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Herzensfasern, die es noch an den Mährchentraum früherer Tage ketten, zu durchschneiden. --
Es giebt nichts Erhabeneres und Majestätischeres, als ein
Frauenherz, das auf fremdem Boden aus ungestillter Sehnsucht verblutet; es ist aber
auch nichts so verächtlich und verbrecherisch, als das Herz eines Weibes, das mit bitterem
Hohne seiner Heimath gedenkt und sich brüstet, wenn es ihm gelungen, dieselbe verläugnet zu haben. --
Dem Manne können unsere Sterne im blauen Felde
Ermuthigung und wohl auch Begeisterung abgewinnen; denn er denkt dabei an die Größe
einer Nation, die dazu berufen ist, ihre Segnungen über den ganzen Erdball zu verbreiten.
Aber das Weib? Das Weib sieht in den Sternen unsers Banners
nur die Sterne, die ihm einst in der Heimath vom wolkenlosen Himmel entgegen geleuchtet
und unendliche Sehnsucht in's Herz gezaubert haben. Was kümmert es die Größe einer
Nation! die Größe und der Reichthum seines Herzens sind es,
die sein Leben ausfüllen und die es ermuthigen und stählen. --
Jenny und ihre Schwester Frida sind die Passionsblumen
einer altadeligen, ursprünglich sehr reichen und begüterten Familie. Ihr
Vater war Einer der ersten Kronbeamten an einem süddeutschen Hofe und somit auch Standesherr.
Der hohe Adel in der Residenz schied sich damals in zwei
Partheien, die sich beständig befehdeten und gegenseitig den
Rang in Erwerbung von Hofämtern, Kronstellen und andern
bedeutenden Chargen abzulaufen bemüht waren. Die Eine,
die protestantische Parthei, war die schwächere und zählte nur
wenige, die von dem regierenden Fürsten begünstigt waren;
die Andere, die katholische oder eigentliche Hofparthei, die von
den früheren Ministerialen des Churfürstenthums abstammte
und durchschnittlich begüterter und reicher war, als die protestantische,
führte bei allen Vorkommnissen des Hofes den Vorsitz und ihre Glieder
hatten so ziemlich alle bedeutenden Civil- und Militair-Aemter in Händen.
Der Vater der beiden Schwestern war Protestant und
somit die Zielscheibe der Intriguen und Kabalen der katholischen Adelsparthei. --
Nur den Bemühungen der Herzogin von Braganza, die
sich damals längere Zeit in der Residenzstadt aufhielt, in Verbindung
mit dem Herzog von L*, gelang es, die Intriguen
dieser Parthei zu durchkreuzen und so wenigstens noch einige
Jahre dem Vater Jenny's und Frida's seine Stelle zu erhalten.
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Diese Begünstigung hatte er übrigens seiner Gattin, einer
gebornen Italienerin, aus dem berühmten Geschlechte der
Bernardi Taron, zu verdanken, die mit Donna Maria da
Gloria, wenn auch in weiter Verzweigung, versippt war.
Glühend für die Grundsätze und den Glauben ihrer Kirche,
hatte sie die Herzogin von Braganza, die eben so strenge an
ihrer Kirche festhielt, zur innigsten Freundin gewonnen und
daraus erklären sich die Anstrengungen der Letzteren, dem
Standesherrn in Betreff der Behauptung seiner Würde behülflich zu sein. --
Aus den Kinderjahren der beiden Schwestern treten uns
keine wichtigen Momente entgegen, wenn man nicht das Ereigniß hervorheben
will, daß sie mit ihrem sechsten Jahre zur
katholischen Religion übertraten. Es geschah dies auf den ausdrücklichen
Wunsch des regierenden Fürsten, der sich auf eine
mehr als protegierende Weise für die beiden hübschen Engelsköpfchen
interessierte. Das Beste, was die Kinder durch diesen
Act gewannen, war, daß sie dem Herzen ihrer Mutter näher gebracht wurden.
Bis zu ihrem eilften Jahre standen sie unter der Obhut
einer vortrefflichen Gouvernante, deren Herzensgüte und reines Wohlwollen einen
günstigen Einfluß auf die beiden Schwestern ausübte.
Nach dem plötzlich erfolgten Ableben ihrer Erzieherin
brachte man sie in das adelige Pensionat der Residenzstadt,
woselbst sich Herz und Geist auf die schönste Weise entfalteten
und veredelten. Mit Prämien überhäuft, verließen sie dasselbe
in ihrem sechszehnten Jahre und wurden nun nach dem herkömmlichen Gebrauche
in die große Welt eingeführt.
Umschwärmt und umgaukelt von jungen und bejahrten
Cavalieren, waren sie die Königinnen auf den Bällen, wo nur
immer solche veranstaltet wurden. Wo Jenny und Frida erschienen, war ein
Schwarm von Anbetern um die versammelt, die sich in ihrem Jugendglanze wärmten
und sonnten. Doch war es bis jetzt noch Keinem gelungen, die Aufmerksamkeit
Einer von den beiden Schwestern auf sich zu ziehen.
Ihre redselige Liebenswürdigkeit und ungebundene Naive tät, die nie die Grenzen
der Anmuth überschritten, entzückten und bezauberten; sie machten aber auch die
sentimentalen Schwärmer rasend und verzweifelt.
Die Fama der Haute Volée bezeichnete bald diesen, bald
jenen als den Bevorzugten der beiden Grazien; ja, man ließ
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hie und da schon die bedenklichsten Vermuthungen laut werden, die, wenn nicht zur
gehörigen Zeit unterdrückt, die Unbescholtenheit der beiden Schwestern in Gefahr
bringen mußten. --
So wurde man aber an einem schönen Tage mit der
verzweifelten Neuigkeit überrascht, daß zwei Stiftsdamen mehr
in der Residenzstadt seien, die das Ordenskreuz der heiligen Anna trügen.
Bei dieser so unerwarteten Nachricht waren alle Heiraths
candidaten und ebenbürtigen Courmacher wie vom Blitze getroffen und
liefen verzweifelt von einem Antichambre und von einem Boudoir in das Andere, um
die so entsetzliche Kunde mit Windeseile zu verbreiten und ihren Herzensergießungen freien
Lauf zu lassen.
Als aber nicht lange nachher bekannt wurde, daß der
Vater der nunmehrigen Stiftsdamen vom Orden der heiligen
Anna, beim alten Fürsten in Ungnade gefallen und für seinen
zerrütteten Finanzzustand in Zukunft keine ausgleichende Hand
zu hoffen blieb, beruhigten sich die entsetzten Gemüther schnell
wieder und sahen sich nach den Blumen anderer Zonen um. --
Wo aber Venus ihre Augen zu Boden schlägt, da nimmt
Amor die schärfsten Pfeile aus seinem Köcher hervor und endet
sie sicher und geübt, am liebsten in den unbefleckten Schooß.
Wo Amor im Hinterhalte liegt, mögen sich Himmel und
Hölle verschwören, -- er wird sie allein mit dem sanften Rauschen seines
Flügelpaares zu Boden werfen. Er baut sein Nest so gut unter die nackten
Balken einer Bauernhütte, als unter die vergoldeten Schwibbbogen eines Thronsaales.
Er kichert ebenso schelmisch aus dem Busentuch der Schnitterin, als aus
den Falten des Purpurmantels einer Königin. Er fliegt ebenso
gut gelaunt in den Schooß einer Bajadère, als in den einer Priesterin der Vesta. -- -- -- -- --
Es war einer der glänzendsten Galatage, die der Hof noch
je gesehen. In der Hofcapelle wird das bei solchen Gelegenheiten übliche Hochamt
abgehalten. Der Erzbischof selbst in vollem Ornate, eingehüllt in den reich mit
Brillanten besetzten, goldgestickten Rauchmantel, präsidiert am Altare. Seine
Ministranten sind zwei Suffraganbischöfe; denn der hier versammelte Hof, umgeben
vom hohen Adel und den höchsten Würden trägern, duldet es nicht, daß der niedere
Clerus vor ihren Augen fungiere.
[LSZ - 1854.02.02]
Da -- -- in dem nemlichen Augenblicke, als der Hohepriester
der allein seligmachenden Kirche das Allerheiligste
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emporhebt, um es der Menge zu zeigen, begegnen sich zwei
Blicke, die sich früher nie gesehen und nun in verzehrenden
Feuer auf und niederflackern. Einer der Pagen des Hofes,
die, mit Wachskerzen in der Hand, an den untersten Stufen
des Altars stehen, sieht in die tiefblauen Augen einer jungen
Dame, die, kaum zwei Schritte von ihm entfernt, eben auf die
Kniee niedersinkt und statt zum Allerheiligsten aufzusehen, den
himmelblauen Augen des blonden Edelknaben begegnet.
Die junge Dame trägt das schwarzjammetne Ordenskleid
einer Stiftsdame. An dem breiten hellblauen seidenen Band, das über ihren
Busen läuft, flimmert im reinsten Email das Ordenskreuz der heiligen Anna.-- -- -- --
So zogdie Liebe in Jenny’s unbeflecktes Herz, um später
auf fremdem Boden und tausende von Meilen vom Altare ihrer Verehrung entfernt,an
Emil, dem blonden leidenschaftlichen Pagen, einen treulosen Gatten zu finden.
An jenem Tage streifte Jenny das Ordenskleid von sich;
denn es war ihr zu eng für das tobende, zitternde Herz. --
Für den Standesherrn war dieser Tag der Letzte, an dem
er seinem Fürsten zur Seite stand.
Die Verleihung des St.Annen Ordens an seine beiden
Töchter, die mit einer bedeutenden jährlichen Präbende begleitet
war, schien die ganze Entschädigung für sein nunmehr einge büßtes Amt.
Sein Vermögen selbst war unbedeutend und kaum im
Stande, den Forderungen des Lebens in einer Residenzstadt zu genügen.
Wie höchst unangenehm mußte es daher den Vater der
beiden Schwestern betreffen, als ihm Jenny eines Tages entschlossen
entgegenkam und bemerkte, daß sie aufgehört habe,
Stiftsdame zu sein, da der junge Graf Emil* der Verlobte ihres Herzens sei.
Der alte Standesherr, anfangs erzürnt,da Emil unvermögend war
und nur auf ein rasches Avancement im Staatsdienste hoffen konnte,
und das erst, wenn er die Pagerie verlassen und seine academischen Studien
vollendet -- fügte sich in den Entschluß seiner Tochter, da er deren Charakter
nur zu wohl kannte und auch einsah, daß mit Gewalt hier nichts auszurichten sei,
indem er sich dadurch nur das Herz eines Kindes entfremden würde.
So schickte er sich denn in das Unvermeidliche und als
ihm Jenny ein Jahr später den Wunsch ausdrückte, in Begleitung
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von Emil’s Bruder und Frida's mit ihrem Verlobten nach Amerika überzusiedeln,
traf ihn zwar dieser doppelte Schlag etwas hart, aber er gab seine Zustimmung.
Eine beträchtliche Summe, die sie in den Stand setzen sollte, sich in
einer der südlichen Staaten anzukaufen, wurde durch eine
unerwartete Zugabe der Mutter noch bedeutend erhöht, so daß
ihnen nichts mehr im Wege stand, die ferne Reise über den Ocean anzutreten. --
Es dringt in neuerer Zeit von unsern Ufern eine geheimmißvolle
Stimme hinüber in die alte Welt, die selbst von ihren
verzogensten Kindern gerne gehört wird. Diese macht Columbia
oft matt und krank und sie sehnen sich wieder zurück nach ihren
Hausgöttern; aber Andere werden auf dem transatlantischen
Boden gekräftigt und wachsen im rastlosen Streben wie Riesen
heran. An jenen scheint die neue Welt das unterdrückte Volk
zu rächen; diese nimmt sie freudig in ihre Arme und zeigt
ihnen willig die Wege, die sie wandeln müssen, um früher er
duldete Erniedrigungen zu vergessen. -- -- --
__________________
„Ich war dort; nie habe ich eine solche Nacht gesehen.
„Es waren nicht mehr Sterne, was man am Himmel
sah, mein Herr, es war Goldstaub. Das Meer war durch einen Wind so angenehm
und leicht gerunzelt, daß man ist keinen andern wünschen würde, um in's Paradies zu gehen.
„Das war nicht Alles. Das Schiff schien die Wellen
zu entzünden, indem es dieselben theilte.
„Es war nichts zu thun. Das Schiff ging alle Segel
außen, Topmast und Beiegel im Winde, wie ein junges Mädchen, das Sonntags in die Messe wandelt.
„Ich neigte mich über die Wand hinaus und schaute in's Meer.“
Tausend und ein Gespenst)
Der wohl gekupferte Dreimaster
„Guttenberg“ verließ
seinen Ankerplatz. Eine günstige Brise trieb ihn in kurzer Zeit
durch den Canal, der die hochgethürmten Kreidefelsen des
stolzen Albions von der blühenden Normandie trennt.
Als er auf der Höhe von Lissabon schwamm, waren seit
seiner Ankerlichtung noch nicht volle zwei Tage verstrichen.
Vergnügt rieb sich der Capitain die Hände; denn es war
die erste Fahrt, die der „Guttenberg“ nach New-Orleans unternahm.
Die Schiffsmannschaft hatte gute Tage. Einige lagen in
halbaufgerichteter Stellung auf dem Rettungsboote und floch
ten oder banden Taue; andere wieder rauchten aus kurzen
Tonpfeifen, gefüllt mit zerschnittenen Primchen. Wieder andere
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plauderten mit den schönen jungen Bauernmädchen oder tändelten
mit deren langen Zöpfen und hielten Musterung an den
steifen Miedern und den silbernen Ketten und Gulden, mit
denen dieselben behängt waren.
Der Sohn des Untersteuermanns, ein Junge von acht
Jahren, saß auf dem Nacken des „Guttenberg“, der wohlgeschnitzt, mit
einem Buch in der Hand, das Vordertheil des Auswandererschiffes zierte und
sein Gesicht dem Westen zuwandte.
Ein phantastischer Freischärler aus dem
schleswig-holsteinischen Kriege in blauer Blouse mit hochstehendem schwarzroth
goldenem Kragen warf eine fingersdicke Angel nach den das
Schiff umkreisenden Delphinen aus. Mehrere Kinder, Knaben
und Mädchen saßen auf dem Rande des Backbords und klatschten in die
Händchen, so oft sich ein Zug fliegender Fische über
die Wasser des Oceans erhob und im blinkenden Silberbogen wieder verschwand.
An den Tauen und übergespannten Seilen hingen die
vom Salwasser gelb gewaschenen Hemden und Strümpfe der
Zwischendeckspassagiere und schaukelten sich im herrlichen Winde.
-- Am wolkenlosen Himmel brannte die Sonne und erweichte
die Theerüberzüge am Tackelwerk und an den Dielen der
Decke. Aber ihre Strahlen verletzten nicht; denn der Wind,
der die Segel blähte, führte auch Kühlung über die gerötheten und verbrannten Gesichter.
So blieb es Tage, Wochen. Lange schon bliesen die
Paasstwinde dem am Steuer stehenden Matrosen in den Rücken -- immer und immer
noch die glückliche und günstige Fahrt.
Auf den Fluthen des Saragossameeres schwamm der
räthselhafte Beerentang, ohne Heimath von Well' und Wind dahingetrieben ....
Der Stern des Schiffes änderte sich jetzt plötzlich und
als man in den Windwardscanal fuhr, hörte der Wind auf die Segel zu blähen und die
Luft athmete nicht mehr.
Am Cap Henry lag der Kiel des Schiffes bereits steif im Ocean.
