl anwesend war.“
    „Vetter Karl ist doch manchmal etwas zu strenge gegen ihn verfahren -- man kann einen Menschen mit Fasten und Arbeiten strafen, zur Zeit,wenn andere sich vergnügen -- aber schlagen, und sei es nur mit einer leichten Gerte -- das liebe ich nicht, meine Frida. Ich könnte meinen ärgsten Feind, der mir die größte Unbill zugefügt, nicht schlagen sehen.“

[LSZ - 1854.08.18]
    „Das haßt Vetter Karl auch, meine liebe Jenny -- aber er weiß auch Ausnahmen zu machen und Du mußt mir doch zugestehen, daß sie immer zur rechten Zeit geschahen. -- --“
    Während dieses Gespräches waren die Schwestern in die Nähe der Cisterne gekommen.

 

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    Frida, die zuerst die herabgefallenen Deckbretter bemerkte, sagte:
    „Wieder ein Beweis von Tiberius Unaufmerksamkeit. Er darf nur in's Cabinet hinaufgehen und vom Fenster aus die Bretter überlegen -- das ist gewiß keine große Anstrengung. So läßt er die Cisterne offen und der hereinfliegende Staub und Schmutz macht das Wasser ungenießbar und ungesund, besonders in dieser Jahreszeit.“
    Frida blieb mit ihrer Schwester stehen.
    Die Erstere, nachdem sie einen Blick hinaufgeworfen hatte, fuhr fort:
    „Unbegreiflich ist es mir übrigens, wie die Bretter da herunterfallen können, ohne daß es nicht mit Absicht geschieht. Da steckt sicher wieder ein toller Streich dahinter, den Tiberius während unserer Abwesenheit verübt.“
    „Hast Du nicht das Fenster herabgelassen, liebe Schwester? Sieh' es ist ganz hinaufgeschoben. Tiberius hat wahrscheinlich die Kaninchen ausgespäht und macht mit ihnen eine Spässe,“ warf Jenny ein.
    „Das ist doch unausstehlich mit diesem Jungen, da ich es ihm schon mehr als zwanzigmal verboten habe. Wenn er mit den Thierchen nur auf sanfte Weise umgehen würde, so sollte er gerne mit ihnen spielen; aber so kneift er sie bald in die Ohren, bald in die Beine oder bindet sie ihnen zusammen.“ --
    „Die Urschl hat mich angelogen, Missus -Urschl ist an allem Unglück. Schuld!“ tönte es auf einmal aus dem Innern der Cisterne.
    Verwundert sahen sich die beiden Schwestern um und als sie Tiberius nicht sahen, die nemliche Stimme sich aber zum zweitenmale und zwar so ganz in ihrer unmittelbaren Nähe erhob, so hatten sie im selben Momente. Einen Gedanken, nemlich daß der Schelm unter dem Kühlloche der Cisterne versteckt sei und wieder aus den dort aufgestellten Fruchtgläsern genascht habe.
    „Missus! nicht. Ich, die Urschl ist Schuld!“ ertönte es zum drittenmale aus dem Bauche der Cisterne.
    Das kam den Damen doch etwas zu sonderbar vor, denn das Thürchen zum Kühlloch war von Außen zugeschnappt und als sie es öffneten und neugierig hineinfahen, so fanden sie zwar Alles in seiner Ordnung, aber Tiberius war nicht da. --
    Drinnen in der Cisterne hielt die wackere Köchin ihrem Verräther, der ihr noch kurz vorher ewige Treue geschworen

 

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hatte, den Mund mit beiden Händen zu und gestand ihm in fehr leisem Tone, daß es mit dem Teppichreinigen und Einfangen der Kaninchen eine ganz andere Bewandtniß habe; daß es ihr die Ladies nicht geheißen hätten, sondern daß es nur eine Finte von ihr gewesen sei, ihn auf die leichteste Weise zu entfernen, um dann ungestörter das Mittagsmahl zubereiten zu können. Dieses Geständniß kam Tiberius eben recht. Er konnte nun um so eher alle Schuld auf Urschl werfen. Daß sich dieselbe aber auch dafür rächen würde, indem sie bei dem auf keinem Falle ausbleibenden Verhöre auch ein unartiges Benehmen gegen sie in der Küche bloßstellte, daran dachte der Schelm nicht; wenigstens glaubte er nicht, daß Miß Urschl das thun würde, da sie sich ja selbst compromittierte. Und der neue Vorfall in der Cisterne? Man sieht, der schwarze ungetreue Beau fußte auf die Verschämtheit der wackern Köchin. Das hätte einem Erwachsenen alle Ehre gemacht.
    Man kann sich das Erstaunen der beiden Schwestern, als sie den Aufenthaltsort Urschl’s und Tiberius's ausfindig gemacht hatten, leicht vorstellen. Bei der Confrontation, die im Parlor vorgenommen wurde, ging es ziemlich scharf her. Tiberius läugnete hartnäckig die Wahrheit der Beschuldigungen, mit denen ihm Urschl entgegentrat, die ihrerseits. Alles haarklein erzählte. Ein Kreuzverhör, das Frida mit dem kleinen Bösewicht vornahm, hatte endlich den Erfolg, daß er entlarvt und das „Schuldig“ über ihn ausgesprochen wurde. Die über ihn verhängte Strafe wurde indeß verschoben, bis zur Zeit, wo Vetter Karl, der sich, wie wir wissen, damals in Commissionsgeschäften der Firma K.u.W. in St.Louis aufhielt, wieder zurückkommen würde. Urschl, welcher Tiberius all' das Geld, das sie ihm in ihrer unbeschreiblichen Blindheit zum Aufheben gegeben hatte, und um das er dieselbe wahr scheinlich beschwindeln wollte, wieder zurückerstatten mußte, erhielt den Bescheid, den Dienst nach Verlauf ihres Monats zu verlassen. Zu diesem Behufe gaben ihr die Schwestern den nächsten Tag frei, um sich bei der deutschen Gesellschaft oder sonst irgendwo um eine andere Herrschaft umzusehen. -- -- --
    Die beiden Schwestern saßen noch am Mittagstische und Tiberius, jetzt in der Gestalt eines diensteifrigen Aufwärters, kam eben mit einer halbgeleerten Terrine auf den Händen die Treppen herab. Als er quer über dem Küchenhaute zugehen wollte, trat ihm jener junge Mann in der dunkelblauen, weiß bordirten Feuermanns-Uniform in den Weg und frug ihn, ob

 

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er seinen Auftrag pünktlich besorgt habe. Tiberius wurde verlegen und stotterte ein einfaches „No, Sir!“ „Nicht?“ entgegnete ihm der junge Mann, „hast Du überhaupt nichts davon gesagt, daß ich hier gewesen bin?“ „Verzeihen Sie, Sir, -- ich hab's vergessen,“ stammelte Tiberius entgegen. „Desto besser,“ murmelte der junge Mann vor sich hin und trat in das Haus, so ungeniert und sicher, wie ein bewährter Hausfreund.
[LSZ - 1854.08.19]
    Von der Terrine, die er Tiberius wegtragen sah, konnte er darauf schließen, daß die Damen eben beim Speisen waren. Er pochte daher ohne weitere Umstände an die nur angelehnte Thüre des Diningrooms. Als er eintrat, erhoben sich die beiden Schwestern fast zu gleicher Zeit von ihren Stühlen und Jenny rief aus:
    „Schon jetzt in Feuermanns-Uniform, Albert? Das hätte ich nicht geglaubt, daß Sie schon so bald meinem Wunsche entgegenkommen würden. Herrlich, prächtig, mein Freund!“
    „Und ich gratuliere Ihnen zur trefflichen Wahl unter den Compagnieen. American No.2 besitzt die schönsten und zugleich gebildetsten Männer,“ fiel die blonde Frida ein.
    „Meine Damen,“ versetzte Albert mit einer diplomatieschen Salonverbeugung: „Worte, die von solchen Lippen tönen, geben meinem Stande erst die wahre Weihe.“ Und dann sich zu Jenny wendend sagte er:
    „Und Sie, meine Gnädige, mögen mich von heute ab als Ihren Vasallen betrachten.“
    „Und Ich bin stolz darauf, daß ein Mann seiner Freun din zu lieb sein Vorurtheil so glücklich überwunden hat,“ erwiederte Jenny und das hübscheste Rosa trat auf ihre schönen Wangen.
    „Meine Freundin,“ entgegnete jetzt Albert etwas drei ster: „mein Vorurtheil gegen die Feuer-Compagnieen war mächtiger, als mein Wille; aber der Wille einer schönen Frau hat es über Bord geworfen.“
    „Nun sehen Sie, was wir Frauen nicht Alles vermögen!“ rief Jenny aus.
    „Wenn wir nur wollen,“ meinte Frida. -- -- Um sichden fo freudigen Empfang, wie er Albert von den beiden Schwestern zu Theil wurde, zu erklären, sehen wir unsgenöthigt, etwas in die nächste Vergangenheit unseres Freundes zurückzukehren, und knüpfen gleich an jene nächtlichen

 

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Ereignisse an, wie sie im „Louisiana Ballroom“ ihren Glanzpunkt gefunden hatten. „Es wird eine Zeit für Dich kommen, wo Du anders sprechen wirst.“ Diese Worte jenes geheimnißvollen Reiters tönten ihm die ganze Nacht in die Ohren. Mehrmals versuchte er zu schlafen -aber umsonst. Er weckte die kleine Bridget, die gleich nach der Ankunft ihres Herren sich zu Bette gelegt hatte und bereits tief eingeschlafen war, und ließ sich von ihr ihm übrigens ganz gleichgültige Dinge vorplaudern, nur um einen Gedanken eine andere Richtung zu geben. Sie erzählte ihm von ihren Eltern, ihrer Heimath, ihrer Reise nach Amerika, den Leiden und Trübsalen, die sie auf der Ueberfahrt erdulden mußte, ihrer Ankunft auf dem trans-atlantischen Boden und gelangte endlich nach vielen Umschweifen bis zur Zeit, wo sie Claudine als Dienstmädchen aufnahm. Die Geschwätzigkeit Bridget’s war in der That ein treffliches Mittel gegen die Schlaflosigkeit ihres Herren. Derselbe war inmitten ihrer Erzählung, die linke Hand auf die Stirne gedrückt, eingeschlafen. Bridget, die dies nicht bemerkt hatte, da Albert seiner Gewohnheit gemäß mit dem Gesicht gegen die Wand zugekehrt lag, erzählte noch eine gute Zeit lang fort, bis endlich auch ihr vor Müdigkeit die Augen zufielen und sie von der Stuhllehne weg ihren Oberkörper auf das Bett ihres Herrn sinken ließ.
    Albert schlief, bis ihm die Sonne ins Bett schien. Der Schlaf hatte ihn aber nicht gestärkt. Er fühlte sich wie zerschlagen am ganzen Körper, ja sogar, wie ihm däuchte, in einem noch höheren Grade, als zur Stunde, wo er sich niedergelegt hatte. Mißmuthig stand er auf, warf sich in eine Morgenkleider und ging in’s Nebenzimmer. Bridget wartete hier bereits auf ihn mit dem Caffee. Er wünschte ihr einen guten Morgen, was er früher nie that und gestattete ihr sogar, ihren Caffee an seinem Tische zu trinken. Er selbst goß sich fast die halbe Tasse voll Cognac, rauchte eine sehr starke Figaro und las bald in Heinzen’s „Janus,“ bald zerkaute er einige Leitartikel im Bostoner „Investigator.“ Die New-Orleanser Zeitungen rührte er heute nicht an. Die Politik war ihm zum Eckel und ihr Feuilleton bot ihm nichts Interessantes dar. Eben wollte er den Vortrag Heinzen's in Columbus „die Revolution“ beginnen, als es an die Thüre pochte. Mit echt irischer Liebenswürdigkeit trat der Hausbesitzer herein. Albert sah kaum auf. Nur Bridget, die vor Green Ireland einen gewaltigen Respekt hatte, stand von ihrem Stuhle auf und bot

 

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ihn Mister Fitzpatrick an. Derselbe setzte sich auch gleich nieder, ohne viele Umstände zu machen. Das Gespräch drehte .. sich um die fatale Rente. Man kam mit Einander überein, daß ein gewisser Contrakt, den Albert mit Mister Fitzpatrick nur mündlich eingegangen hatte, schriftlich eine Sanktion erhalten sollte. Der Contrakt lautete dahin, daß ein Drittheil der schuldenden Rente, die bereits auf 195 Dollars angelaufen war, nach Verlauf des nächsten halben Jahres und die Balance sammt der stipulierten Prozente am selben Tage, an dem der Bau des neuen Customhauses zu seiner Vollendung gediehen sei, entrichtet werden sollte. Die Modification betreffs des Customhauses war von Albert in einem momentanen Anfluge von guter Laune beantragt worden und er dachte nicht im Entferntesten daran, daß die Fitzpatrick in allem Ernste aufnehmen und acceptieren werde. Mit der Balance hatte es demnach gute Weile und da der junge Architekt der festen Ueberzeugung war, daß er die Vollendung genannten Baues nicht mehr erleben werde, so ängstigte ihn dieselbe auch nicht, um so weniger, da er die Aussicht hatte, den ersten oder Semestral Termin pünktlich einhalten zu können. --
    Kaum hatte sich der gutmüthige Fitzpatrick entfernt, als unser Freund einen zweiten Besuch erhielt.

[LSZ - 1854.08.20]
    Derselbe war ein Spanier, einer der reichsten Cavaliere im dritten Distrikte, dessen Grundeigenthum einen Werth von nahe einer halben Million hatte. Albert, der zugleich auch als geschickter Surveyor bekannt war, sollte ihm nemlich einen Trakt Land, der an die Metairie Ridge grenzt, vermessen und zu diesem Behufe einen Plan verfertigen, für den ihm der Spanier mit Inbegriff der Vermessungs-Arbeiten die Summe von 450 Dollars zu geben versprach. Unserm Freunde kam dieses Anerbieten eben zur gelegenen Zeit. Denn das Letzte, was er hatte, gab er, wie wir wissen, dem Watchmann zur Befreiung des Büchsenspanners hin. Ein erklecklicher Vorschuß wurde daher nicht abgelehnt. Noch am nemlichen Tage unterwarf Albert seine schon eine geraume Zeit unthätig gewesenen Instrumente einer genauen Eramination und sah sich auch gleich nach zwei Personen um, die ihm Theodoliten, Meßtisch, Stäbe u.s.w. tragen sollten und auch beim Vermessen selbst als Gehilfen dienen konnten. -- Das war wieder eine Zeit der Thätigkeit und des praktischen Wirkens für Albert. Wollte er seine übernommene Arbeit nicht nachlässig durchführen, so muss er alle störenden Gedanken bei Seite werfen und sich

 

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überhaupt von Neuem in's Zeug werfen. Das hat er auch. Einmal daran gewöhnt, von dem höchsten Sinnenrausche ab und, wenn es nemlich wieder an Geld gebrach, auf den nüchternen Lebenserwerb überzuspringen, war es ihm ein Leichtes, seine Aufgabe mit der sichersten Prägnanz und der tadellose sten Ausführung zu Stande zu bringen. Schon am siebenten Tage seit dem Beginne einer Uebernahme hatte sein Portmonaie die bedeutungsvollste Phrase aus der Genesis: „Es werde Licht!“ realisiert. Der Weltengeist, als er seinen Ichthyosaurus, Plesiosaurus, Mesosaurus, Megalosaurus und die andern Urwelts-Monstra erschaffen, konnte nicht entzückter gewesen sein, als der junge Architect, als er sich wieder einmal vierhundert Dollars auf Einen Strich erworben hatte. Aber nach alter Ronéweise begann ihn wieder der Hafer zu stechen und der Alles befruchtenden Fluth sollte bald wieder eine sterile Ebbe folgen. Die erste Heldenthal, die unser Freund unternahm, war, daß er mehrere Nächte nacheinander auffremdem Terrain campierte, statt, wie es sich für einen ordentlichen, solid denkenden jungen Manne geziemt hätte, regelmäßig in sein eigenes Gehege zu fliegen, um auch als Wittwer seine Ehemanns -- Tugenden beizubehalten. Die Shellroad Mary? Ja, wenn er nur die wieder auffinden könnte, so lange er noch Geld in der Tasche hatte. Er hatte sie seit jener Nacht, als sie ihm ein paar Haare aus seinem schwarzen Schnurr barte gebissen hatte, nicht gesehen. Mit Männern sein Geld zu verspenden, fiel ihm jetzt nicht im Schlafe ein. Ein Mädchen sollte mitgenießen und unter allen New-Orleanser Mädchen, die im schlechten Rufe stehen, mußte es gerade die Shellroad Mary sein. Ihre grenzenlose Verdorbenheit, die sich mit einer wunderbaren Taille und unaussprechlich ernst-schönen Gesichtszügen paarte, war es allein, was er ersehnte und ihn fesseln konnte. Attische Nächte, Symposieren mit ihr verbunden, das war jetzt sein höchster Wunsch. Die Shellroad Mary wohnte vor noch nicht langer Zeit über die „Tollgate“ hinaus, wo die New-Orleans und Banking Canal-Company die Shellroad verschlagbaumt hatte. Daher auch ihr Name. Da hinaus ritt nun Albert eines schönen Tages, um eine classische Gespielin, die er, wenn sie ihn recht zufrieden stellte, seine leibhaftige Musarion nannte, auszukundschaften, und sie dann im Triumphe nach *** zu führen. Wen er aber nicht fand und auch nicht erfragen konnte, das war die Shellroad Mary. Einige sagten, sie sei über den River, wieder Andere,

 

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sie sei uber die Lake -- lauter Ortsbestimmungen, die wegen ihrer zu großen Allgemeinheit nicht die geringste Orientierung zuließen. Albert war wüthend. Als er wieder umkehrteüberschlug sich ein Pferd in der Nähe der Tolgate, was die schlimme Folge hatte, daß er sich die Rippenverletzte. Man brachte ihn un's Zollhäuschen, wo er liegen blieb, bis ein Arzt erschien, der ihn dann in einem Wagen nach der Stadt in seine Wohnung brachte. Der Fall vom Pferde erwies sich glücklicherweise nicht so folgenschwer, als der Arzt anfänglich befürchtete. Albert war bald wieder hergestellt und da er den Grundsatz hatte, einem Arzte nur die Hälfte seiner Forderung zu bezahlen, so war ein Beutel auch um nicht vieles leichter geworden. Am Tage seiner Genesung war Einem seiner besten Freunde mit dem nemlichen Pferde ein ähnliches Unglück wassiert. Er war ebenfalls gestürzt und hatte sich den Arm gebrochen. --
    Nun trat bei unserm Freunde eine neue Epoche ein. Aber nur ein Radius in seinem Lebenskreise veränderte sich; die Peripherie blieb die Nemliche. Bei einem Menschen, wie Albert, dessen ganzes Wesen in Befriedigung sinnlicher Genüsse aufging und dem es unerträglich schien, in Zeiten, wo er nicht nöthig hatte, seine Aufmerksamkeit auf materiellen Erwerb zu richten, nicht geliebt oder auch nicht enttäuscht zu werden, war es eine folgerichtige Erscheinung, daß er sich von Neuem verliebte. Diesmal traf es sich ganz sonderbar und es klingt fast wie ein Märchen aus Tausend und Einer Nacht, wenn wir hören müffen, daß sich Gott Amor eines Papageyen bediente, um unserm Freunde eine Neigung in's Herz zu pflanzen, die schon längst verschwunden und in endlose Ferne gerückt schien. Als Albert nemlich wieder so weit auf den Beinen war, um zu Fuß kleine Spaziergänge und Ausflüge unternehmen zu können, kam ihm plötzlich in den Sinn, nach Algiers hinüberzufahren, um von hier aus New-Orleans aufzunehmen, in einer Weise, die alle bisher erschienenen Productionen übertreffen sollte.

[LSZ - 1854.08.22]
    Er wählte zu diesem Behufe einen Punkt am jenseitigen Ufer, der so ziemlich in gerader Linie der Odd Fellows' Hall gegenüber lag, um von hier aus seine Perspektive einzurichten. Bei einem solchen Verfahren mußte jener Theil unserer Stadt, der sich von jenseitigem Ufer aus zwischen St. Patrick Church und der Cathedrale einerseits und zwischen Patrick's Church und dem Annunciation Square andrerseits präsentiert, in vollem

 

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Lichte erscheinen, das durch die im Vordergrunde aufftrebenden Schlote der Dampfboote in partiellen Strichen getrübt wird; während die dritte Municipalität und Lafayette nach beiden Seiten hin sich in einen dichten Mastenwald verziehen. Der Gedanke war glücklich, ja selbst der Himmel schien dazu beitragen zu wollen, das Werk des Künstlers zu begünstigen. Nur mit einer kleinen Mappe unter dem Arm bestieg Albert an Canalstreet-Landing das Ferryboot. Drüben angekommen wandte sich der junge Architekt rechts, ging ungefähr fünfzig Schritte dem Damme entlang und ließ sich dann an dem von ihm bestimmten Platze nieder. Ein schräg über dem Damme liegender Baumstamm kam ihm trefflich zu Statten, um seine Mappe aufzulegen. Einen Regenschirm, den er mitgenommen, um sich später gegen die Strahlen der Sonne zu schützen, hatte er hinter sich in den weichen Boden gepflanzt. So saß er da, wie das Schattenbild eines wandernden Künstlers aus der alten Heimath. -- Es war ein herrlicher Morgen. Die Rosse des Sonnengottes wieherten vor Wollust hell auf, als eine über sie hinstreichende Golfbrise ihre schimmernden Lenden küßte ; sie zerstampften mit rubinrothem Hufe die Propyläen des jungen Morgens und trieben die geflockten Scirruswölkchen weit auseinander. O herrliches Schauspiel, wenn Helios seine ersten Strahlen auf eine Künstlerhand sendet! Die Kuppel von Odd Fellows's Hall ist in feenhafte Glut getaucht und weiter ab von St.Charles Street herüber schimmert das Auge Gottes und ober ihm Winkel und Cirkel. Dieser Schimmer kommt von der Freimaurerhalle, deren Façade jeden neuen Morgen durch den Engpaß von Commercial Alley bricht, aber wenn die Sonne dem Westen zueilt, wieder verschwindet. -- In solchen Momenten spuckt Gott Amor am liebsten. --
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho -- nix versteh',“ hörte unser Freund plötzlich eine Stimme, die ihm von so nahe zu kommen schien, daß er unmöglich unterlassen konnte, sich nach dem odiösen Störenfried umzuschauen,
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho -- wie befinden sich Frida und Jenny?“ fuhr der oder die Unbekannte weiter, denn die Stimme hing zwischen Männchen und Weibchen in der Schwebe. Man hätte daher eben so gut schwören können, es sei eine männliche, als eine weibliche Stimme gewesen,
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho; hast Du denn Jenny so ganz vergessen -- -- ho, ho, ho, Sennor Caballero, Deine Jenny liebt Dich von Herzen, mit Schmerzen -- --“

 

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    „Schurke!“ rief der junge Architekt erzürnt und warf den ganzen Künstlerapparat zu Boden. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte aber Niemanden erblicken. Daß er etwas genauer in den dunklen Schatten einer nicht weit von ihm stehenden Cypresse gesehen hätte, war ihm nicht eingefallen.
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho; Deine Jenny liebt Dich von Herzen, mit Schmerzen -- --“
    „Es ist zum Tollwerden!“ raste Albert und sah sich fast die Augen aus. --
    Unsere schönen Leserinnen haben den Schelm im Cypres fenbaum sicher schon erkannt. Es war in der That. Niemand anders, als das geschwätzige Papchen aus dem wunderlieben Häuschen. Dasselbe hatte die Abwesenheit der beiden Schwestern benützt, ihr Vertrauen, das es seit einiger Zeit frei herum streichen ließ, auf eine schnöde Weise zu mißbrauchen, indem es sich in eine ihm verbotene Region wagte. Hier im tiefsten Schatten der Cypressenzweige saß nun das Papchen die ganze liebe Nacht hindurch ganz seelenvergnügt und heiter und schnappte von Zeit zu Zeit nach den Rüsselkäfern und hin und wieder herumziehenden Raupen. Es hatte den jungen Architekten wahrscheinlich schon erkannt, als derselbe sich dem Orte nahte, wo er sich soeben niedergelassen hatte. Als derselbe nun mit einem Zeichnen beginnen wollte, fand es das Papchen für gut, den jungen Künstler zu stören und ihm Fragen vorzuwerfen und Behauptungen aufzustellen, die ihm, dem Papchen, Jenny in ihrer grenzenlosen Schwärmerei für Emil angelernt hatte. Unverantwortlich ist es aber immerhin, daß der Vogel ein solches Plagiat beging und unsern Freund hiemit so außer aller Fassung brachte.
    Man sieht, daß Papchen kein kleiner Schelm war.
    „Sennor Caballero,“ wollte der bunt gefiederte Racker von Neuem seiner Suade freien Lauf lassen. Aber Albert hatte ihn fast im nemlichen Augenblicke erspäht und war schnell an die Cypresse getreten, wo er ihn mit raschem Griffe auch glücklich einfing. Papchen ließ sich die so unerwartet gekommene Arretierung nicht so leicht gefallen. Es schlug mit den Flügeln, hackte mit dem Schnabel nach den Händen unseres Freundes und gab sich überhaupt alle nur erdenkliche Mühe, seinen Unmuth fühlen zu lassen. Aber es half nichts und der Delinquent mußte gehorchen. Grimmig kollerte er mit seiner dicken Zunge, aber er sprach kein Wort. --
    Albert, der seit jener Zeit, wo er Vetter Karl bei den

 