So wird es oft auch Windstille im Herzen des Menschen,
ob es gleich eine Zeitlang in Haft und Eile auf der Fluth
seiner Wünsche und Hoffnungen dahingetrieben wird, und noch
ehe es im Hafen der Glückseligkeit Anker geworfen. -- -- --
Wenn widrige Winde das Laviren auf der Seenothwendig
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machen, so theilt sich den Passagieren ein böser Mißmuth
mit, der alle gute Laune verbannt und jedwede Ermuthigung
zurückweist. In viel höherem Grade findet dies bei einer
Windstille Statt. Wer kein Neuling auf der See ist, wird sich
gewiß noch des unangenehmen Eindruckes erinnern, den die
oft Wochen lang dauernde Todtenstille in der Region der Calmen auf ihn gemacht hat.
Beim Laviren theilt die Bewegung des Schiffes doch noch
etwas Elasticität unserm Geiste mit. Aber bei einer Windstille ist man todt bei lebendigem Leibe.
[LSZ - 1854.02.03]
Ein solches widerliches Mißbehagen fühlten damals die
Deckpassagiere des „Guttenberg“. Sie lungerten und lagen
allenthalben herum, sie standen auf, um sich wieder hinzusetzen;
warfen dann wieder einen trostlosen Blick in die stille See,
gafften den Himmel an, krochen in ihre Kojen oder schimpften
mit den Matrosen, die ihnen Geräthschaften oder seltene
Lebensmittel weggenommen. Nur wenn sie sich Frühmorgens,
Mittags und Abends mit ihren hölzernen Trogen und blechernen
Kaffeekannen an der Küche herumfließen, balgten und sich gegenseitig
wegdrängten, war etwas Leben unter die guten Leute gekommen.
Die Kajüte gewährte einen ganz andern Anblick.
Hier war durch irgend einen Zufall eine Gesellschaft der
auserlesensten Art zusammengetroffen; eine Seltenheit, die der Erwähnung werth ist.
Den Capitain, die beiden Steuerleute und den Steward
des Schiffes ausgenommen, war die Kajüte nur von sechs
Personen besetzt. Ein ungarischer Offizier, der noch vor Kurzem
in einem Husarenregimente in Effeck diente, ein deutscher Architekt, ein deutscher
Cavallerieoffizier, ein Candidat der Jurisprudenz und Einer ohne Metier, aber von
nicht geringem Wissen und einer angenehmen Art, sich ohne Zudringlichkeit
der Gesellschaft beliebt und unentbehrlich zu machen.
Außer diesen befanden sich noch zwei Damen hier, deren
anmuthiges, liebenswürdiges Benehmen über die ganze Gesellschaft einen gewissen
Reiz ausgoß, so wie der Mond einer Gegend, die sonst keine Schönheiten zeigt, oft
einen außerordentlichen Zauber verleiht.
Es waren Jenny und Frida, vor drei Jahren auf ihrer Reise nach Amerika begriffen.
An der Seite der Ersteren saß Emil. -- Frida war von
des Letztern Bruder ihrem jungen Vetter in die Mitte
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genommen. Der Architekt, der von ihm Albert genannt wurde, nannte ihn in brüderlicher Revanche Karl.
Wir haben Karl in spätern Jahren in Algier kennen
gelernt und gesehen, wie zärtlich die beiden Schwestern dem
lebensfrohen Mann mit seinen freundlichen Augen entgegen
kamen. Auch er hatte sich entschlossen, mit seinen Cousinen in die neue Welt zu wandern.
Was später aus Albert geworden, und in welche Gemüthszerrüttung
ihn sein eheliches Verhältniß zu Claudinen gebracht, ist uns bekannt.
Albert, der nie von der Seite Jenny’s gewichen und
Karl, der Frida auf dem „Guttenberg“ nie verließ, hatten ihre
stille Neigung mit nach Amerika genommen und in welcher Weise sich dieselbe in
weiterer Zukunft von dem Augenblicke an, wo wir sie damals gelassen,
entfaltet, gehört ihrer Lebensgeschichte späterer Jahre an.
Frida verhehlte ihre Neigung dem jungen Husarenoffizier
nicht, so wie sie von dem Bruder Emil’s zu einem innigeren
Verhältniß aufgemuntert wurde. Derselbe drang sogar auf
eine Verbindung, die auch bei ihrer Ankunft in der neuen
Welt nach einigen Wochen schon bethätigt wurde. --
Hier, Angesichts der gespensterhaften Gebirgsformation
der Insel Haiti hatte Jenny jenes bedeutungsvolle Traumgesicht, das sich an
Emil, wenn wir Hiram gedenken, theils schon erfüllt hat, theils vielleicht
noch in spätern Jahren seine volle Deutung erhalten soll. --
Es war in einer jener windstillen Nächte am Bord des
„Guttenberg“, als Jenny mitten in der Nacht in ihrer Koje
erschreckt aus dem Schlafe auffuhr und nach ihrem Gatten
ihre Hände ausstreckte und ihn ungestüm in die Arme schloß.
Emil, auf's höchste überrascht, besiegelte die Lippen eines
Weibes mit tausend Küssen. Heiße Thränen, die aus Jenny's
Augen auf eine Wangen niederbrannten, brachten ihn in
peinliche Unruhe, bis ihm die erschreckte Schläferin ihren Traum mittheilte.
Damals lachten, als es wieder Tag wurde und sie auf
dem Decke vergnügt beisammen saßen, Beide über ihren kindischen Schrecken
und ihr abergläubisches Herz. Emil hatte wohl noch keine Ahnung -- eine Trennung
von seiner Jenny hätte ihm unmöglich geschienen. Aber Jenny
dachte oft noch darüber nach und forschte bei Zeiten tiefer, als
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es ihrer Ruhe günstig war, über das absonderliche Traumgesicht.
Aus Jenny’s Tagebuch entnehmen wirfolgende rührende Schilderung:
„Wenn ich jetzt, wo mir ein verrufenes Weib meinen
Emil geraubt, auf die vergangenen Tage der Liebe und des
friedlichen Zusammenlebens zurückblicke, so steigt immer wieder
jenes Traumgesicht aus meiner Seele auf, das mir vor wenigen
Jahren, als unser Schiff regungslos zwischen den Antillen
lag, so großes Entsetzen verursachte. Hätten dich doch damals
die Stürme zerschellt, Segler aus dem lieben Deutschland!
O, daß du an ein zackig' Riff gestoßen wärest und hätte der
Blitz auf unser Herz geschrieben: „Sie liebten sich bis zum Tode.“ ...
„Emil, Emil! Es ist sehr spät, indem ich diese Zeilen
niederschreibe. Frida schläft bereits seit einer Stunde; sie
träumt vielleicht eben von dir, von unserer versunkenen Liebe
und dem vergangenen Glück. Denkst du noch an jene Nacht,
wo du in deine aufgeregte Jenny drangst, dir den wüsten
Traum zu erzählen? Nein -- du wirst es schon längst vergessen
haben -- liegst du vielleicht in diesem Augenblick in den
Armen der Leidenschaft? So schaue es noch einmal dieses
unglückweissagende Nachtgesicht, und werden dir je diese Blätter
zu Gesicht kommen, so mögen sie deine Thränen benetzen.
„Bis nach Mitternacht blieben wir auf dem Kajütendecke
vergnügt und heiter bei Einander. Karl ergötzte uns mit seinem
frischen Humor und spann seine Pläne, die er in der neuen
Welt auszuführen gedachte, bis auf Jahre hinaus. Luftschlösser
wurden gebaut und wieder niedergerissen, um anderen Platz zumachen.
Häusliches Glück beschrieben und Verbindungen geschlossen.
Emil’s Bruder, der einst so schmucke Cavallerieoffizier,
hieb schon tausende von Mexikanern zusammen und sah seinen
Namen glänzen unter den Heroen der Republik. Albert, der
Architekt, führte die schönste Projection für einen Kenotaph
Washington's aus und hörte seinen Namen mit Anerkennung
im weißen Hause nennen. Der Ungar schwärmte für Frida,
d.h. er faß die halbe Nacht neben ihr und sprach kein Wort.
Mein Emil, als Rechtskundiger, zog den Advocatenstand auf
seine Seite und glaubte sich dadurch die Bahn zu einem Senator
oder doch allerwenigstens zu einem Repräsentanten des
Volkes zu brechen. Ich? ich nahm an alledem herzlichen Antheil,
doch im Stillen vertrieb ich den Ehrgeiz und malte mir
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eine Idylle auf einer Plantage aus. -- Wir verließen das Deck, nachdem wir
noch vorher den Wunsch unsers Capitains entgegengenommen, gut zu schlafen
und frisch und heiter wieder zu erwachen.
„Emil schlief bald ein. Ich mag wohl noch eine Stunde
gewacht haben; dann senkte sich der Schlaf auf meine Augenlider, um mich
für das unaussprechliche Glück, das ich in der Wirklichkeit genoß, die schwarzen
Schatten der Traumwelt erblicken zu lassen:
„Ich befand mich allein auf dem Schiffe. Nirgends ein
lebendes Wesen. Schwarze Wolken hingen vom Himmel und
schienen die Masten zu berühren. Beängstigt lief ich umherund rief
nach Emil -- doch er hörte mich nicht. Meine Angst
überstieg alle Grenzen. Ich kletterte auf die Masten und schrie
von ihnen herab in den weiten Ocean den so theuren Namen Emil. Aber
der alte Ocean schien meiner zu spotten, ich hörte
nur ein Murren und vernahm ein schweres Athmen. Seine
Wellen sah ich nicht -- es war ja so finster! -- -- Als ich so
jammernd und rufend eine Strickleiter nach der andern bestiegen,
einen Mast nach dem andern erklettert, sah ich plötzlich
nach der Gegend hin, wo die Insel Haiti aus den ewigen Flurthen
steigt, eine riesengroße Gestalt mit einem bleichen, bleichen
Antlitz, mit grauen, zerrauften Haaren und magern abgewelkten
Händen, die sich krampfhaft zusammendrückten und dann wieder
in fürchterlicher Länge ihre Finger auseinander spreitzten.
Dann hob die endlose Ketten, die vor ihr lagen, empor und
zerschlug sie an den Felsen der Gebirge. Ich hörte sie rasseln --
und so laut, als wären sie vor mir niedergefallen. Vom Gebirge herab
sah’ ich -- -- -- O, meine Sinne schwinden mir noch jetzt, wenn ich dieses
Bildes gedenke -- -- Emil, meinen Emil an der Hand eines jungen schönen Weibes mit
langen schwarzen Haaren und großen blitzenden Augen. Sie
gingen auf die riesenhafte Gestalt zu und verneigten sich vor
ihr. Dieselbe breitete segnend ihre Hände über sie und führte
ihre Lippen zum gegenseitigen Kuß. Es war so finster um mich
und doch konnte ich Alles so deutlich überblicken. Ich sah die
schwarzen, blitzenden Augen des Weibes und die himmelblauen
Augen meines Emil, der entzückt an ihrem Munde hing ...
dann verschwand dieses Gemälde. Ein Feuer-Streifen zog
jetzt über die Insel hin, der Millionen von schwarzen Männern
erleuchtete -- sie schweiften in langen, unabsehbaren Reihen,
blutrothe Fahnen stiegen empor und rauschten wie Ströme
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vergossenen Blutes, und erhaben über diese Schaaren sah ich
wieder jenes verhängnißvolle Weib mit Emil und vor ihnen
schritt die abgemagerte Riesengestalt, eine ungeheure Wage in
der knöchernen Hand -- -- dann hörte ich wieder Ketten
rasseln und zerschellen -- -- dann -- -- O ich glaube gar, ich
konnte ihnen hunderte von Meilen nachsehen, sie zogen an
unsere Küste, -- dann erscholl lautes Geschrei und ich vernahm
rauschende, wilde Gesänge, wie sie aus den Kehlen der
Sieger nach gewonnener Schlacht dringen. -- -- Dann, O
das Ende dieses Traumes ist so düster -- meine Feder weint --
Emil war auf immer von mir getrennt! Ist es wirklich so?
Und doch war es ein Traum! -- -- --“
[LSZ - 1854.02.04]
Noch mehrere Blätter aus Jenny’s Tagebuch liegen
zerstreut vor uns. Viele sind verloren gegangen und mit innigstem
Bedauern müssen wir bemerken, daß es gerade diejenigen sind,
die aus den Zeiten des Glückes und der liebevollen Hingebung stammten.
Unter den vor uns liegenden sehen wir eine unvollendete
Skizze der weitern Seereise bis zu ihrer Ankunft in New-Orleans und
dem ersten Auftreten und Wirken der befreundeten Gesellschaft. Wir sehen
daraus, daß sich Jenny mit Frida und ihrem Gatten die ersten drei Monate im
St. Charles Hotel aufgehalten und dann mit Letzterem ein niedliches Häuschen
an der Apollostraße bezog, das Emil auf einer Auction für dreitausend Dollars erstanden hatte.
Die Befreundeten des „Guttenberg“ hatten sich durch
gegenseitigen Besuch und harmonisches Zusammenwirken, besonders wo es galt,
die Schwierigkeiten der fremden Verhältnisse
und Verbindlichkeiten zu überwinden und sie auf die best
möglichste Weise zu ordnen, Einander unentbehrlich gemacht.
Frida, die nunmehrige Frau des ungarischen Husarenoffiziers,
der trotz der Einwendungen Jenny’s und Karls eine Civilehe
geschlossen, hielt sich fast den ganzen Tag über bei ihrer
Schwester auf, da ihr Gatte die meiste Zeit bei einem Geschäfte
beschäftigt war, das in einer Cigarrenfabrik bestand. Frida
schien die erste Zeit glücklich und zufrieden. Aber Jenny, die
in den Augen Frida's zu lesen verstand und der nicht die geringste
Gemüthsbewegung der geliebten Schwester entging,
bemerkte gar bald, daß die Ehe für Frida keine Himmelsleiter
sei, um auf ihr die Glückseligkeit zu ersteigen. --
Vetter Karl war es gleich anfangs gelungen, auf einem
Mobile Boote als Clerk engagiert zu werden, was er zum Theil
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der zufälligen Bekanntschaft mit dem Eigner jenes Schiffes,
zum Theil auch seiner bereits sich in Deutschland angeeigneten
Kenntniß der englischen Sprache verdankte. Er erhielt die
für einen Neuling in der fremden Welt ganz artige Summe
von hundert Dollars per Monat. Bei der jedesmaligen Ankunft
des Bootes unterließ er nie, Jenny und Frida zu besuchen und
bald wohnte er im Hause jener bald dieser. --
Albert, der junge Architekt, hatte die erste Zeit mit
bedeutenden Schwierigkeiten zu kämpfen, bis es ihm endlich nach
vielem Mühen gelang, eine Stelle als Zeichner beim Bau
eines bedeutenden Gebäudes in New-Orleans zu erlangen.
Ungeachtet seiner rastlosen Thätigkeit behielt er doch noch immer
so viel Zeit übrig, von der verbotenen Frucht zu naschen, und
so kam es denn, daß er auf einem seiner Liebeswege die Bekanntschaft
des liebenswürdigen Fräuleins Claudine de Lesuire
machte, die von ihrer alten Tante verhätschelt und verzogen
wurde. Doch versäumte er es dabei nie, seine regelmäßigen
Visiten in dem Häuschen an der Apollostraße abzustatten. -- --
So verstrich ein Jahr. Emil, der mit der bedeutenden
Summe, über die er noch zu verfügen hatte, nach dem Wunsche
Jenny's -- und wie es bereits in Deutschland vorausbestimmt
war, eine kleine Plantage ankaufen sollte, war, nachdem er
seine Gattin von einem Monat auf den andern vertröstet,
seinen bisherigen Vorsätzen untreu geworden und verschleuderte
mit seinem Bruder und dem bereits banquerott gewordenen
Ungar in wüsten Gelagen und an verdächtigen Orten einen
großen Theil der Gelder. Die gute Jenny, der dies Benehmen
ihres Gatten kein Geheimniß blieb, versuchte. Alles mögliche,
ihn wieder auf die rechte Bahn zurückzuführen. Auf eine solche
Zurechtweisung, die von ihr stets auf höchst zarte Weise geschah,
schien es dann, als ob Emil wieder in das Geleise seiner
Pflicht zurückgeführt war. Er beschwor sie, ja er weinte sogar
ganze Nächte an ihrem Halse.