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Schwestern traf, sich nicht mehr in Algiers erblicken ließ, faßte jetzt den Entschluß, das eingefangene und jedenfalls auf unerlaubte Weise entwischte Papchen denselben zurückzubringen, um auf diese Weise vielleicht wieder ein näheres Verhältniß, das er durch ein unbegründetes und wahrhaft unsinniges Schmollen verzogen hatte, anzuknüpfen.
[LSZ - 1854.08.23]
    So etwas mußte in ihm vorgehen, sonst hätte er in seiner Zerstreuung nicht seine Mappe sammt Zubehör, sowie einen Regenschirm zurückgelassen. Lassen wir ihn nun mit Papchen dem wohnlichen Asylum der beiden Schwestern zueilen und sehen wir uns nach diesen selbst um. Jenny und Frida, die das Verschwinden des Papageien bald gewahr wurden, hatten, in der Absicht, denselben aufzusuchen, einen ziemlich weiten Spaziergang gewagt und waren, als Albert kaum einige Minuten entfernt war, an der nemlichen Stelle angelangt, wo der selbe seine Sachen zurückließ. Frida, die ein kleines Etwas von dem besaß, was gewöhnliche Menschen Neugierde nennen, konnte den Künstlerapparat nicht ruhig am Boden liegen sehen, ohne ihn eines mehr als gleichgültigen Blickes zu würdigen. Dies that sie aber, nachdem sie die Ueberzeugung er langt hatte, daß außer ihrer Schwester sonst Niemand in der Nähe war. Eine wiederholte Recognoscierung der nächsten Umgebung ließ sie es wagen, die schöne Hand an die Mappe zu legen. Doch auf's Höchste überrascht zog sie dieselbe bald wieder zurück, indem sie, sich dabei zu Jenny wendend, ausrief: „Mein Gott, errathe Schwester, wem wir hier auf der Spur sind?“ „Schwesterchen, erschrecke mich nicht, wem sollen wir denn auf der Spur sein? Fasse um's Himmelswillen diese fremden Sachen nicht an -- wenn Dich der Eigenthümerge sehen hätte?“ fuhr Jenny aus ihrer Schwärmerei plötzlich auf; denn sie hatte die ganze Zeit über an etwas ganz Ande res, als an das Papchen gedacht und that nur so dergleichen, als ob sie mithelfe zu suchen -- um Frida nicht zu betrüben. „Dem dies hier gehört,“ entgegnete die finnige Blondine, werden wir nicht Rede zu stehen haben -- -- doch sieh' nur her, liebes Schwesterchen, was unten in der Ecke des Umschlages für ein Namen steht -- -- sieh', sieh', Albert R*.“ „Albert? mein Gott, das ist sonderbar genug!“ versetzte Jenny. „Wir nehmen die Sachen mit nach Hause -- er kann sie dann abholen,“ meinte Frida. „Ja, das wollen wir thun,“ fiel Jenny ein. „Doch, wer weiß, ob wir ihn nicht schon zu Hause treffen, mir ahnt so etwas.“ „Dann desto besser, meine Frida,

 

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wir werden ihm wegen seiner Unart, uns so lange Zeit nicht mehr besucht zu haben, die Sachen behalten. Er mag sie wie der einlösen, wenn er Abbitte thut und uns verspricht, seine Freundinnen nicht mehr zu vernachlässigen.“ „Ja, das wol len wir thun.“ -- Frida zog den Regenschirm aus dem schlammigen Boden, Jenny nahm die Mappe fammt Zubehör unter den Arm und so gingen Beide, sich hie und da umsehend, ihrer friedlichen Wohnung zu. Papchen schienen sie ganz vergessen zu haben. Nicht so Papchen. Als die Schwestern die Gartenthüre öffneten und die an derselben befindliche Schelle verrieth, daß Jemand eintrat, hörten sie zu ihrem größten Erstau nen von einem Magnoliabaume herab die bekannte Weise: „Ho, ho, ho -- nix versteh’. Wie befinden sich Jenny und Frida?“ Papchen war es nemlich gelungen, aus den Händen Albert's zu entwischen, als er mit ihm bereits bis an die Fronttreppe gekommen war. Da es Albert schon öfters vergeblich versucht hatte, ihn einzubekommen, so suchte er Tiberius auf, der ihn beim Einfangen unterstutzen sollte. Von ihm hörte er auch gleich, daß die Damen abwesend waren und nach Pap chen suchten. Eben kam er mit Tiberius zurück. Albert blieb verdutzt stehen, als er die Damen mit seiner Mappe und dem Regenschirm, unter dem Magnoliabckm, auf dem Papchen saß, stehen sah. Jenny hatte ihn kaum erblickt, als sie ihm zurief: „Sehen Sie, welch' sonderbarer Fund! Wir gingen aus, um unser Papchen zu suchen und fanden statt einer einen Regenschirm und eine Künstlermappe.“ „Und ich,“ versetzte Albert gefaßt und trat mit seinem Hute in der Hand näher, „ich ging aus als Künstler und kam als Papagei zurück -- -- ich habe. Ihr werthes Papchen eingefangen, aber hier ist es mir leider wieder entwischt!“ „Sie waren in der That der glück liche Finder, Herr R*?“ begegnete Frida. „Und Sie vergaßen über Papchen Regenschirm und Mappe?“ frug Jenny in einem Tone, der dem jungen Architekten eine heitere Miene ab gewann. Unter derlei Austauschung ging man, Alle und Alles zusammen, nemlich Frida, Jenny, Albert, Papchen -- das der kleine Tiberius schnell eingefangen hatte, -- Mappe und Regenschirm in's wunderliebe Häuschen. Unser Freund, der wegen eines so langen Wegbleibens eine harte Strafpredigt er wartet hatte,war nicht wenig betroffen, als man jede Anspie lung auf seinen so lange hinausgeschobenen Besuch vollständig vermied und eine Unterredung anspann, die eben so ernst, als nützlich und gut gemeint war. Frida sprach vom Leben in den

 

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westlichen Staaten, erhob dieselben über alle Sclavenstaaten und meinte zuletzt, daß mancher junge, thatkräftige Mann, dessen Thätigkeit im ermattenden Klima des Südens mit der Zeit erliege, im schönen Illinois, Iowa oder Wisconsin, mit Riesenschritten der so ehrenvollen Laufbahn, ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden, entgegenschreiten könne. Jenny hatte gegen die Behauptung ihrer Schwester zwar nichts speciell einzuwenden, aber sie meinte nur im Allgemeinen, daß es in den Vereinigten Staaten allenthalb gleich sei, möge man nun im Süden oder Westen wohnen. Die Menschen seien hier überall die nemlichen, allenthalben habe das Geld und der schmutzigste Krämergeist den Vorrang vor den geistigen Vorzü gen, vor den Schönheiten der Seele und des Herzens. Zudem würde der, der im Süden nicht zur Erlangung eines sich vorgesteckten Zieles kommen könnte, es auch im Westen umsonst versuchen. -- Albert lächelte der Definition Jenny's zufrieden bei, da er hierin unzweideutig ausgesprochen fand, daß Er selbst dem Süden ja nicht untreu werden sollte, so lange noch unter dem Schatten seiner Magnolien und Lila"s die Freundin aus dem wunderlieben Häuschen wandelte.
[LSZ - 1854.08.24]
    Albert neigte nach bilen Seiten seine Meinung hin, um Keiner von den Schwestern den Vorzug zu geben. Bei einer weitern, doch sehr gelinden Opposition von Seiten Jenny's, berief sich Frida auf einen vor noch nicht langer Zeit aus dem Westen erhaltenen Brief, der um so mehr als authentische Quelle von ihr benützt zu werden verdiente, als er von einem Manne kam, vor dem sie stets die höchste Achtung hegte und der selbst in den Augen ihrer Schwester Jenny einen gewissen Refler empfing. Hier ist der Brief

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Fünftes Kapitel.

Ein Brief aus dem Westen oder
die Stimme eines Freundes
aus Highland.


    „Meine gnädigen Gräfinnen! Als mir vor dritthalb Jahren die Ehre zu Theil wurde, Ihnen von Sr. königl. Hoheit, dem Prinzen Paul von Würtemberg vorgestellt

 

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zu werden, erkannte ich in Ihnen gleich jene freundliche und edle Gesinnung, die Sie an mir seit jener Zeit so oft bewährten. Wie oft zerriß ich Briefe, die ich mit der äußersten Sorgfalt geschrieben hatte, blos, weil ich fürchtete, sie möchten Langeweile erregen und somit nicht werth fein, beantwortet zu werden. Im Gegentheile fand ich stets eine zarte Berücksichtigung und habe bis jetzt noch immer die Freude erlebt, alle meine an Sie, meine gnädigen Comtessen, gerichteten Zeilen auf's Schonendste berücksichtigt und getreu beantwortet zu sehen. Sie haben mir früher freundschaftlichstgestattet, Ihnen Vieles von St.Louis und seinen schönen Umgebungen zu erzählen; lassen Sie sich nun diesmal von dem stillen, friedlichen Wachsthum eines kleinen Landstädtchens in Illinois, meiner jetzigen Heimath, unterhalten. Erwarten Sie, besonders Gräfin Jenny, keine Rückblicke aufdie alte Heimath, mit der ich ein für Allemal gebrochen habe. Bietet ja der Blick nach den menschen überfüllten Wüsten Europa"s ohnehin des Traurigen so viel, daß man ihn gerne abwendet und was giebt es Lieblicheres und Trostreicheres, als das schöne Bild unseres großen Malers Kaulbach, auf dem wir mit einem Blicke die Zerstörung Jerusalem's und ganz im Vordergrunde den Auszug der heiligen Familie, die Hoffnung der Welt, erschauen Wie schnell ist auch für mich Deutschland zum Hintergrunde geworden! Ja, das beweist mir aufs Neue die Unendlichkeit der Natur, und das gewaltige Uebergewicht des Schöpfungs triebes über die zerstörliche Richtung. Deutschland, wie über haupt ganz Europa, geht rasch seinem Untergange zu, aber zehnmal rascher eilt das junge Amerika seiner Zukunft entge gen. -- Was mich so ganz besonders freut, und was in mir einen so hohen Glauben an die Zukunft dieses Landes erweckt, ist die Bemerkung, daß in den Anfängen, in der Entstehungs Geschichte dieser Ansiedelungen durchaus nichts Mythisches, ja nicht einmal etwas Romantisches liegt. Von einem Kindes zeitalter des Staates oder der Gemeinde weiß man hier nichts; die Organisationen, selbst die kleinsten, beginnen im Zeitalter der Reife, des praktischen Bewußtseins, der Manneskraft. Nirgends ein wunderbarer Ursprung oder helldunkle Zusam menhänge; alles, was ist und wird, verdankt seine Eristenz den Männern mit ihren Aerten, mit ihren Zugthieren und Ackergeräthschaften. Da hat kein Teufel eine Brücke geschlagen, und zum Lohn dafür den ersten Hahn gefressen, der darü berlief, sondern Mister Sound. So haben sie etwa vier

 

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zehn Tagen aufgeschlagen; da verdankt eine Kirche ihren Ur sprung nicht der gnadenreichen Mariahülfe, oder wenn's gut kommt, den geheimnißvollen Künsten und Kräften der Frei maurerei, sondern sie ist gerade so gebaut und mit denselben Mitteln hergestellt, wie ein anderes Haus auch. Mit einem Worte, hier ist von Romantik keine Rede; hier ist die Jugend Manneskraft, und wenn es so fortgeht, muß dies Land einst von Riesen bewohnt werden. Sind doch die Kühe und Pferde hier so klug und so civilisiert, wie die Bauern in Pommern und Brandenburg -- was Wunder, daß es hier der einfache Mensch mit seinen primitiven Fähigkeiten, mitdem erfahrenen, gelehrten und langjährig erprobten deutschen Landwirth, Rich ter oder Baumeister aufnimmt. Hier in Highland z.B. wird vollkommene Gerechtigkeit geübt, und doch hat unser Esquire Suppiger weder fünf Jahre auf einer Universität vertrunken und vertrödelt, noch ist es der Regierung eingefallen, ihn vor her fünf Jahre praktizieren zu lassen, ehe er für befähigt erach tet wurde, in sein Amt einzutreten. Mein Gott, wie einfach kann man Alles machen, wenn man kein Interesse, keine Wu cherzinsen aus den Verwicklungen zieht. -- Doch ich komme zu meinem Highland - nomen et"omen; möge es recht vielen bedrückten Familien Deutschlands noch zum Heilande werden! Unser Highlad gedeiht in physischer, wie in moralischer Bezie hung. Fast mit jedem Tage mehren sich die Capitalien durch herankommende wohlhabende Familien und die Arbeitskräfte fleißiger Hände, und hätte die Cholera nicht so schlimm hier gehaust, so zählten wir wohl statt eines Dutzend ein halb hun dert neuer Häuser in der Stadt. Der Werth des Bodens nimmtzu, denn die nächste Umgebung wird täglich mehr besettelt und der anglogermanische Stamm verläugnet auch hier seine paidopoietische (kindererzeugende) Kraft nicht. Besonders hat sich seit Jahresfrist eine nicht unbedeutende französissche Bevölkerungangesiedelt.
[LSZ - 1854.08.25]
    „Sie besteht theils aus Arbeitern, zum größten Theil aber aus Leuten der gebildeteren, wohlhabenden. Classe, die sich je doch ausschließlich dem Landbau zuwendet. Was uns unter solchen Umständen fehlt, ist weiter nichts, als ein Paar mit Umsicht geleitete und mit Geldmittel wohlausgestattete Fabriken, wodurch den Landesprodukten ein näherer, weniger mühevoller Absatzzweig eröffnet wird, als der Markt in St.Louis.
    Eingeborene Amerikaner ziehen für solche Geschäfte die großen Städte vor und der ankommende Europäer und vorzüglich

 

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der Deutsche findet sich wirklich so ermüdet, so erschlafft von dem europäischen Geschäftsleben, daß er sich lieber dem weni ger einträglichen Landbau zuwendet, als daß er seine Mittel und Kräfte industriellen Beschäftigungen zuwendete. Wüßte er, wie viel leichter es ist, wie viel weniger gefahrvoll als in Deutschland, wie viel gewinnbringender, er würde zum eignen und des Landes Vortheil die trügerische Ruhe des Farmerlebens oft mit der schöpfungsfreudigen Thätigkeit eines industriellen Betriebes vertauschen. Doch hier nützen Belehrungen nichts; das ist allein Sache der Zeit.-- Aber auch in moralischer Beziehung gewinnt unsere Bevölkerung zusehends. Zuerst hat sich ganz vor Kurzem eine Lesegesellschaft oder Casino gebildet, zu welchem jedem unbescholtenen Bürger der Zutritt offen steht. Wir halten achtzehn verschiedene deutsche, französische, englische und amerikanische -- theils wissenschaftliche, theils politische Blätter, und haben den Grund zu einer Stadtbibliothek gelegt. Mit dem Wachsthum des Städtchens wird sich auch die junge Anstalt entfalten und hoffentlich schönere Früchte geselliger Einigung tragen, als die religiös thuende Sektirerei. Leider haben wir hier in Highland keine einzige ordentliche Schule, aber zwei oder mehr Zwietracht brütende Kirchen. Leider hat man, um den plumpen abergläubischen Bauern aus dem Odenwalde hierher zu locken, drei Kirchen gebaut, während man dafür Sorgen tragen mußte, daß den braven Bewohnern unseres Ortes Gelegenheit gegeben würde, ihre Kinder lesen und schreiben zu lehren. Leider zieht man es vor, uns alle Jahr einen anderen tagediebischen Störenfried der christlichen Mildthätigkeit als Prediger des Wortes Gottes aufzuhalten, als daß man es versuchte, einen tüchtigen Lehrer der Jugend zu bestellen. -- --“
    Den Schluß des Briefes umgehen wir, da er weiter Nichts für den geneigten Leser Interessantes enthält. Statt der vollen Namensunterschrift standen nur die Initialen: C.B.B. und unter denselben zur Linken: Highland, Madison County, Ill., April 1852. -- -- --
    Frida hatte den Brief beendet. Sie wendete sich an Albert: „Nun, wie gefällt Ihnen dieser Brief?“ Albert schien zu zö gern oder doch wenigstens mit einer aufrichtigen Antwort zu rückzuhalten. Frida bemerkte es. „Sagen Sie ganz unum wunden und offen,“ sagte sie weiter, „wie gefällt Ihnen dieser Brief? Wie gefallen Ihnen die Ansichten unseres Freundes im Westen?“ Statt der Antwort wendete sich Albert nun

 

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selbst mit einer Frage an die beiden Schwestern, doch schien dieselbe vorzüglich an Jenny gerichtet zu sein: „Bitte, meine Damen, wie gefällt Ihnen dieser Brief?“ „Mir vorzüglich.“ fiel Frida gleich ein; ich finde in ihm einen gesunden praktischen Sinn ausgesprochen und erkenne in seinem Style noch. immer jenen Mann, als welchen uns ihn vor drittehalb Jahren der Prinz vorgestellt hat.“
    „Ich achte und schätze Jedermanns Ansichten, wenn sie aus wirklicher Ueberzeugung proffen,“ begegnete Jenny. „Unser Freund mag bei sich die Art und Weise, wie er die Verhältnisse in der neuen Welt auffaßt, rechtfertigen können, dagegen habe ich nichts einzuwenden; daß er aber unser Deutschland dabei so weit in den Hintergrund stellt und über sein eigenes Vater land die Geißel der Satyre und bittern Ironie schwingt, will mir nicht recht gefallen. Er freut sich, daß von Romantik in diesem Lande keine Rede ist, und ist förmlich entzückt darüber, daß hier nur der nüchterne Verstand und die rohe Arbeitskraft dominiere und den Ton angebe. Er will sogar dem Farmer seine idyllische Ruhe nicht gönnen und ermuthigt ihn, sich der mehr gewinnbringenden Industrie, dem Fabrikwesen zuzuwen den. Eine solche Ermuthigung ist, ziemlich gelind ausgespro chen, ein Diebstahl an dem Herzen eines Jeden, dessen Capital sein Gemüth ist, und nicht eine auf schmutzige Interessen hin auslaufende Anstalt. Mit dem Fabrikwesen mögen sich die jenigen befassen, welche im Staube der Comptoirs und Magazine auferzogen und herangebildet sind, und denen jede höhere geistige Bildung fremd ist; die keine Ahnung davon besitzen, daß es noch qndere Regionen auf dieser Erde gibt, in denen sich Herz und Gemüth erwärmt und erfreut. „An der Romantik des Völkerlebens ranken die Blüthen der Künste und Wissenschaften empor, und ein Land, durchdefen Wälder, Wiesen und Berge sich nicht der sanfte Faden der Romantik windet, mag wohl zum Sattessen gut sein, aber das Herz muß in ihm verhungern und Geist und Gemüth verkümmern.“
    Jenny schwieg und schien auf eine Entgegnung gefaßt zu sein. Frida, die, wie wir wissen, ganz anderer Meinung war, als ihre Schwester, wandte sich nun an Albert, der Jen mys Worten mit der größten Aufmerksamkeit zugehört hatte:
    „Nun ist es an Ihnen, mein Freund, Ihr Urtheil über den Brief abzugeben -- nun sagen Sie endlich, wie gefällt er Ihnen?“
    „Wenn ich aufrichtig gestehen soll und nicht befürchten

 

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muß, von Ihnen ausgescholten zu werden, -- so kann ich nur mit einer Verneinung ihrem Wunsche, meine Meinung auszusprechen, entgegen kommen!“ versetzte Albert.
    „Da seht mir!“ rief Frida aus.

[LSZ - 1854.08.26]
    „Albert!“ hob Jenny ihren Zeigefinger empor. Frida sah auf ihre Schwester und dann auf Albert; Albert auf. Beide im selben Momente.
    Hatte sich Jenny selbst verrathen? Diese Drohung mit dem Ausrufe: Albert! Warum nicht mein Freund? oder Herr R.? wie nach herkömmlicher Sitte. Soll das Bild Emil’s, der noch immer der Abgott ihres Herzens war, vor einem andern verschwinden? Oder ließ irgend ein Naturspiel in Albert eine Aehnlichkeit herausfühlen?
    Es ist wenigstens wahrscheinlich,
    Albert, der von demselben sympathetischen Zauber ergriffen war, verbarg seine Verlegenheit in einer posthunalen Antwort: „Der Brief wäre etwas für Ihren werthen Cousin, meine Damen. Ganz seine Ansichten!“
    „Da haben Sie recht,“ mein Freund, sagte Frida. „Ich habe ihn ihm vorgelesen, ehe er nach St.Louis ging.“
    „Ist denn Ihr werther Cousin abgereist?“ frug Albert erstaunt; innerlich erfreut.
    „Das wissen Sie nicht Herr R.? Sie wissen es doch -- verstellen Sie sich nicht,“ sagten beide Schwestern zu gleicher Zeit.
    „Gewiß, ich wußte es nicht,“ erwiederte Albert, „wir haben uns überhaupt sehr lange Zeit nicht mehr gesehen.“
    „Und wir Sie auch nicht,“ bemerkte diesmal etwas spitzig Frida, denn sie mochte wohl eingesehen haben, daß der junge Architekt nicht ohne Absicht Vetter Karln aufs Tapet brachte.
    „Und sprach denn Ihr Cousin die nemliche Ansicht über den Brief aus dem Westen aus, wie Sie, meine liebe Freundin?“ fing Albert noch einmal von vorne an, zu Frida gewendet.
    „Unsere Begriffe von Amerika stimmen so ziemlich überein,“ antwortete die Blondine,
    „So viel ich mir noch erinnern kann, hatten Sie früher ganz andere Ansichten. Die alte Heimath ging Ihnen über Alles und die Romantik liebten Sie wie eine Mutter ihr Kind.“
    „Früher, ja.“
    „Das ist Vetter Karl's Einfluß,“ bemerkte Jenny, die indessen eine Filéarbeit vorgenommen hatte. „Vetter Karl ist ein sehr guter und braver Mann, immer freundlich und guter Dinge. Ich liebe und achte ihn von ganzem Herzen -- aber er

 

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ist zu eigensinnig in seinem einmal vorgefaßten Urtheile. Ich kann gerade nicht sagen, daß er die Romantik hasse, und auf die Poesie einen Stein werfe, aber er spricht darüber nicht, wie sich's für einen gefühlvollen Mann gebührt. Er webt und lebt nicht in ihr.“
    „Brechen wir hiervon ab, meine gute Jenny,“ sagte Frida, „und wollen wir unserm Freunde lieber ein Versprechen in's Gedächtniß zurückrufen, das er uns vor ungefähr einem Jahre gegeben und wahrscheinlich bis jetzt noch nicht gehalten hat.“ Der junge Architekt stutzte. Jenny schien sich auf Etwas besinnen zu wollen.
    „Nun, liebes Schwesterchen, weißt Du nicht mehr?“ frug die Blondine.
    „Ich kann mir dessen nicht mehr erinnern.“
    „Sie auch nicht mehr, mein Freund?“
    „Daß ich irgendein Versprechen gegeben hätte, von dem Sie, vermuthen, daß es von mir nicht gehalten worden ist -- wüßte ich in der That nicht.“
    „Wissen Sie aber noch, welche böse Launen Sie damals öfter plagten? Und können Sie sich nicht mehr entsinnen, welches heilsame Mittel meine Schwester Jenny und ich Ihnen empfohlen hatten?“
    „Ich glaube es jetzt zu wissen --“ erwiederte Albert, „aber ich hielt es damals für Scherz, da Sie wohl wußten, welche Abneigung ich gegen alle Affociationen hegte.“
    „Odas!“ rief Jenny lebhaft aus. „O richtig, das ist es!“
    „Und nun, mein Freund, wie steht's mit Ihrem Versprechen?“ fuhr die Blondine wieder fort.
    „Ich habe Ihnen ja schon gesagt, meine Freundin, daß ich Ihren guten Rath als Spaß annahm und darnach auch mein Worthalten berechnet habe,“ betheuerte der Architekt.
    „Schön wäre es aber doch gewesen, wenn Sie aus Spaß Ihren Freundinnen zu lieb, eben weil Sie glaubten, daß es nicht ernstlich gemeint sei, Ihrem Versprechen nachgekommen wären.“
    „Nun, davon will ich nichts sagen,“ entgegnete Jenny auf die Worte ihrer Schwester, „aber würde unser Freund jetzt sein Versprechen halten, wenn wir ihn ernstlich bäten, sich in eine Feuermanns-Compagnie aufnehmen zu lassen?“
    „Das will ich!“ rief der junge Architekt aus, nur etwas zu begeistert, daß es Jenny fast nicht recht war. „Ja, das will ich!“ wiederholte er noch einmal, jedoch etwas überlegter:

 

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„ich hoffe aber, daß mir dann meine verjährte Sünde vergeben ist.“
    „Sie soll Ihnen vergeben sein,wenn Sie diesmal Ihr uns gegebenes Wort einlösen werden,“ sagte Frida und reichte unserem Freunde die zarte Hand. Das Nemliche that Jenny, aber mit mehr Wärme und einem nur für Albert bemerkbaren Druck. --
    „Also das nächste Mal begrüßen wir Sie als Feuermann,“ sagte Jenny zu unserm Freunde, als sie denselben mit ihrer Schwester bis in den Corridor begleitete, beim Abschiede. „Die Feuerkompagnieen sind noch die einzige Association, vor der ich Achtung hege, weil es bei ihnen nicht auf eine bloße Ostentation hinausgeht, wie bei gewissen Vereinen unserer Stadt. Während die Feuermanns-Association ein hohes edles Ziel im Auge hat, nemlich das Leben und Gut ihrer Mitmenschen vor einem sonst unvermeidlichen Untergange zu retten; während bei ihr persönlicher Muth und Unerschrokkenheit bei der augenscheinlichsten Lebensgefahr, die That an der Tagesordnung ist; läßt man es bei gewissen anderen Ver einen beim Reden, bei Prahlereien und Schwadronieren, und wenn je einmal eine That erforderlich ist, stieben die Her ren auseinander; denn sie hatten zwar Worte, aber keinen persönlichen Muth. Sie bringen zwar um mit der Feder; sind aber zu feige, nur den Hahn einer Pistole zu spannen.“ --

[LSZ - 1854.08.27]

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Sechstes Kapitel.

Das Gestaendniss.