Aber worüber weinte er? Er weinte, daß er seine Gattin
nicht mehr so lieben könne, wie bisher; er weinte, daß er nicht
die Kraft in sich fühlte, ihr dies zu gestehen. -- --
Für ihn und für Jenny war es bereits zu spät.
Lucy Wilson hatte ihn in ihre Netze verstrickt.
So wurde das Häuschen an der Apollostraße von ihm
bald verkauft, da sich die Bedürfnisse Lucy’s und die Ausgaben
in Mulattoes' Settlement steigerten und dafür ein Haus in
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Algiers um die weniger als halbe Kaufsumme des besessenen Eigenthums eingerichtet.
Um diese Zeit lohnte der Ungar die Freigebigkeit Emil's
damit, daß er plötzlich aus New-Orleans verschwand und die arme Frida ihrem Schicksale überließ.
Wie es aber im Leben gewöhnlich
zu geschehen pflegt, daß, wenn sich einmal ein Unglück ereignet, bals ein zweites und
drittes nachfolgt, so war es auch hier.
Während der wüsten Orgien in Mulattoe's Settlement
gerieth Emil’s Bruder wegen eines reizenden Quadroonen
Mädchens mit einem mexikanischen Desperado in heftigen
Streit, wobei er erdolcht wurde. Dieser Vorfall brachte Emil
auf einige Zeit von seinen gewohnten Ausschweifungen ab und
als ihm ein Brief aus Deutschland zukam, worin man schrieb,
daß seine Eltern wegen der wiederholt drohenden Anzeichen
einer kommenden Revolution, entschlossen wären, in Bälde den
heimathlichen Boden zu verlassen, so schien er geneigt, eine
Verhältnisse mit Jenny wieder zu ordnen und die Verbindung mit Lucy aufzugeben.
Den Brief hatte er seiner Gattin verheimlicht.
Der glühende Sinnenrausch, in dem ihn Lucy gefangen hielt, war jedoch nur zu gut
geeignet, Emil wiederholt zum Renegaten seiner Gefühle und Vorsätze zu machen.
Nach vielem Hin- und Herschwanken vermied er endlich
Jenny ganz und kam nie mehr nach Algiers hinüber.
Doch Jenny's liebendes Herz gab ihn nicht auf.
Wer hat noch je die geheimen Herzschläge eines liebenden
Weibes belauscht? Schwäche und Charakterlosigkeit sind die
Harpyen, die die triviale öffentliche Meinung gegen ein armes
Weib losläßt, das in diesem Falle so handelt, wie Jenny.
Ja, Jenny wußte es, daß Emil mit der Leidenschaft zu
Bette ging, daß er in die Umarmung dieses Weibes seine Liebe
ergoß und doch sehnte sie sich nach ihm; doch liebte sie ihn noch. -- -- --
War dies Schwäche oder Entwürdigung ihrer Weiblichkeit?
Ihr, die ihr außerhalb ihres Herzens steht, richtet sie nicht!
Welcher Heroismus und zugleich welche unendliche Liebe -- die Lavaströme,
die die üppigen Kissen einer Nebenbuhlerin versengen, noch in ihrer Erkaltung zu ersehnen! -- -- -- -- --
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Jenny war rastlos in ihren Bemühungen, Emil wieder
in ihre Arme zu führen. Seinen Aufenthalt in New-Orleans
hatte sie bald ausgeforscht und eines Abends, als sich Emil eben in
eine Kleider warf, um sich zu Lucy zu begeben, erhielt
er von seiner Gattin ein Billet, so herzlich, so schonend, so
stürmisch und wieder so himmlisch ergeben und flehend, daß er
dem Ueberbringer des Schreibens ein paar Zeilen mitgab,
worin er auf das gewissenhafteste versprach, sie in Algiers zu besuchen.
So sind denn jene Worte zu erklären, die er damals Lucy
auf der Gallerie ihres Hauses zuwarf: „Ich habe heute noch eine Pflicht zu erfüllen!“
Wie wir aber wisen, versäumte Emil das eheliche Stell, dich ein.
War es ein freier Wille?
Denken wir an Hiram.
Emil scheint vom Schicksale zu einer andern Laufbahn
bestimmt, als sich am häuslichen Heerde die Füße zu wärmen. --
Auch der letzte Versuch der gepeinigten Jenny mißglückte.
Auch von dem Brief, den der kleine Tiberius nach der Rue
d'Amour trug, war nichts mehr zu erwarten. --
„Wo ist mein Emil?“ so ruft jetzt Jenny in die dunkle
Nacht hinaus, nachdem sie jede Spur von ihm verloren. Was geht wohl jetzt in ihrer Seele vor?
Sie weint und denkt an den Traum zwischen den Antillen.
[LSZ - 1854.02.05]
_________________________
Zweites Capitel.
In der Ferne.
Auf der Farm des Mr.Watson fing es bereits an, lebendig zu werden.
Der Wiederschein der eben aufgehenden Sonne zitterte
auf den Terrassen des gegenüberliegenden St. Louis und verschwand in
das Dunkel der Höhenzüge, die sich längst des
Hyde Parkes bis zu Colonel D'Fallon's Besitzungen hin erstrecken.
Mr.Watson's Farm war die bedeutendste auf Bissle's
Island und die auf ihr gezogenen Vegetabilien die gesuchtesten
auf den Märkten von St.Louis. Mr.Watson zog die besten
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Melonen, die feinsten und seltensten Gemüsearten; eine wenn
auch nicht sehr ausgedehnte Baumschule befand sich im vortrefflichsten Zustande, was man übrigens
nur der Geschicklichkeit eines deutschen Gärtners zu verdanken hatte.
Ungeachtet des ungünstigen Terrains, da die Farm öfter
von Ueberschwemmungen zu leiden hatte, war es dem deutschen
Gärtner dennoch gelungen, die trefflichsten Obstarten zu ziehen.
Ja selbst solche, die gewöhnlich nur auf steinigem Boden fortkommen,
gediehen zur schönsten Reife. Hier standen zwei Reihen
von saftigen „gold blotched“ Aprikosen und den süßen
kleinen „Breda“ und „Alsace.“ An diese reihten sich der
Bayou entlang die Kirschenarten „Reine Hortense“, „Bigarreau noir“
und die erst im Herbst zur Reife gelangende „Morello."
Selbst mehrere Pflaumensorten, die bisher seltsamer
Weise nur am Kaskaskia River gedeihen wollten, kann man
hier antressen. „Admiral Rigny“ und „Prince of Wales“
zieren im Spätherbste die Tische eines Lucas und Chouteau in
St. Louis. Bei den Fruchthändlern konnte man sie nie sehen;
denn Mr. Watson verstand es allein sehr gut, seine seltenen
Früchte mit bedeutendem Gewinne an den rechten Mann zubringen. --
Das Welschkorn, was man an verschiedenen Stellen der
Farm stehen sah, war nur zur Fütterung der Kühe und Pferde
bestimmt, die hier in nicht geringer Anzahl vorhanden waren.
Mr. Watson hatte dieses Jahr über 50 Acker Waizen gebaut,
der sich bereits gelb zu färben begann.
In der Nähe des Wohngebäudes, das von zwei gewaltigen
Sycamoren beschattet wurde, war auf einer Strecke von
zwanzig bis dreißig Fuß der Versuch gemacht, Castorbohnen zu ziehen.
Zwölf Acker mit Kartoffeln und drei mit Tomatoes, die
sich an einigen Parthien schon zu röthen anfingen, grenzten an
einen dichten Wald, der sich in einen schmalen Streifen bis an den Mississippi hinzog.
Ein Theil dieses Waldes war schon unter der Art gefallen
und an einer Stelle, wo das Waldland sich zu verlaufen begann,
bemerkte man die sonst stehen bleibenden Baumstumpen
mit größter Sorgfalt ausgerodet und entfernt. Hunderte von
Klaftern des schönsten Hickory lagen entweder auf den Flatbooten, oder
standen noch zwischen den Lichtungen des ausgehauenen Waldes.
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Ueber zwanzig bis dreißig Arbeiter fanden schon seit mehreren
Wochen Beschäftigung. Einige fällten die Bäume, andere
machten sie zum Aufklaftern geschickt und wieder andere rissen
die Stumpen heraus und suchten den Boden von den noch
allenthalben herumstreifenden oft armsdicken Verschlingungen
der Mustang Rebe zu befreien.
Der Grund dieser allseitigen Thätigkeit und ordnenden
Emsigkeit war, daß eine Compagnie eine Ferry nach dem
jenseitigen Illinois-Ufer in's Leben treten ließ.
Dieser Platz war am besten hiezu geeignet und daher
vor allen, die man früher für dieses Unternehmen gewählt, in Angriff genommen worden.
Ein zur Ferry Landung führender Fahrweg nahm über
dies noch einen Theil seiner Farm weg, den er, wie sich leicht
denken läßt, nicht um den geringsten Preis abgab. --
Mr. Watson mußte daher eine Fence enger zusammenziehen;
doch war seine Farm noch immer die größte auf Bissle's Island. --
Mr. Watson war schon mehrere Jahre Wittwer und lebte
mit seinem Töchterchen, einem bildschönen Mädchen, in thätiger
Zurückgezogenheit und verließ jene nur, wenn er mit seinem
Gemüsewagen über die Brücke der Bayou auf den Markt nach
St. Louis fuhr. Dort verkaufte er dann in eigener Person die Erzeugnisse seiner Farm.
Nur, wenn er Hühner, Turkey's und anderes Geflügel
mit auflud, hatte er einen seiner Arbeiter bei sich.
Sarah, des Farmers Töchterchen, hatte noch nicht das
fünfzehnte Jahr zurückgelegt. Sie war eine jener Erscheinun
gen, die nur in frischer grüner Umgebung, inmitten von Blumen,
Bäumen und Gesträuchen, bezaubern. Reizend war sie
anzusehen, wenn sie durch das Welschkorn schlüpfte und mit
ihren runden fleischigen Händchen dasselbe auseinandertheilte, um leichter durchzukommen.
In der Stadt, in der Umgebung einer verfeinerten Welt ließ sie kalt.
Sarah war eine von jenen lichten Blondinen, deren
Haare etwas in's Röthliche hinüberspielen. Doch hatte sie
einen schneeweißen, reinen, durchaus mackellosen Teint. Ihre
Füße gehörten zwar nicht zu den kleinsten, doch waren sie um
die Knöchel wohl gerundet und drall. Ihre Zehen waren, wie
ihre Finger, kurz und fleischig und hatten die elte Eigenschaft
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an sich, eine Maiskolbe, eine Tomatoe oder sonst einen rundlichen
Gegenstand vom Boden aufheben zu können.
Possierlich war es anzusehen, wenn sie ein solches Experiment producirte.
Frisch, lebhaft, munter, ausgelassen, ohne Ziererei, kugelte
sie sich bald hier, bald dort herum. War ihr Vater oder auch
einer der Arbeiter auf den Feldern oder im Gemüsegarten eben
beschäftigt, diese oder jene Verrichtung vorzunehmen, so schlich
sie sich unbemerkt hinter sie und versetzte ihnen mit einer Gerte
oder auch manchmal mit einem Stück Holz einen Klaps und
war dann höchst erfreut, wenn sie sich noch zur rechten Zeit
aus dem Staub machen oder sich hinter einen Baum oder ein Gebüsch verbergen konnte. --
Die deutschen Arbeiter auf Mr.Watson's Farm nannten
sie unter sich „unser Gretchen im Busch“
Unter den Arbeitern ihres Vaters befand sich auch ein
Ungar, der vor einigen Wochen in ziemlich verwahrlostem
Zustande auf die Farm gekommen und dem Mr.Watson das Arbeiten im Holze zugetheilt hatte.
Dieser Mann, der das dreißigste Jahr noch nicht über
schritten zu haben schien, hatte Eines jener mysteriösen Gesichter,
die selbst den größten Physiognomen in Verlegenheit
bringen können. Seine stark bebuchten schwarzen Augenbraunen
waren tief auf das dunkle Auge herabgesenkt und gaben demselben ein finsteres Ansehen.
Sein rothes wollenes Matrosenhemd und das große gelbseidene
Taschentuch, das gewöhnlich seine Beinkleider unter der Taille zusammenhielt, machten
jedoch seine Gestalt aus nehmend malerisch.
Dem aufmerksameren Beobachter entging eine Störung
seines sich angewohnten Temperaments nicht, die sich oft ganz
unerwartet durch ein unheimliches Flackern in einem sonst
festblickenden Auge und ein höhnisches Herunterziehen der
beiden Mundwinkel kund gab. Er suchte dies so viel als mögzu verbergen und
schien sichtbar beruhigt, wenn er glaubte, von
den Anwesenden nicht firiert worden zu sein.
Solche Menschen sind übrigens nicht sehr selten.
Den strengsten Stoikern, bei ihren Symposien scheinbar
die ruhigsten, resigniertesten Menschen, flackert oft ein diabolisch
Flämmchen im Herzen, das sich von Zeit zu Zeit phosphorisch
den Mienen mittheilt, und daher oft -- ohne daß wir im
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Stande wären, uns davon Rechenschaft geben zu können -- für uns etwas Grauenhaftes hat.
Der kleinen Sarah war Lajos -- so hieß der Ungar --
nicht gleichgültig. Ihr gefielen seine langen, schwarzen Haare,
sein rabenschwarzer Schnurr- und Knebelbart. War er mit
Holzfällen beschäftigt, so kam sie öfter zu ihm geeilt und brachte
ihm ein Stückchen Schinken oder Kornbrod mit Syrup bestrichen
und nebenbei oft noch in einer kleinen Flasche von dem
guten Cognac, den ihr Vater nur bei seltenem Besuche credenzte.
Auf Lajos machte dieses zuvorkommende, liebevolle Benehmen
der kleinen Sarah einen nicht geringen Eindruck. Das
kleine drollige Yankeemädchen mit ihrem weichen, lichtblonden
Haare und den vielen Grübchen an den Händen stach ihm
schon gleich bei seinem ersten Erscheinen auf der Farm in die
Augen, und er hatte sich im Stillen darüber geärgert, daß er
hier nur die Rolle eines Arbeiters übernehmen sollte, wo er so
gerne die eines glänzenden Liebhabers gespielt hätte. --
[LSZ - 1854.02.07]
Immer näher rückte der Tag heran, an dem Sarah die
Ruhe ihres Herzens einbüßen sollte.
Es war an einem Sonntag, als ihr Vater bereits um
4 Uhr Morgens mit einem seiner Arbeiter die Farm verließ
und mit wohlgefülltem Wagen über die Brücke der Bayou den
Broadway entlang auf den Markt nach St. Louis fuhr.
Watson wollte sein Frühstück in der Stadt zu sich nehmen.
So saßen denn Lajos und Sarah allein an gedeckten Tische.
„Wie gefällt Euch mein Vater?“ leitete Sarah die Unterhaltung ein.
„Mister Watson ist ein äußerst thätiger Mann und hat
ein sehr gutes Herz. Wenn mich dein Vater noch behalten
will, wenn die Arbeit im Holze vorüber ist, so hätte ich große
Lust, die Gärtnerei zu erlernen und wurde nebenbei auch noch
die schweren Arbeiten übernehmen,“ antwortete Lajos und
warf einen durchdringenden Blick auf das Mädchen.