     Wir spinnen jetzt wieder da weiter, wo wir die beiden Schwestern so erfreut sahen, als der junge Architekt in der Uniform der erwähnten Compagnie eintrat. Der Ueberraschung haben wir bereits erwähnt, sowie der entzückten Entgegennahme eines einleitenden Gespräches.
    Der Mittagstisch war abgeräumt und man begab sich in ein Cabinet, das zur Seite des Drawingroom sich befand, und zu der Zeit, wo Frida's Gatte noch gegenwärtig war, von dem selben als Studierzimmer oder vielmehr zum Sietahalten benützt wurde. So klein dies Cabinet, dessen einziges Fenster eine herrliche Aussicht auf die umliegenden Plantagen eröffnete, auch war, so war es dennoch nichts weniger als einfach möbliert. Echte italienische Tapeten von silbergrauem Wasserteint, an

 

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Dielen und Plafond mit purpurrothem aufgeworfenen Sammet durchzogen, bildeten ein zwar wenig prunkvolles aber höchst nobles Quartre-Ensemble. Ringsum an den Wänden hingen die Porträts beruhmter Pferde, unter denen Eines, der „Black Prince“ besonders ins Auge fiel. Derselbe war in einen schweren goldenen Rahmen eingefangen, auf defem obern Rande eine kleine, höchst zierliche Reitpeitsche lag, mit feiner goldener Umarmung. Auf dem Mantel des Kamins selbst standen zwei Pferdebüften, von denen in der Einen Lady Wilmington nicht zu verkennen war. Diese Büste hatte der Ungar als Hula renoffizier in Effek von einem durchreisenden Engländer gegen Umtausch eines Neufundländer Hundes erhalten. Neben ei nem Bücherschranke, dessen Glasthüren von grünseidenen Vorhängen verdeckt waren, hing ein Gewehrmec effäre, über das ein hirschledernes Futteral gezogen war. Das Sopha stand vor dem Fenster, war ganz schwarz und mit kleinen silbernen Stiften geziert. Dieses sowie eine ganze Fagon erinnert gleich an das Meublement ungarischer Adels-Familien. Auf dieses Sopha ließen sich Jenny und Frida nun nieder. Den Architekten hatten sie in die Mitte genommen, trotz allen Widerstre bens von seiner Seite aus. Derselbe wollte sich nemlich den Schwestern gegenüber in einen Schaukelstuhl setzen, da er aus Erfahrung wissen mochte, daß es für die Ruhe des Herzens ersprießlicher sei, Damen gegenüber, als mitten drin zu sitzen. Und dann ist das vis-à-vis in manchen Fällen auch hübscher, als das Nebeneinander. Dieser Behauptung pflichtet sogar Voltaire bei. Auch Abbé Chaulieu begünstigt sie. --
    Frida, die ihre Unterrichtsstunde durchaus nicht versäumen wollte, ohne ganz triftige Gründe anführen zu können, ließ unsern Freund sehr bald mit Jenny allein. Vorher hatte sie noch den Criminalfall mit Tiberius und der wackern Köchin zum Besten gegeben und es wurde herzlich darüber gelacht Insbesondere brachte die Cistern-Affaire unsern so ernst gestimmten Freund, wenigstens für einige Augenblicke, in eine sehr erheiterte Stimmung. Der Bekenntnisse Urschl’s, betreffs der unablässigen Nachstellungen des kleinen Tiberius konnte natür lich keine Erwähnung geschehen. Jenny zürnte im Stillen über ihre Schwester, daß dieselbe sie so ohne alle Bedenklichkeiten mit dem jungen Mann allein lassen konnte, statt sie zu ermahnen, ihre Pianostunden pünktlich einzuhalten. Wahrscheinlich hielt es die Blondine für gut, daß ihre Schwester einmal wieder ihr Herz einem Freunde ausschütten könne; denn daß er

 

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ihr und sie ihm Freund war, glaubte sie nicht bezweifeln zu dürfen. Das bewies die Liebe und der Enthusiasmus Jenny's für Feuerleute, -- weil auch ihr Emil einst einer Compagnie beigezählt war. Es ist so schwer, die Launen des weiblichen Herzens zu ergründen; unmöglich, wenn diese Launen sich in’s Gewand der Liebe kleiden.
    Als Frida weggegangen war, erhob sich Jenny von ihrem Sitze auf dem Sopha und ging auf den Bucherschrank zu.
    Den Architekten riß dieser wohlbedachte Schritt Jenny's aus einer kleinen Verlegenheit, der er trotz seines sich sonst zeigenden aalglatten Benehmens sicher nicht entgangen wäre, wenn Jenny auf den ersten Anflug von seiner Seite aus hätte warten müssen. Einen langen schmachtenden Blick richtete er auf seine Freundin, die, ihm den Rücken zugekehrt, vor dem geöffneten Bücherschranke stand.
    „Sie werden mich wohl mit einer seltenen Lektüre überrachen, liebe Freundin?“ fragte er.
    „Das nicht; aber mit einer sehr seltenen Sammlung von Stahlstichen,“ entgegnete jene und zog eine sehr lange, aber schmale Mappe aus einem Bücherstoße hervor, in dem sie bisher eingeklemmt lag.
    Der junge Architekt stand vom Sopha auf und trat auf Jenny zu, der er mit liebenswürdiger Grazie, fast zu graziös für einen Mann, die Mappe aus der Hand und sie mit sich auf den vorher eingenommenen Sitz nahm.
    Jenny nahm mit einer geschickten Wendung neben der Seite ihres Freundes Platz und als derselbe die Mappe öffnen wollte, so legte sie ihre beiden Hände darauf, um ihn so daran zu verhindern.
    Jenny sah dabei den Architekten geheimnißvoll an.
    „Diese Mappe ist doch keine Büchse der Pandora?“ meinte dieser.
    „Und wenn es eine wäre? Würden Sie sich darüber entsetzen?“
    „Nicht mehr und nicht weniger, als Sie, liebe Freundin.“
    „Nun -- so wagen wir's denn,“ sagte Jenny ernst. Aber kaum hatte sie den ersten Stahlstich hervorgezogen, "und ihn dem neugierigen Freunde hingereicht, als sie in liebliches Lachen ausbrach, in das auch der junge Mann miteinstimmte.

[LSZ - 1854.08.29]
    „Eine Sammlung von Wagen! In der That, trefflich, herrlich! Eine merkwürdige Leidenschaft, das! Nein, in Wahrheit, so vollkommen habe ich noch keine derartige Smlung gesehen!

 

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Und hier auch die verschiedenen Details, -- -- eine sonderbare Passion!“
    Wer je eine solche Sammlung sah oder selbst im Besitz gehabt hat, mußdas laute Erstaunen des Architekten rechtfertigen. Man sah im feinsten Stiche: Tilburies, Rockaways, . . Jersey Waggons, Barrouches, Sulkies, Buggies, Cabs, Gigs, Prince Alberts, Landaus, Coaches, Phaetons, Volantes, u.a.m., alle nach der Physiognomie ihres Gestelles geordnet und unter die entsprechende Rubrik gebracht. --
    Die Stahlstiche waren zur Genüge durchgesehen und Albert schob sie selbst, Einen nach dem Andern, in die verschiedenen Fächer der Mappe. Jenny hatte die Mappe mit beiden Händen auseinander gehalten, um ihrem Freunde das Hineinschieben zu erleichtern. Dann warf sie dieselbe in den dem Sopha gegenüberstehenden Schaukelstuhl, daß er sich auf und nieder bewegte.
    Die Wagen bringen den Schaukelstuhl außer Fassung,“ meinte Albert scherzhaft.
    „Nicht lange, er wird bald wieder so ruhig dastehen, als wäre er gar nicht berührt worden,“ entgegnete Jenny, die ihren Worten unläugbar eine symbolische Bedeutung unterschob.
    „So wird auch oft das Herz des Menschen von irgend ei nem Gegenstande berührt und oscillirt eine Zeit lang -- --“
    „Bis es wieder stille wird,“ fiel Jenny dem Freunde in die Rede.
    „Sie haben Recht, meine theure Jen -- -- Freundin,“ unterbrach er sich schnell: „Das Herz des Menschen gleicht einem Schaukelstuhle -- wer sich in ihm niederläßt -- --“
    „Unterbrechen Sie,“ bat Jenny, „lassen Sie den Scherz nicht weiter fortspielen -- mein Freund.“
    „Wer hat ihn hervorgerufen, meine Freundin? Ich war ernst und würde es geblieben sein, bis ich Sie verlassen -- wenn Sie nicht mit jener Wagensammlung eine scherzhafte Stimmung angebahnt hätten,“ flammte es in den Augen des jungen Architekten und floß dann in Worten von seinen Lippen.
    „Sie wissen ja, weshalb es geschah. Hinter den luftigen Guirlanden des Scherzes sind oft die verblichenen Rosen des Ernstes versteckt. Man scherzt, weil man sich nicht getraut, ernst zu sein.“
    Albert sagte nichts. Er lehnte einen Kopf zurück und sah träumerisch durch das offenstehende Fenster zum unbewölkten Himmel empor.

 

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    „Da gerade vom Ernte die Rede ist,“ fuhr Jenny fort, „so will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die meiner Schwester Frida und mir begegnet ist, als wir vor einigen Wochen in Gesellschaft des Sohnes von Madame Delachaise nach Mr.Logan's Plantage eine kleine Spazierfahrt unternahmen. Die Geschichte ist so ernst, daß Sie nicht einmal zu lächeln wagen würden, im Falle Sie auch glaubten, daß wir einer argen Täuschung unterworfen gewesen wären.“
    „Sie machen mich neugierig, liebe Freundin; nur ersuche ich Sie, mir diese Geschichte nicht zu erzählen, falls sie dazu geeignet wäre, mich aus dem Himmel, in den ich mich eben emporgeschwungen, wieder herabzustürzen.“
    Die Brünette mit dem schönen dunkelblauen Augenpaar, die neunzehnjährige reizende Wittwe Jenny sah dem interessanten Wittwer Albert bei diesen Worten, zwar etwas verwirrt, aber seelenvergnügt in's Gesicht. „Wenn Sie sich aus Ihrem Himmel stürzen lassen, mein Freund, so ist es Ihre eigene Schuld -- ich will es nicht versuchen --“ sagte sie mit einer solchen Sicherheit, daß man wohl erkannte, daß sie auf alles gefaßt war, was etwa aus diesen Worten entspringen möchte.
    Doch Albert sagte nichts. Wieder lehnte er seinen Kopf zurück und sah durch das offenstehende Fenster zum unbewölkten Himmel empor.
    Unruhig schob sich Jenny auf dem Sopha hin und her.
    „Nun, wollen Sie die Geschichte hören, mein Freund? frug sie, „sie soll Sie nicht aus Ihrem Himmel stürzen; es ist etwas, was nur an das Herz meiner Schwester streift und über das wir keine Gewalt haben, sei es im Guten oder Bösen.
    „So erzählen Sie, liebe Freundin,“ sagte Albert, indem er sich bemühte, eine freundliche, harmlose Miene anzunehmen.
    Jenny begann: „Sie kennen den Fahrweg, mein Freund, der sich längs der Opelouas Railroad hinzieht und zu der Pflanzung Mr.Logans führt. Ehe man an derselben anlangt, muß man über eine Stelle, die wegen ihrer Abdachung nach tiefem Schlamme hin. Jeden mahnt, aus dem Wagen zu stei gen, um zu Fuß auf einem Umwege zu einem Ziele zu gelan gen. Jetzt, wo die Opelouas Bahn bald befahren werden kann, wird es nicht mehr nöthig sein, diese Stelle zu passieren. Dieser Umweg bietet jedoch eine hinlängliche Entschädigung Prachtvolle, eines Fürsten würdige Cottages, halb versteckt in hohen immergrünen Gebüschen, aus denen hier und dort ein riesiger Live Oak-Tree hervorragt, dessen gewaltige Aeste und

 

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dicht mit Moos behängter Scheitel einen gigantischen Schatten um sich werfen, und so die um ihn stehenden Cedern, Magno lias und Cypressen, in ihrem Dunkel mit aufnehmen; kleinere Villas, von reizenden Gärtchen umschlossen, in denen die herr lichsten Rosen der Welt: Queen of the Bourbons, Souvenir de la Malmaison, Triomphe de la Guillotiere, Pourpre de Tyre, und Nemesis ihre zauberischen Düfte verschwenden -- -- doch, ich will Sie mit Aufzählung aller der Naturschönheiten nicht ermüden, meintheurer Freund, Sie kennen ja alle die Wege und Stege, die durch jenes Paradies führen, selbst besser, als irgend Jemand in ganz Algiers. Vergeben Sie mir, daß ich die üble Gewohneit habe, Dinge wieder zu erzählen, die schon längst bekannt und gefühlt sind.“
[LSZ - 1854.08.30]
    „Nein, nein -- fahren Sie nur so fort, liebe Freundin, von Ihrer Lippen Roth strömt der Rede Fluß so herrlich, so jugend frisch, daß man meint, mit Ihnen am Quell Kastalia zu sitzen.“
    „Sie sind ein liebenswürdiger Schmeichler, mein Freund; wenn Sie dies zu Frida gesagt hätten, so würde Ihnen eine kleine Zurechtweisung nicht entgangen sein.“
    „Wie gerne und um wie viel lieber würde ich von Ihnen eine Zurechtweisung entgegennehmen; aber Sie werden hier über schweigen, weil Sie wissen, daß eine Zurechtweisung eine Unwahrheit voraussetzt.“
    „Schmeicheleien sind auch Unwahrheiten, mein Freund -- -- und somit hätte ich denn das Recht -- --“
    „Gut, irgend eine Strafe oder -- --“
    „Daß Sie mich ruhig anhören sollen, bis ich meine Ge schichte zu Ende erzählt habe.“
    „Es ist leicht, mich dieser Buße zu unterziehen.“ Jenny zupfte an einigen losen Fäden ihrer hellgrünen Busenschleife und fuhr fort:
    „Es mag jetzt ungefähr in die fünfte Woche gehen, als uns Herr von Delachaise in einem bequemen Wagen abholte, um nach Mr.Logan's Plantage zu fahren, wo selbst wir auf Abends neun Uhr zu einem kleinen Theedanfant eingeladen waren. Zwischen fünf und sechs Uhr fuhren wir von hier ab. Als wir an jene unangenehme Stelle kamen, hielt Herr von Delachaise, der den Wagen lenkte, an, stieg selbst herab, um uns beim Aussteigen behülflich zu sein. Frida weigerte sich, ihren Sitz zu verlassen und schien entschloffen zu sein, die widrige Passage, vor der sie schon so oft zurückgeschreckt, diesmal

 

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zu riskieren. Trotz allem Abrathen von Seiten Herrn von Delachaise's verblieb sie bei ihrem Eigensinne. Ich sah mich nun gezwungen, den genannten Umweg, der jedoch bald wieder mit dem Wagen zusammenführt, allein anzutreten. Sie kennen jene kleine Lichtung in Ranney's Timber, um die die majestätischen Wipfel der Sykamoren rauschen und von welcher aus man ungehindert bis hinab nach Logan's Plantage einen Blick schweifen lassen kann -- in dieser Lichtung, von der ich kaum zwanzig Schritte entfernt war, bemerkte ich zu meiner höchsten Ueberraschung meine Schwester Frida, die ich doch ganz sicher im Wagen mit Herrn von Delachaise wußte, an der Hand eines Mannes, und welchen Mannes? -- -- Erstaunen Sie, mein Freund, aber beschuldigen Sie mich keiner Täuschung oder gar einer geflissentlichen Vision -- ich sah sie an der Hand ihres Gatten, ganz wie er leibte und lebte. Wie eingewurzelt blieb ich einige Augenblicke stehen. Meine Frida verließ jetzt die Hand ihres Begleiters und eilte ihm einige Schritte voraus von der Lichtung weg in das dichte Timber. „Frida!“. hörte ich den Letzteren rufen: „was eilst Du so? komme zurück -- wir müssen bis sieben Uhr in New-Orleans sein.“ „Lass mich, Lajos! Es ist hier gar zu schön!“ erwiederte sie. Was war gewisser und augenscheinlicher, als daß diese Beiden meine Schwester Frida und ihr Gatte Lajos waren? Aber denken Sie sich mein Erstaunen, als ich hinter mir die Stimme meiner Schwester vernahm, die mich laut beim Namen rief. Als ich mich umwandte, traute ich kaum meinen Augen. Es war Frida, die den nemlichen Weg hergekommen war, den ich bis hieher eingeschlagen hatte. Als ich wieder nach jener Lichtung sah, verschwand eben jener Mann auch in das Gehölze und ich sah ihm voraus noch ganz deutlich jene oder welche Frida zu
    „Jene oder welche Frida “ wiederholte Albert maschinenmäßig.
    „Ich weiß es bis auf den heutigen Tag noch nicht, mein Freund. Ebensowenig kann sich Frida diese Erscheinung recht erklären. Ein minder ruhigeres Gemüth, als das Ihrige, würde hierin leicht die Vorbedeutung eines bevorstehenden Unglückes sehen. So aber denkt sie weiter nichts, als daß es eine Doppelgängerin gewesen sei.“
    „Und Lajos, den Sie an der Seite jener Frida erblickt haben ?“ drang der junge Architekt neugierig in Jenny.
    „Das giebt Frida durchaus nicht zu. Sie meint, ich

 

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müsse mich geirrt haben. Sie läßt sich das nicht ausreden“
    „Und wie kam aber Ihre liebe Schwester den nemlichen Weg zu Ihnen heran, da Sie doch, wie Sie selbst behaupten, ganz sicher gewesen wären, daß sie sich bei Herrn von Delachaise im Wagen befunden habe?“
    „Der Wagen war auf halber Bahn herabgeglitscht und bis an den Schlag in Schlamm gerathen. Herr von Delachaise, bis an's Kniee durch den Schlamm watend, brachte Frida unverletzt auf festen Boden. Dann trat er in die nächste Plantage ein und erbat sich einen Neger, um den Wagen wieder herauszuheben. Während sich nun Herr von Delachaise einen Neger erbat, entwischte Frida und versetzte dadurch ihren Cicisbeo in nicht geringe Angst, als derselbe mit Hilfsmannschaft zurückkam.“
    „Das ist mehr als merkwürdig!“ rief Albert aus.
    „Sie meinen doch das Erscheinen der beiden Frida's!“ fragte Jenny.
    „Ja, ja, gewiß -- nichts Anders,“ erwiederte unser Freund etwas verwirrt; denn er hatte bemerkt, daß ihn Jenny mit einem sonderbaren, unaussprechlichen Blicke ansehe.
    „Sie sind nicht aufmerksam auf das, was ich erzähle,“ sagte Jenny.
    „Gewiß, ich bin es -- -- ich war es!“ betheuerte der junge Architekt.
    „Was geht in Ihnen vor? Gestehen Sie! Sind Sie aufrichtig!“
    „O, sagen Sie mir, theuerste Freundin, welcher Gott es ist, der Ihnen diese zauberischen Augen verliehen hat?“

[LSZ - 1854.08.31]
    „Was gehen Sie meine Augen an, mein Freund? Sagen Ihnen denn meine Augen mehr, als jedem Andern auch? Aber mein Albert, mein Albert!“ fuhr Jenny jetzt plötzlich wie verwandelt von ihrem Sitze auf -- „Wer hat Dir Deine Augen gegeben?“ Dann fank sie wie erschöpft dem jungen Architekten in die Arme.
    „Mein Gott! Jenny, Sie lieben mich! Du liebst mich, Jenny?“ rief Albert aus und schloß seine Freundin stürmisch in die Arme.
    So lag Jenny mehrere Minuten am Herzen ihres Freundes.
    Wie im Fieber, so pochten die Schläfe Alberts. In seinen

 

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Augen glitzerte ein Feuer, das noch nie so rein und keusch gebrannt,
    Er liebte zum Erstenmale.
    Und Jenny? Fand er in ihr Gegenliebe? Konnte sie wegen seiner den Abgott ihres Herzens, ihren Emil vergessen? Albert wußte von Jenny’s unbegrenzter Schwärmerei für den so treulosen Gatten. Und jetzt? Mußten ihm nicht alle Sinne schwinden, wenn er nur im Entferntesten an die Möglichkeit dachte, daß sie ihm ihre Gegenliebe schenke
    „Mein Emil!“ hörte er Jenny schwer aufseufzen.
    Albert fährack zusammen bei diesem Namen. „Meine Jenny!“ flüsterte er und neigte seinen Kopf herab.
    „Mein Emil!“ schrie jetzt Jenny auf, wie von schweren Träumen geplagt.
    Der Architekt zitterte an Händen und Füßen.
    Es war augenscheinlich, Jenny's erhitzte Phantasie hatte sich in seine Person verfangen und suchte in ihm ihren Emit.
    „Emil, Emil!“ klang es wieder, so wehmüthig und schmerzlich, daß es dem jungen Architekten tief in die Seele schnitt.
    „Mein Gott!“ dachte sich Albert, „diese fürchterliche Selbsttäuschung; die arme Jenny! Und ich armer Teufel, an den sich ein Engel aus Verirrung gewagt hat!“
    „Meine Jenny! rief er dann und drückte einen heißen Kuß auf ihren Nacken. „Meine Jenny!“ rief er lauter.
    Er wagte wiederholt einen Kuß auf den Alabaster-Nacken Jenny's, die mit ihrem Kopfe in seinem Schooße lag und mit beiden Händen ihr Gesicht bedeckte. Als sich ein Ober, körper wieder erhob und seine Augen verwirrt im Cabinet herumschweifen, als wollte er irgend etwas aufsuchen, was ihn aus seiner grenzenlosen Lage reisen sollte, fühlte er plötzlich eine zarte weiche Hand sich zwischen seinen Gürtel, auf dem der Name einer Compagnie in weißen Buchstaben geschrieben . stand, hineinschieben und dann denselben krampfhaft hin und her ziehen. Als der junge Feuermann auf seine Freundin hinabsah, bemerkte er, daß sie ihre Augen starr auf den Gürtel heftete, als wolle sie den vollen Namen der Compagnie, der getheilt um den Gürtel herumstand, erst entziffern. Da wen dete Jenny mit Einnemmale ihre Augen ab und rief aus: „Mein Emil! bist Du in eine andere Compagnie getreten und hat mir Nichts davon gesagt? Sei aufrichtig, Emil! warum hast Du mir's verheimlicht?“ Dann sank sie wieder in seinen

 

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Schooß und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. -- --
    Wir wissen es wohl, daß es draußen sehr warm ist und es auch schon lange nicht mehr geregnet hat. Die Sonne Louisiana's versteht keinen Spaß, wenn sie sich einmal vorgenommen, die Erde recht dürften zu lassen. Die Cisternen sind ganz leer und ihre Dauben glassen trotz der schweren eisernen Reife an verschiedenen Stellen auseinander. Das Wasser des „Vaters der Ströme“ ist nicht zu trinken, denn es ist so warm und ungesund, wie der Speichel eines Sterbenden Pferdes. Eis? Nun ja; Stafford u.Co. haben plenty Ice und versorgen vier Parishes damit. Das ist aber nur für den Menschen. Das Vieh und der liebe Boden will auch Wasser haben; es durstet sie gerade so gut, wie Uns. Die Wasserlilie vertrocknet und die Irisblätter sind schon längst gestorben. Die Palmetto's suchen umsonst nach dem alten Schlamm; sie sehen anstatt einer ausgetrocknete, zersprungene Lachen Sagt mir keiner mehr, daß New-Orleans ein schmutziges Swamploch ist; wo seht Ihr, außer im Flusse, nur das geringste Zeichen von Feuchtigkeit? Ihr habt über das Swamploch raisonniert; nun habt Ihr plötzlich eine Sahara; eine Sahara mit ausgetrock neten Menschen und blöden Geistern. Lauft hinab bis an den Canal Carondelet und laßt Euch diesen Walk bei Leibe nicht verdrießen. Habt Ihr ihn der Länge nach in einem Tage mehrmals auf und abgelaufen, so kommt Ihr doch wenigstens als schwitzende Mumien wieder nach Hause und Eure Weiber und Babies erfreuen sich der ernährenden Feuchtigkeit und preisen den Schöpfer aller Welten, der unter verschiedenen an dern Paradiesen auch Louisiana erschaffen hat.
    Wir wissen es wohl, daß es nur in manchen Sommern so ist.
    Auch war es zur Zeit, als sich unsere Begebenheit zutrug, überhaupt nicht Sommer, sondern noch Winter.
    Wie schön aber der Winter in Louisiana ist, wissen wir. Man nennt ihn Frühling Sanspareil. -- Frühling Sanspareil hatte heute einen schönsten Tag. Allerdings, es war etwas warm, aber ein köstliches Lüftchen strich zum offenen Fenster herein, vor dem Jenny im Schooße des hübschen Feuermannes ihre Liebe für Emil austräumte.
    Leichenbleich saß Albert da; einen Ellenbogen auf den Fensterrahmen gestützt und den schönen Kopf in die flache Hand gedrückt. Wohin ist der flammende Blick? Wohin der Purpur, der noch vor wenigen Augenblicken auf einen Wangen

 

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brannte ? Warum umranken ein bleiches Gesicht, wie flatternde Lianen, die aufgestörten Haare? Warum sind die dunklen Locken nicht mehr zu glattem Scheitel gekämmt? Warum läßt er seine Freundin so kalt in seinem Schooße liegen, ohne sie an’s Herz zu drücken?
[LSZ - 1854.09.01]
    Sieh, da streift” etwas an sein Ohr und giebt demselben einige gelinde Schläge.
    Jenny kann es nicht sein; denn sie würde jetzt nicht mehr mit ihm tändeln. Zudem hält sie ja ihre Hände fest um einen Hals zusammen, daß er sich selbst nur mit Mühe auf den Ellenbogen stützen kann.
    Nachlässig wendet er sich um und erkennt im Augenblicke, was er wissen will.
    Es war nichts, als ein papierner Drache, den der kleine Tiberius auf dem großen Wiesenplane außerhalb der Fence des Eigenthums der beiden Schwestern steigen ließ. Der Drache wollte nicht fliegen. Die Luft war aber auch nicht darnach. So gelangte er nur bis an jenes Fenster, riß unsern Freund auf einen Augenblick aus seiner Apathie und schwebte dann langsam in den Garten nieder.
    „Du nahmst keinen hohen Flug, armer Drache!“ sandte ihm Albert im leisem, langgezogenem Tone nach.
    Er drückte seinen Kopf wieder in die flache Hand und schaute wieder so stier wie eine gemalte Leiche.
    Läge sein Gürtel, der noch vor wenigen Augenblicken eine Taille fest zusammenhielt, nicht vor ihm auf dem Sopha, er würde ihn jetzt am Freiaufathmen sehr gehindert haben. --
    Frühling Sanspareil läßt Blumen und Blüthen regnen, wie Hagelnüsse. Während Boreas durch die weiten Prairien des Westens im kalten Schneegewande dahinstürmt und die Dampfrosse im starren Eise schlafen, so küßt Frühling Sanspareil seine goldenen Früchte und guckt heiter und vergnügt in den Metallspiegel seiner immergrünen Blätter. Frühling Sans pareil ist der Liebling schöner Frauen, weil er die Blüthenknos pen des „Jelängerjelieber“ auffüßt und defen zauberische Düfte durch ihre Gemächer weht. Eine Jelängerjelieber-Rebe, voll von tausend Blüthen, streicht auch zum Fenster herein und schaukelt auf und nieder. Albert merkt nichts davon, aber desto begieriger schlürft Jenny ihre Düfte ein. Sie liegt noch im mer mit dem Kopfe auf der Schulter ihres Freundes, von den Düften des Jelängerjelieber halb todt und ganz matt. Es wäre für sie besser, sie bliebe immer so; denn wenn sie die Augen

 

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aufschlägt, wird sie zu ihrem Entsetzen sehen, daß es Albert ist und nicht Emil. --
    Albert machte jetzt einen Versuch, sich aus der Umarmung Jenny’s loszuwinden, ohne ihr wehe zu thun. Im nemlichen Augenblicke aber mußte dieselbe zur Besinnung gekommen sein; denn sie ließ ihre Hände, die fest um den Hals Albert's lagen, los, erhob ihren Kopf und sah ihm wehmüthig in's Gesicht.
    Albert befand sich in der fürchterlichsten Lage, in die je ein Liebhaber gerathen war. Er, der noch nie von dem Feuer eines weiblichen Auges seine Blicke abwandte, schloß jetzt seine Augen, wie einer, der nicht den Muth hat, in den offenen Abgrund hinabzusehen, vor dem er erschrickt.
    „Albert, Albert! Um's Himmelswillen! Was habe ich gethan? -- -- Böser Mann, warum mußtest Du auch meinem Emil so ähnlich sehen? Oeffne Deine Augen, und laß mich noch einmal, zum Letztenmale, in ihnen die meines Emil schauen. Ja, ja, Deine Augen sind schwarz wie mein Ordenskleid und die meines Emil so blau wie das Band meines Ordenskreuzes -- aber ist deshalb Dein Blick nicht der Nemliche? Deine Haare sind so dunkel und die meines Emilblond -- aber sind sie nicht eben so weich, fließen sie nicht in eben so reicher Fülle um Deinen schönen Hals? Umschloß Dein Gürtel nicht die nemliche Taille, obwohl er nicht der meines Emils ist? -- -- Sag' sag", böser Mann, warum gingst Du Arm in Arm mit Emil durch das Reich meiner Träume? -- -- Sag', mein Albert, was würde die Welt dazu sagen, wenn sie dies je erführe? -- -- -- Würde sie dies je verstehen können? Würde sie nicht ausrufen: Seht, seht die Ehebrecherin, wie sie ihre Schande zu bemänteln sucht, wie sie uns überzeugen will, daß ihre Verirrung keine strafbare ist? O, die Welt richtet nur nach der That und nicht nach dem unerbittlichen Gebote der Natur! Darum, mein Albert, wenn Dir Deine Jenny noch lieb und theuer ist, fliehe, fliehe, weit hin in die Welt, oder, wenn Du Dich stark genug fühlt, um in meiner Nähe zu verweilen, so komme nie wieder herüber nach Algiers. Oder, wenn Dich Dein Weg je hieher vorbeiführen sollte, so wende Deine Blicke ab von dem Häuschen, in dem Dir eine Freundin wohnt, die Dein Andenken mit ins Grab nehmen wird -- --“
    Albert, der nach der wunderbaren Catastrophe mit Jenny in eine schreckenerregende Apathie verfallen war, perlten auf einmal die hellsten Zähren auf die bleichen Wangen nieder. Er stand von einem Sitze auf und warf sich vor Jenny, die

 

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sich schon gleich Anfangs erhoben hatte, auf die Kniee nieder. Mit stürmischer Haft ergriff er ihre beiden Hände und führte sie an seine Lippen.
    „Verzeihe mir’s Gott,“ sagte er, „wenn ich Liebe em pfand, die einem Andern gehörte; verzeihe mir, meine theuerste Jenny, daß ich nicht stark genug war, Dich aus dieser Selbst täuschung zu reißen -- -- aber es ist gar zu süß, geliebt zu werden und sollte es auf Kosten eines andern Herzens sein. Liebste Jenny -- Deinen Wunsch will ich erfüllen -- ich sehe Dich denn heute zum Letztenmale -aber gestatte mir, bevor ich scheide, noch einen Kuß auf Deine göttlichen Lippen. -- -- Herrliches Weib! Kannte ich ohne Dich die Liebe? -- --“
    „Albert, Albert,“ entgegnete Jenny, mit dem lebhaftesten Roth auf den Wangen, so lebhaft, als das der Jungfrau, die vor ihrem Brautbette steht -- „scheide aus diesem Häuschen und greife nicht länger in die brennende Wunde meines Herzens -- -- und solltest Du jemals meinem Emil auf Deinem Lebenswege begegnen, so sehe ihm unverholen in's schöne Auge und Du wirst in ihm Dein eigenes Bildniß schauen und -- -- Deiner Jenny vergeben.“

[LSZ - 1854.09.02]
    „Herrliches Weib!“ rief Albert entzückt. „Du bist versöhnt mit Gott Amor -- mag ein anderer Gott eine Schuld auf Dich wälzen, er wird nicht gehört werden. Und nun, lebe wohl -- aus meiner Seele wird Dein herrliches Bild nie verschwinden und wenn ich Deinen Emil treffen sollte, so werde ich meinen Arm um einen schlanken Leib legen und ihm zuflüstern: Du warst bei Deiner Jenny, ohne daß Du es wußtest -- --“
    „Albert, ehe Du mich auf immer verläßt, noch ein Wort: Unten in unserm Gärtchen zur Seite des Balsaminenbeetes steht ein Bananenbaum. Suche nach an einem weichen Stamme und Du-wirst unter einem kleinen Vers den Buchstaben E ein geschnitten finden. Schmiege ein A an, doch so, daß E und A in Einander verwachsen können- nun lebewohl und noch diesen -- -- diesen -- und diesen Kuß!“ -- -- --
    Als Albert, der in der Verwirrung seinen Feuermanns gürtel im Cabinet zurückgelassen hatte, in's Gärtchen an jenen Bananenbaum kam, so fand er an dessem weichenStamm, ungefähr einen Fuß vom Erdreich entfernt und halversteckt unter den Ranken der dunkelblauen Winde, folgenden Vers eingeschnitten:

 

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Nescio qua natale Solum dulcedine cunetos
Ducit et immemores non sinit esse sui.
    Unter diesem Vers fand er das E. „Von dem zauberischen Drang, den der Boden der Heimath noch auf Dich aus geübt hat, mein Emil, weiß ich Dir nichts zu sagen,“ flüsterte der iunge Architekt vor sich hin. „Du hast es Jenny zu verdanken, daß Du noch Deiner Heimath gedenkt. Armer Emil!“
    A und E standen unzertrennlich verbunden, als Albert das wunderliebe Häuschen im Rücken hatte. --

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Siebentes Kapitel.

Verwirrungen und Enthuellungen.

    So standen die Dinge in Algiers, als der Ungar mit der „Sultana“ in New-Orleans ankam. Derselbe verschmähte eine Ueberraschung und fand es geeigneter, seine Gattin auf sein Erscheinen durch ein paar an sie gerichtete Zeilen vorzubereiten. Der Empfang nach zwei Jahren Abwesenheit war von Seiten Frida's herzlicher, als man gemäß ihres Charakters hätte vermuthen sollen. Der Ungar spielte den Reuigen in einer solch" vollendeten Weise, daß Frida all' ihren Groll vergaß und dem Bösewichte alles verzieh. Da er seine Hoffnungen, die er in die pecuniären Verhältnisse seiner Gattin gesetzt hatte und die auch, wie wir bereits im zweiten Bande erwähnt, das Motiv zu einer Hieher-Reise waren, wenn auch gerade nicht sehr glänzend, doch in behaglicher Weise erfüllt sah, so fand er es für gut, so lange sich keine andere Gelegen heit darbieten würde, sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen, sich freiwillig und fast mit Absicht unter ihren Pantoffel zu begeben, und so jedes Mißtrauen, das in seiner Gattin auf tauchen könnte, zu ersticken und gleich in der Geburt zu vernichten. Sein Scharfsinn hatte bald den vollkommensten Siegerrungen und er mußte sich gestehen, daß er auch diesmal, wie immer, richtig calculirt und seine Angel in keinen leeren Teich ausgeworfen habe. Die betrogene Frida! Sie schenkte ihm wieder ihr ungetheiltes Vertrauen und erging sich sogar in einsamen

 

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Stunden in den schönsten Träumereien für zukünftige Tage. Nur zwei Punkte waren es, über die sie nie ins Reine kommen konnte und die sie daher ängstigten und quälten. Der erste, weil sich Jenny plötzlich so verschlossen und stille zeigte und- was sie früher noch nie gethan hatte -- ihr durchaus keinen Blick in ihr Herz gönnen wollte. Sie dachte zwar manchmal daran, daß Albert an dem geheimen Kummer ihrer theuren Schwester einen Theil der Schuld trage, besonders seit der Zeit, wo sie der Zufall einmal an jenen Bananenbaum führte, wo sich ein Adem E zugesellt hatte; aber dann wieder, wenn gerade auf Emil die Rede kam und sie die nassen Augen Jennys bemerkte, so suchte sie die Ursache der grenzenlosen Verstimmtheit in der Sehnsucht nach dem treulosen Manne, der bisher auch kein Wort von sich hatte hören lassen. Der andere Punkt, der sie nicht weniger traurig stimmte, ja sie gar oft bis zu einer sonst nie gekannten Aengstlichkeit trieb, war, daß Lajos das nemliche geheimnißvolle Schauspiel mit der Doppelgängerin er lebt hatte. Jener Vorfall in einem der Staatszimmer des „Plantershouse“ in St.Louis, den ihr der Ungar, wenn auch mit bedeutenden Veränderungen, mitgetheilt hatte, war auch ganz dazu geeignet, ihren sonst so besonnenen und ruhigen Sinn zu verwirren und in gefährliche Verfänglichkeiten zu ziehen. Jener Brief Vetter Karl's, der bald nach der Ankunft des Ungarn in New-Orleans an seine Adressantin gelangt war, verfehlte seine Wirkung gänzlich und warf sogar einen Stein auf jenen Mann, den Frida bisher so geachtet und dessem soliden und vernünftigen Betragen sie bisher eine so unbegränzte Verehrung gezollt hatte. Die Einflüsterungen und scheinbar begründetsten Behauptungen ihres Gatten hinsichtlich der Duellaffaire, waren ganz darauf berechnet, auch die geringste Neigung für Vetter Karl in ihrem Herzen zu ersticken. Nach den ihr von Lajos zugekommenen Verdrehungen konnte sie sich unmöglich denken, daß ein Mann, wie Karl, der ihr einen so herzlosen Brief schreiben und ihren Gatten wegen einer bloß geringfügigen Laune herausfordern konnte, es mit ihr jemals gut gemeint habe.
[LSZ - 1854.09.03]
    Der Ungar, welcher von einem Besuch Karl's nach seiner Rückkehr von St.Louis etwas befürchten mochte, hatte seine ganze Schlauheit aufgeboten, um ein allenfallsiges Rencontre zu hintertreiben. Der kleine Tiberius erhielt von ihm die strengste Order, Vetter Karl jedesmal abzuspeisen, so oft er

 

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kommen würde, seinen Besuch abzustatten. Obwohl Gehorsam gerade nicht zu den größten Tugenden des schwarzen Schelms gehörte, so vollstreckte er doch diesmal, wo es sich darum handelte, Master Karl, der ihn schon so oft derb gezüchtigt hatte, die Thüre zu weisen, auf’s gewissenhafteste die Befehle, die ihm der Ungar ertheilt hatte. In dieser Zeit war das wunderliebe Häuschen nach allen Ecken und Enden hin so verriegelt und versperrt, daß man hätte meinen sollen, die schönen Bewohnerinnen desselben müssten die strengste Clausur bestehen. Dies war in gewisser Beziehung mit Jenny der Fall; denn dieselbe war wegen ihres öftern Unwohlseins gezwungen, ihre Stunden als Clavierlehrerin aufzugeben und zu Hause zu bleiben. Frida kam nur zur Mittagszeit nach Hause, wo sie dann wieder ihren Berufspflichten nachging und erst nach sieben Uhr Abends erschien. Tiberius mußte sie stets hin und zurückbegleiten. Auf einem dieser Gänge in ihr College begegnete ihr Vetter Karl. Karl grüßte herzlich, mit all' der ihm zu Gebote stehenden Liebenswürdigkeit. Frida würdigte ihn keines Grußes und that überhaupt nicht dergleichen, als ob sie ihn nur bemerkte. Tiberius wandte sich dann auch immer mit scha denfrohem Lächeln gegen seinen ehemaligen Zuchtmeister und behielt die Mütze fest aufdem Kopf. Karl, dem eine derartige Begegnung schon mehr als einmal passiert und dessen Mißtrauen durch das wiederholte Abweisen rege gemacht war, konnte dies nicht entgehen. Er sah nicht unrecht, wenn er Lajos als den Urheber des gestörten Einverständnisses hinstellte, und einer Verläumdung auf der Spur zu sein glaubte, die in der Art und Weise, wie sie ausgeführt wurde, wirklich ihres Gleichen suchte. Karl war ein entschloffener Mann und wenn er sich einmal vorgenommen, etwas auszuführen, so ruhte er nicht eher, als bis es ihm gelungen. Nur war er in gewisser Beziehung zu wenig Weltmann, um sich zur Durch führung der entsprechenden Ränke zu bedienen. Indem er immer den geraden, ehrlichen Weg betrat, mußte er auch stets verlieren. Er schrieb zu diesem Behufe an seine Couine Frida einen Brief, in dem er sie auf's freundlichste ersuchte, ihm doch die Ursache ihrer so plötzlichen Verstimmung und ihres gegen ihn so umgewandelten Betragens anzugeben und ihn hierüber nicht länger in einer Ungewißheit zu lassen, die ihn Tag und Nacht quälte und peinigte. Der Brief war so hübsch abgefaßt, so treuherzig und bieder geschrieben, daß er sicher seinen Eindruck nicht verfehlt hätte, wenn er Frida zuerst

 

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in die Hände gekommen wäre. So aber hinterging ihn Tiberius, dem er den Brief für Frida übergeben hatte. Derselbe lieferte den Brief an den Ungar und dieser versäumte nicht, sogleich die geeignetsten Maßregeln zu ergreifen. Wie er gewünscht, so empfing Karl schon den übernächsten Tag auf seinen Brief eine Antwort. Aber welche Antwort? Dem guten Manne liefen die hellen Zähren über die Wangen herab, als er den Briefgelesen hatte. Tiberius brachte denselben auf sein Comptoir und war, ohne auf eine etwaige Antwort oder Empfehlung zu warten, sporntreichs davongerannt. Karl fühlte sich so bewegt und angegriffen, daß er seinen Principal ersuchen mußte, ihn für diesen Tag zu entlassen. Der Brief war Frida von ihrem Gatten dictiert worden und mußte einen unheilbaren Bruch herbeiführen. -- Nach drei Monaten Anwesenheit in Algiers verließ der Ungar plötzlich wieder seine ordentliche Lebensweise und hielt sich besonders sehr gerne im dritten Districte auf, wo er oft bis spät in die Nacht hinein herumpilgerte. Seiner Gattin sagte er, er wäre Vormann in einer Sodafactory geworden und habe mit dieser Stellung zu gleicher Zeit die Verpflichtung übernommen, die Woche über wenigstens drei Nächte in besagter Factory zu wachen. Da er von dieser Zeit ab seine Gattin um keine Gelder mehr ansprach, sondern im Gegentheil jede Woche regelmäßig ein nicht geringes Wages, gewöhnlich an fünf und zwanzig Dollars, nach Hause brachte, so hegte Frida nicht das geringste Mißtrauen in seine Aussage. Sie freute sich im Stillen über den thätigen Sinn ihres Gatten und wünschte nur von Herzen, daß auch Emil eines Tages wieder an den häuslichen Heerd zurückkehren und die finstern Wolken von der Stirne ihrer Schwester Jenny verscheuchen möge. --
    Ehe wir jedoch hier weiter fahren, müffen wir vor dem gespannten Leser ein kleines Sittenpanorama von New-Orleans entrollen. Treten wir aber bedächtig auf, damit wir uns keine Shells in die Füße treten.
    Wie New-Orleans eine von den übrigen Städten der Union total verschiedene Physiognomie zeigt, so trägt es selbst ganz von einander abweichende Typen an sich. Dieser Typen giebt es drei und sie treten in den verschiedenen Districten in scharfer Abgränzung hervor. Wer von Lafayette kommt und setzt seinen Fuß über Felicity Road, merkt augenblicklich, daß hier unsere modernen Angelsachsen das Ruder in Händen haben; d.h. daß er sich im ersten Distrikt befindet. Um sich

 

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hievon zu überzeugen, braucht man nicht einmal aufzusehen, sondern nur mit den Augen die langen Schatten auf dem sonnigen Boden zu beobachten. Lange Beine und gestreckte magere Hälse mit einem stark hervortretenden Adamsknirps giebt es hier im Ueberfluß. Kein Wunder, daß der Sittenzustand dieses Distrikts auch ein besserer ist, als im zweiten und dritten Distrikte; denn wo lange Beine und abgemagerte Hälse hausen, hält sich Frau Venus nicht gerne auf.
[LSZ - 1854.09.05]
    Hat man Juliastreet im Rücken und man kommt in den Bereich der von da ab sie durchschneidenden Straßen, so wird es immer langbeiniger, bis die Langbeinigkeit, besonders in Tchoupitoulasstreet, einen so hohen Grad erreicht, daß man über Hals und Kopf über Canalstreet flüchtet. Aber auch dann ist man noch nicht sicher, und wenn man das Unglück hat, sich in die „Gem“ gegenüber dem Postgebäude zu verirren, so treten. Einem die langen Beine und magern Hälse noch einmal entgegen -- aber auchzum Letztenmale; denn die Gem ist die äußerste Station dieses Typus. Im ersten Distrikt giebt es streng genommen nur zwei Straßen, die im üblen Rufe stehen. Sie heißen Gravier- und Perdidostreet d.i. die Straße der Verlorenen. In ihnen tritt die Langbeinigkeit nur auf, wenn sie von den gefallenen Engeln die Rente holt. Denn ganze Squares sind hier auf diese zweideutige Spekulation hin erbaut. Ob das Spekulieren unserer Nabobs und Crösuffe auf eine übermäßige Leibrente der Freudenmädchen den Sittenzustand genannten Distrikts verbessert, lassen wir vorläufig dahingestellt sein.-- Im zweiten Distrikt oder in der ersten Municipalität glorreichen Angedenkens wird das Teint brauner, das Haar glänzender und schwärzer, das Auge dunkler und begieriger, der Hals kürzer und voller, die Nase stumpfer und die Zähne werden weißer, da Eleganz und Galanterie den Chewtobacco in Mißkredit gebracht haben. Man lacht, scherzt und schön geistert mehr und verbrennt sich auch öfter Westen und Beinkleider, da viel Papiereigarren oder Cigaritos geraucht werden. Die Schnurbärte stehen hier im schönsten Flor und man hat schon längst angefangen, sich zu schämen, mit nackten Gesichtern unter den schönen schwarzäugigen Tulipanen einherzuwandeln. Es wäre eine bis jetzt noch unerhörte Thatsache, wenn ein Schnurbartloser bei der Dame seines Herzens ein willigesGe hör fände. Denn in diesem Distrikte sinken nur Schnurbärte in den Schooß der Schönen. Chartres-, Royal-, Toulouse-, Orleans- und Dauphinestreet sind das Thermometer der

 

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Moralität. Steigt hier das Quecksilber, so steigt es auch in den andern Straßen. Führen sich genannte Straßen schlecht auf, so ahmen es die Andern nach. Bienvillestreet ist die unschul digste von allen; denn in dieser Straße giebt es viele Teutonen, die ihren Weibchen treu anhängen und ihre Kinder, in so ferne sie nicht durch die Franzosen ruiniert und verführt werden, ländlich, sittlich erziehen. Domino à la poudre ist in diesem Distrikt der Löwe des Tages. -- Der dritte Distrikt besaß in früheren Zeiten zwei Freihafen: Einen für Schiffe und einen für Bajaderenthum. Der Erste ist verschwunden und nur der Letzte geblieben. Parasina Brulard Hotchkiß's Residenz mit ihren Filialen, die die Kreuz und Quer durch den ganzen Distrikt liefen, sind uns noch im getreuen Andenken; ebenso die buntgefärbten Mulattoe's Settlements und Creolen-Mulatressagen. Hier halten auch die berüchtigten Hotoohs ihre unerlaubten Zusammenkünfte; ihre nackten Bälle und schaudererregenden Orgien. In diesem Distrikt wohnen die meisten Pale-Chino Cholas, deren todte Versippung jedem New-Orleaner hinlänglich bekannt ist. Diese Verfärbung ist meistens frei, da sie als Sclavinnen ihren Herrn wenig oder gar keinen Nutzen bringen und zudem auf kleine Kinder, die ihrer Aufsicht unterstellt sind, den gräßlichsten Einfluß äußern. Genannte Wirthschaften sind sämmtlich in das Innere des Distriktes zu sammengedrängt und nur die Hamburger Mühle stand (steht?) in freier, offener Passage an der Levee. -- Den Ungarn, der allenthalben herumstreifte, führte der Zufall auch vor die Mühle, ohne daß er von deren Institutionen nur im gering sten etwas wußte. Bei dem Fruchthändler Lombardi fand er einmal Gabor von Rokavar, wie derselbe eben in einem hitzigen Wortwechsel mit jenem begriffen war. Gabor und Lajos, die sich hinlänglich kannten, waren bald wieder unzertrennliche Cumpane und der Italiener Lombardi, der bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft des ungarischen Husarenoffiziers machte, fand in ihm gleich den Mann heraus, bei dessem Einführen bei Dame Merlina Dufresne er nichts zu riskieren glaubte. Lajos trat nun bald als Clubbist in die Mühle ein, als welchen wir ihn auch wieder, seit er damals Bissle's Island verlassen hatte, zum Erstenmale gefunden haben. Die Tendenzen der Clubbisten der Hamburger Mühle hat der Leser bereits in einem früheren Bande der Geheimnisse von New-Orleans kennen gelernt, sowie auch das Wirken des Ungarn bei Brandstiftungen. Die zwei Brandstifterbanden, die sich vor dem Etablissement

 

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Dame Merlina's in der Mühle aufhielten, waren durch geschickte Manoeuvres vollkommen aufgelößt und die Clubbisten der Hamburger Mühle hatten demnach das alleinige Monopol in Händen. Man wird einwenden, daß die Art und Weise, wie wir jene Brandstifterbande dem Leser vorführten, der nöthigen Nüchternheit und Schärfe entbehrt, um in allen ihren Spezialitäten glaubwürdig zu erscheinen. Die Kühnheit die es Einwurfes glauben wir aber hinlänglich beseitigen zu können, wenn wir bemerken, daß es ein zu gefährliches Wagestück gewesen wäre, wenn wir statt einer novellistischen Einkleidung die Bestätigung der nackten Thatsache gegeben hätten und zudem fühlen wir uns in dem von uns gewählten Genre durchaus nicht berufen, unsere verlockte Phantasie in die Criminalistik hinüber zu spielen. Dieses Verhalten war unumgänglich nothwendig, um nicht in Bizarrerie auszuarten und in die Weichen der Kritik einen unverdienten Sporen zu setzen. Unter all' den unzähligen Feuersbrünsten, welche damals von den Clubbisten der Hamburger Mühle ausgingen, war diejenige, welche das prachtvolle St.Charles Hotel in Asche legte, wohl die bedeutendste und zu gleicher Zeit die, welche auf die verwegenste und frechste Weise bewerkstelligt wurde.