„Seid deshalb nicht besorgt“ entgegnete Sarah, „wenn
Ihr Lust habt, hier zu bleiben, so kommt ihr nur dem Wunsche meines Vaters entgegen.“
„So hat Mr.Watson schon davon gesprochen, mir hier
noch weiters Beschäftigung zu geben?“
„Wir haben erst gestern Abend Euer weiteres Hierbleiben
auf unserer Farm besprochen, falls Ihr damit einverstanden seid und Ihr nicht Lust
habt, anderwärts Euer Fortkommen zu suchen“ warf die Kleine lebhaft ein, dann sprach sie weiter
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„Ich weiß es wohl, daß unsere Nachbarn Mr.Williams
und Carr ein Paar Dollars mehr Lohn geben, als mein
Vater -- aber die Arbeiter werden auch darnach behandelt.
Ueberdieß halten sie mehrere Niggers und nicht Jeder mag in
solcher Gesellschaft schaffen. Ich wenigstens kann keinen weißen
Mann achten, der mit Niggern arbeitet. Als meine Mutter
noch lebte, hatte mein Vater fünf Sklaven. Auf meine Bitten
hat er sie aber verkauft und seitdem hält er nur weiße Gentlemen auf seiner Farm.“
„Das ist sehr schön von deinem Vater“ sagte Lajos, ohne
etwas dabei zu denken. Aber seine Blicke waren beständig auf
den kleinen Mund und die herzigen Augen des Yankeemädchens gerichtet.
Die erste Tasse Caffee war ausgetrunken.
Sarah erhob sich von ihrem Stuhle und trat mit der
Kanne nahe an Lajos, um ihm die leere Tasse wieder zu füllen.
Der Ungar schien auf diesen Moment schon gepaßt zu haben.
Als Sarah an ihn herantrat, so faßte er sie zärtlich beim
Arme, sah ihr mit flammenden Augen ins Gesicht und sagte zu ihr in entschlossenem Tone:
„Sarah, sieh mich an!“
„Laßt mir nur erst Euren Caffee einschenken, dann will
ich Euch so lange ansehen, wie Ihr wollt,“ erwiederte Sarah in kindlicher Unbefangenheit.
„Sieh' mich an, Sarah!“ wiederholte Lajos, indem er
ihre Hand, die die Caffeekanne hielt, abwehrte.
„So muß ich Euch doch wohl ansehen, wenn Ihr Gewalt
gebraucht“ lachte Sarah, indem sie ihre Kanne niedersetzte. --
„So, So -- -- jetzt hab' ich Euch angesehen -- nun laßt
mich auch Euch einschenken!“
„Du sollst mich noch einmal ansehen, meine liebe Sarah!“
Das „liebe“ betonte er so ungestüm, daß auf Sarah's Wangen eine brennende Röthe aufstieg.
Ihre Händchen und Füße zitterten.
So zittern auch die Staubfäden einer Blume, auf der sich
zum Erstenmale seit ihrem Aufblühen ein Schmetterling schaukelt.
Auch Lajos zitterte. Aber ein Zittern war die Freude,
auf so leichte Weise das Herz eines schuldlosen Mädchens er obert zu haben.
Lajos wußte,was er that. --
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Während so Sarah bebend und sprachlos vor ihm stand,
musterte er die Sicherheit des Ortes, warf rasche Blicke nach
dem Fenster und der offenstehenden Thüre, berechnete mit
elektrischer Schnelligkeit die Zeit der Abwesenheit des Vaters,
-- kurz, alle seine Gedanken concentrierten sich darauf, die arme
Sarah für die Zukunft zur Märtyrerin ihrer Gefühle zu machen. --
Ein Schuß, der nicht weit von ihnen fiel, brachte Sarah
wieder zur Besinnung. Lajos sprang ärgerlich auf und während
Sarah zur Thüre hinauseilte, machte er sich mit dem Sattel,
zeug zu thun, das neben dem Feuerplatze an der Wand hing.
In der Verwirrung schnallte er die Riemen bald höher,
bald tiefer, putzte mit seinem Aermel die Sporen, hauchte sie dann an und putzte sie wieder.
Als er glaubte, hinlänglich gefaßt zu sein, eilte auch er zur Thüre.
Sarah stand in einer Entfernung von zwölf Schritten vor einem ältlichen
Manne in leichter Farmerkleidung, der sich auf eine Flinte mit sehr langem Rohre stützte.
„Das war mein General Taylor“ hörte er ihn zu Sarah
sahen, „mein schönster Türkey -- ich habe mir gleich gedacht,
daß er in Euer Gehege geflogen ist; es ist nicht recht von Euch, daß Ihr mir nichts davon gesagt
habt, da Ihr doch wußtet, daß ich ihn schon seit acht Tagen suchte. Ich glaubte
schon, William's Nigger hätten ihm die Federn ausgerupft --
ich hätte ihn gerne lebendig gehabt -- nun -- Einerlei -- wir verspeisen ihn jetzt bei Euch.“
Er hob den fetten Vogel, dem mehrere Rehposten fast den
ganzen Hals abgerissen, vom Boden
„Ich kann Euch in Wahrheit versichern“ betheuerte Sarah,
daß wir Euren Vogel noch kein Einziges mal in unserer
Fence gesehen, Mister Carr -- -- Ihr thut meinem Vater wirklich Unrecht, wenn Ihr so von
ihm denkt. Zudem haben wir selbst so viele Turkey's, daß, wenn zwanzig Stück zu Euch
auf Besuch kämen, wir gar nicht merkten, daß sie uns abhanden gekommen.
„Nun, es ist schon Alles wieder recht“ schöner Trotzkopf,
„was aber die Turkey's betrifft, so möchte ich mit Euch nicht
tauschen; wenn die Eurigen auch zahlreicher sind, so sind die
Meinigen um fünf Pfund schwerer. Ihr versteht es auch nicht recht, mit diesen Dingern umzugehen.“
„Wir verstehen es recht wohl, Mister Carr, Ihr seht
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nur immer auf die magern und wollt' nie in unsern Stall
schauen, wo sie eingesperrt sind und fett werden. Erst heute
Morgen hat mein Vater wieder über fünfzig Stück auf den
Markt gebracht, die noch zweimal so schwer sind, wie Euer General Taylor, auf
den Ihr so versessen seid.“
[LSZ - 1854.02.08]
„Nun, nun, es ist schon Alles recht“ beruhigte sie der
Farmer, „wie steht's denn aber mit der Ferry, die wird wohl
auch in ewigen Zeiten nicht fertig -- -- ich begreife deinen
Vater gar nicht, wie er dieser bankerotten Sippschaft das schöne
Stück Waldland abtreten konnte -- sie hätten's mir wenigstens theuer genug
bezahlen müssen, -- -- es ist auch gar kein geeigneter Platz für eine Ferry. Die paar Dutchmen, die
täglich von Neu-Bremen hinüberfahren -- das ist die ganze Fracht!“ --
„Dutchmen?“ wiederholte Sarah: „Ihr thätet auch
besser, Mister Carr, Euren Yankee Hochmuth abzulegen.
Wem anders, als diesem fleißigen redlichen Volke, das Ihr so
verächtlich. „Dutchmen“ nennt“ haben wir die Größe unseres
Staates zu verdanken? Wem anders, als den Deutschen sind
wir für den blühenden Zustand unserer Farmen in Missouri
verpflichtet? Eure Nigger, Mister Carr, bebauen und bepflanzen
nur die Felder; die Deutschen aber haben sie Euch erst
urbar und zum Anbau geschickt machen müssen. -- -- Merkt
es Euch nun ein für alle Mal, Mister Carr; daß ich Nichts
auf die Deutschen kommen lasse und daß Ihr in Zukunft
„Germans“ und nicht „Dutchmen“ zu sagen habt!“ --
Der alte Farmer strich sich das Kinn und sagte lächelnd:
„Miß Sarah Watson hat wohl einen „Beau“ unter den Dutchm -- -- -- Germans?“
korrigierte er sich.
„Wollen wir davon aufhören, Mister Watson“ nahm sich
Sarah zusammen, „und wenn Ihr Euren General Taylor
bei uns verspeisen wollt, so gebt mir ihn her, ich will ihn gleich
rupfen.- Ihr könnt dann so lange im Frontroom warten,
bis mein Vater vom Markte zurückkehrt -- -- vergeßt auch
nicht, ihm zu sagen, daß er Euren Turkey zurückgehalten hat!“
„Das werde ich wohl bleiben lassen“ erwiederte Mister
Carr, „mit Eurem Vater ist nicht zu spaßen.“
„So haltet Ihr mich denn für so verschwiegen?“ frug Sarah naiv.
Der Ungar, welcher eben aus der Thüre der Küche trat,
in der er mit Sarah gefrühstückt hatte, fesselte jetzt die Aufmerksamkeit des Farmers.
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Er wandte sich zu Sarah und frug sie:
„Wer ist dieser Mann?“
Dieses plötzliche Ueberspringen von ihrer bisherigen Unterhaltung
auf den Gegenstand ihrer Liebe, brachte Sarah vollkommen außer Fassung. -
Als der Farmer mit bedeutendem Blicke bald den Ungarn,
der, sein Gesicht von ihm halb abgewandt, nach der Seite zu
sah, wo St. Louis lag, von Kopf bis zu den Füßen maß, bald
Sarah anblickte, so glaubte sie sich verrathen -- ja es kam ihr
plötzlich der Gedanke, der alte Farmer könnte sie vorhin belauscht
haben. Sie wurde über und über roth und spielte mit
den Blättern eines an sie streifenden Haselstrauches.
„Wißt Ihr auch, Miß, warum ich Euch frage?“ frug er wieder,
„Wie soll ich's wissen?“ erwiederte Sarah kleinlaut und verlegen.
„Es ist ein Ungar, nicht?“
„Ja, Mister Carr.“
„Er arbeitet auf Eurer Farm?“
„Ja, Mister Carr.“
„Er ist erst seit vier Wochen bei Euch?“
„Ja, Mister Carr.“
„Ich glaube, wir haben uns schon einmal irgendwo in St. Louis gesehen.“
„So, Mister Carr?“
„Gebt einmal Acht, Miß, wie er zusammenfährt, falls er mich noch erkennt!“
Der Farmer verließ jetzt Sarah und ging auf die Küche zu, auf deren
Thürschwelle der Ungar stand, der nun auch sein Gesicht dem Herantretenden zuwandte. --
„Wie geht’s Gentleman?“ bewillkommte der Farmer Lajos in spöttischem Tone.
Als Lajos den Farmer genauer ansah, wurde er leichenblaß und dankte stotternd.“
Er bekam jedoch schnell wieder seine Fassung.
„Macht mich nicht unglücklich, ich bitte Euch, Sir! flehte der Ungar, jedoch
so leise, daß es nur Mister Carr, der ganz hart an ihm stand, vernehmen konnte.
Sarah befand sich noch immer auf der nemlichen Stelle,
wo sie der Farmer verlassen. Sie blickte unverwandt auf die Beiden.
Als sie Lajos erbleichen sah und bemerkte, wie er flehend
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seinen Blick auf den Farmer richtete, so fing sie am ganzen
Leibe an zu zittern. Sie glaubte jetzt gewiß zu sein, daß sie der
alte Carr belauscht und Lajos deßhalb nun in's Verhör genommen habe. -
„Deßhalb mache ich Euch noch nicht unglücklich, Gentleman“,
erwiederte der alte Carr wieder im spöttelnden Tone, „wenn ich es Sarah's Vater sage, daß
ihr den Verräther gespielt.“
„Ich bitte Euch, Sir! Macht mich nicht unglücklich!“
flehte der Ungar zu wiederholtem Male.
„Ihr wollt, daß ich Euch schonen soll, Euch, der Ihr um
ein paar lumpige Dollars einen armen Soldaten in's Unglück stürzen wolltet, -- -- wißt,
es war mein Neffe, den Ihr verrathen habt -- -- -- Schurke!“ schrie jetzt der alte Farmer erhitzt. --
Sarah, die die letzten Worte des alten Carr deutlich gehört und nun
sah, daß es sich hier um etwas ganz anderes handle, als sie bisher befürchtet, lief, als sie den Farmer eine
so drohende Geberde gegen den Ungar annehmen sah, rasch auf die Beiden zu. --
Lajos knirschte mit den Zähnen und biß sich vor Wuth die
Lippen blutig; als der Farmer Sarah erzählte:
„Ihr wißt doch, Miß, daß der Friedensrichter der zweiten
Ward mein guter Freund ist und daß ich oft Stundenlang in
seiner Office sitze. So bin ich denn wieder einmal bei ihm, es
war Nachmittags zwischen drei und vier Uhr, als dieser „feine“
Gentleman hereintritt und meinen Freund benachrichtigt, daß
er einen Deserteur wisse, den er gegen dig ausgesetzte Belohnung
von zehn Dollars -- zehn Dollars Miß! -- Uncle Sam anszuliefern Willens sei. Mein Freund fragt ihn nun
nach den näheren Umständen, und da erfährt er denn aus dem
Munde dieses feinen Gentleman's, daß er mit dem Deserteur
die Seereise von Galveston nach New-Orleans und dann von
New-Orleans nach St. Louis unternommen, und daß es ihm
der Soldat selbst im Vertrauen gesagt, daß er ein Deserteur
der Ver.Staaten Armee sei. -- --
„Als ihn der Friedensrichter um den Namen des Soldaten
fragt, so mußt” ich denn hören, daß es mein Neffe war, der
erst kürzlich von den Dragonern in Texas desertiert. Ich gebe
meinem Freunde gleich einen bedeutungsvollen Wink. Dieser
hält ihm wegen seiner schändlichen Verrätherei eine tüchtige
Strafpredigt und giebt ihm die Weisung mit auf den Weg, daß
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er sich mit solchem Bussineß nicht befasse und wenn er seine zehn
Dollars haben wollte, so sollte er nur nach den Jefferson
Barracks gehen, um sie dort in Empfang zu nehmen...“
„Ist das wahr, Sir!“ fiel Sarah jetzt in die Rede, indem sie an Lajos aufsah.
„Ich kann Euch nichts anderes auf Eure Frage antworten, Miß Watson, als,
daß ich glaube, dieser Mann ist betrunken -- oder -- --“
„Betrunken?“ schrie der Farmer, indem er sich wüthend
auf den Ungarn losstürzte, der seinerseits die nervige Faust unter das Kinn des Farmers drückte.
Sarah warf sich zwischen die Ringenden, die sich mit der höchsten Erbitterung.
Einer den Andern auf den Boden zu drücken suchten. -- -- -- --
Ein Wagen rollte über die Brücke der Bayou.
Sarah lief jammernd ihrem Vater entgegen, der nun vom Wagen sprang und mit
seiner Tochter dem Wohngebäude der Farm zueilte.
Er kam zu spät.
Auf dem Boden lag bluttriefend im letzten Todesröcheln der alte Carr. Der
Ungar setzte über die Fencen der umliegenden Farmen.
[LSZ - 1854.02.09]
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Drittes Capitel.