[LSZ - 1854.09.06]
    Unbegreiflich ist es, daß bis auf den heutigen Tag noch die ganze Sache in einen undurchdringlichen Schleier verhüllt blieb und man Viele dieser Bösewichter, die anderwärts bei Anlegen von Feuer auf frischer That ertappt wurden, zu kei nem Geständniß zwingen wollte. Die Flammen, welche das St.Charles Hotel zerstörten, ergriffen auch die an Ecke von Union und St.Charlestreet gelegene Unitarierkirche *) und vergruben sie in wüsten Schutt. Fast in dieselbe Zeit fällt das Verbrechen, das der Ungar an einer noch nicht lange von Deutschland angekommenen Familie begangen hatte, das die selbe aus ihrer Wohlhabenheit heraus in die bedauernswerthefte
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    *) An die Stelle derselben hat Judah Touro ein stattliches Gebäude aufführen lassen, das die ganze Front des Squares an St.Charlestreet occupirt und Jedem unter dem Namen „Touro's Row“ bekannt ist. Interessant mag es für manchen unserer Leser sein, wenn wir bei dieser Gelegenheit die Höhe der Rente angeben, die Hr. Touro aus diesem Gebäude zog und die noch auf einige Jahre hinaus auf die Succession transferiert ist. Messrs. Bullitt, Miller u.Co. zahlten und zahlen jährlich $3500(Rente läuft noch bis 31. Juli 1857); J.H.Ashbridge u.Co. $2506 (Lease bis 31. August 1857); Mr.Gregor und Co. $2500 (bis 31. Juli 1855); Schmidt und Co. $2500 bis 30. September 1857); Messrs. Chin und Bolton 32500 (leased bis 31. August 1857); W. Simpson $4500 (bis 30. September 1858). Die andern in dem Row sich befindenden Magazine keines unter 1500; so daß Hr.Touro von einem einzigen Gebäude eine jährliche Einnahme von über s25.000 bezog. Und was hat die Unitarierkirche eingetragen? Die Bestuhltare und das Chorabonnement ? Das wissen wir nicht so genau anzugeben. --

 

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Lage versetzte und sie, wenn nicht noch zur rechten Zeit eine rettende Hand zur Abhilfe gekommen wäre, in den tiefsten Abgrund des Elends und der Noth gestürzt hätte. Als er nem lich eines Tages in den Straßen des ersten Distrikts herum, strich, führte ihn der Zufall vor die Erchange der Banquiers Mathews und Finley an der Ecke von Campstreet und Commercial Alley. Da bemerkte er einen schon ziemlich bejahrten Mann vor dem Zahltische, dem man eben eine Parthie Bank noten überlegte. Dies sehen und sogleich den Entschluß fassen, sich des Geldes zu bemächtigen, war bei dem Ungarn Ein Gedanke. Er folgte dem Manne, der harmlos und langsam seines Weges ging, in geringer Entfernung nach. Es war noch zu früh am Tage, als daß er es hätte wagen können, ihn auf offener Straße anzufallen und ihn des Geldes zu berauben. Da zeigt ihm ein wunderbarer Zufall den Weg, den er einzuschlagen hatte, um in den Besitz jener jedenfalls sehr bedeuten den Summe zu gelangen. Als er nemlich seinem auserkorenen Opfer noch durch mehrere Straßen gefolgt war, kam demselben aus einem großen, stattlichen Hause ein kleines blondes Mädchen entgegen, das schnurstraks auf ihn losging. „Mama und die Geschwister sind zu der alten Miß da drüben aufBesuch -- sie sagte mir, ich sollte auf Dich warten, Papa, bis Du vom Banquier zurückkommt. Dann soll ich Dir sagen, Du möchtest das Geld in den Secretair im großen Zimmer einschließen und den Schlüssel zu Dir stecken, falls Du ausgehen solltest; denn wir kommen wahrscheinlich vor acht Uhr nicht nach Hause.“ „Ist Mama mit Deinen Geschwistern schon lange weg und sind schon die Vorkehrungen zur Reise getroffen, wie wir sie heute beim Frühstück besprochen haben?“ „Mama ging erst vor zwei Stunden weg -- ich habe die ganze Zeit auf Dich gewartet, Papa -- und was das Andere betrifft, ist Alles so angeordnet, wie Du es gerne haben möchtest.“ „Grüße mir Mama und Deine Geschwister, Gertrude, und sage ihnen, sie möchten nicht zu lange wegbleiben.“ „Adieu, Papa!“ „Adieu, mein Kind!“ Man wird in dem bejahrten Manne sicher schon den Grafen, den Gatten Melaniens erkannt haben. Dieses kurze Gespräch, das auf beiden Seiten ziemlich laut geführt wurde, hatte die Aufmerksamkeit des Ungarn im höchsten Grade erregt. Sein erster Entschluß, den er nun faßte, war, dem Grafen nach einiger Zeit in seine Wohnung zu folgen und unter dem Deckmantel einer Visite denselben zu ermorden und das Geld mit sich zu nehmen. Dieß mißlang -

 

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ihm. Denn fast im nemlichen Augenblicke, als er die Treppe hinaufsteigen wollte, hörte er mehrere Personen hinter sich und gleich darauf streiften drei Männer an ihm vorüber und machten an der Thüre, die zu den Zimmern der gräflichen Familie führte, Halt. Einer von ihnen zog die Schelle an und gleich darauf erschien der Graf und ließ sie zu sich herein. Es waren Geschäftsfreunde, mit denen der Graf wegen seiner bevor stehenden Reise noch mehreres abzumachen hatte. Der Ungar stieg ärgerlich wieder die Treppe herab und wartete im untern Flur volle zwei Stunden auf das Weggehen der Männer. Des Wartens endlich überdrüssig und zudem befürchtend, daß jetzt bald die ganze Familie zurückkommen möge, spann er jenen verbrecherischen Plan aus, der eine zeitweilige Verarmung der Familie zu Folge hatte und Melanien die Beschreibung jener schrecklichen Feuersbrunst und des hiemit verbundenen Diebstahls in den Mund gab, bei der der eben anwesende Prinz von Würtemberg eine so große Theilnahme gezeigt hatte. -- Alles, was der Ungar damals unternahm, gelang ihm und dies ist um so mehr zu verwundern, als er dabei nicht einmal viel Verschlagenheit und Scharfsinn an den Tag legte. So hatte er jenen folgereichen Diebstahl an der gräflichen Familie nur einer immensen Geistesgegenwart und körperlichen Gewandtheit zu verdanken. Er schien überhaupt ein Schooßkind seines eigenen bösen Dämons zu sein, der ihm zu lieb die Augen der Polizei erblindete und ihn dem rächenden Arme der Themis entriß. -- Der Leser wird gewiß schon längst erwartet haben, daß wir ihm etwas Näheres über die so unverhoffte Ankunft der gräflichen Familie in New-Orleans mittheilen und auch der Schritte erwähnen, die dieselbe gethan, um Emil und die beiden Schwestern ausfindig zu machen. Doch, ehe wir uns dieser Pflicht entledigen, müssen wir auf einige Monate zurück in's wunderliebe Häuschen sehen.
[LSZ - 1854.09.07]
    Frida, die natürlich von dem schändlichen Gewerbe des Ungarn nicht das Geringste ahnte und ihm alle frühere Liebe und Achtung wieder geschenkt hatte, fühlte zu ihrem höchsten Entzücken, daß sie etwas unter ihrem Herzen trage, was sie ihrem Gatten nicht verschweigen dürfe. Derselbe kam in einer Nacht sehr spät von der Mühle nach Hause und fand Fri da, die in ein blendend weißes Negligée gekleidet war, noch an der Front-Gallery in ihrem Schaukelstuhle sitzen. Den Tag über war es sehr schwül gewesen und als der Abend herein brach, zeigte ein leichtes Wetterleuchten, daß sich die Luft etwas

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    abkühle. Jenny setzte sich mit Frida auf die Galerie, um so besser der kühlenden Luft zu genießen. Jenny war traurig und überhaupt ganz verstimmt. Umsonst drang die Schwester in sie, ihr die Ursache ihres Kummers zu offenbaren, umsonst wandte sie all' ihre Zärtlichkeit an -- Jenny bekannte Nichts und schützte dagegen ein körperliches Unwohlsein vor, das wohl, nach ihrer Aussage, einen Grund in einer Ueberreizungder Nerven haben mußte. So saßen sie volle zwei Stunden neben Einander, ohne daß die Verstimmtheit Jenny's einen Augenblick verschwunden oder daß es Frida gelungen wäre,von ihrer Schwester ein herzliches Geständniß zu empfangen. Jenny wünschte ihrer Schwester in einem schmerzlichen Tone gute Nacht, erwiederte ihre zärtlichen Küffe und ging in ihr Schlafzimmer zurück, wo sie sich auch gleich niederlegte. Frida befand sich nun mutterseelenallein aufder Gallerie. Das Wetterleuchten war jetzt stärker geworden und von schwarzen Wol kenmaffen her, die sich in kurzer Zeit im Süden zur Bergeshöhe emporgethürmt hatten, rollte in noch fernen dumpfen Schlägen der Donner und verkündete ein herannahendes Gewitter. Kühl,wie die benetzte Brust einer Seemöve, schmiegte und drückte sich die erregte Luft an den nur leicht verhüllten Leib der unglücklichen Glücklichen. Sie legte die Hände in den Schooß und sah forschend hinüber an’s jenseitige Ufer, um im Momente der erleuchteten Luft ihren Gatten zu erspähen, den der kleineTiberius auf Algiers's Boden bringen sollte. Sei es nun, daß sie die intensive Glut eines herniederfahrenden Blitzstrahles blendete oder daß ein heftig darauf folgender Donnerschlag ihre Aufmerksamkeit von der bezeichneten Stelle ab wendete, sie sah ihren Gatten nicht eher, als bis er hinter ihr stand und ihr ein zärtlich „guten Abend, meine Frida,“ hingab. Sie schrak etwas zusammen, als sie so plötzlich seine Hand auf ihrer Schulter fühlte; doch folgte schon im nächsten Momente ein stürmisches Umhalfen. „Noch so spät auf, mein Kind? fragte er sie in sanftem Tone, half ihr, was er gewöhnlich zu thun pflegte, aus dem Schaukelstuhle und setzte sich selbst hinein, um sie auf den Schooß zu nehmen. „So spät, mein Lajos ? Sage lieber, so früh, denn Mitternacht ist schon längst vorüber und würden dort nicht die schwarzen Wolken lagern, so würdest Du schon das Frühlicht schimmern sehen,“ entgegnete sie und schmiegte ihr blondes Köpfchen an seine starke, breite Brust. „So wollen wir uns lieber zu Bette begeben, mein gutes Kind; auch bin ich sehr müde und fühle mich sehr

 

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abgespannt.“ „Du quältst Dich meinethalben zu viel, mein Lajos -- Deine Stelle solltest Du lieber mit einer andern ver tauschen, damit Du doch wenigstens Deine Nachtruhe hat.“ „Das geht jetzt noch nicht an, meine Frida, ich muß dieses Jahr wohl noch aushalten -- dann, wenn's Gottes Wille ist, mich gesund zu lassen, beginne ich mein eigenes Geschäft.“ „Wenn es Gottes Wille ist, mein Lajos ? Der Himmel hat mich gesegnet und er wird uns auch in Zukunft alle Trübsale ersparen.“ Ein höllisches Feuer brannte bei diesen Worten in den Augen des Ungarn. „Der Himmel hat sie gesegnet?“ frug er sich; doch mit erheuchelter Freude frug er seine Frau: „Der Himmel hat Dich gesegnet, sagst Du ? Habe ich recht gehört? Solltest Du .. ?“ „Es ist so, wie Du glaubst, mein Lajos, in mehreren Monaten wird ein glückliches Ehepaar mehr auf der Erde sein.“ -- Man darf nicht vergessen, daß sich diese Scene lange Zeit vor jenem Brande der Hamburger Mühle, zu dem der Ungar selbst das Feuer angelegt hatte, zutrug. -- Jennys Zustand wurde von Tag zu Tag immer hoffnungsloser und der guten Frida schwand alle Hoffnung auf eine der einstige Besserung, um so mehr, da es ihre Schwester stets entschieden ablehnte, einen Arzt zu consultieren. Da sollte in der Person des Prinzen von Würtemberg der Mann erschei nen, der etwas Licht in den dunklen Zustand brachte. Derselbe kam nemlich eines Tages in das wunderliebe Häuschen, um die Schwestern zu besuchen und zugleich die für ihn gesammelten Schmetterlinge und Käfer abzuholen. Er war, wie immer, wenn er erschien, als der herzlichste Freund empfangen. Das Entzücken über ein so plötzliches und unverhofftes Erscheinen war so groß, daß sich sogar das Dulderantlitz der armen Jenny auf einige Augenblicke aufheiterte und ihr seit jener Scene mit dem schönen Feuermann fo matt gewordenes Auge lebhaft aufbrannte. Doch nur zu bald traten die guten Geister wieder zurück und der stille Dämon ihrer Leiden behielt die Oberhand. Der Prinz war zu sehr Weiberkenner, als daß ihm die Ursache des Kummers seiner Freundin lange verborgen geblieben wäre. Als man kurz nach dem Abendessen im Gärtchen spazieren ging, der Prinz in die Mitte genommen, löste sich Jenny plötzlich von seinem Arme und nachdem sie ein wiederholtes Unwohlsein vorgab, ließ sie den Prinzen mit Frida allein und ging der entgegengesetzten Seite des Gärtchens rwundert auf die Blondine und sprach rnstliches Bede nke über den so geheimnisvollen Zustand

 

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der Schwester aus. „Meine liebe Gräfin Frida,“ sagte er und ging der Laube zur rechten Seite des schattigen Ganges zu, „wollen wir uns hier auf einige Augenblicke nieder lassen?“
[LSZ - 1854.09.08]
    „Wie Sie wünschen, mein Prinz, nur möchte ich Sie er suchen, nicht zu zürnen, wenn ich sehr bald aufbrechen werde; denn ich kann Jenny nicht lange aus den Augen lassen -- sie könnte sich leicht etwas zu Leide thun.“ „Aber, mein Gott, steht es so schlimm mit Gräfin Jenny, daß Sie irgend etwas zu befürchten haben?“ „Hierauf kann ich Ihnen keinen ge nauen Bescheid geben, mein Prinz, da ich mich hierin leicht täuschen könnte -- jedoch erheischt es die Klugheit, zur rechten Zeit vorsichtig zu sein.“ „Wie soll ich Ihre Worte deuten, meine liebe Gräfin? Sie sprechen in der That in Räthseln.“ „Mein Prinz, Sie wissen, daß ich vor Ihnen nie Geheimnisse hatte, wenn sie gerade nicht in’s Heiligthum von uns Frauen hinüberschweiften.“ „Das weiß ich, meine liebe Gräfin, aber ich bitte inständig, meine Worte nicht zu mißdeuten.“ „Durch aus nicht, mein Prinz -- Sie sprechen jederzeit aufrichtig und so ist es auch an mir,Ihnen das zu geben, was Sie selbst von sich verlangen.“ Frida legte ihren Zeigefinger an den Mund und fuhr dann weiter: „Seit mein Mann hier ist, schläft Jenny wieder allein. Sie wissen, mein Prinz, daß wir Schwestern bisher in Einem Bette schliefen und uns dabei so glücklich fühlten, als wären wir ein junges Ehepaar. Ich legte mich immer früher zu Bette, als Jenny, die oft noch bis ein oder zwei Uhr nach Mitternacht aufblieb und eifrig in ihren Lieb lingsdichtern las oder auch kleine Auffätze niederschrieb, die sie mir gewöhnlich den nächsten Morgen beim Frühstücke vorlas. Verließ Jenny ihre Studien, so lag ich schon im tiefsten Schlaf. Sie zog sich aus bis auf die Strümpfe und das nothwendigste Negligée, dann stieg sie zu mir ins Bett und weckte mich. Dann mußte ich ihr eigenhändig die Strümpfe abziehen und sie auch sonst wie ein kleines Kind zudecken und förmlich in Schlaf bringen. Ich war das so gewöhnt und wir fühlten uns so glücklich und überselig dabei, daß ich mich, als mein Mann ankam, nur mit Schmerzen von ihrer Seite trennen konnte. Jenny selbst hat mich seit dieser Zeit öfter gebeten, an ihrer Seite die nächtliche Ruhe zu genießen und mein Mann hatte auch gar nichts einzuwenden, da er wußte, wie wir uns selbst Einander verzogen hatten. So lag ich wieder einmal bei meiner Guten -- mein Mann war fast die ganze Nacht

 

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auswärtig beschäftigt -- halb schlief ich, halb wachte ich und wenn ich eingeschlafen war, träumte ich das dummste Zeug, bald von Feuersbrünsten, von todten Pferden, von Mördern, Räubern, so daß ich doch immer froh war, wenn ich aufwachte. Meine Schwester hatte sich während des Schlafes quer über das Bett gelegt und nahm mir in dieser Situation fast allen Platz weg. Da ich sie eines bequemern Liegens halber nicht wecken wollte, so drückte ich mich so viel als möglich zusammen, gegen die Kante des Bettes zu. Ich glaubte nun, meine bösen Träume und mein halbwacher Zustand seien die Folgen des unbequemen Liegens. Unwillkürlich ließ ich mich etwas weiter ins Bett hinein und da ich keinen Widerstand fand, so nahm ich bald das ganze Bett ein. Erst jetzt fiel es mir auf, daß sich Jenny so weit auf die andere Seite gedrückt haben sollte. Ich griff um mich, sah um mich, setzte mich auf -- meine Schwester war nicht bei mir. Da strich ein Schatten gegen die Musquitovorhänge hin und spannte sich gegen eine der Säulen des Fußtheiles des Bettes. Im nächsten Momente wurde es ganz dunkel im Zimmer. Bist Du vor dem Lichte, Jenny? rief ich, lüftete die Vorhänge und streckte meinen Kopf heraus, nach dem Kamin hin, auf dessem Mantel unsere Nachtlampe stand. Jenny stand wirklich vor dem Lichte. Die linke Hand hielt sie hohl an die Glasglocke, die Rechte schräg gegen die Flamme, so daß man das schöne rosige Blut durch ihre feine Hand schimmern sah. Was machst Du, liebe Schwester? rief ich ihr wiederholt zu. Lege Dich doch lieber ins Bett. Keine Antwort. Ich muß aufrichtig gestehen, es wurde mir ganz unheimlich zu Muth. Ich stieg aus dem Bett, doch kaum hatte ich den einen Fuß auf den Teppich gesetzt, als Jenny von der Lampe weg ans Fenster eilte, das wir der Schwule halber offen stehen ließen.“ „Ich ahne, Gräfin Frida, ihre Schwester ist somnamb . .“ Der Prinz sprach dies Wort nicht aus, denn Frida legte ihm ihre Hand auf den Mund. „Bitte, mein Prinz, fuhr sie fort, „erschrecken Sie mich nicht und hören Sie mich vorerst.“ Der Prinz nickte leise zu. „Jenny eilte an's Fenster und lehnte sich mit halbem Leibe hinaus -- erschrocken lief ich auf sie zu, faßte sie um den Leib und bat sie in ständig, mir zu sagen, was ihr fehle. Statt aller Antwort entwandt sie sich meinen Armen und klammerte sich an die Fensterrahmen, dabei eine Bewegung machend, als wolle sie sich hinausschwingen. Um's Himmelswillen, Jenny, was machst Du? fragte ich sie und fiel ihr um den Hals. Sie athmete

 

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hörbar auf, wandt sich gegen mich und sagte mehrmal nach Einander ...“ Frida schwieg einen Augenblick. „Foltern Sie mich nicht so lange, meine Gräfin, was sagte sie?“ versetzte der Prinz hastig. „Schonen Sie mich, mein Prinz, es wird mir fast unmöglich -- und doch -- einem so bewährten Freunde, vielleicht sehen Sie besser, meine Sinne verwirren sich, wenn ich lange darüber nachdenke -- vielleicht war es auch nur die Sprache der Traumwelt -- man spricht oft im Schlafe etwas, wovon das Herz nichts weiß -- -- meine gute Jenny sagte mehrmal nach Einander: Albert, Albert, wenn Du mich nur ein bischen lieb hast -- Emil, verzeihe, mein Albert, mein Emil -- Albert, bist Du nicht mein Emil? --“ Frida schien ganz erschöpft. Sie legte ihre Hände gefaltet in den Schooß und sah dem Prinzen bedenklich in's Gesicht. Derselbe fuhr mit seiner Rechten mehrmals über die Stirne und fragte :
[LSZ - 1854.09.09]
    „Gräfin, wie kommt es, "daß Sie jene Worte Ihrer Schwester so sehr bestürzt machen? Was suchen Sie in ihnen? Welche Bedeutung legen Sie ihnen unter? -- --“ „Mein Prinz,“ erwiederte die herrliche Blondine Frida, „meine Schwester liebt Emil trotz seines treulosen Benehmens bis zur Räserei. Der junge Architekt war ihr von jeher nicht ganz gleichgültig, da er Emil’s Manieren an sich hat und sogar seinen Blick, wie Jenny selbst versichert, ich aber durchaus nicht finden kann. Der junge Architekt schwärmt für Jenny, wie man für eine schöne Blume, ein inniges Bouquet schwärmt- weiter getrau' ich mir nicht nachzuforschen- es wäre Verrath an meinem guten Schwesterchen -- oder ist es schon Verrath, wenn ich das Geheimniß“ -- -- „Meine gute Comtesse,“ unterbrach sie der Prinz von Würtemberg: „es hängt das Wohl Ihrer werthen Schwester davon ab, wenn Sie mir aufrichtig gestehen, was Sie befürchten. Halten Sie meine Bitte nicht für bloße Neugierde und glauben Sie nicht, daß Sie irgend einen Verrath am schwesterlichen Herzen begehen, wenn Sie einem alten, bewährten Freunde, dessen höchster Lebenszweck es ist, Leiden zu lindern und Kummer zu verscheuchen, ein Geheimniß anvertrauen, das Frauen sonst so gerne in sich verschließen.“ „Prinz, Prinz -- Sie gehen zu weit in Ihrem lobens werthen Eifer, nein, nein, Prinz -- ein solches Geheimniß, das wir Frauen -- --“ Frida schlug die Augen nieder und sah erröthend in den Schooß. Der Prinz legte seine Rechte auf die Schulter seiner Freundin, neigte leise en Kopf vor

 

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und sagte zuversichtlich: „Ich glaube jetzt dem Kummer Ihrer Schwester auf der Spur zu sein -haben Sie nicht ihren sonderbaren Gang bemerkt?“ „Prinz!“ betonte die Blondine in einem unbeschreiblichen rührenden Tone: „sollte meine Schwester sich so weit vergessen haben?“ „Stille, göttliches Weib!“ besänftigte der Prinz: „Sie werden Ihre Schwester bemitleiden, aber nicht verdammen.“ „Verdammen, meine Schwester? Nein, nein, Prinz-ich will sie küfen und wieder küffen.-- -- O Jenny, Jenny, hätte ich dies nur ahnen können!“ „Meine Gute,“ schloß der Prinz von Würtemberg: „denken Sie sich Göthe's Wahlverwandtschaften in umgekehrter Weise und Ihre Schwester ist außer aller Schuld “ . . . Nach einer so glücklichen Analyse hielt es der Prinz von Würtemberg für eine vornehmste Pflicht, mit Gräfin Jenny selbst Rücksprache zu nehmen. Wenn er auch bei sich einiges Bedenken trug, durch ein aufrichtiges Entgegenkommen ihren gedrückten Seelenzustand zu einer elastischen Lebenswärme auffrischen zu können, so fühlte er sich um so mehr berufen, wenigstens den äußern Schein zu retten und seine Freundin vor einem üblen Ruf, den sie, wie er sich selbst sagte, nicht im mindesten verdiene, zu beschützen. So beschloß er, Jenny durch die Vermittlung Frida's dahin zu bewegen, Algiers zu verlassen, um fern von New-Orleans und nächster Umgebung ihrer Niederkunft ruhig entgegenzusehen. Da ferner der bedenkliche Zu stand Jenny's mit dem ihrer Schwester Frida in Eine Zeit zu sammenfiel, so war es auch für Letztere ersprießlich, sich auswärts auf ruhige und möglichst heitere Weise zu zerstreuen und im schwesterlichen Zusammenleiden einst die welken Bläffen mit dem duftigen Marke des ankommenden Herzensfrühlings zuvertauschen. Zu diesem Behufe wurde als der geeignetste Ort „Paß Christian“ betrachtet. Der Prinz konnte hiefelbst über eine geräumige und höchst muthig gelegene Villa verfügen, die feinem Freunde Baron von Seckendorf, der sich für ge wöhnlich bei St.Antonio, in Teras, aufhielt, zugehörte. Diese Villa war auch während der Abwesenheit ihres Eigners für gewählte Familienzirkel bestimmt, die Paß Christian während der Dauer der Regattas zu ihrem Aufenthalte auserlesen hatten. Dieser Vorschlag war Niemandem genehmer, als dem Ungarn. Derselbe heuchelte zwar Anfangs unbegrenzte Zärtlichkeit gegen Frida, indem er in die drang, die Abreise noch auf einen Monat zu verschieben, da es ihm dann möglich wäre, von seinem Geschäfte abzukommen und den Aufenthalt in Paß Christian

 

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auf einige Wochen mit seiner Gattin und Schwägerin zu theilen. Aber schon nach dem Verlaufe von einigen Tagen sprach er die Befürchtung aus, daß er sehr wahrscheinlich vor mehreren Monaten nicht abkommen könne, daher er es für besser erachte, die Abreise lieber gleich zu beschleunigen, besonders da der reine, herrliche Himmel dieselbe sehr zu begünstigen scheine. Wer war von Herzen froher, als der Prinz von Würtemberg? Er besorgte selbst die für einen so langen Aufenthalt in Paß Christian für nöthig erachteten Einkäufe, sowie einige Hängematten, Tragsessel, Chaiselongues mit Fächerapparat, kurz, alle Bequemlichkeiten, wie fiel sich der Prinz für seine gräflichen Freundinnen ausdenken konnte. Auch ließ er es sich nicht nehmen, die Koffer, Kisten und Palmettokörbe mit packen zu helfen und manches Angebinde mit hineinzuschieben, was das gräfliche Schwesternpaar am Orte seiner Bestimmung erst ausfindig machen sollte. Für Bedienung in Paß Christian wäre eigentlich hinlänglich gesorgt gewesen, denn es befanden sich in der Villa zwei ältliche Mulatressen und drei junge, kerngesunde an’s Arbeiten gewöhnte Chola's, die jämmtlich das Eigenthum des Herrn von Seckendorf waren; aber die Schwestern wollten noch ein deutsches Mädchen mit sich nehmen, weil ihnen ein solches im Momente ihrer Niederkunft gemüthlicher und heimlicher dünkte, als irgend eine farbige Person. Urschl, die bisher noch keinen Platz erhalten konnte, obwohl sie sich nach der deutschen Gesellschaft die Füße schon ganz wund gelaufen hatte, wurde von dem Prinzen zuerst in Vorschlag gebracht und von den Schwestern nach einer kurzen Debatte auch gleich feierlichst engagiert.
[LSZ - 1854.09.10]
    Man hatte mit der wackern Köchin, obwohl sie jüngst wegen ihrer scandaleusen Aufführung in contumaciam verurtheilt wurde, Mitleiden gefühlt, da sie so ohne allen Erfolg nach einer neuen Herrschaft ausgelaufen war und man behielt sie noch im Hause. Nun belohnte sich die Barmherzigkeit, die die Schwestern an ihr geübt, damit, daß man nicht nöthig hatte, die Zeit mit dem Aufsuchen eines neuen Domestiken zu vergeuden. Tiberius sollte von jetzt ab wieder das Commando in der Küche führen und im Schmoren von Eggplants und Anmachen von Bananen- und Tomatoes Salat sich neue Lorbeeren erringen. Als die Schwestern in Begleitung des Prinzen und des Ungarn vom wunderlieben Häuschen Abschied nahmen, um sich gleich darauf auf das für sie bestimmte Boot zu begeben, watschelte die wackere Köchin, ganz bedeckt mit Schachteln und

 

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Schatullen, langsam hinten nach und machte ein so vergnügtes Gesicht, wie eine Mutter, wenn ihr Baby zum Erstenmale auf den Pot de Chambre begehrt. Sie war herzlich froh, daß es jetzt fortging; denn Tiberius hatte ihr das Leben seit jenem Verhöre sehr verbittert. Derselbe ließ es ihr sogar noch einige Minuten vor dem Abschiede entgelten, indem er nach ihr die Zunge herausstreckte und eine lange Nase machte. -- Das war nun die Zeit, in welcher jene gräfliche Familie, die Eltern und Geschwister Emil’s, von Deutschland ankamen. Der Prinz, welcher gleich den andern Tag von ihrer Ankunft unterrichtet war, versäumte natürlich als alter Bekannter nicht, alsobald seinen Besuch abzustatten. Dem Leser sind die näheren Einverständnisse, Zwischenfälle, und die Unglücksperiode der gräflichen Familie bereits bekannt und er wird auch schon errathen haben, weßhalb der Prinz von Württemberg stets so geheimniß voll that, wenn man auf Emil und die beiden Schwestern zu sprechen kam. Er hielt es niemlich für rathsam, zuerst die vollkommene Genesung Jenny’s von ihrer Niederkunft abzuwarten und sie erst dann mit Frida in die Arme der Schwiegereltern zu führen. Er schrieb hierüber den beiden Schwestern nach Paß Christian einen überzeugenden Brief, dessen Inhalt dieselben in allen seinen Einzelnheiten sehr gerne adoptierten. Daß der alte Graf ungeachtet seiner eifrigsten Nachforschungen bei dem betreffenden Consul und bei der deutschen Gesellschaft durchaus keine Auskunft über den Aufenthalt seines Sohnes und seiner Schwiegertöchter erlangen konnte, kam daher, daß Emil unter einem ganz anderen Namen bekannt war. Von Frida's Verheirathung erfuhr die gräfliche Familie erst etwas Näheres, als der Prinz bereits nahe daran war, die schon verloren Geglaubten in ihre Arme zu führen.-Das Kind Jenny's, ein herrliches Geschöpf mit großen hellblauen Augen und dunklem Haar, nahm der Prinz zu sich nach seiner Residenz an der Bayou Road. Dort sollte es einstweilen als ein seltenes Juwel aufbewahrt und herangezogen werden, bis sich die Verhält, niffe so gestaltet hätten, daß man es wagen durfte, dasselbe auf den Schooß der Mutter zu legen. Frida, die fast zur nemlichen Stunde Mutter wurde, hatte die ersten Wochen eine traurige, betrübte Zeit durchzuleben. Ihr Kind, ein Knabe, war schon sehr kränklich auf die Welt gekommen und man glaubte deshalb Alles befürchten zu müssen. Es war überhaupt ein merkwürdiges Kind. Es hatte nicht jene verschwommenen und ungewissen Gesichtszüge, wie es, mit nur sehr wenigen

 

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Ausnahmen, bei fast allen Neugeborenen der Fall ist, sondern sie waren bestimmt ausgeprägt, ja noch mehr, scharf markiert. Die Augen, Stirne, die feinen schmalen Lippen, das Kinn -- Alles war der Ungar, sein Vater. Nicht nur, daß sich auf seinem Köpfchen ein dichter, dunkler Haarwuchs zeigte, brachte es auch fünf Zähnchen mit auf die Welt. An der Stelle auf derjenigen Wange, wo der Vater die gräßliche Narbe hatte, zeigte sich ein grauer Fleck, der bis zum Mundwinkel herablief. Frida war entzückt über ihr Kind, eben wegen dieser frappanten Aehnlichkeit mit seinem Vater. Mit der größten Aengstlichkeit wachte sie beidem kränklichen Geschöpfe Tag und Nacht und entzog sich seinethalben fast jegliche Bequemlichkeit. Wie der Ungar nach der Rückkehr seiner Gattin in's wunderliebe Häuschen ein Kind liebte, kann man aus jenem Gespräche in der Hamburger Mühle entnehmen, wo er dasselbe in scheußlicher Gemeinheit vor seinen Schandgenossen prostituierte. Wir setzen noch hinzu, daß, als er sich das Erstemal in der Nähe seines Kindes befand, es in einem Innern fürchterlich tobte und fluchte. Entsetzte er sich vielleicht doch über jenen grauen Fleck an der Wange des unschuldigen Kindes, das ihn unwill kürlich an jene Mordseene in der Lookingglass-Prairie erinnern mußte? Wohl hatte noch kein Mann einen sicherern Beleg für die Treue seiner Frau, als der Ungar, wenn er sein Kind betrachtete. Diese Treue! -- So weit war man im wunderlieben Häuschen, als der Prinz von Würtemberg mit Gräfin Gertrude die tiefgebeugten Eltern überraschte und die ganze Nacht über am einfachen Paradebette Tantchen Cölestine's mitgewacht hatte. In der nemlichen Nacht wurde, wie wir bereits wissen, die Hamburger Mühle ein Raub der Flammen. Wir knüpfen nun wieder da an, wo das Ungeheuer in Begleitung des kleinen Tiberius mit verschränkten Armen von Algiers aus dem Brande zusah und sich dann an Thomson's Foundry vorbei in's wunderliebe Häuschen begab. --

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[LSZ - 1854.09.12]

Achtes Kapitel.

Eine Nacht aus dem Leben einer
jungen Frau

    Nach ihrer Rückkunft von Paß Christian lebten die beiden Schwestern die erste Zeit ziemlich eingeschränkt. Theils wollte

 

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man wieder einholen, was der Aufenthalt in der Ferne gekostet, theils hatte man im Sinne, den an der nördlichen Begränzung des Gärtchens gelegenen Bauplatz an sich zu kaufen. Diese Erweiterung des Grundeigenthums war um so wünschenswerther, als man hiemit dem vielen Geflügel, das sich sehr stark vermehrt hatte, eine paffende Einfriedigung verschaffen konnte. Frida, deren ganze Aufmerksamkeit nun ihrem Kinde gewidmet war, hatte gleich bei ihrer Ankunft in New-Orleans auf ihre Stelle im College resigniert, da ihr Gatte nach seinem Vorgeben jetzt das Doppelte verdiente. Jenny's Wirken hatte sich in soferne verändert, als sie jetzt nicht mehr ihren Clavierunterricht in der Stadt ertheilte, sondern einige auserwählte Zöglinge zu sich ins Haus kommen ließ. Das war für die gute Jenny auch viel besser. Die viele Zeit, die sie früher außer dem Hause, mit Herüber- und Hinüberfahren u.s,w. verlor, konnte sie nun auch für ihre Lieblingsbeschäftigungen verwenden. Nur zweimal in der Woche verließ sie das wunderliebe Häuschen, um nach der Bayou Road zu fahren, wo sie sich dann in die Residence des Prinzen von Württemberg zu ihrem Kinde begab. Da war es auch, wo sie zuerst Gertrude und Constanze traf, noch ehe die Eltern derselben von ihrer und Frida's Gegenwart von dem Prinzen etwas erfahren hatten. Derselbe hatte sie nach dem Tode von Tantchen Cölestine zu Mistreß Evans gebracht und die Eltern, sowie dieandern Glieder der Familie über die Lake. Ihre freien Stunden, wenn sie nicht nach der Bayou Road fuhr, verbrachte Jenny theils an der Seite ihrer Schwester, theils unter jenem Bananenbaum, unter dem jetzt ein kleines Bänkchen angebracht war. Sie selbst taufte diesen Platz. „Jenny's Ruh.“ Und in der That gereichte es ihrem Herzen zur größten Ruhe, wenn sie hier so ganz in der Nähe der verschlungenen Namenszüge verweilen konnte. Niemand störte sie hier. Einmal traf sie der Prinz, als sie eben ihre Busenschleife so um den Stamm des Bananenbaumes band, daß dieselbe das A und E vollkommen deckte. Verwirrt sprang sie auf und war wie der Wind ins wunderliebe Häuschen geflogen. Sprachlos stand der Prinz einige Augenblicke still, denn er konnte sich dies sonderbare Benehmen Jenny’s durchaus nicht erklären. Nachdem er sich mehrmals nach der Gegend des Häuschens zu umgesehen, ob er nicht beobachtet würde, ließ er sich auf ein Knie nieder und löste die Schleife von dem Stamme. Als er das A und E bemerkte, war ihm die Verwirrung Jenny's

 

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ganz klar geworden. „Ich sollte Dir eigentlich zürnen, Bananenbaum,“ flüsterte der Prinz vor sich hin. „Bis jetzt glaubte ich, Gräfin Jenny hätte nur mir und der Schwester ihr innerstes Geheimniß anvertraut, nun sehe ich aber, daß auch Du in dasselbe eingeweiht bist.“ Der Prinz öffnete dabei seinen Hemdebusen und ließ die verrätherische Schleife hineingleiten. Dann trat er aus der Gartenthüre, ohne die Schwestern besucht zu haben. Jenny war Ein Feuer, als sie bei der Schwester war und erzählte, daß sie der Prinz beim Bananenbaum ertappt habe. „Das geschieht Dir ganz recht, liebes Schwesterchen, warum hast Du unserm alten bewährten Freunde Dein Geheimniß verschwiegen? Es lag mir schon oft auf der Zunge, aber ich glaubte immer,Du würdest es ihm selbst einmal sagen.“
    „Du hast Recht, Schwester,“ entgegnete Jenny in einem herzlichen Tone, „es war ein großer Fehler von mir, daß ich's ihm verheimlicht habe.“
    „Der Prinz ist der beste Beichtvater von der Welt,“ sagte Frida, „er vergiebt alle Sünden.“
    „Ueberhaupt wird er von Tag zu Tag liebenswürdiger,“ bemerkte Jenny, „ich liebe und schätze ihn wie meinen eigenen Vater.“
    „Wer weiß?“ sagte Frida schelmisch.
    „Aber Frida“ verbat sich die Schwester und drohte mit dem Finger.
    „Ich weiß nicht,“ bemerkte Frida wieder, „aber der Prinz ist gar nicht so langweilig, wie andere Männer in seinem Alter.“
    „Larochefoucauld hat einmal gesagt: es giebt wenig Männer, welche alt zu sein verstehen,“ citierte Jenny mit wichtiger Miene.
    „Und unter diesen Wenigen befindet sich der Prinz,“ er gänzte Frida, ebenso wichtig wie vorher ihre Schwester.
    In dieser und ähnlicher Weise unterhielten sich die beiden Schwestern gar oft. -- --
    Heute saßen Jenny und Frida noch spät in der Nacht bei Einander. Zwischen ihnen fand eine kleine Wiege, die sie abwechselnd in Bewegung gesetzt hatten. Der Kleine in der Wiege schien jetzt ruhig zu schlummern. Frida hatte ihre rechte Hand über das Geländer des Bettchens gelegt, doch so vorsichtig, daß dadurch keine Oeffnung zwischen der Musquitobare entstand, denn bei der geringsten Vernachlässigung hätten sehr

 

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leicht Musquitoes hineinschlüpfen und das schlummernde Kind aufwecken können. Beide trugen lange, schneeweiße Hemden mit Blousenleib. Die Haare hatten sie zurückgekämmt und nach hinten mit einer einfachen Nadel aufgesteckt. Wie immer vor dem Schlafengehen, so hatten sie auch heute Gesicht, Nacken und Busen stark gepudert.
[LSZ - 1854.09.13]
    Das Klima in Louisiana erfordert dies und Frauen, die es unterlassen, merken es gar bald an ihrer Haut. Die Schwestern versäumten das Pudern bei ihrer Nachttoilette nie, sowie sie überhaupt, was Reinlichkeit anbetrifft, sehr eigen waren. Besonders waren ihre kleinen, schmalen Füße von wunderbarer Alabasterweiße, sowie die elegant geformten Nägel an den Fußzehen von dem hübschesten Rosa angehaucht. --
    „Dein Mann bleibt heute lange aus, liebe Schwester,“ bemerkte Jenny, während sie durch die Musquitobare nach dem schlummernden Kinde sah.
    „Eben dachte ich darüber nach,“ entgegnete Frida, „Tiberius ist bereits seit anderthalb Stunden weg.“
    „Wenn nur kein Unglück passiert ist,“ versetzte Jenny, „Tiberius verfährt manchmal so leichtsinnig beim Rudern.“
    „O, deßhalb ist mir nicht bange, mein Mann ist ein treffslicher Schwimmer.“
    „Das ist wahr, Frida -- doch, sage mir einmal, was hat Dir denn Dein Mann gestern Nacht im Bette erzählt, daß Du so laut gelacht hast?“
    „Warte, Jenny, hast Du schon wieder gehorcht?“
    „Wenn ich gehorcht hätte, würde ich Dich nicht fragen, liebes Schwesterchen. Es muß jedenfalls etwas Außerordentliches gewesen sein, weßhalb Du so gelacht hat. Ist's nicht so?“
    „Das ist es gewesen, Jenny und ich könnte jetzt noch einmal anfangen zu lachen, wenn ich daran denke.“
    „So sage mir, was war es?“
    Statt der Antwort schwieg Frida und fingierte eine geheimnißvolle Miene, um die Neugierde ihrer Schwester zu reizen.
    „So sag' doch, Schwesterchen-was war's?“
    „Ich erzähle Dir's ein Andermal, Jenny -- heute ist es schon zu spät und mein Mann kann jeden Augenblick kommen.“
    „Darf er's denn nicht wissen?“
    „Gewiß“

 

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    „Warum willst Du mir's aber nicht erzählen?“
    „Ich will ja, Jenny - aber nur heute nicht.“
    „Dies ist purer Eigensinn von Dir, meine Frida - es muß Dir ja ganz gleichgültig sein, ob Du mir's jetzt gleich oder Morgen erzählt. Thu' es lieber jetzt gleich, sonst muß ich denken, Du willst Dir aufMorgen etwas Anderes aussinnen.“
    Die beiden Schwestern horchten plötzlich auf. Frida ließ ihre Hand von dem Geländer der Wiege gleiten und sah ihre Schwester fragend an.
    „Das muß Feuer sein, Frida,“ sagte Jenny.
    „Doch nicht in unserer Nähe? Komm’, Schwester, laßä' uns hinaussehen.“
    Die beiden Schwestern verließen Arm in Arm das Zimmer, nachdem sie noch vorher nach dem Kinde gesehen hatten, ob es auch ruhig fortschlummere.
    Der Wind trug den Schall der Feuerglocken so laut von New-Orleans herüber, als würden sie ganz in der Nähe angezogen.
    Als Jenny und Frida auf der Galerie des Häuschens waren, sahen sie am jenseitigen Ufer bereits gewaltige Flammen gen Himmel lodern.
    „Das ist ein großes Feuer!“ rief Jenny aus. „Sieh' mal, Frida, wie es immer weiter um sich greift.“
    „Es ist doch entsetzlich mit diesem ewigen Brennen in New-Orleans. Es kann auch kein Tagdahingehen, ohne daß man nicht Ein oder mehre Male aus seiner Ruhe aufgeschreckt wird. Es ist gerade, als wenn es mit Absicht geschähe. Es ist gar nicht mehr natürlich.“
    „Das kann leicht sein, Frida -- es giebt in New-Orleans genug böse Menschen.“
    Längs der Fence, die das Gärtchen umschließt, sahen sie jetzt zwei Männer eilig dahingehen, die an den nahegelegenen Docks Halt machten und sich sehr laut unterhielten.
    „Ich glaube, es ist das große Warehouse von Johnson,“ hörten die Schwestern den Einen sagen.
    „Das kann es nicht sein- Johnson's Warehouse liegt noch einen Square weiter hinab. Wenn ich mich nicht täusche, so ist's die Hamburger Mühle,“ erwiederte der Andere.
    „Dem Nest würde es nichts schaden, wenn es zu Grunde ginge. Man hört so viel davon und wenn nur Hälfte wahr

 

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ist, so verdiente es schon, ein Raub der Flammen zu werden. 'S ist lauter Loafergesindel, was darin wohnt.“
    „Wenn das Loafergesindel mit verbrennen würde, könnte sich die Nachbarschaft dazu gratulieren -- aber so müffen ordentliche Leute auch darunter leiden,“ entgegnete der Erstere.
    „Du kannst doch Recht haben,“ sagte der Andere. „Betrachte diesen langen Zug von blauen Flammen. Das ist Alkohol, was brennt.“
    „Du meinst also jetzt auch, daß es das große Warehouse ist ?
    „Ja ; so viel Alkohol und Liquor werden sie wohl in der Hamburger Mühle nicht gehabt haben -- -- sieh', sieh', die blauen Flammen werden immer länger und zahlreicher -- dort, ganz hinten, schlagen sie jetzt auch hervor -- -- und doch, doch muß es die Mühle sein. Siehst Du dort, wo der Wind den Rauch wegführt, da kann man das Nebengebäude jetzt ganz deutlich sehen. Ich kann mich ganz gut entsinnen, daß es dicht an der Mühle steht -- -- sieh', sieh', jetzt kannst Du's noch deutlicher sehen.“

[LSZ - 1854.09.14]
    „Das kann wohl sein, ich habe nie so recht darauf Acht gegeben.“
    Die Männer verließen die Brüstung der Docks und gingen weiter hinab dem Ufer entlang.
    Jenny, die, wie ihre Schwester, jedes Wort, das die Männer mit Einander sprachen, deutlich vernommen hatte, sagte:
    „Sagten die Mäuner nicht, daß ... die -- -- nun, wie haben sie das Ding nur genannt?
    „Hamburger Mühle, glaube ich.“
    „Das muß ein schlimmes Nest sein, nach dem zu Urtheilen, was die Männer darüber sprachen. Du mußt Deinen Mann fragen, Frida, wenn er zurückkommt -- der Name klingt schon so geheimnisvoll - begierig wäre ich, wenn ich etwas Näheres darüber erführe.“
    „Es kommt darauf an, ob mein Mann etwas davon weiß, oder überhaupt schon einmal den Namen gehört hat.“
    „Es wäre doch leicht möglich, daß er es wüßte; denn ich habe noch nie einen Mann getroffen, der so viel Ortskenntniffe besitzt; er ist ein lebendes Directory. -- -- --
    Was geht im selben Augenblicke mit Jenny vor? Sind das noch die matten Augen einer stillen Schwärmerin? Frida, Frida, schlinge Deinen Arm um den schlanken Leib Deiner

 

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Schwester, damit sie nicht im Taumel der Freude über das Geländer hinabstürzt! Auf den Knieen flehe ich Dich an, Frida, reiße Amor seine Pfeile aus dem Köcher, noch ehe er sie alle in das Herz Deiner armen Schwester versendet; denn der, den sie liebt, ist zu weit, zu weit, um die Lippen zu einem Kuße zu spitzen, er ist drüben, drüben über dem breiten Strome und steht mitten unter den Flammen und spottet der vernichtenden Glut. Ist das keine Vision? Folgt Deine Einbildungskraft nicht einem lockenden Irrlichte? Sollte jener schöne Mann mitden verengten Haaren und dem glühenden Antlitze, der aufdem höchsten Giebel der Hamburger Mühle steht, um von hier aus als Feuermann seine Pflicht zu erfüllen, wirklich Dein Albert sein? Und Du glaubst ihn sicher zu erkennen, meine Jenny? Es ist sehr weit von Algiers hinüber nach New-Orleans, aber ich glaube Dir; denn ich weiß, daß das Auge der Liebe weitehend ist:
    So stürmte ein kühles Lüftchen, das durch die gekrausten Härchen eines weiblichen Götterbildesjauchzte.
    Die blauäugige Frida schmiegte sich schützend an ihre Schwester, als sich dieselbe weit über das Geländer der Gallerie hinausbog und ihre Arme wie im stürmischen Verlangen nach dem rasenden Feuermeere ausstreckte.
    „Frida, gute, gute Schwester, siehst Du denn meinen Albert nicht?“ rief Jenny aus, und so laut, als befände sie sich mit ihrer Schwester allein auf dem weiten Erdenrunde.
    „Jenny, liebes gutes Schwesterchen, sei doch vernünftig, sage, was ist Dir? Ich bitte Dich um's Himmelswillen, Schwesterchen -- -- O Gott, mein Gott, diese Augen -- -- Schwesterchen, Du erschrickt mich -- -- was ist Dir denn?“
    „Siehst Du denn meinen Albert nicht? Da, da, sieht Du nicht, wie er mitten in den Flammen steht -- O, Gott, wenn sie ihm nur nichts zu Leide thun -- -- sieh', sieh', jetzt steigt er höher hinauf -- O Gott -- die Leiter wird ihn doch halten? -- -- oh, betrachte ihn genau, gerade wie Emil! -- --“
    Man sah in der That auf einem querüberliegenden Dachbalken, den die Flammen bisher noch verschont hatten, die schlanke Gestalt eines Feuermannes, wie er, den Schlauch mit geübter Hand regierend, den Wafferstrahl aufdie unter ihm prasselnden Flammen schießen ließ. Sicher stand er, als hätte er nicht die geringste Gefahr zu befürchten oderbsp;

 

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als befände er sich auf festem Boden. Ganz deutlich traten seine Umrisse aus der leuchtenden Lohe hervor und wurden nur verwischt,wenn sich gerade der dichte Qualm aufdie Seite legte und die Dachsparren streifte.
    Es war höchste Zeit, daß der Feuermann seinen gefährli chen Platz verließ, denn fast im nemlichen Momente, als er die letzte Sprosse der Leiter herabgestiegen war, stürzte jener Querbalken herab, mitten hinein in die rauchenden Trümmer und glühenden Schutthaufen.
    Jenny sah den Feuermann herabsteigen und ließ ihr Ta schentuch nach jener Richtung hin flattern, als wenn sie überzeugt wäre, daß sie derselbe sehen würde.
    War es wirklich Albert?
    Frida will es der Schwester Anfangs nicht einräumen und doch, da es Jenny einmal haben will, so glaubt sie es zuletzt.
    Ein heftiges Klingeln von der Gartenthüre her zeigte den Schwestern an, daß Jemand im Begriffe ist, einzutreten.
    „Das ist Dein Mann, Frida,“ sagte Jenny, „ich will machen,daß ich in mein Schlafkabinet komme, ich fühle mich nicht gefaßt genug, ihn zu begrüßen. Wünsche ihm in meinem Namen eine gute Nacht und vergesse nicht, ihn nach der Hamburger Mühle zu fragen.“
    Die beiden Schwestern gaben sich den herkömmlichen Nachtkuß und Frida flüsterte der Schwester schnell in's Ohr : „Aber horche heute nicht wieder, liebes Schwesterchen!“
    „Laß das, Frida!“ warf Jenny rasch entgegen und eilte hinweg.
    Jenny hatte Recht. Es war Lajos, der durch den Baumgang herankam. Ihm folgte der kleine Tiberius, der seine alte Leier von „Susannah don't you cry“ vor sich hinpfiff.
    Frida verließ die Gallerie und ging ihrem Gatten auf halbem Wege entgegen.

[LSZ - 1854.09.15]
    Derselbe sah kaum vom Boden auf, als sie ihm zum Willkomm die Hand reichte. Er dankte ihr in kurzen Worten und bot ihr nicht einmal seinen Arm an, was er früher nie unterlassen hatte. Nur half er ihr stillschweigend die Wiege, in der das Kind lag, mit in's Schlafzimmer zu tragen. „Ich bin müde:“ Das war Alles, was Frida aus ihm herausbringen konnte, als sie sich bereits im Schlafzimmer befanden, das, wie wir wissen, an das Cabinetchen Jennys stieß. Die Thüre, die dasselbe mit jenem verband, wurde während der Nacht

 

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nur leise angelehnt. Das war Jennys Wunsch, da sie sich nicht allein fühlen wollte.
    Jenny war schon im Bette, als Frida und Lajos eintraten. Eben hatte sie das Licht ausgeblasen.
    Ohne etwas zu sagen, ging Lajos auf die Thüre zu und drehte den Schlüssel zweimal im Schlosse herum.
    Frida sah erstaunt dem Manoeuvre ihres Gatten zu; denn sie konnte sich bis jetzt ein Benehmen durchaus nicht erklären.
    „Warum schließt Du denn die Thüre, Lajos? Jenny wird die Nacht sehr unruhigzubringen.“
    „Die Schwägerin ist doch kein Kind mehr, daß sie sich fürchtet, wenn die Thüre zugemacht ist -- -- es ist ja wirklich lächerlich!“
    „Sprich nicht so laut, Lajos, sie hört es,“ bat Frida.
    „Wenn sie es auch hört -- man muß ihr diese Kinderei abzugewöhnen suchen -- wenn sie darüber nachdenkt, muß sie sich vor sich selbst schämen -- wirklich, sehr langweilig, diese ewige Ziererei -- --“
    „Was hast Du denn heute? Ist Dir denn etwas Unan genehmes widerfahren? -- -- komm’, Lajos, sprich -- -- sei kein solcher Brummbär.“
    „Ist kein Wunder, wenn man schlecht aufgelegt ist, jetzt kann man betteln gehen.“
    „Nun sage, was ist denn?“ frug Frida ängstlich- in der äußersten Spannung.
    „Aller Verdienst zum Henker gefahren!“
    „Fluche nicht, mein Lajos -- hat man Dir Deine Stelle genommen? Hast Du Dich vielleicht mit Deinem Employer entzweit? -- -- Das wäre noch kein so großes Unglück, weßhalb Du so unwirsch zu sein braucht -- für einen Mann, wie Du, wird sich immer wieder etwas finden -- und wäre dies auch nicht der Fall, so kann ich ja wieder als Lehrerin alltäglich in's College wandern -- sie würden mich sehr gerne wie der aufnehmen, dessen bin ich gewiß, Lajos -- --“
    Es wird wohl überflüssig sein, daran zu erinnern, daß Lajos, während er sich über den Verlust eines der Gattin vorgelogenen Geschäftes ärgerlich stellte, jene bedeutende Summe Geldes in Papieren bei sich in der Tasche trug, die er unter dem Bett der Piege Merlina’s hervorgeholt hatte. Aber ein Umstand muß hier ganz besonders hervorgehoben werden, da er über das Benehmen des Ungarn gegenüber seiner Gattin

 

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etwas Licht verbreiten wird. Weßhalb hatte derselbe trotz seines abstoßenden Charakters und seiner oft auch in den zartesten Verhältnissen hervortretenden Schroffheit, bisher eine so delikate Selbstverläugnung und Nachsicht gegen seine Frau an den Tag gelegt? Bei einer Ankunft in New-Orleans und die ersten Monate, die er wieder bei einer Gattin verlebte, war es offenbar die Geldfrage, die ihn hiezu trieb. Er hatte keine Beschäftigung, Frida hingegen noch etwas Vermögen, gab Unterricht -- warum sollte er sich nicht haben überwinden können, da den vollendetsten Heuchler -- wenn es ihm auch manchmal sehr zur Last fiel -- zu spielen, wo doch sein noth wendiger Lebensunterhalt von seinem Betragen abhing? Aber von der Zeit an, wo er sich als Clubbist der Hamburger Mühle so viel Geld verdiente, daß er sich sogar auf eigene Ordre die edelsten und kostspieligsten Weine importieren laffen konnte, die bisher vielleicht noch nie den Weg nach New-Orleans gefunden hatten, sich da noch freiwillig in die Zwangsjacke eines soliden Ehemannes und zärtlichen Vaters zu stecken -- und sogar noch jetzt, wo er den ganzen Schatz der Mühle im Besitze hatte, diese wenn auch nicht zarte doch immerhin verlegene Rücksicht -- das mag wohl Manchem unglaublich geschienen haben, da es ihm nicht gelungen sein konnte, den Grund zu erforschen, der von seinem, des Ungarn Standpunkte aus dieses Benehmen rechtfertigte.
    Die Sache verhält sich so:
    Seit dem Verschwinden ihrer Männer hatten Jenny und Frida keinen Brief mehr an ihre Eltern nach Deutschland geschrieben. Entweder hielt sie falsche Scham davon ab, zu berichten, daß sie in der Auswahl ihrer Männer betrogen und hintergangen waren, oder-was sehr wahrscheinlich bei Jenny der Fall war - sie wollten abwarten, bis sich ihre Verhältnisse wieder in so weit geordnet und geregelt hätten, daß sie es, ohne großes Aergerniß zu geben, wagen dürften, wieder in den Schooß ihrer Eltern zurückzukehren. Von Deutschland kamen drei Briefe an. Der erste kam von Emil’s Eltern, den der selbe jedoch, wie wir bereits im zweiten Bande bemerkt haben, seiner Gattin verheimlichte. In diesem Briefe war angezeigt, daß man wegen einer wiederholt drohenden Revolution ebenfalls gesonnen sei, mit der ganzen Familie nach Amerika über zuwandern. Mit der Heirath Frida's schien man nicht ganz zufrieden zu sein, da dieselbe ohne die gegebene Zustimmung der Eltern derselben vollstreckt wurde. Des unglücklichen Endes