Der Raubmord auf der
Lookingglass-Prairie
„Wenn Ihr mich nach Shellville begleiten wollt, so steht
Euch mein anderes Pferd zu Diensten; auch könnt Ihr eines
von diesen Büffelfellen nehmen und es mit diesem Riemen um
den Leib des Pferdes schnallen; für eine Trense ist dieser
Strick gut genug und zudem ist es ein stilles, ruhiges Thier,
das ein Kind von fünf Jahren regieren könnte. Ich würde
Euch gerne meinen Sattel verabfolgen, aber seht, ich bin ihn
nun einmal gewöhnt und zudem muß ich fest aufsitzen, sonst
wäre ich nicht im Stande, meine Waaren fortzutransportieren
und sie während des Reitens im Gleichgewicht zu erhalten --
-- wie gesagt, wenn Ihr mich bis dorthin besten wollt, so
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laßt Euch das Pferd vom gelben Jack aus dem Stall führen;
in Shellville habe ich einen Bekannten, der reitet es dann
morgen wieder zurück; denn ich selbst werde schwerlich vor
einigen Monaten wieder hierher kommen, da ich im Sinne
habe, auch eine Tour nach New-Orleans zu unternehmen.“
„Es wäre mir lieber, Euere Lydia wäre ein wildes,
ungestümes Thier, sie würde bald Respect vor meinen Schenkeln bekommen “
„Man sieht's Euren Schenkeln auch an, daß Ihr nicht
zum Erstenmale ein Pferd besteigt -- -- doch ich kann Euch
versichern, meine Lydia ist nicht immer so zahm und still gegewesen. Es
sind jetzt vier Monate, daß ich mit ihr vor einem
Brande auf der Lookingglass-Prairie floh, hui, wie liefen uns
da die Flammen nach; als wir ihnen einmal ausgewichen zu
sein glaubten, so drehte sich plötzlich der Wind und jagte uns
das ganze Feuermeer vor's Gesicht -- da! -- jetzt wo hinaus
und wohin? dachte ich. Meine Lydia wieherte -- nein, es war
kein Wiehern mehr, sie heulte vor Furcht und Entsetzen; ihre
Mähnen standen in die Höhe, wie die Borsten eines angeschossenen
Keulers, der sich auf seinen Verfolger stürzt. -- Sie
hätte mich damals bald abgeworfen, wenn ich sie nicht tüchtig
auf's Nasenbein geschlagen hätte; denn das kann sie von jeher
ein für allemal nicht leiden. Sie stürmte mit mir fort -- ich
verlor dabei über zweihundert Dollars Waare; sie ließ sich
auch nicht abhalten, als uns die Flammen bis an den Little
Creek verfolgten, sie stürzte sich hinein, schwamm mit mir hinüber,
ohne mich abzuwerfen und gerettet waren wir.-- Seitdem
ist sie so still und furchtsam, und entsetzt sich vor einem
brennenden Reisighaufen. -- Seht', ein solches Thier war das;
ich wollt', ihr hättet sie früher kennen gelernt, ihr hättet Euch
gewiß in Eurem ganzen Leben kein besseres Pferd gewünscht. --
So laßt Euch nur das Pferd geben. In einer halben Stunde
wollen wir aufbrechen; denn diese Nacht will ich noch fort,
damit wir morgen früh gegen 9 Uhr in Shellville sind.“ --
„Vorerst wollen wir aber noch einen guten Cognac zu
uns nehmen“, Mister Cleveland, bemerkte der Andere, ein
Mann mit langen schwarzen Haaren und einem schwarzen
Schnurrbart. „Die Nacht wird kühl und durch das hohe, nasse
Gras zu reiten, ohne sich gehörig den Magen erwärmt zu
haben, möchte nachtheilig auf Eure Gesundheit wirken.“
Der Pedlar -- denn das war Cleveland -- lächelte über
diese feine Aufforderung des schwarzbärtigen „Stranger's,“
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da er sehr gut wußte, daß dieser keinen „damn’d Cent“ in der Tasche hatte.
Er ließ sich daher das Vorrecht des Treatens nicht nehmen.
Der Andere hatte dies auch erwartet.
Sie gingen in eine jener einsam stehenden Land-Grocerien,
wie man sie im Staate Illinois zu Hunderten vorfindet. Sie
sind gewöhnlich nicht weit vom Flußufer entfernt und immer so
gelegen, daß sich den Landbewohnern in einem Umkreise von
vielen Meilen keine erhebliche Schwierigkeit bietet, hierher zu gelangen.
Hier sind die Zusammenkünfte für County- und Staatswahlen.
In der Nähe solcher Grocerien ist das Terrain der
nie fehlenden Stumpredner, die sich oft drei bis vier Tage
aufhalten, ohne nüchtern zu werden, uatürlich auf Kosten ihrer erlesenen Candidaten.
Während einer solchen Zeit macht der Landgrocerist immer
die besten Geschäfte und zieht oft eine vierhundert Dollars an
einem Einzigen Tage aus seiner Schieblade unter dem Counter hervor.
Der Grocerist sieht vergnügt diesem tollen Treiben zu
und läßt hie und da ein Wort zu Gunsten des Redners fallen,
der sich die Kehle heiser geschrieen und den stürmischen Beifall
der Zuhörer damit belohnt, daß er sie insgesammt mit an die Bare zieht.
Haben nun Whiskey und Brandy gehörig elektioniert und
rüstet man sich für die Heimkehr, so nimmt noch mancher Farmer
für seine Lady buntfarbigen Kattun mit oder auch Schuhe,
Bonnets, Fane's, Strümpfe u.s.w.; denn mit Allem diesem
muß ein Landgrocerist versehen sein. Er ist Schuster, Schneider,
Strumpfwirker, Dreßmaker, Blackshmith, Alles in Einer
Person. Auch ihre Bäbies vergessen dann die begeisterten
Wähler nicht. Für sie wird Candy von allen Sorten und in
jeder Farbe mitgenommen. Ginger Cackes, Molasses Candy --
kurz alle jene feinen Confituren, wie sie der Yankee liebt. --
„Macht gute Geschäfte, Cleveland, und wenn ihr nach
New-Orleans kommt, so vergeßt nicht, mir meine Cigarren
mitzubringen und meine Bekannte zu grüßen“, rief der Grocer
noch dem Pedlar nach, als dieser mit seinem Reisegefährten fortritt.
Nach einem zweistündigen Ritte befanden sich dieselben
auf der Lookingglass-Prairie, die sich in unabsehbarer Ferne vor ihren Blicken ausdehute.
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Die Nacht war sternenklar; nur einige leichte Wölkchen
zogen über den Himmel und verbargen auf Augenblicke die volle Scheibe des Mondes.
Nur derjenige, welcher schon einen nächtlichen Ritt durch.
die endlosen Prairien des Westens unternommen hat, kann
sich einen Begriff von der erhabenen und stillen Majestät
machen, die über diese Flächen ausgebreitet ist.
Man glaubt die Athemzüge der Natur zu vernehmen und
vergißt alle kleinlichen Sorgen und Mühseligkeiten, die uns in
der Umgebung von Menschen und im rastlosen Getriebe des
werkelthätigen Lebens so oft verstimmen und unsere natürlichen
Empfindungen und Regungen in krankhafter Spannung erhalten,
Man überläßt sich so ganz seinen Gefühlen und das Herz
feiert in solchen Momenten ein Osterfest und zersprengt die Fesseln, in denen es
klügelnder Verstand und die conventionellen Regeln des gesellschaftlichen Lebens gefesselt hielten.
Die Oriflamme der Liebe leuchtet auf dem ruhigen Antlitz
des Jünglings, wenn er an die Geliebte in der Ferne denkt.
Wer Haß und Groll im Herzen getragen, vergiebt und verzeiht; die
Zahlen verschwinden aus dem Kopfe des Speculanten; selbst das Pferd senkt
seinen Nacken und folgt gehorsam seinem Lenker.
Horch! Da tönt plötzlich ein Schrei aus dem Dunkel der
hohen Gräser und bald darauf ein wehmüthiges Glucksen.
Ueber den glitzernden Thautropfen erhebt sich
ein unruhiges Flattern und Flügelschlagen.
Es ist ein Prairiehuhn mit seinen Jungen, das von einem
vorbeistreifenden Rudel wilder Hunde aus seinem Schlafe aufgeschreckt wurde.
Man sieht die Hunde nicht; nur die Spitzen der Gräser
theilen sich auf Augenblicke und zittern im Mondlichte.
Alles wieder feierliche Stille ringsumher.
Aus den Nüstern der Pferde streicht der Hauch und verliert sich im Nachtthau.
„Haltet Euch näher an meiner Seite“, unterbrach der
Pedlar ein mehrstündiges Stillschweigen, indem er sein Pferd
anhielt und nach seinem Reisegefährten zurückfah, der in einer
Entfernung von ungefähr fünfzehn Schritten zurückgeblieben War.
„Das Gras wird jetzt bald höher,“ fuhr er dann fort,
und es wäre leicht möglich, daß Ihr mich dann aus dem Gesichte
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verlöret -- noch eine halbe Meile weiter und es wächst uns bis an den Hals.“
„Ja, Ihr habt Recht, Mister Cleveland, es ist auch viel
gemüthlicher, neben Einander zu reiten“ erwiderte der Andere, indem er sein Pferd rascher antrieb.-
So ritten sie einige Zeit stillschweigend neben Einander
und gelangten bald an die Stelle, wo ihnen die feuchten Gräser das Gesicht streiften und näßten.
„Es ist nicht immer so fröstlich auf der Prairie“ ließ der
Pedlar dem Andern vernehmen, „besonders nicht um diese
Jahreszeit bei einem so schönen, sternenklaren Himmel. -- -- Seht einmal dort hinauf, das letzte kleine Wölkchen verfliegt
so eben, -- -- seht, seht, rief er dann lebhafter aus, diese großen
Leuchtkäfer, wie sie funkeln, wie sie blitzen!“
Der Andere sah sich nach allen Seiten um und entgegnete:
„Ihr habt wohl einen Sternschnuppen vom Himmel fallen
sehen, Mister Cleveland und habt ihn für einen Leuchtkäfer gehalten. --“
„Da, da hier -- jetzt fliegen sie Euch gerade vors Gesicht
-- -- da, seht Ihr sie denn nicht? -- seht, seht, sie sind noch immer da - hascht sie doch!“
Der Andere sah sich wieder nach allen Seiten um, blickte nach oben, nach unten --
„Nun, wenn Ihr sie nicht seht, so will ich sie Euch fangen“;
mit diesen Worten griff der Pedlar mit seinen Händen weit
aus, fuhr jedoch im nächsten Augenblick erschrocken zurück.
„Zum Teufel, was treibt Ihr, seid Ihr verrückt -- -- Ihr
hättet mir bald beide Augen ausgedrückt -- -- “rief der Andere.
[LSZ - 1854.02.10]
„So straf” mich der Himmel“, erwiederte der Pedlar
„wenn ich Eure Augen nicht für Leuchtkäfer gehalten habe.“
So war es auch.
Da die Beide bis an die Schläfe von den Riesengräsern
umgeben waren, und der Stand des Mondes ihre Schatten
gegenseitig verband, so konnten sie von sich selbst nichts er
blicken, als höchstens die Augen, die wie Glühwürmer durch das feuchte Dunkel der Prairie zogen.
Da der Reisegefährte des Pedlars öfter sein Gesicht gegen
denselben wandte, so war diese Täuschung um so erklärlicher.
„Ich wollte nur“, hub Cleveland nach einiger Zeit wieder
an, „ich hätte meine Buffaloschuhe nicht in St. Louis liegen
lassen, sie würden mir jetzt gut zu Statten kommen, meine Schuhe sind schon ganz durchnäßt.“
- 30 -
„Die meinigen auch“, erwiederte ein Reisegefährte,
„habt Ihr nicht ein paar wollene Lappen, ein altes Unterhemd
oder sonst Etwas; ich möchte es mir gern um die Füße binden.“
„Da habt Ihr einen guten Einfall, den will ich mir auch
zu Nutzen ziehen“, sagte der Pedlar und schickte sich an, die Riemen seines Mantelsackes zu lösen.
Der Andere knickte das hohe Gras.
Das Pferd des Pedlars stemmte sich jetzt plötzlich auf die
Vorderbeine und schlug so hoch aus, daß die Hufen über die
Höhe der Gräser hinaus flankten und im Mondlichte glitzerten.
„Bst, Bst! John“ -- besänftigte der Pedlar sein Pferd,
indem er sich gewandt über den niedergesenkten Kopf desselben
auf den Boden gleiten ließ. „Bst, Bst, John, alle Teufel -- was hast du denn?“ -- --
Zwei Schüsse hallten durch die Stille der endlosen Prairie.
Wüthend vor Schmerz sprang das Pferd noch einmal in
die Höhe und fiel dann leblos auf die Leiche seines Herrn nieder. --
Lajos's Augen schwebten gierig über der ersehnten Beute. -
„Donner und Doria“ rief der Mörder vor sich hin, „wenn mir das Pferd jammt dem Gepäcke
davongerannt wäre, so wäre es unnöthig gewesen, seinen Herrn zu erschießen --
da laß einmal sehen, armer John, wo ist dir meine Kugel hingedrungen? -- sieh", sieh", was
ich für ein Glücksvogel bin, ein paar Zoll weiter ab und die Bestie hätte noch Lust
verspürt, das Weite zu suchen.“
Während sich Lajos über das Pferd lehnte und bald
knieend, bald stehend das Gepäck des Pedlars auseinanderzerrte,
schnubberte Lydia an der Leiche ihres ehemaligen Herrn herum
und ließ sich neben ihn auf den Boden nieder, indem sie ihren Kopf auf die Brust desselben legte.
Lajos hatte sein Geschäft bald beendet. Viertausend
Dollars, theils in Gold, theils in Missouri Staatspapieren, waren
die Frucht einer emsigen Nachforschung.
Und jetzt?
„Nach Shellville darf ich nicht reiten, denn da kennen sie Cleveland's Mähre“, dachte
er bei sich. „Zurück ohne sie würde Verdacht erregen.“ Lajos bedachte aber im ersten
Augenblicke nicht, daß er eben so wenig nach Shellville als zurückreiten
konnte, da er weder jenen noch diesen Weg mehr gefunden hätte.
- 31 -
Und es war erst eine Stunde vor Mitternacht. --
Er trat auf Lydia zu, die mit ihrem Kopfe noch immer
auf der Brust des Ermordeten lag.
„Willst du gleich aufstehen, verrückte Bestie -- -- ich
glaube gar, du trauert über den todten Rülps da -- -- marsch auf -- -- “fluchte
Lojos auf die Stinte und kneipte sie in den Widerriß, um sie so zum Aufstehen zu
bewegen. Aber das treue Thier bewegte sich nicht von der Stelle.
Neben an lag das Pferd des Pedlars. -- -- --
Mit einem Schrei des Entsetzens, der weit hin durch die
stille Majestät der Nacht gelte, sprang Lajos plötzlich auf und
führte seine Hände krampfhaft zur linken Wange. Selbst Lydia
hob bei diesem entsetzlichen Schrei ihren Kopf empor und sah
sich nach dem Mörder ihres Herrn um.
Lajos geberdete sich, als wäre eine ganze Hölle von Furien
nnd Schlangen in einem Innern geschäftig. Seine Augen
sprangen weit aus ihren Höhlen heraus, als wollten sie so um
so leichter Zeugen dieser erschrecklichen Seene sein. Nach allen
Richtungen hin spie er das Blut, das von einer Wange auf seine Lippen floß.
Grauses Stöhnen und Pfeifen, das sich seiner Brust entwand,
wurde nur unterbrochen, wenn er seine rasenden Flüche herausstieß.
Ein Rudel Prairiewölfe, die ein unerklärlicher Instinkt
hieher geführt hatte, um sich über die Leichen herzustürzen, stob
klässend auseinander, als sie diese männliche Furie erblickten,
die heulend, fluchend und winselnd den Boden zerstampfte.
Das Pferd des Pedlars hatte noch im letzten Todeskampfe in die Wange des Mörders gebissen. --
Wenn die Stille der Nacht über ein unverdorbenes Gemüth und schuldloses
Herz eine erquickende Weihe ausgießt und ausgestandene Leiden und Mühseligkeiten vergessen läßt;
wenn die nächtliche Leuchte am reinen, sternbesäeten Himmel den Dichter in’s Reich der Träume
versenkt und seine pochen den Fibern küßt; wenn getäuschte Liebe über den weiten Bogen
der Milchstraße hinirrt,um auf ihr ihren Schmerz auszuweinen, da ringt der Mörder fluchend
die Hände und verwünscht die Sterne, den Mond und sehnt sich nach der blendenden Sonne.
Ermattet und bis auf's Aeußerte erschöpft stand Lajos wieder neben Lydia.
Er schickte keine Flüche mehr über das wogende Gräsermeer -- aber es
grollte und fluchte um so stärker in seiner Brust.
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„Wenn diese Bestie nur ein Mensch wäre“ dachte er bei
sich, „ich würde ihr ein Denkmal hinterlassen, das es selbst im Tode noch schänden würde.“
Lydia schien keine Lust zu haben, aufzustehen und die Last
des Mörders zu tragen. Lajos wandte alle nur erdenkliche Mittel an, aber Alles umsonst. Es
war Zeit, einen raschen Entschluß zu ergreifen, um vom Orte seiner Greuelthat weg zukommen.
„Zu Fuß mit diesem Gelde und nicht wissen, welche Richtung ich
einzuschlagen habe? -- Schade jetzt, daß ich mich nie um Astronomie bekümmert -- die Gestirne
würden mir ungefähr den Weg vermeiden lassen, den ich nicht wieder zurückgehen
darf, oder soll ich gar noch einige Tage hier herumirren und dann vielleicht doch wieder
auf den nemlichen Ort zurückkommen? -- -- Teufel, Teufel, Lajos hat so wenig erfinderischen Geist?“
Rathlos stand er so einige Augenblicke.
Ein Gedanke blitzte jetzt plötzlich über die dunklen Züge des Mörders.
„Diese störrische Bestie will ich auf die Beine bringen“ --
sagte er zu sich und machte sich über das für ihn unnütze Gepäck des Pedlars her und
steckte dasselbe in Brand.
Er hatte richtig calculirt.
Kaum hatte Lydia das aufsteigende Feuer erblickt, als sie
sich raschvom Boden erhob und wiehernd ausgriff. Auf diesen
Moment war Lajos vorbereitet.
Mit räthselhafter Gewandtheit warf sich der ehemalige
ungarische Husarenoffizier auf den Rücken des Pferdes und
faßte mit raschem Griff die gesträubte Mähne.
„Donner und Doria“ hallte es durch die schweigende
Nacht, „das geht ja wie in die Hölle! -- Prairiebrand, Prairiebrand,“ lachte
er in's Ohr der Stute, als sich der nächtliche Himmel weithin zu röthen begann und die Flammen
ihnen mit Windeseile nacheilten. --
„Prairiebrand, Prairiebrand, Lydia! fort, fort in die Hölle!“ --
[LSZ - 1854.02.11]
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Viertes Capitel.
Gretchen im Busch.
Grünt der Wald und röthet sich die Haide,
Winter floh mit seinem Flimmerkleide,
In der Halde schmolz der Schnee.
Wo die wilden Vöglein lockend schlagen,
Geht des Farmers Kind mit leisen Klagen!
Blaue Blumen, rother Klee,
Blühtnicht mehr, mein Herz ist allzu weh!
(Otto der Schütz.)
Seit jenem bedauernswerthen Ereigniß,das den Tod des
alten Farmers Carr und die Flucht Lajos's zur Folge hatte,
war Sarah ein ganz anderes Mädchen geworden. Sie schlich
sich nicht mehr hinter ihren Vater, um ihm, wenn er gerade
beschäftigt war, auf den Rücken einen Klaps zu versetzen; sie
kugelte sich nicht mehr auf dem Boden herum und sprach nur
wenig oder gar nicht mit ihren Nachbarn. Die Perlhühner
konnten ungestört die Nacht über im Freien zubringen; denn
sie trieb sie nicht mehr, wie früher, in's Gehege. Der muntere
„Red bird“
*), bisher daran gewöhnt, von ihr während des
Tages dreimal eine frische Zulage zu erhalten, hatte seine gute
Laune verloren und stieß mit seinem schwarz befiederten Köpfschen
mürrisch und trotzig an das feine Drahtgitter des Käfiges
und wollte sich durchaus nicht zufrieden stellen, wenn ihn um
Mittagszeit eine andere Hand bediente. Die Kühe bezeugten
ihren Unmuth und Verdruß über den Mangel an Kleie, die
nur Sarah zu ihrer Zufriedenheit herrichten und mischen
konnte, dadurch, daß sie unruhig herumtrampelten und des
Nachts, wenn sie in ihrer Fence eingesperrt waren, oft einen
solchen Spektakel verursachten, als wären sie von einem Panther jählings überfallen worden.
Watson schüttelte bedenklich den Kopf, wenn er sein
Töchterlein ansah, aus dem so plötzlich alle Heiterkeit und
rosige Lebensfrische geschwunden waren. Der bloße Vorfall
mit dem alten Farmer konnte nach seiner Meinung unmöglich
eine so gänzliche Umgestaltung ihres bisherigen Frohsinns hervorgebracht
haben. So viel getraute er sich zu, beurtheilen zu können.
Es kam ihm wohl manchmal in den Sinn, daß sein Kind
eine stille Neigung für Lajos im Herzen getragen haben könne,
die durch jene unglückliche Katastrophe nur noch mehr angesacht,
_________________
*) Die Virginische Nachtigall.
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ihr Herz jetzt quäle und martere; wenn er dann aber
wieder alle früheren Umstände erwog, so glaubte er sich doch
getäuscht zu haben. So war der Herbst vorübergegangen und
hatte einem äußerst strengen Winter Platz gemacht.
Die Aeste der Sykamoren und Cottonbäume seufzten
unter dem gewaltigen Druck des auf ihnen lastenden Schnee’s,
der mehrere Fuß tief die ganze Gegend weit und breit bedeckte.
Das Farmerhaus war oft so eingeschneit, daß sechs Hände
vollauf zu thun hatten, um nur in der nächsten Umgebung den
Schnee wegzuschaffen. Der tiefe Schnee hinderte den Farmer
schon seit einigen Wochen, auf den Markt nach St.Louis zu
fahren,was ihn sehr mißmuthig und verstimmt machte. --
An einem Abend, wo es wieder so recht schneite und
stürmte, saß der Farmer mit Sarah allein an einem großen
runden Tisch mit grauer Marmorplatte, den einst Mistreß
Watson von einer Freundin in St.Louis zum Geschenk er halten hatte.
Beide waren emsig damit beschäftigt, Gemüse- und Blumensämereien
zu sondieren und dieselben in eigens hiezu verfertigte Packetchen zu vertheilen.
Watson's Arbeiter hatten sich bereits niedergelegt. Draußen
heulte der Wind und rüttelte an den Thüren und Fenstern des Farmerhauses. --
Neben der Thüre lag eine große Dogge, die heute wegen
des stürmischen Wetters die Erlaubniß erhalten hatte, die
Nacht im warmen Zimmer zuzubringen.
Sarah war sehr fleißig im Füllen der Päckchen mit den
verschiedenen Sämereien. Sie hatte bereits mehre Dutzend
neben sich in ein Handkörbchen gelegt, das sie jetzt ihrem Vater
zuschob, der dieselben in einer ordnenden Weise in die Fächer einer Stellage vertheilte. -
Keines sprach ein Wort.
Watson, der sich diesen Abend fest vorgenommen hatte,
der so auffallenden Umwandlung der Gemüthstimmung seines
Kindes auf die Spur zu kommen, hatte bis jetzt geschwiegen
und sann im Stillen nach, auf welche Weise es ihm wohl gelingen könnte, Sarah
zu irgend einem Geständniß zu bringen.
Da sie ihm auf seine oftmaligen Fragen hierüber stets ausweichend begegnet war, so
wollte er nun auf einem Umwege zu seinem Ziel gelangen.
Als ihm Sarah ein zweites Körbchen zuschob, sagte er:
„Wenn ich gewußt hätte, daß Lajos ein so jähzorniges
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und hitziges Temperament besäße, so wäre er von mir nicht
als Arbeiter angenommen worden. Wir hätten uns dann alle
diese Unannehmlichkeiten, die aus jener That für uns damals
entstanden, leicht ersparen können. Der alte Carr muß es doch
auch mit ihm zu bunt getrieben haben, daß er in solchen Jähzorn gerathen konnte. --
„Ihr würdet es gewiß auch nicht gleichgültig hinnehmen,
Vater, wenn Euch Jemand eine solche Beschimpfung zufügte,“
entgegnete Sarah, ohne aufzublicken.
„Allerdings mein Kind. Aber wenn man eine entehrende
Handlung begeht, so muß man sich es auch gefallen lassen, darüber zur Rede gestellt zu werden.“
„Aber Vater -- Ihr glaubt also noch immer, daß der
ungarische Gentleman einer solchen entehrenden Handlung fähig sei?“
„Deine eigene Beschreibung jenes verhängnißvollen Auftrittes giebt
mir das Recht, über ihn den Stab zu brechen.“ bemerkte der Farmer, sein Kind dabei scharf beobachtend.
„„Das könnt Ihr nicht, lieber Vater.-- Ich glaube ganz
bestimmt, daß ihn Mister Carr für einen Andern angesehen
hat; denn diese Ungarn gleichen. Einer dem Andern. Sagtest
du nicht selbst zu mir, daß Lajos dem jungen Manne, der
voriges Jahr bei uns arbeitete, aufs Haar gleiche. Kann es
nicht eben so gut Marian gewesen sein? Marian war ein boshafter, heimtückischer
Mensch, vor dem ich mich jedesmal fürchtete, wenn er mir nahe kam. Aber Lajos -- -- es ist aber
nicht recht, daß man einen Menschen für schlecht hält, ohne die
gehörigen Beweise in Händen zu haben,“ unterbrach sich Sarah, da sie fühlte, schon
zu weit in ihrer Theilnahme für Lajos gegangen zu sein. --
Der Farmer, dem diese Unterbrechung nicht entgangen war, fuhr fort:
„Wo er jetzt wohl herumirren mag, der arme Lajos?
Gäbe der Himmel, daß man seiner nicht habhaft wird; denn
da müßtest du wieder als Zeuge vor Gericht erscheinen, -- --
doch das wäre noch das Geringste, aber so ein Mörder, wenn
er seine That auch nicht vorsätzlich verübt hat, muß doch ein
jämmerliches Dasein dahinfristen, -- -- ich würde in einem
solchen Falle lieber freiwillig meinem Leben ein Ende machen
-- -- ja, ja, wo er jetzt wohl herumirren mag - ein solches Loos ist gewiß nicht beneidenswerth. -- --“
Sarah konnte ihre Gefühle nicht länger mehr zurückdrängen.
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Heiße Thränen perlten über ihre Wangen und benetzten
das Packetchen, das sie eben mit dem Samen des blauen Rittersporn gefüllt hatte,
Auf dem Gesichte des Farmers leuchtete die Freude, daß
es ihm endlich gelungen, den Zustand seines lieben Kindes er
forscht zu haben. Was wollte er mehr Beweise? Was anders,
als diese Thränen, sagten ihm, daß sein Kind Lajos liebte, ja
noch liebt. Und was war Lajos in den Augen. Aller, die ihn
kannten oder die von dem Vorfalle auf Watson's Farm gehört
hatten? In Aller Augen blieb und war der Ungar ein Mörder,
der, flüchtig vor der unerbittlichen Themis, vielleicht in Bälde
durch irgend einen Zufall den Händen der Gerechtigkeit ausgeliefert werden konnte.
Die Freude, die er anfangs darüber empfand, ein Kind
auf so leichte Weise überlistet zu haben und dadurch hinter das
Geheimniß seines Seelenzustandes gekommen zu sein, machte
bald einer andern Stimmung Platz. Denn als er auf Sarah
hinübersah, wie sie so liebekrank ihr Köpfchen sinken ließ und
die Thränen zurückzuhalten bemüht war, da war es ihm nicht
mehr möglich, ein Kind noch länger auf der Folter des Still
schweigens zu martern und zu quälen, oder sie gar einem weitern Verhöre zu unterwerfen. --
Er zog sie zu sich auf seinen Schooß und suchte sie nach
besten Kräften zu beruhigen.
„Sarah, mein gutes Kind, warum hast du deinem Vater
bisher so wenig Vertrauen geschenkt und ihm deinen Kummer
verheimlicht? Sage mein Kind, ist deine Liebe zu Lajos so tief
in dein Herz gedrungen, daß sie dir alle Seelenruhe raubt,
und allen jugendlichen Frohsinn verscheucht? -- -- Mädchen,
Mädchen, welche Veränderung ist mit dir vorgegangen! Lebte
deine selige Mutter noch, sie würde ihr Kind nicht mehr erkennen. -- --“
„O, mein Vater“ sagte im schmerzlichen Tone Sarah,
„Ihr seid so gut gegen Euer Kind -- -- aber Vater, sagt mir,
begehe ich denn ein so großes Unrecht, wenn ich Lajos liebe?
Ihr habt ihn doch früher auch geliebt, mein Vater. Wißt Ihr
noch an jenem Abend, wo Eure andern Arbeiter, weil die
Arbeitsstunden vorüber waren, nichts mehr anrühren wollten,
-- wißt ihr noch, als uns Lajos bis spät in die Nacht hinein
half, die Kartoffelu herauszunehmen, weil Ihr sie den Tag
darauf auf den Markt bringen wolltet. Was sagtet Ihr damals zu mir, mein Vater? -- --
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„Sagtet Ihr nicht: wie lieb' ich diesen ungarischen Gentleman;
er ist so ruhig, so fleißig und gesetzt? -- --“
Sarah schlug ihre Augen auf und sah ihrem Vater zuversichtlich
in's Gesicht, als erwarte sie von ihm ganz gewiß eine versöhnende Antwort.
[LSZ - 1854.02.12]
„Mein Kind,“ erwiederte der betrübte Vater nach einiger
Unterbrechung, „es bestehen in der menschlichen Gesellschaft
gewisse Normen und Gesetze, die nicht überschritten werden
dürfen. Die Welt frägt nicht nach dem Urtheile eines jungen
liebenden Mädchens, sie kümmert sich nicht um die Thränen,
die unglückliche Liebe vergießt -- sie ergreift mit ihren harten
Händen nur die nackte Thatsache. Die Leiden eines liebevollen
Herzens können ihr nicht zur Richtschnur für ihre Handlungen
und Maßregeln dienen. -- -- Glaube mir, mein liebes Kind,
ich würde deiner Liebe nichts in den Weg stellen, wenn sich
Lajos nicht selbst durch jene schreckliche That von der menschlichen
Gesellschaft ausgeschlossen hätte, die ihn stets richten
wird, mag er ein noch so vorzügliches Herz und treffliches Gemüth haben.“
„Wenn die Welt so verfährt,“ erwiederte Sarah ernst,
„so ist sie höchst ungerecht und gefühllos.“
„Lajos hat eine That begangen, die das Gesetz nicht uns
geahndet lassen kann. Sein Jähzorn, angefacht durch eine
arge Beleidigung seiner persönlichen Würde, zieht nicht in der
Wage der Gerechtigkeit, die das Gesetz in den Händen hält. --
-- Laß dir rathen von deinem Vater, der es gut mit dir meint,
entschlage dich dieser unglückseligen Liebe und gieb deinem
jungen Herzen den Frieden wieder, der früher in ihm gewohnt.“
Watson hielt den Ungarn in der That für einen trefflichen
Mann und glaubte nichts weniger, als daß Lajos jemals einen
Verräther gespielt haben könnte. Vor seinem Richterstuhle
war er schon längst gerechtfertigt; nur fand er es für nöthig,
seiner Tochter seine wahre Gesinnung zu verheimlichen, um
dieselbe nicht noch mehr in ihrer Liebe zu demselben zu bestärken.