 

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des Bruders Emils wurde sehr schmerzlich gedacht. Der zweite Brief kam von den Eltern der Schwestern, aber nicht an sie, sondern an den Prinzen von Würtemberg adressirt.
[LSZ - 1854.09.16]
    Man bat ihn in den herzlichsten Ausdrücken, doch endlich einmal. Etwas von sich verlauten zu lassen und ihnen die Lage ihrer geliebten Töchter Jenny und Frida mit aller Aufrichtigkeit eines alten, bewährten Freundes auseinanderzusetzen. Inden letzten Zeilen des Briefes war noch überdies ausdrücklich bemerkt, daß, obwohl man sich gerade selbst nicht in der glänzendsten Lage befände, man doch nicht abgeneigt sei, ihnen, falls es für nöthig erachtet würde, eine bestimmte Summe Geldes zu senden. Dieses Schreiben, das zu einer Zeit, wo der Ungar noch nicht nach Algiers an den häuslichen Heerd zurückge kehrt war, in die Hände des Prinzen kam, hatte derselbe den beiden Schwestern vorgelegt. Er beging jedoch die Schwachheit, da um Rath zu fragen, wo er selbst hätte Rath ertheilen sollen. Jenny und Frida wollten weder von einer Antwort etwas wissen, die der Prinz auf dieses Schreiben geben sollte, noch überhaupt vorläufig nur das Geringste von sich verlauten lassen. Wollte man aufrichtig verfahren, hieß es, so würde man die guten Eltern kränken und ihnen das größte Herzeleid zufügen -- und die Verhältnisse anders darstellen, als wie sie wirklich beständen, das wollte man nicht auf sein Gewissen nehmen. Lieber gar keine Antwort, als Täuschung: das war das Resumé der Berathungen in mehrmaligen Zusammenkünften mit dem Prinzen in dieser Sache. -- Der dritte und bis jetzt letzte Brief war ebenfalls von den Eltern der Schwestern und an Emil adressiert. Da derselbe eine englische Adresse trug, so war er in der Briefliste der englischen Zeitungen annonciert. Der Prinz von Würtemberg war auf mehrere Tage nach Adayes, am Red River, gereist, um in den Environs dieser alten spanischen Stadt nach einem dort sehr selten vorkommen den Käfer, mit violettblauen Flügeldecken und zinnoberrothen Querstreifen, der auf seinem breiten Halsschilde ein stark gebogenes Horn trägt, dem erst in neuester Zeit entdeckten Sca rabaeus Theophilus, zu suchen. Die Schwestern bekamen sehr selten eine englische Zeitung in die Hände und so blieb auch ihnen die Annonce unbekannt. Der Zufall aber wollte es, daß der Ungar die Briefliste durchlas und somit auch den Brief angezeigt fand. Es war acht Tage nach seiner Aufnahme in den Club der Hamburger Mühle. Er ging geradezu auf die Post -

 

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und ließ sich den Brief einhändigen. Dann begab er sich nach den nächsten Caffeehaus, um ihn mit Muse durchzugehen Sein Gesicht erheiterte sich sichtbar, als er die erste Seite umschlug und auf der zweiten zu lesen begann. Es war hier von Nichts geringerem die Rede, als daß ein Onkel, den man schon längst für verschollen hielt, zum Erstaunen. Aller als steinreicher Mann von Indien zurückgekehrt war. Derselbe habe gleich bei seiner Ankunft in der Residenzstadt den Stan desherrn besucht und sei nicht wenig ärgerlich gewesen, als er das goldlockige Friderle -- wie er niemlich Frida nannte -- das er als Kind so oft auf seinem Schooß geschaukelt und geküßt habe, nicht mehr fand. Als er nun gehört habe -- hieß es im Briefe weiter -- daß Friderle mit ihrer Schwester nach Amerika gereist sei, so habe sich der alte Onkel ganz untröstlich gezeigt und hätte auch, wenn er nicht. Tags darauf schon erkrankt wäre, gleich die Reise über See angetreten, um sein Friderle, das er sich jetzt wie einen Erzengel vorstelle, im fremden Lande aufzusuchen. Der Onkel -- schrieb man ferner gegen das Ende des Briefes zu -- läge schon seit Monden kränklich darnieder und phantasire unaufhörlich von seinem Friderle. Bald wolle er dieses bald jenes glänzende Geschenk übersenden, unterläßt aber dann die Ausführung, da er warten will, bis er ganz gesund wird. Obwohl er, der Onkel niemlich, nicht im geringsten daran zweifle, daß er bald so recht wieder auf die Beine komme, so habe er dennoch jüngst seinen letzten Willen aufsetzen lassen und man bezeichne allgemein das Friderle als Universalerbin u.s.w. -- Das Vermögen des Onkels sollte sich auf zehn bis zwölf Millionen Dollars belaufen. -- Den Brief vernichtete der Ungar auf der Stelle. Viele Gründe wären anzuführen, warum er dies that. In keinem Falle schadete die Vernichtung dieses Briefes der Erbchaft etwas, die, wie er wohl einsah, seiner Frida, wenn auch nicht gleich, doch immer noch eher, als er sich vielleicht mit seinen glänzenden Aussichten hinauswagte, zufallen müsse. Frida war somit eine der reichsten Erbinnen der Welt, ohne daß sie nur die geringste Ahnung von ihrem der einstigen ungeheueren Reichthum hatte. -- Man sollte nun meinen, der Ungar hätte sich bei Betrachtnahme seiner zukünftigen Lage nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, um als Mörder und Brandstifter ergriffen zu werden. Das fiel ihm nicht bei. Das Leben als Clubbist der Hamburger Mühle gefiel ihm Anfangs so ausnehmend gut, daß er sogar Alles zu riskiren schien. Endlich aber,

 

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übersättigt von allen nur erdenklichen Genüssen, ging er eifrig mit dem Plane um, sich der Schätze der Hamburger Mühle zu bemächtigen und dieselbe selbst in Brand zu stecken. Aber immer, wenn er schon ganz nahe daran war, diesen Plan zur Ausführung zu bringen, stellten sich ihm unübersteigliche Hindernisse in den Weg. Ja, es gab für ihn sogar wieder eine Periode, wo er seinen Plan vollkommen fallen ließ, da ihn Dame Merlina und die bleichen Motizen von Neuem gefesselt und an sich gezogen hatten. Was ihm früher nicht durch seinen Scharf inn gelungen war, hatte ihn endlich der Zufall durch ein merk würdiges Zusammentreffen von unerhörten Scenen ausführen affen. Man denke an das Capitel „unter dem Bette.“ Diese That sollte der Schlußstein seiner Verbrechen sein, dann wollte er solid leben, scheinbar eine ehrbare Beschäftigung vornehmen und ruhig die Erbschaft seiner Frau abwarten. Seiner Frau nun Alles zu sein und sie förmlich auf den Händen zu tragen, war sein neuester Vorsatz.
    Da dieselbe noch Nichts von ihrem der einstigen Reichthum

[LSZ - 1854.09.17] wußte, so konnte sie auch nicht das geringste Mißtrauen hegen, daß er sie nur des Geldes halber so zärtlich und zuvorkommend behandle. Das ärgerliche Benehmen, das er diese Nacht über den Verlust seines vorgeblichen Geschäftes äußerte, war von ihm während der Ueberfahrt im Kahne ersonnen und sollte den Uebergang zu einem Leben bilden, wie es sich seine Gattin nicht besser wünschen könnte. Seine Rüge in Betreff des furchtsamen Benehmens seiner Schwägerin und das Absperren der Thüre war auch weiter nichts, als eine vor bedachte Finte.
    Kehren wir nun wieder zu dieser Nacht zurück. --
    „Sieh', Lajos, fuhr Frida weiter, „wenn es weiter Nichts ist, als daß Du Deine Stelle eingebüßt, so bin ich Dir recht böse, daß Du mich deshalb in solche Unruhe versetzt hat.“
    „Nein, weiter ist es Nichts, Frida, aber immer schon genug, um mich ärgerlich zu stimmen. Der Gedanke, jetzt wieder müßig gehen zu müssen und wenn es nur auf kurze Zeit wäre, ist mir unerträglich. Ich bin das thätige, maschinenmäßige Schaffen bereits so gewöhnt, daß ich mich jetzt sehrunglücklich fühlen werde.“
    „Aber, mein Lajos, entgegnete Frida in einem fast mütterlichen Tone, „Du hältst Dich über meine Schwester Jenny auf, weil sie so kindisch ist und sich bei zugeschlossener Fre

 

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fürchtet -- sage, ist das nicht eben so kindisch von Dir, daß Dir bei dem Gedanken, einige Zeit müßig gehen zu müssen, so schlimm zu Muth wird? Und dann, mein Lajos, giebt es ja außerdem so viele Beschäftigungen, denen Du Deine gewohnte Thätigkeit widmen kannst -- in unserm Gärtchen, in unserer Yard, ja im Hause selbst -- oder wenn Du Lecture, Musik vorzieht -- -- Du siehst, es ist keine Gefahr vorhanden, sich wegen Nichtsthun's unglücklich zu fühlen.“
    Es gehörte in der That das vertrauensvolle Gemüth Fri das dazu, um diese grenzenlose Heuchelei nicht im Momente zu durchschauen. War die unglückliche Frau in vielen Beziehungen sehr verständig und klar denkend, so war sie doch, wenn sie Jemandem einmal ihr unbegrenztes Vertrauen geschenkt hatte, leicht zu hintergehen. Obwohl Lajos einst ihr Vertrauen so schändlich mißbraucht hatte, so ließ sie sich doch wieder täuschen und von seiner an den Tag gelegten Reue und scheinbar unerschütterlichen Anhänglichkeit und Liebe verwirren und blenden. Dazu kam noch, daß sie ihrem Manne ihr Bedauern nicht versagen konnte, wenn er so recht spät, meistens erst ein oder zwei Stunden nach Mitternacht nach Hause kam, erschöpft und abgemattet von dem Arbeiten in der genannten Factory. Wäre ihr nur einmal eingefallen, seine Hände anzusehen und seine feine Toilette zu mustern, so hätte sie hierüber vielleicht andere Ansichten bekommen. Und doch, Frida in ihrem Wohlwollen, hätte auch dann noch nichts Arges dabei gedacht. Diese kleine Strafpredigt, die sie ihm nun hielt, zeugte wieder klar und deutlich für die schöne Reime ihres Gemüthes und ihrer Herzensgüte.
    „Wir werden sehen, Frida, was hier zu thun ist -- vielleicht wird es besser gehen, als wir glauben,“ sagte Lajos mit affectirter Ruhe und griff dabei wie von ungefähr an die Tasche, wo er den Schatz der Mühle verborgen hatte,
    „Wie Du glaubst, mein Lajos, entgegnete Frida
    Lajos ging auf die Wiege zu und lüftete die Musquitovorhänge, eben so viel, daß er hinein sehen konnte. Dann schloß er dieselben wieder und meinte :
    „Das Kind sieht mir doch frappant ähnlich, wie
    „Es ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, fiel Frida freudig ein. „Sogar das da!“ fuhr sie fort, indem sie dabei Lajos zärtlich die Narbe streichelte
    „Der mexikanische Desperado, der mir diese Wunde beigebracht, hat wohl nicht geahnt, daß sie dazu beitragen wird,

 

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in dem Sohn auf den ersten Augenblick den Vater zu erkennen,“ bemerkte der Ungar so ruhig und so behaglich, als freute er sich von ganzem Herzen über die Aehnlichkeit eines Kindes mit ihm.
    „Sage lieber, sagte Frida leise und heimlich: „der liebe Gott hat Deine Frau so gern, daß er ihr im Sohne den Gatten zum zweiten Male schenkt.“ Dabei hing sie sich an seinen Hals, daß er sich unwillkürlich beugen mußte und ihm bei die ser Gelegenheit irgend Etwas entfiel, das einen ziemlichen Schlag auf den Boden verursachte.
    Frida hörte es fallen.
    Der Ungar fühlte es,
    Frida suchte lange auf dem Boden umher, während Lajos lächelnd zusah.
    „Es ist Nichts, Frida, wir täuschen uns,“ sagte er. Er hatte aber wohl bemerkt, daß es unter der Wiege lag, dicht am hinterm Schaukelbeine.
    „Ich sehe es, Frida,“ sagte der Ungar mit verstellter kindlicher Unbefangenheit, doch ein satanisches Lächeln zeigte sich in seinen Gesichtszügen.
    „Sage, mein Lajos, wo ist es, was war es ?“ bat Frida und nahm mit beiden Händen das lange Nachthemd nach vorne zusammen, weil es sie beim Bücken hinderte,
    Der Ungar bückte sich jetzt ebenfalls und hob das Gesuchte auf.
    Im nemlichen Augenblicke hatte es auch Frida bemerkt, eben als Lajos darnach griff. Jetzt wo er es frei und hoch in der Hand hielt, daß man es von allen Seiten genau betrachten konnte, langte sie an seinen ausgestreckten Arm empor und rief:

[LSZ - 1854.09.19]
    „O, wie schön, diese herrlichen, farbigen Gläser -- Hast Du mir das mitgebracht, Lajos? O, das ist gut, ein hübsches Nachtlämpchen habe ich mir schon längst gewünscht! Die unsrige sieht so triste und unheimlich aus.“
    Es war die gestohlene Agraffe des von dem Ungarn mit der Pechmaske der Hotooh's erstickten Italieners Lombardi.
    Lombardi braucht sie jetzt nicht mehr. Deßhalb kann sie der Ungar auch ohne Scheu im eigenen Hause brennen.
    Der Pipo Lombardi ist todt, aber der Husarenoffizier Lajos lebt noch. Die Lebenden ergötzen sich an der Hinterlassenchaft der Todten -- das ist ja uralter Gebrauch. --
    „Mein guter Mann,“ sagte Frida mit einer Stimme,

 

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deren Klang Worte nicht schildern können, „wir werden heute Nacht gut schlafen bei dem schönen, schönen Lämpchen -- siehe wie herrlich es auf das Gestell paßt -- das alte Ding hier wollen wir gleich aus dem Fenster werfen, es taucht doch zu Nichts mehr.“
    Frida nahm den alten Lampenaufsatz und warf ihn aus dem Fenster.
    Lajos hatte sich an die Wiege gesetzt. Er sah schrecklich bleich aus. Es war dies zwar bei ihm keine seltene Erscheinung, aber als ihm jetzt Frida in's Gesicht blickte, so schien es ihr doch, als hätte sie ihn noch nie so bleich gesehen. Zuerst glaubte sie, es käme von der gefärbten Lampenagraffe, da die grüne Glasseite derselben gerade nach ihm hinsah. Sie drehte sie deshalb um, so daß das reine, weiße Glas, das zwischen zwei rubinrothen abgekantet war, nun eine natürlichere, weniger täuschendere Beleuchtung hervorbringen mußte -- aber es half Nichts; das Gesicht ihres Gatten blieb nach wie zuvor schrecklich bleich, fast graugrün. Waren es die Folgen jener haarsträubenden Abmattung in der Piege der Zambonegresse Es mußte so sein; denn als ihm Frida sagte: „Wir werden heute Nacht gut schlafen bei dem schönen, schönen Lämpchen, fand er es für gerathen, ein Unwohlsein vorzuschützen und sich von ihr die Erlaubniß auszubitten, noch einige Stunden im Gärtchen, im Freien, in besserer Kühlung zu verweilen. Frida gab es sehr ungerne zu, und als ihr Gatte mit einem Büffelfelle unterm Arm das Schlafzimmer verließ, so schloß sie die Thüre, die in’s Cabinetchen Jenny's führte, auf, und ließ ihre Schwester zu sich herein, auf so lange niemlich, bis ihr Gatte wieder zurückkommen würde. --
    Lassen wir die beiden Schwestern mit dem kleinen Kinde in der Wiege allein und folgen wir dem Ungarn nach
    Derselbe begab sich auf diejenige Seite der Galerie, die gegen die Fagade des Häuschens umspringt, breitete hier sein Büffelfell aus und streckte sich der Länge nach auf dasselbe hin. Sein Gesicht wandte er nach jener Gegend hin, wo noch immer der Rauch aus der Brandstätte qualmte und in kleinen Absätzen sich bald schwächer, bald stärker verzog. Die Feuermannschaft war schon vor einer Viertelstunde zurückgekehrt und nur noch hie und da sah man ein Häuflein Menschen neugierig in der Nähe der vom Feuer zerstörten Hamburger Mühle herumstehen und die Trümmer und Schutthaufen begaffen. Der Mond strömte über jene Brandstätte sein helles Licht aus, so daß man

 

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sie vom wunderlieben Häuschen aus ganz deutlich überschauen konnte.
    Als der Ungar fast unbeweglich eine gute Weile gelegen hatte, setzte er sich plötzlich auf, griff in seine Seitentasche und nahm die Banknoten heraus, die er sorgfältig zusammengebunden hatte. Er bog sie zur Hälfte ein und fingerte daran herum, als ob er sie noch einmal zählen wollte. Das that er nicht einmal, sondern mehrere Male nach Einander, wie Einer, der noch immer nicht glauben will, daß er sich wirklich im Besitze einer so großen Summe befinde. Er wog sie auf der flachen Hand und machte überhaupt noch verschiedene Manoeuvres damit. Da vernahm er hinter sich ein Knarren wie von neuen Schuhen. Er sah rasch um sich und erblickte Gabor von Rokavar, der ihn mit einem tiefen Bückling nach Art der Laien unter den Hamburger Clubbusten begrüßte. Der Ungar, der sich sonst bei den bedenklichsten Ueberraschungen so kaltblütig zeigte, wie eine Leiche, erschrack diesmal doch. Denn das Erscheinen des Geächteten der Hamburger Mühle in diesem Augenblicke war auch zu unverhofft. Aber schon im nächsten Momente hatte er wieder seine volle Geistesgegenwart er langt. Er erhob sich rasch und wandte sich im verächtlichen Tone an Gabor: „Warum stört der verstoßene Hund die nächtliche Ruhe seines ehemaligen Herrn?“
    „Das Hündchen möchte gern auch ein Theilchen von den hübschen Banknötchen haben, die sein Herr in Händen hat.“ erwiederte Gabor mit einem süßlichen Lächeln, aber dabei doch ziemlich couragiert.
    „Verdammtes Mensch, ich schneide Dir die Kehle durch, wenn Du mir nicht sagt, was Dich hieher führt und weshalb Du mich belauscht hast?“ sagte Lajos in bitterkaltem Tone.
    „Laß Dir sagen, Lajos,“ versetzte Gabor, „ich glaube, es wird besser sein, wir verständigen uns und Du giebt mir die Hälfte von dem Profitchen.“
    „Profitchen? von welchem Profitchen verdammter ungarischer Scandomiez!“
    „Was schimpft Du auf die Ungarn, Lajos, Du bist ja selbst ein Ungar!“
    „Aber kein Standonicz -- sprich, was meinst Du mit Deinem Profitchen ? mache schnell oder ich schneide Dir die Kehle durch. Lajos zog bei diesen Worten sein langes Bowieknife hervor,
    „Sprich nicht so laut, Lajos, die Ladies können sonst nicht

 

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schlafen und würden uns dann stören, bevor wir uns noch verständigt hätten,“ erwiederte Gabor, ohne sich im mindesten über die Manipulation mit dem Bowie knife entsetzt zu zeigen.
[LSZ - 1854.09.20]
    „Tod oder Merlina, verdammter Scandomicz, was soll Dein Geschwätz bedeuten ?
    „Es soll nichts bedeuten, Lajos -- Dein Hündchen möchte nur die Hälfte von den schönen Banknötchen haben, die Du eben durchgezählt hat -- -- weiter ist es nichts, Lajos -- ein so armes, verstoßenes Hündchen wie ich, ist ja mit Wenigem zufrieden --“
    Der Ungar war nahe daran, sich auf Gabor zu stürzen und ihm das lange Bowiemesser durch den Leib zu rennen. Aber er sah wohl ein, daß ein so gewaltsames Verfahren auf offener Galerie für ihn gefährlich werden könnte. Und wer stand ihm gut dafür, daß der verschmitzte Jude Rokavar -- dessen Großvater, ein Hofbanquier, von den Habsburgern einst das Adelsdiplom erkauft -- nicht eine oder mehrere Personen im Hinterhalte stehen habe, die jedenfalls gleich hervorbrechen würden, wenn Gabor ein Leid angethan würde? War hiefür sein couragiertes Benehmen, das er früher noch bei keiner einzigen Gelegenheit an den Tag gelegt hatte, nicht Beweis genug? Der Jude hatte ihn jedenfalls die Hamburger Mühle verlassen sehen, dessen glaubte er sich jetzt gewiß zu sein. Und hatte er das, so mußte er auch, als dieselbe gleich darauf in Brand gerieth, in ihm den Urheber erkennen. Freilich, wie es gekommen, das wollte er von ihm erst erfahren. -- Rokavar waren die Bedenklichkeiten, die in Lajos wegen der Handhabung seines Bowiemesfers aufgestiegen waren, nicht entgangen. Er sah ihn einen stechenden, mißtrauischen Blick über das Gärtchen werfen, als befürchte er, er, niemlich Gabor, habe irgendwo Bundesgenossen im Hinterhalte. Das kam Gabor trefflich zu statten. Ja, er bestärkte Lajos in seinem Mißtrauen noch mehr, indem er nun selbst einige Seitenblicke in das Gärtchen hinabwarf, besonders da, wo sich der schattige Baumgang zu dunklen, wildverwachsenen Gebüschen hinab zieht. Aber gerade dieses Umspringen des Benehmens zeigte dem schlauen Ungarn, daß Gabor von Rokavar keine Hilfe von einem etwa Versteckten zu erwarten habe. Der Jude, der recht pfiffig sein wollte, hatte somit sich selbst in sein Garn ver strickt und zeigte dem Ungarn die eigentliche Situation erst recht an.