Er sah sehr wohl ein, wie leicht der Jähzorn einen Menschen
zu einer solchen That treiben könne, und daß Lajos in diesem
Falle mehr zu beklagen, als zu verurtheilen sei. Die Sprache,
die er gleich anfangs mit Sarah über diesen Gegenstand führte,
war von ihm nur fingiert und, wie wir wissen, nur darauf be
rechnet, hinter das Herzensgeheimniß seines Kindes zu kommen. -- -- --
„Schien es mir doch eben, als wenn Jemand an jenem
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Fenster gewesen wäre,“ bemerkte Watson, indem er seinen
Kopf emporhob und nach der bezeichneten Stelle hinsah.
Sarah folgte unwillkührlich einen Blicken.
Zu gleicher Zeit verließ die Dogge ihren Platz an der
Thüre und reckte ihren Hals in die Höhe.
„Sieh, Sarah, wie aufmerksam Nero ist!“
„Ihr habt Euch wohl getäuscht, Vater -- Nero leg' dich wieder hin, es ist nichts.“
Statt sich hinzulegen, schritt Nero einige Schritte weiter
vor, das Fenster nicht aus den Augen lassend.
„Schließ die Vorhänge, mein Kind,“ bat der Farmer,
„das dumme Thier meint jetzt wirklich, wir hätten etwas gesehen.“ --
Sarah verließ ihren Platz und ging auf das bezeichnete Fenster zu.
Eben war sie im Begriffe, die Schleife, mit der die Vorhänge
zurückgebunden waren, zu lösen, als sie plötzlich ihre
Hände von denselben gleiten ließ und mit bleichem und verstörtem
Antlitz in die Arme ihres erstaunten Vaters eilte.
Ein jammervolles Hülferufen, unterbrochen von
dem Gebele Nero's, drang von Außen durch die eben zerbrochene Fensterscheibe.
„Was ist vorgefallen? Sarah, mein Kind, sagt, was
giebt"s, was hast du -- -- wer war es?“ frug Watson verwirrt durch
einander, indem er sich anschickte, hinaus zu eilen.
„Vater, Vater, bleibt, bleibt!“ flehte Sarah, denselben zurückhaltend.
„Vater -- Lajos!“ das waren die einzigen Worte,
die sie auf wiederholtes Fragen ihres Vaters hervorbringen konnte.-
„La--jos? -- --“ bebte es in gedehntem Tone von den
Lippen des Farmers und auch er wurde bleich wie der Tod.
Von Draußen ertönte immer lauter und durchdringender das Hülferufen.
Nero's Bellen ging zu jenem unheimlichen Heulen über,
das man im gewöhnlichen Leben als den Vorboten eines nahen Todesfalles bezeichnet. --
Sarah hatte sich nicht getäuscht; es war in der That
Lajos, dem sie in's Auge blickte, als sie vor dem Fenster stand.
Um sich das so unerwartete Erscheinen des Ungarn an
diesem Orte zu erklären, müssen wir etwas zurückgehen.
Als damals der alte Carr auf Lajos stürzte, war es Letzterem
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gelungen, durch eine geschickte Wendung sich den Fäusten
desselben zu entreißen und sich nun selbst mit verdoppelter
Gewalt auf den alten Farmer zu werfen. Er hatte ihn auch
bald zu Boden gedrückt. Im ersten Aufalle seiner Wuth hatte
der Ungar seine Hände so fest um den Hals desselben zusammengedrückt,
daß der alte Carr bereits in einigen Secunden zu athmen aufhörte.
Lajos hatte dies kaum bemerkt, als ihn auch schon die
schlimmen Folgen einer That lebhaft vor Augen traten und
ohne sich noch weiters umzusehen, eilte er über die Fencen der
umliegenden Farmen und stand nicht eher still, als bis er an
einem vorspringenden Felsblock am Mississippi-Ufer erschöpft zu Boden sank.
Eine undurchdringliche Finsterniß hatte ihn überrascht.
Kein Stern blinkte vom Himmel.
Hie und da brauste ein Dampfer an ihm vorüber und
zeigte ihm die von der Glut gerötheten Gesichter der Feuerleute.
In fieberhafter Aufregung und mit ängstlicher Ungeduld erwartete er den Anbruch des Tages.
Er schloß die ganze Nacht kein Auge. --
Als endlich der Morgen heraufzudämmern begann, bemerkte
er zu einem nicht geringen Entzücken, daß er sich an
einer Landung befände, wo die Boote gewöhnlich Holz zur Feuerung einnehmen.
Er beschloß nun, mit dem nächsten Boot, das den
Mississippi herauskäme und hier Holz einladen würde, fortzufahren
Da er vollkommen von Geld entblößt war und auch gerade
keine Lust hatte, für seine Passage mit den Deckhands zu arbeiten, so
hatte er im schlimmsten Falle die Aussicht, ausgesetzt zuwerden.
Da nun der nächste Landungsplatz am jenseitigen
Illinois-Ufer gelegen war, so wünschte er nichts sehnlicher, als
daß man ihn heißen würde, das Boot zu verkassen.
So geschah es auch.
Gegen fünf Uhr Morgens legte die „Amazonia“, die erst
vor einer halben Stunde ihren Wharf in St. Louis verlassen
hatte, an der angedeuteten Stelle an, was sie immer zu thun
pflegte, da man ihr hier das Material zur Feuerung billiger
lieferte, als in St. Louis oder fünf Meilen weiter aufwärts.
Lajos betrat das Boot und mischte sich mitten unter die
hier in bedeutender Anzahl vorhandenen Zwischendeckspassagere.
Die „Amazonia“ mochte kaum zwölf Meilen zurückgelegt
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haben, als der Clerk des Bootes seine übliche Musterung im Decke vornahm.
Mit Lajos waren zu gleicher Zeit noch mehrere Passagiere eingestiegen.
Als der Clerk von denselben das Passagegeld eincassirt,
ging er auf Lajos zu, der getrennt von den Uebrigen, eben am
Rande des Hinterdeckes saß und in weiter Ferne hin die Furchen zu verfolgen schien,
die das Steuer in's Wasser grub.
„Ich habe kein Geld“ war eine trockene Antwort, als
ihn der Clerk des Bootes zur Bezahlung aufforderte.
„Wenn Ihr kein Geld habt“ warf der Clerk in barschem
Tone hin, so helft bei der nächsten Landung Holz mit einladen - oder wir setzen Euch aus. -- --“
Als die „Amazonia“ die nächste Landung erreicht hatte,
verließ Lajos das Boot, um nicht wieder auf dasselbe zurück zukehren.
Der Clerk durchstöberte in Begleitung des Mate das
ganze Boot, um ihn aufzusuchen und zur Arbeit anzutreiben.
Sie suchten umsonst.
Ohne Zweck durchstreifte der Ungar eine Farm nach der
andern, überall sich als Arbeiter anbietend, aber immer wünschend, nicht
angenommen zu werden. Bei dieser Gelegenheit ließ er sich denn auch nicht zweimal
bitten, seinen leeren Magen zu speisen.
So gelangte er denn nach zwei Tage Herumstreifen an
jene Landgrocerie, wo er die Bekanntschaft des Pedlars Cleveland machte.
Er setzte diesem in so eindringlicher Weise seine traurige Lage auseinander, wie
er schon mehrere Tage, aber immer vergebens, nach Arbeit suche, daß ihm Cleveland sein
Pferd anbot, um mit ihm nach Shellville zu reiten, wo er ihn
bei einem Bekannten für guten Lohn unterbringen wollte. --
Das Weitere ist uns bereits bekannt und wir haben nur da
anzuknüpfen, wo wir ihn, mit beiden Händen die gesträubte
Mähne Lydia's fassend, im tollsten Carriere dahinfliegen sahen. --
[LSZ - 1854.02.14]
Durch das Anzünden der Effekten des Pedlars Cleveland
war der verdorrte Frühwuchs, über den die mannshohen
Herbstgräser schwankten, in Brand gerathen. Ein anfänglich
leiser, dann immer stärker sich erhebender Wind hatte in wenigen Minuten
auf eine Strecke von zwölf Meilen die Prairie in
ein Flammenmeer verwandelt, das sich mit reißender Schnelligkeit, der Richtung
des Windes folgend, dahinwälzte.
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Da Lajos den Wind im Rücken hatte, so hatten auch ihn
bald die prasselnden Flammen erreicht. Schon leckten sie an
den Hufen des dahinfliegenden Pferdes, -- -- nur noch Eine
Sekunde, und Mann und Pferd hätten hier ihr Grab gefunden
-- -- da stürzt sich Lydia in die Fluthen des Little Creek, der
hier die Lookingglass-Prairie von den Rolling-Prairies auf
der andern Seite des Flüßchens abschneidet. Die Flammen
schlugen noch einige Male hinüber, ein nachdringender Feuerstrom
scheint sie hierin noch zu bestärken -- doch sie finden am
jenseitigen Ufer keine Nahrung und verlassen diese Stätte.
Durch und durch naß und am ganzen Leibe vor Frost
zitternd, verließ Lajos das nasse Bett, das ihn so unerwartet
vor einem jähen, unvermeidlichen Untergange beschützt.
In weiter Ferne sah er noch das rasende Feuermeer sich
dahinwälzen, ja, es dünkte ihm, als er mit Einemmale eine
ungeheure Rauchsäule aufsteigen sah, daß eine Farm oder gar
eine ganze Village dadurch in Brand gerathen seien.
Lydia mußte entweder ertrunken oder davongeeilt sein.
Er konnte sie nirgends erblicken. Aber welchen Wuthausbrüchen
gab er sich hin, als er bemerken mußte, daß er all sein
geraubtes Geld verloren, daß seine viertausend Dollars verschwunden waren.
Die Riemen des Geldgurtes, den er sich um den Leib
geschnallt, mußten aufgegangen sein -- dessen war er gewiß.
„Lag der Gürtel im Flusse oder auf der abgebrannten weiten
Prairie? Wie viele Meilen hatte er zurückgelegt, welchen Weg
hatte Lydia eingeschlagen?“ das waren Fragen, deren Beantwortung ihn
zur Verzweiflung treiben mußten.
Und es war erst eine Stunde nach Mitternacht. --
„Donner und Doria! Ist denn die ganze Hölle darauf
versessen, mich zu Grunde zu richten? Bin ich denn nicht
selbst Satan genug, um ihr zu befehlen, mir zu helfen und an
die Hand zu gehen -- -- ich glaube, wenn man so rasch auf
Einander zwei Morde begangen hat, kann man auch die Unterstützung der Hölle beanspruchen! -- --“
Sein Inneres schwieg einige Augenblicke, dann brach es
wieder um so heftiger los:
„Geld! Geld! Ehre, Ruhm, guten Namen - Alles
lieber eher verlieren, aber nur kein Geld! - Satanas, Satanas Geld, Geld! -- -- --“
Hätten die Sterne diese Worte vernehmen können, sie
hätten sich entsetzt in's tiefe Nachtblau zurückgezogen und
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würden für diese Nacht nicht mehr geleuchtet haben. So aber
führte sie der wehende West mit sich fort -- weit, weit hin
über die rauchenden Brandstätten zur Leiche des ermordeten
Pedlars. --
In langen Schritten eilte der Ungar über das kurze Gras
der Rolling-Prairie, nachdem er es nach einem viertelstündigen
Herumspähen am Ufer des Creek aufgegeben hatte, nach einem
Geld weiter zu suchen und es nach einigem Nachdenken auch
für klüger hielt, sobald als möglich dieses Terrain im Rücken zu haben.
Erst jetzt überdachte er den dummen Streich, den er
begangen, indem er das Gepäck des Pedlars und mit ihm die
Prairie in Brand gesteckt. Er sah jetzt zu spät ein, daß es
klüger gewesen wäre, entweder den Tag abzuwarten oder sich
nach der nächsten, besten Richtung hin aus dem Staube
zu machen. In keinem von beiden Fällen hätte er mehr riskiert,
als er jetzt wirklich eingebüßt. Und gab es nicht noch andere Mittel?
Wie es aber gewöhnlich zu geschehen pflegt, der Klügste
verliert in außerordentlichen Fällen den rechten Pfad aus den
Augen und stürzt sich blindlings dem Verderben entgegen.
Lajos hatte den noch übrigen Theil der Nacht eine ziemliche Strecke
zurückgelegt. Als er gegen Morgen eine Farm
anfichtig wurde, war er so ermüdet, daß er sich gerne nieder
gesetzt hätte, um auszuruhen. Auch schmerzte ihn seine Wange.
Er knüpfte sein Halstuch los und bandes sich so um's Gesicht,
daß man die schreckliche Wunde nicht sehen konnte; vergaß
aber dabei, das ihm im ganzen Gesicht herumklebende Blut abzuwaschen.
Seinem schon früher einmal aufgeführten Manöver getreu,
suchte er auch hier wieder nur um Arbeit nach, um bei
dieser Gelegenheit seinen Hunger zu stillen.
Als der Farmer, ein Pennsylvania Deutscher, das blutbefleckte
Gesicht des herankommenden Mannes sah, schaute er
denselben verdutzt an und war höchlicht erstaunt, als ihn
dieser bleiche Mann um Arbeit auf seiner Farm ansprach.
Auf ein blutbeflecktes Gesicht durch eine Bemerkung des
Farmers aufmerksam gemacht, gab er zur Antwort, daß er bei
seiner nächtlichen Fußreise über einen großen Stein gestolpert
sei und sich an der spitzen Kante desselben eine Wange aufgeschlagen habe.
Der Farmer, dem diese Erklärung nicht ganz zuverlässig
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dünkte, lud ihn zwar zum „Breakfeast“ ein, versicherte ihm
übrigens gleich, daß er jetzt keinen Arbeiter brauche, da das
Korn bereits eingebracht sei und er das Uebrige mit Beihülfe
seines fünfzehnjährigen Sohnes selbst versehen könnte. Das
ärmliche Aussehen Lajos's bestimmte ihn übrigens, demselben
einen langen,abgetragenen blauen Blanketrock, mit einem breiten
schwarzen Streifen über den Rücken, anzubieten, den der
selbe auch mit großem Danke anzunehmen schien und ihn auch auf der Stelle anzog.
„Ihr seid wohl noch nicht lange im Lande?“ frug der
Farmer beim Weggehen den Ungarn, in jenem mit deutschen und englischen Worten
gemischten Dialekte, wie er den Bauern in Pennsylvanien eigen ist.
„Nein; nicht lange“ seufzte in scheinheiligem Tone der
Ungar -- uns armen Einwanderern geht es lange schlecht,
bis wir einmal mit dem herrschenden Tone in Eurem Lande
bekannt sind. Und hat man sich auch einige Dollars bei Seite
gelegt, so wird man krank, bekommt die Ague oder ein bilieuses
Fieber und ist dann wieder so weit, als man früher war --
d.h. man hat wieder Nichts -- -- Ihr wißt gar nicht, wie
schlecht es unser Einem, der mit den Sitten und Gebräuchen
Eures Landes nicht vertraut ist, gehen kann. Wer sich auf
ehrliche Weise mit seiner Hände Arbeit etwas verdienen will, kommt am schlechtesten weg.“
„Sagt das nicht“, unterbrach ihn der Pennsylvanier in
gutmüthigem Tone, „Ihr scheint mir das Vorurtheil eingesogen
zu haben, daß man sich hier nur durch Schwindeleien und
gewissenloses Speculieren. Etwas erwerben kann. Glaubt mir,
daß, wenn Ihr auch hie und da einen Mann findet, der sich auf
solche Weise einen Reichthum erworben hat, derselbe noch
nicht den Charakter und die Solidität unserer Nation befleckt.