 

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    „Gut, Gabor,“ sagte jetzt Lajos, „Du hast bei mir einen Bundel Banknoten gesehen?
    „Ja; im Werthe von über Hunderttausend Dollars, entgegnete der Jude trocken,
    „Du hast mich belauscht -- "bist vorher hinter mir gestan den, als ich sie zählte, hm, "nicht so?“
    „Freilich hab ich Dich belauscht, Lajos, aber der Himmel weiß es, nicht hier -nicht hier, daß ich gewußt hätte, wo Du die schönen Banknötchen her hat.“
    „Nicht hier,“ dachte sich der Ungar, „freilich der Jude hat es gesehen, wie ich die Noten gezählt habe -- aber nicht hier? Was sollte er mit dem „nicht hier“ meinen, hat er vielleicht gar -- --doch -- nein, das ist nicht möglich -- -- nein, Hölle und Teufel, das wäre rein unmöglich!“
    „Nicht hier?“ frug der Ungar jetzt den Juden gelassen.
    „Hier wohl -- aber nicht hier, daß ich's zum Erstenmale sah, wo Du die schönen Banknötchen her hat, die schönen Dingerchen die!“ schmunzelte der Jude.
    „Sprich deutlicher, Gabor,“ sagte der Ungar in einem gemäßigten Tone; als wollte er zu irgend einem Einverständnisse einlenken
    „Wo anders soll ich Dich belauscht haben, als in unserm schönen Mühlchen selbst.“
    Der Arm des Ungarn, in dessen Hand man noch immer des Bowiemesser sah, zuckte etwas. Doch kamen ihm die letzten Worte Gabor's nicht mehr unerwartet. Gabor von Rokavar fuhr fort:
    „Gottes Wunder, Lajos, Du hast Dir ja ganz gütlich gethan mit unserer Dame Merlina. Gottes Wunder, ich hätte nicht geglaubt, daß Du so verliebt sein kannst -- -- und wie schön hast Du das Niggerchen abgemuckt! -- -- -- Und die Banknötchen erst, Lajos, die Du unter dem Bett hervorgeholt hast -- das war noch das Süßeste -- --
    Der Jude hatte in abgebrochenen Sätzen gesprochen, da bei forschend dem Ungarn ins Gesicht sehend, um den Eindruck zu bemessen, den seine Worte auf denselben machen wür den. Lajos nemlich sah ihn gar nicht an, sondern lehnte sich nachlässig an eine Säule der Galerie und ließ seinen Blick über den Garten schweifen, aus dem eben der letzte Schimmer des Mondlichtes gewichen war,
    Ueber was brütete der Ungar eben nach, ohne daß ihm

 

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jedoch nur Ein Wort, das der Jude gesprochen, entgangen war?
    Sehen wir nach jener Mard, die ans Gärtchen gränzt und durch eine kleine Thür mit demselben in Verbindung steht.
    Ueber das Gärtchen nach dieser Mard hin schweifte das Auge des Ungarn und blieb lange auf eine gewisse Stelle geheftet. Diese Yard, die zum Grundeigenthum der beiden Schwestern gehörte, war früher zu einer Küferei oder sogenannten „Cooperage“ benützt worden. Nichts deutete mehr auf die fruhere Benutzung des Grundstückes hin; denn ein zehn Fuß langer und fünf Fuß breiter Teich, dessen trübes, mit Schlamm überzogenes Wasser in einer Vermauerung von Backsteinen eingeschlossen war, konnte von demjenigen, der hier nicht ganz genau bekannt war, unmöglich bemerkt werden, da ihn dichte Verschlingungen von perenirenden Gewächsen ganz durchzogen und überdeckten,

[LSZ - 1854.09.21]
    Es war ein hoop-pond, d.h. ein Teich, in den die Küfer ihre Reife zum Einweichen legen, um ihnen die für ihren Gebrauch nothwendige Biegsamkeit und Elasticität zu verschaffen. Dieser Teich stieß hart an die fast mannshohe Gartenfence und hatte überdies eine solche Lage, daß er, wenn man an ihn herantrat, weder vom Häuschen aus, noch von irgend wo anders her gesehen werden konnte, man wäre denn durch die Thüre gegangen, die vom Garten in die Yard, wo der Teich lag, führte.
    An diesen Teich dachte der Ungar.
    „Ich sehe,“ wendete er sich an Gabor von Rokavar, „Du hattest Dich irgendwo in der Mühle verborgen und so Alles mit angesehen. Obwohl es mir bis jetzt noch unbegreiflich ist, wie Du das bewerkstelligt haben kannst, so will ich Dich hierüber jetzt nicht weiter ausfragen -- Du kannst es mir ein andermal ausführlich erzählen -- hier, Gabor, hast Du die gewünschte Hälfte von dem Vermögen der Mühle -- aber kalt will ich Dich machen, wenn Du irgend einmal den Versuch machen solltest, die Sicherheit meiner Person durch eine Schufterei zu gefährden. -- Merk Dir das! -- hier, ich will die Noten abzählen -- --“
    Der Ungar nahm bei diesen Worten seinen Bündel Noten wieder aus der Tasche, hielt die untere Hälfte fest in der Hand und fingerte die obere durch. Als er so fertig war, zog er die Hälfte ab und überreichte sie Gabor. Derselbe griff

 

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haftig darnach, steckte sie aber nicht auf der Stelle bei, sondern hielt sie, wie unschlüssig, noch in der freien Hand. Lajos, dem dies in der That auffiel, frug ihn: „Nun, glaubst Du vielleicht,Du hättest nicht die richtige Zahl oder ich hätte Dich hintergangen? Ich lasse Dir Zeit, so viel Du willst, zum Nachzählen.“
    Gabor von Rokavar schöpfte Verdacht. Nicht etwa weil er in eine richtige Theilung des Geldes Zweifel setzte, sondern weil der Ungar ihm den Rath gegeben, es noch einmal zu überzählen. Sollte er nicht diese Gelegenheit benützen, ihn mit einem Stoße durch das Bowiemesser in die andere Welt hinüberzusenden? Vielleicht hatte der Ungar auch nur scheinbar eine mißtrauische Miene gemacht, als ob Jemand zu seiner Hilfe im Hinterhalt läge, falls ihm etwas Schlimmes passieren sollte ? Wer weiß? Man kann nie vorsichtig genug sein, besonders einem solchen Manne wie Lajos gegenüber! So dachte der Jude bei sich, als ihm der Ungar den Rath ertheilte, das Ueberzählen der Noten selbst vorzunehmen.
    Gabor von Rokavar, dem ein einziger Blick auf die ihm überreichten Noten genügt hatte, um sich zu überzeugen, daß er vorläufig genug habe, trat etwas zurück und sagte:
    „Die Noten will ich noch einmal übergehen, wenn Du Dein langes Messer wegwirft.“
    „Da werde ich mich wohl hüten,“ entgegnete der Ungar. „Das Bowieknife hat mich an 320 Dollars gekostet -- goldner Griff, echter Stahl -- -- hm, hm, Du bist wohl verrückt, Gabor?“
    „Du kannst es ja an einen Ort schmeißen, wo Du es wie der finden kannst, wenn ich weg bin,“ meinte der Jude, dem es erst jetzt, wo er das Geld hatte, bange wurde.
    „Furchtsames Aas von einem Scandonicz !“ knirschte der Ungar, schleuderte aber dabei ein Messer im weiten Bogen von sich weg. Der Jude folgte mit den Augen freudig dem Fluge des Messers, das in ein fremdes Grundstück niederfiel, das ganz leer stand und nur mit halbaufgeschossenem Korn, wildem Hanf und Brombeersträuchern bedeckt war.
    Gabor ahnte wohl nicht, daß der Ungar mit ihm etwas ganz anderes vorhabe, als ihm mit dem Bowiemesser auf den Leib zu rucken. Auch ließ er sich herzhaft übertölpeln, daß er glauben konnte, der Ungar würde so mir nichts dir nichts, blos weil er es so wünschte, mit ihm theilen. Es fiel ihm trotz seiner nicht geringen Verschmitztheit gar nicht einmal, das

 

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der Ungar den Gedanken in sich hegen könne, noch ehe er ihn verlassen habe, wieder in den Besitz der Noten, somit des ganzen Schatzes der Mühle zu gelangen. Als das gefährliche Messer entfernt war, faßte Gabor Vertrauen, d.h. er glaubte, der Ungar wolle ihn zum zweiten Male fesseln, um ihn ander wärts wieder zu benützen, da, wie er selbst Zeuge gewesen war, außer dem Abbé Dubreuil, der, als das Feuer ausbrach, nicht in der Mühle verweilte, kein Clubbist mehr am Leben war. Warum hätte er sonst so willig mit ihm theilen können, wenn der Ungar seinen Vortheil nicht dabei im Auge gehabt hätte? Es konnte nur die augenblickliche Freude über das erhaltene Geld sein, die den Juden so dumm und blind machte. Nicht so viel oder gar kein Geld in der Hand, hätte denselben gewiß vorsichtiger zu Werke gehen laffen. Gabor wurde in seinem Vertrauen noch mehr bestärkt, als der Ungar anfing, ein Gespräch wegen Abbé Dubreuil und des von ihm gefaßten Entschlusses, das Vermögen der Mistreß Evans an sich zu ziehen, anzuknüpfen. Lajos setzte dem Juden die Vortheile, die auch für sie daraus entspringen könnten, in so glatten verführerischen Worten auseinander, daß derselbe jeden Verdacht bei Seite warf und im Verlauf des Gespräches mit dem Ungarn die Treppe der Gallerie herabgestiegen war und sich nun mit ihm im Gärtchen befand. --
    Am östlichen Horizont flimmerte bereits ein blasser Lichtstreifen, der sich aber noch leicht und sanft in die dunkle Schattierung des Nachthimmels verlor. Alle jene tausend Stimmen von Cikaden, Fröschen, Nachtreihern, Anhinga’s, Rohrdrom meln u.s.w., die sich unter dem Himmel Louisiana's allnächt lich zu einem wunderbaren Concerte vereinigen, waren bereits verstummt und nur ein Lokustizankte sich noch mit einer kleinen rothgestreiften Prairiegrille herum.

[LSZ - 1854.09.22]
    Im Gärtchen selbst war es noch sehr dunkel, denn die dichtstehenden Baumreihen und hohen, weit auseinander strebenden Gebüsche ließen das matte Frühlicht nicht eindringen. Aber deßungeachtet fühlte man mitten im Dunkel den anbrechenden Morgen, seit es daß die frischere Luft oder der Verstand des Menschen den Verräther spielte. Nur die weiße Farbe, mit der man den Hauptstamm einiger Bäume übertüncht hatte, um ihrer Zerstörung durch gewisse Infecten vorzubeugen, sah lebhaft in's frische, grüne Dunkel. Sonst konnte man kaum die Gartenwege deutlich sehen.
    Gabor wurde immer lebhafter bei seinem Sprechen, was

 

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ihm von Seiten des Ungarn eine kleine Rüge zuzog, indem er ihn nemlich darauf aufmerksam machte, daß noch Alles im Hause schliefe.
    „Also morgen gewiß bei den Hotooh's treffen wir uns,“ sagte der Ungar mit sicherer Stimme, als er den Juden bis vor die Thüre gebracht hatte, die in jene AYard führte, wo der oben genannte Teich lag.
    „Komm' ich da hinaus auf die Straß"? Ich muß eilen, daß ich jetzt nach Hause komme. Ich übernachte bei meinem alten Wirth hinter Thayer's Plantage. Nach New-Orleans kann ich jetzt doch noch nicht hinüber und mit einem Kahn, falls sich auch ein Ruderjunge dazu fände, ist es doch zu viel riskiert, wenn man so zuckersüße Nötchen bei sich führt! Das Ferryboot ist doch immer sicherer -- -- -- Komm' ich da hinaus aufdie Straß’?“ wiederholte der Jude dann wieder und streckte seinen Kopf durch die Oeffnung der Fencethüre in die Yard hinein.
    Der Ungar stand dicht hinter ihm.
    „Freilich,“ erwiederte derselbe -- „Du schneidet hier wenigstens dreihundert Schritte ab bis zu Thayer's Plantage.“
    Der Jude trat in die Aard.
    Der Ungar zuerst hinter ihn und dann zu einer Rechten.
    Er ergriff jetzt die Hand des Juden, scheinbar wie zum Abschied und sagte noch einmal: „Also ist es sicher, Gabor ? Morgen bestimmt beiden Hotooh's -- --“
    „Sehen wir uns,“ bekräftigte der Jude. Der Ungar ließ seine Hand aus der des Juden gleiten und that, als ob er stolpere: „Die verdammten Kühe,“ fluchte er, „überall liegen sie. Einem im Wege.“ Dabei ließ er den Juden hinter sich an der Fence vorbeigleiten, ihn war nend, er möge sich in Acht nehmen, daß er über keine Kuh falle.
    „Gottes Wunder,“ entgegnete Gabor: „Was thun die Küh' bei uns ehrliche Leut'?“ Er sondierte dabei vorsich tig den Boden mit seinen Füßen, bevor er fest auftrat .... „Gottes Wunder, glaubt' ich doch jetzt, daß ich an eine Kuh gestoßen wär,“ rief er dann wieder, als er einige Schritte weiter gegangen war.
    Sie befanden sich jetzt kaum einen Schritt von dem hooppond entfernt.

 

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     Der Ungar hatte schon vorher, als er über die angebliche Kuhgestolpert war, seinen Rock ausgezogen und ihn zu beiden Seiten des Rückentheiles straff gefaßt.
    Jetzt, als Gabor eben etwas von der Fence abging, um den Schlingpflanzen, die ihm an die Beine schlugen, auszu weichen, warf ihm Lajos mit Blitzeschnelle einen Rock über den Kopf und drückte ihn im nemlichen Momente fest an die Fence zurück. --
    Es waren nur wenige Augenblicke und Gabor von Rokavar hörte auf mit den Füßen zu zappeln.
    Der Ungar hatte ihm mit aller Gewalt seiner nervigten Hände den Hals zugeschnürt.
    „Das war so gut, wie die Pechmaske der Hotooh's,“ sagte er vor sich hin, als er seinen Rock vom Kopfe des Erdroffelten abzog und wieder in die Aermel schlüpfte.
    Dann nahm er ihm das Geld ab und zog bei dieser Gelegenheit noch eine Brieftasche*) hervor, die er zu sich steckte, um deren Inhalt bei Licht zu durchsuchen. -- Da war es ihm plötzlich, als hörte er vom Häuschen her einen gellenden Schrei. Er wendete sich um und horchte. Da aber wieder Alles ruhig war, so glaubte er, es sei ein Nachtreiher gewesen, den irgend ein Raubvogel erhascht habe.
    Den Leichnam ließ er in den Teich gleiten und flocht die
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     *)Ein Brief, den der Ungar noch am nemlichen Tage in der Brieftasche Gabor's vorfand und der von jener Doppelgängerin unserer Frida herstammte, die wir damals im Plantershausen St. Louis und dann aus der Erzählung Jenny's kennen gelernt haben, kann hier nur in einer Note beigefügt werden, da er durchaus nicht den geringsten Aufschluß enthält, um befriedigend in die Lösung jener mysteriösen ehelichen Verhältnisse einzugreifen. Wer war jener Lajos, den die Doppelgängerin in folgenden Zeilen nennt? Wer war sie selbst? Und in welcher Verbindung stand sie mit Gabor? Konnte der feige, niederträchtige Jude solche Zeilen niederschreiben, wie sie der Ungar damals im Album der Doppelgängerin vorfand? Vielleicht, daß es uns vorbehalten ist, hierüber in Zukunft einiges Licht zu verbreiten. Bis jetzt waren wir es nicht im Stande.
    Der genannte Brief lautet:
    „Herr von Rokavar! Seit meiner Ankunft in Milwaukie sind nun bereits drei Wochen verstrichen, und Lajos ist noch immer nicht erschienen. Ich kann mir seine Fahrlässigkeit um so weniger erklären, als er mir in St.Louis aufs Heiligste versprochen hat, in einigen Tagen nachzukommen. Ich befinde mich des halb in der fürchterlichsten Lage von der Welt, da ich ihm meine Juwelen, mein Geld -- mein Alles zurückließ. Von einem schrecklichen Vorfall, der mir in St. Louis in meinem Hotel begegnete, werde ich Ihnen nächstens berichten, da ich jetzt zu verstimmt und niedergeschlagen bin. Ich sage Ihnen vorläufig hierüber nur so viel, daß mich ein Doppelgänger meines Lajos auf eine schaudererregende Weise attaquirt hat, ein wahrer Teufel in Menschengestalt. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich leide, wenn ich an die etwaigen Folgen denke, die der Besuch dieses Doppelgängers nach sich ziehen kann. Ich zitiere schon bei dem bloßen Gedanken und es überläuft mich oft so kalt, als berührte mich die Hand einer Leiche. Er heilen Sie mir Ihren Rath, Herr von Rokavar, was ich in dem Falle zu thun habe, wenn Lajos nicht mehr erschiene, aber entschlagen Sie sich zu gleicher Zeit jeder Hoffnung, einst ganz mir anzugehören.         
             Ihre wohlmeinende Freundin Frida.“

 

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dadurch auseinander gestruppten Gebusche und Mustangs, so gut es im tiefen Halbdunkel möglich war, wieder in- und durcheinander. --
[LSZ - 1854.09.23]
    Als der Ungar in’s Häuschen zurückkam, und durch das Drawingroom dem Cabinet seiner Gattin zuging, stinszte ihm dieselbe in einem entsetzlichen Zustande entgegen. Jenny kam ihr auf den Fuß nachgeeilt, nicht weniger verwirrt und bleich. Sie zogen den Ungarn in's Schlafzimmer, wo die neue Lampe scheinbar ruhig und friedlich auf dem Vorsprung des Kamins ihr vielfarbiges Licht ausströmte.
    Der Ungar war nicht wenig betroffen; denn er dachte gleich daran, daß Frida und die Schwägerin etwas gesehen oder gehört haben könnten. Er sah aber gleich, daß er sich hierin täuschte.
    Es war etwas ganz Anderes, was sie so entsetzt und zerstört aussehend machte.
    Als sich der Ungar nemlich entfernt hatte und Frida ihre Schwester zu sich in's Schlafzimmer hereinließ, blieben sie einige Zeit bei Einander auf, um so den Ungarn zurückzuerwarten. Als er aber so lange nicht kam, glaubte Frida, er würde wohl bis zum Anbruch des Tages auf der Gallerie zubringen, was er sehr oft zu thun pflegte, obwohl es ihm die zärtliche Gattin jedesmal auszureden suchte.
    Jenny legte sich zu ihrer Schwester und sie schliefen bald ein.
    Sie mochten so eine halbe Stunde ruhig fortgeschlum mert haben, als sie durch ein ungewöhnliches Geschrei des Kindes aufgeschreckt wurden. Als sie nach der Wiege hinsahen, bemerkten sie, daß das Kind die Musquitovorhänge herabgerissen und sich ganz in dieselben verwickelt hatte. Frida sprang alsogleich aus dem Bette und auf ihr Kind zu. Jenny setzte sich mit halbem Leibe auf. Aber wer beschreibt das Entsetzen Frida's, als sie den feuchten, kalten Leib einer Ratte berührte, die über dem Hals ihres Kindes ausgestreckt lag und sich durch das Stampfen und Schreien desselben nicht im geringsten abschrecken ließ.
    Ein entsetzlicher Schrei entwandt sich der Brust der unglücklichen Mutter.
    Mit der Wuth einer Löwin, der man ihre Jungen raubt, riß sie die verwirrten Musquitovorhänge auseinander und griff nach der Ratte.
    Aber neues, unbeschreibliches Entsetzen!

 

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    Die Zähne der Ratte hatten den Hals ihres Kindes ge faßt.
    Jenny war jetzt auch an die Wiege getreten. Sie sank aber gleich wie ohnmächtig zusammen.
    Frida darf an der Ratte nicht reißen; denn dadurch würde sie nur die Lage ihres Kindes verschlimmern.
    Am ganzen Leibe zitternd vor Wuth, schlägt die sonst so sanfte Frida ihre Zähne knirschend aneinander und ihr Blick ist der einer Furie -- so schön himmelblau ihre Augen und so goldlockigt ihre Haare auch sein mögen.
    Sie hatte einmal gehört, daß sich Ratten vor dem grie chischen Feuer fürchten und bei einem Anblicke alsogleich die Flucht ergreifen und nie wieder an denselben Ort zurückkehren.
    Das fällt ihr nun ein. Und sollten die farbigen Gläser der Lampenagraffe nicht die nemlichen Dienste thun?
    Ein Blitz dieser Gedanke. Ein Blitz -- die Ausführung.
    Als Frida der Ratte die Gläseragraffe vor das Auge hält, läßt sie von ihrem Opfer ab und raschelt über die Wiege auf den Boden hinab.
    Frida aber läßt die Lampe fallen, wirft sich auf ihr Kind und bedeckt es mit tausend Küffen.
    Als sie sich wieder erhebt, steht Jenny vor ihr, bleich wie der Abgott des Todes. Sie kann nicht sprechen, hat aber Alles gesehen.
    Die Lampe stand ruhig und heimlich, als trüge sie an alledem nicht die geringste Schuld, auf dem Mantel des Kamines.
    Weder Jenny, noch Frida haben sie vom Boden aufge hoben und wieder an ihren Platz gestellt.
    Das Kind schlief für immer. So waren denn beide Schwestern endlich hinausgeeilt, um den Ungarn aufzusuchen und fo hat er es gefunden. --
    Dem kalten Bösewichte knickten die Kniee ein, als er vor seinem todten Kinde stand. Vielleicht das Erstemal in seinem Leben regte sich in seinem Herzen etwas, was man bei guten Menschen Gefühl nennt. Thränen konnte er nicht weinen -- wie anders auch ? Die Natur hat sie ihm schon von Geburt aus versagt. Der Mörder hatte als Kind nie geweint.

 

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    Am Abende desselben Tages, an dem wir Gräfin Constanzer und Miß Dudley von „Christ's Church“ aus bis nach Hause begleiteten, waren Lady Evans Stuart und der Prinz von Würtemberg in einem Gespräche begriffen, das uns manches Interessante darbietet und zugleich eini gen Aufschluß über die gegenwärtige Lage Abbé Dubreuil's verschafft. Wir geben die schließenden Momente dieses für unsere Leserinnen gewiß höchst interessanten Gespräches. --
    Die alte Schottin faltete eben ein Schreiben von ziemlich großem Umfange, das sie mit gespannter Aufmerksamkeit durch gelesen hatte, wieder zusammen. An dem dazu gehörenden Couverte, das auf ihrem Schooße lag, sah man ein gebrochenes gräfliches Siegel und auf der Adressen Seite las man in freien, schönen Zügen: „To his Royal Highness, Prince Paul of Wuertemberg, New Orleans, Louisiana, U.St.“

[LSZ - 1854.09.24]
    Lady Evans Stuart schob das Schreiben, nachdem sie es zusammengefaltet hatte, in das Couvert und legte es auf den neben ihr stehenden Alabaster-Trumeau.
    „So scheint es denn doch, daß Sie Recht haben, mein Prinz,“ wandte sich Lady Evans Stuart in französischer Sprache an den Prinzen Paul von Würtemberg, „es ist in der That der nemliche Abbé Dubreuil, der das infamierende Verbrechen an Tante Cölestine begangen hat. Die päpstliche Sendung nach Magdeburg fällt auch genau in dieselbe Zeit.“ Dann fuhr die alte Schottin sehr aufgeregt fort: „O,daß ich noch in den letzten Tagen meines Lebens so etwas an einem Priester erleben mußte, der einer Kirche angehört, der ich von Jugend auf all' meine Verehrung und Anbetung zollte!“
    „Beruhigen Sie sich, Madame,“ entgegnete der Prinz mit warmer, theilnehmender Miene: „Sind wir froh, daß wir den Ruf, das Leben, die Unschuld Ihres engelgleichen Kindes gerettet haben.“
    „Und ich hatte so nichts, aber auch so gar nichts geahnt!“ sagte Lady Evans in langgedehnten Worten.
    „Und an jenem Tage, wo der Abbé mit Ihrem Kinde nach der Beichte fahren wollte -- -- haben Sie auf mich gezürnt, als Sie hörten, daß ich es verhinderte,“ versetzte der Prinz ganz ruhig und gelaffen.
    „Also glauben Sie wirklich, daß der Abbé das Nemliche mit meinem Kinde .... es ist entsetzlich, wenn ich nur daran denke.“
    „Madame -- es wäre geschehen -- eben solche Vorbereitungen

 

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traf er damals bei Tantchen Eölestine - Sie haben die Briefe gelesen -- --“
    „O, bitte Prinz, jetzt nichts mehr hievon -- -- der Abbé wird seiner Strafe nicht entgehen.“
    „Ich schreibe heute noch nach Rio de Janeiro ... dorthin hat er sich mit dem ihm von dem Bischof anvertrauten Gelde geflüchtet.“
    „Glauben Sie sicher zu sein, Prinz?“
    „Er ist auf dem Schiffe, das nach Rio segelte, gesehen worden.“
    „Möge ihm die Rache des Himmels, den er so schwerer zurnt, uachfolgen,“ sagte die alte Schottin im Feuer ihres religiösen Gefühls.
    Beide schwiegen einige Augenblicke.
    Lady Evans Stmart nahm zuerst wieder das Gespräch auf:
    „Aber Prinz, um wieder auf unsere gräfliche Familie zu ruckzukommen -- ein so gutes Herz. Sie haben und einen so wohlwollenden Sinn. Sie hegen, so war es doch sehr grausam von Ihnen, daß Sie es so lange hinausgeschoben haben, Jenny in die Arme ihrer Schwiegereltern zu führen.“
    „Hierüber hatte ich meine triftigen Gründe,“ versetzte der Prinz mit einer geheimnißvollen Miene. „Sie tragen auch immer Geheimniffe bei sich, Prinz,“ sagte die alte Schottin.
    „Heimlichkeiten-keine Geheimniffe!“ rief der Prinz lebhaft aus.
    „Aber sagen Sie mir doch, mein Prinz,“ fuhr Lady Evans Stuart fort: „Wie kommt es doch, daß Graf Lajos * in so geringer Gunst bei dem Cousin seiner Gemahlin steht?“
    „Hierüber kann ich Ihnen wirklich keine befriedigende Ant wort geben, Madame; Graf Lajos * ist ein sehr achtungswerther, reeller Mann -- ich habe an ihm nichts auszusetzen. Er gefällt mir durch und durch, wie überhaupt alle ungarischen Edelleute für mich etwas sehr Auziehendes haben. Leider kommen wir höchst selten zusammen; denu er ist den ganzen Tag, oft spät bis in die Nacht hinein beschäftigt.“
    Lady Evans Stuart neigte sich etwas gegen den Prinzen vor und flüsterte leise:
    „War nicht der Graf Lajos* schon einmal seiner Gemahlin untreu gewesen? Man erzählt sich in gewissen Keisen so Manches.“

 

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    „Nicht, daß ich wüßte,“ versetzte der Prinz.
    „Wieder Geheimniffe oder Heimlichkeiten - wie Sie es nennen mögen, mein Prinz,“ bemerkte die alte Schottin.
    Dann, als der Prinz Nichts darauf erwiederte, fuhr sie fort:
    „Hat der Herr Graf nicht zweiJahre lang von seiner Gemahlin entfernt gelebt? -- -- Gestehen Sie, Prinz, Sie wissen, Sie wissen, Sie müssen es wissen -- --“
    „So viel ich weiß, ja -- er war zwei Jahre abwesend -- es mögen ihn hiezu Umstände gezwungen haben, die mir nicht bekannt sind -- übrigens kann ich Sie versichern, Madame, daß es keinen treuern und solidern Mann giebt.“
    „Wie man sich erzählt,“ fuhr die Schottin weiter, „soll er vor noch nicht langer Zeit in einer Fabrik beschäftigt gewesen sein -- das wundert mich sehr -- ein ungarischer Edel mann, aus so altem Hause -- --“
    „Madame,“ entgegnete der Prinz, „Graf Lajos* ist über derartige Skrupel schon längst hinweg - - -“
    „Vielleicht spielt er nur die Rolle eines Cincinnatus,“ meinte Lady Evans, „er wird abwarten, bis man ihn einst ausder Fabrik wie jenen vom Pfluge weg zur Diktatur führt -- -- Sein Vaterland hat noch nicht ausgespielt.“
    „Madame, Sie mögen. Recht haben,“ versetzte der Prinz schelmisch lächelnd, „aber auf eine solche Hoffnung hin, würde ich meine Gesundheit in einer Fabrik nicht riskieren.“
    „Also in vierzehn Tagen, Prinz, begleiten Sie uns über die Lake. Sie und Graf Lajos“ werden ihre Pflichten als Cavaliere unter die Damen gehörig zu vertheilen wissen.“
    „Ob Graf Lajos* mitgeht, ist noch sehr in Frage gestellt,“ versetzte der Prinz,“ er ist seit dem Tode seines ersten und einzigen Kindes sehr verstimmt.“
    „Die Fahrt über die Lake kann ihn im Gegentheil nur aufheitern,“ entgegnete die alte Schottin.
    „Ich will mein Bestes versuchen, ihn zu überreden, die Reise mit anzutreten,“ sagte der Prinz.
    „Da er, wie Sie mir sagten, Prinz, noch nicht einmal die Schwiegereltern der Schwester seiner Gemahlin kennt, so sollte das für Graf Lajos * um so mehr ein Grund sein, mitzureisen.“
    „Das wird auch das Einzige sein, was ihn dazu bewegen könnte,“ sagte der Prinz eifrig, „ich will esversuchen.“ --

 

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    Als der Prinz die alte Schottin verließ, sagte er zu ihr mit besorgter Miene:
    „Madame, verzögern wir die Abreise nicht länger, als wie es bereits bestimmt ist, es könnte sehr nachtheilige Folgen nach sich ziehen.“ -
    „Wie meinen Sie das, mein Prinz?“ frug Lady Evans frappiert.
    „Es sind bereits mehrere Todesfälle am gelben Fieber vorgekommen und man glaubt allgemein, daß dasselbe zu einer nie gekannten Epidemie heranwachsen wird.
    Den Sommer Achtzehn hundert und drei und fünfzig hat schon Lacanal in seinen Schriften als einen Schreckensommer prophezeiht“-

 

(Ende des vierten Bandes.)






24 September 1854




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Peter R K Wagner - 2019