Seht einmal um Euch, all diese blühenden Farmen, mit ihren
schönen freundlichen Häuschen, sind durch Hände Arbeit
entstanden und haben viel Schweiß gekostet. Kehrt ein bei unsern
Nachbarn und Ihr werdet lauter thätige und rechtliche Männer
finden, die unserer glorreichen Republik nur zur Ehre gereichen
können. Ich sehe es Eurem mißmuthigen Gesichte an, daß
Ihr immer nur die Schattenseiten unseres Landes im Auge
habt. Wenn Ihr auch augenblicklich ohne Verdienst seid, so
soll Euch das noch nicht entmuthigen oder Euch gar auf die
falsche Idee leiten, unsere Republik sei ein schlechtes Land, das
seine Kinder nicht zu ernähren weiß -- -- kommt noch Einmal
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mit mir herein, Ihr seht mir so traurig und verstimmt ans
- daß es Euch gut thäte, von mir ein zehn Dollar Bill nicht
auszuschlagen. Um die Ursache Eures Verstimmt eins will ich
Euch übrigens nicht fragen -- es geht mich nichts an.“ -- --
Als der Ungar die Farm verlassen hatte, sagte der Farmer
zu seinem Sohne: „Ich weiß nicht, Sam, aber dieser Mann
hat mir ein Grauen eingeflößt -- ich weiß nicht, was er
begangen haben mag -- die Blutflecken in seinem Gesicht und
die zugebundene Wange wollen mir nicht recht gefallen --
man fällt auch nicht gleich, so mir nichts dir nichts, über einen
Stein und zerschlägt sich das halbe Gesicht, -- -- ich wünsch'
ihm alles Glück auf die Reise -- -- ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit gethan --“. --
Für Lajos begann jetzt eine Zeit wahrhaft satanischen
Strebens, das nur darauf gerichtet schien, seinen Mitmenschen
zu schaden, Familienbande mit einer fluchbeladenen Hand zu
zerreißen und selbst seinen Wohlthätern, wo er es nur im Stande war, Schaden zuzufügen.
Wohl ist es ein Glück für die Menschheit, daß nur wenige,
wie Lajos, auf unserer Erde wandeln -- sie würde zum offenen
Grabe, an deren Rande Hyänen und Vipern ihre sicilianischen Vespern halten.
Lajos war durch und durch von seinem Hasse gegen die
Menschen, die er alle nur für geschaffen hielt, um sie für sich
auszubeuten, erfüllt. Es freute ihn, Menschen anzutreffen,
denen der Friede aus der Brust gewichen oder die einst glücklich,
nun im tiefsten Elende schmachteten. Er hielt sie für eben so
viele Bundesgenossen, die ihm einst zur Seite stehen oder
auf irgend eine Art noch nützen würden, ohne jedoch einen
Gedanken für eine Verpflichtung gegen dieselben in sich aufkommen zu lassen.
Sie mußten von der nemlichen Hand, der
sie ihre Hülfe gereicht, eben so unerbittlich zu Boden geschlagen
werden. Wäre Lajos ein Mensch gewesen, er hätte dem
Pennsylvanier, der ihm das Reisegeld in die Hand gedrückt,
wenn er sich ihm auch nicht dankbar erwiesen, doch wenigstens
nicht Böses wünschen sollen, wie er es in der That gethan.
[LSZ - 1854.02.15]
„Der dumme Rülps“ sagte er damals zu sich: „er hätte
mir gerade so gut ein Hundert Dollars bill geben können -- --
ich wollte, der Satan brennte ihm seine ganze Farm weg, auf
die er sich so viel einbildet -- -- der ungeschliffene Bauer, was
er für ein Wesen aus diesem Hundestall von einer Republik
macht -- -- Kornbrod, Speck und Molasses -- Molasses,
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Speck und Kornbrod, -- das sind die feinen Gerichte, die man
uns an der großen Tafel dieser Republik serviert. Die Gesandten traktiert
das weiße Haus mit Cornbeef und Cabbage und
hängt ihnen die Temperenzmedaille des Pater Matthew um
den ausgetrockneten Hals. -- -- -- Pah, Pah! Wenn man diesem Volke auch Tokayer
und Ruster Ausbruch vorletzte, es würde die Beide auf die Seite werfen,
um einem Syrupfasse Platz zu machen! -- --“ --
Der Winter war herangerückt und Lajos befand sich trotz
mehrer verübten Schwindeleien und unfreiwilligen Gelderpressungen in
schlimmerer Lage, als er sich vor jener Affaire in der
Looking-Glass-Prairie sah. Seit jener Flucht von Bissle's
Island war in seinem Aeußern eine bedeutende Veränderung
vorgegangen, die ihn nur mit genauer Noth noch erkennen ließ.
Ein voller, pechschwarzer Bart wucherte um sein Gesicht, und
bedeckte bis zur Hälfte die Narbe an seiner Wange, die, ihn
ebenfalls unkenntlich machend, bis nahe an die untern Augenlider
lief. Keine Miene verrieth jetzt mehr ein verbrecherisches
Aufwallen oder einen teuflischen Entschluß, nichts brachte ihn
mehr in Verlegenheit -- die überraschendsten Vorfälle durften
auf ihn einstürmen -- kein Zug verrieth seine innere Bewegung.
Sein Gesicht glich einem gemalten Bild, das der Tod selbst
auf die Leinwand gepinselt. Es hätte Jemand auf ihn zutreten
und ihn Mörder nennen können -- er hätte ihm in eisigster
Ruhe eine Ohrfeige versetzt, ohne sich nur im Geringsten durch
sein Mienenspiel zu verrathen.
Der äußere Mensch hatte sich vollkommen an ihm überlebt,
- nur sein Inneres war in ewiger Thätigkeit, ohne jedoch bis
jetzt. Etwas Großes, wenn auch im Schlechten, zu Tage befördert
zu haben. Seine bisher verübten Vergehen schienen eben
so viele Ringe zu der großen Kette der Verbrechen schmieden
zu wollen, die ihn in Zukunft wenigstens im Laster groß erscheinen lassen.
Vertrauend auf ein verändertes Aeußere hatte er es wie
der gewagt, nach St. Louis zurückzukehren; ja, er war so dreist,
jenes Bierhaus aufzusuchen, in dem der Friedensrichter, der
ihm damals wegen der Verrätherei an dem armen Soldaten
die Thüre gewiesen, als Stammgast bekannt war und fast jeden Abend einkehrte. --
Hier, von der bittersten Noth gequält und aus allen
Boardinghäusern hinausgeworfen, faßte er endlich den schon
lange gehegten Entschluß, wieder nach New-Orleans zu eilen,
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um die vielleicht in vermögender Lage sich befindende Frida aufzusuchen, die er
vor einem Jahre so schändlich verlassen, um mit dem von Emil erpreßten Gelde in
weiter Ferne ein freies Leben zu führen.
Aber wie nach New-Orleans gelangen? Ohne Geld?
Das ginge wohl, wenn er sich dazu entschließen könnte, für
seine Passage zu arbeiten. Sich aussetzen lassen, wie damals
am Illinois-Ufer? das wäre auf einer Fahrt von sechs bis
zehn Tagen ohne Nutzen und würde ihn nur von seinem Ziele
entfernen, das er nun so schnell als möglich zu erreichen suchte.
Geld zu erlangen in St.Louis, war für ihn eine höchst
schwierige Sache -- -- denn wer wollte ihm auch nur Einen
Cent verabfolgen? -- Er hätte sich geradezu auf's Stehlen
verlegen müssen. Er war übrigens schon so tief verkommen
und depraviert, daß er sich wirklich nicht gescheut, einen gemeinen
Diebstahl von einigen Dollars zu begehen, obwohl er es
vorgezogen hätte, einen Mord zu arrangieren, mit dem sich
einige Tausend Dollars machen ließen.
Ging er an den Schaufenstern der Geldwechsler vorüber,
so blieb er oft sinnend vor denselben stehen und ging mehrere
Male schon mit dem Vorsatze um, durch einen kecken Griff
sich einiger hundert Dollars Bills zu bemächtigen und dann das Weite zu suchen.
Das war aber ein zu gefährliches Spiel und nur vom
cabbalistischen Griffe eines gewandten Taschenspielers auszuführen möglich gewesen.
Da schweifte eines Tages ein Blick hinüber auf Bissle's
Island, das er ganz vergessen zu haben schien und wo er ein
Wesen wußte, das für ihn. Alles zu thun im Stande wäre.
„Sollte er Sarah nicht angehen, ihm -- Geld zu verschaffen?
Wie würde er aber von dem Vater Sarah's aufgenommen,
Er, der Mörder des alten Carr? Er kannte die Gutmüthigkeit
des Vaters Sarah's -- würde er ihm nicht, wenn er plötzlich
erschiene, die Mittel an die Hand geben, sich in einen andern
Theil der Union begeben zu können? Jene That wurde ja nur
in momentaner Aufwallung verübt, und das wird Mister
Watson wohl zu würdigen wissen und mir ein Mitleid nicht
versagen. Mit der Verrätherei Geschichte, falls Sarah ihrem
Vater davon gesagt, will ich leicht fertig werden -- der alte
Carr war entweder besoffen oder er hat mich für einen Andern
angesehen! Wer bringt gegen mich Gegenbeweise auf? Und
wo keine bestimmten Beweise zu führen sind, muß sich zuletzt
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doch immer in diesem Falle die Schaale des Mitleids auf
meine Seite senken. -- -- Heute ist gerade das rechte Wetter
-- der tiefe Schnee, der kalte, rauhe Wind -- ich, zerlumpt, vor
Kälte zitternd -- das muß mir Alles das Mitleiden Watson's zusichern -- --“ --
Daß er diesen Entschluß wirklich ausgeführt, wissen wir bereits.
Lange schlich er um das Farmerhaus herum und sah durch
das Fenster Sarah mit ihrem Vater beschäftigt, die verschiedenen Sämereien zu
ordnen und sie in Packetchen zu vertheilen.
So hatte er eben wieder, als Sarah die Vorhänge schließen
wollte, sein Gesicht den Scheiben zugekehrt, um vor seinem
Erscheinen die Gemüthstimmung Beider zu erforschen. Und
dieses Talent besaß er im höchsten Grade. Sein scharfes Auge
erkannte im Augenblicke, daß er hieher nicht umsonst seine
Schritte gelenkt, und daß er hier, wenn nicht viel, doch wohl Etwas zu hoffen habe.
Sarah hatte Lajos trotz seines großen Bartes gleich er,
kannt -- wie hätte sie auch seine Augen vergessen können?
diese glühenden Augen, die der Pedlar Cleveland einst für
Leuchtkäfer gehalten hatte, die durch das hohe Gras der Prairie
dahinzogen. -- -- An diesen Augen hätte die Lajos erkannt,
wenn sein Gesicht bis auf's Aeußerste unkenntlich gemacht und verzerrt gewesen wäre.
Kann ein Mädchen die Augen vergessen, die ihm der
Traum der ersten Liebe in’s Herz gezaubert? --
Als Sarah, bleich wie eine liebekranke Lilie, vom Fenster
zurückwich, um in die Arme ihres erstaunten Vaters zu eilen,
war die aufmerksame Dogge durch die Fensterscheiben gesprungen, daß
dieselben klirrend niederfielen. Wie im Fluge hatte
sie sich auf den Ungarn gestürzt und ihn durch die Schwere ihres Körpers zu Boden gestreckt.
Ein entsetzliches Jammergeschrei, untermischt mit dem
Heulen der Dogge drang bald darauf zu den Ohren des Farmers und seines Kindes.
„Vater, Vater bleibt, bleibt,“ flehte Sarah, als sie den
selben sich erheben sah, um hinauszueilen.
„Vater -- Lajos!“
La--jos -- -- --?“
Sarah hing sich an den Rock ihres Vaters, als derselbe
endlich zur Thüre eilte und die Dogge bei ihrem Namen rief.
Augenblicklich hörte der Hund zu heulen auf, als er die
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Stimme seines Herrn vernommen hatte; doch drückte er noch
immer die Tatzen seiner Vorderbeine gegen die Brust und den
Hals des am Boden Liegenden, so daß diesem fast der Athem ausging.
Watson schien schon wieder gefaßt, als er die noch immer
sich sträubende Dogge am Halsband ergriff, um sie von dem Körper des Ungarn wegzuziehen.
„Was soll das, Lajos? und noch dazu in so später Stunde
-- wißt Ihr nicht mehr, wo Ihr seid und daß Ihr diesen Ort zu vermeiden habt?“
Sarah stand bebend hinter ihrem Vater, den sie noch immer am Rocke hielt.
Lajos hatte sich halb aufgerichtet und sagte mit eisiger Ruhe:
„Mister Watson, es thut mir nur leid, Euch so unnöthigen
Schrecken eingejagt zu haben -- wäret Ihr eine Minute später gekommen, so hätte mich
Euer Nero kalt gemacht -- -- wahrscheinlich wollte er das Rächeramt übernehmen -- -- --
seh' ich recht, so ist's die nemliche Stelle, wo der alte Carr sein Leben ausgehaucht!“
„Laßt das Gerede!“ sagte in ernstem Tone Watson und
half dabei dem Ungarn vom Boden auf.
„Kommt mit herein in die warme Stube und sagt mir,
was Euch in so später Stunde hieher führt -- kann ich Euch
in etwas helfen -- ich werde für Euch thun, was in meinen
Kräften steht -- aber gelobt mir erst feierlicht, nie wieder
hierher zurückzukehren!“ -- -- Solltet Ihr es je wieder
wagen, Euren Fuß auf diese Farm zu setzen, so würde ich
Euch ohne Schonung den Gerichten ausliefern...“
[LSZ - 1854.02.16]
Der Ungar versprach dies, indem er dem
Farmer in pathetischer Weise die Hand drückte.
Als sie in die Stube eintraten, blieben Vater und Tochter entsetzt stehen.
Lajos gewährte in der That einen haarsträubenden Anblick.
In ganzen Büscheln hatte ihm die Dogge die Haare aus dem Kopf gerissen und lagen nun
zerstreut auf Schultern und Nacken. Auf der Narbe an seiner Wange, die die Zähne der
Dogge wieder aufgerissen, stand das Blut in dicken, klebrigen Tropfen und hatte die Spitzen
eines Backenbartes roth gefärbt; seine Kleider zerrissen und zerlumpt und von seinen erstarrten
Händen war an mehreren Stellen die Oberhaut abgeschält.
Der Farmer wußte im „ersten Augenblicke nicht, wie er sich benehmen sollte.
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Sarah hatte sich in den Schaukelstuhl ihres Vaters niedergelassen, und
verbarg ihr Gesicht in den Falten ihres Kleides. --
Auffallend ist es, daß die Arbeiter Mr. Watson's durch
das Geheul der Dogge nicht aus den Betten getrieben wurden.
Wahrscheinlich waren sie trotz des tiefen Schnees und der bitterlichen Kälte
zu den Töchtern der anwohnenden Farmer geeilt, um denselben ihre Huldigungen darzubringen.
Auf andere Weise läßt es sich nicht erklären. --
„In solchem Zustande könnt Ihr Euch von hier nicht
entfernen“, begann Watson wieder --, geht in dies Kabinet
hier und wacht Euch das Blut aus dem Gesicht; ich will Euch
dann ein paar Hosen und einen weißen Blanketrock geben;
wenn Euch diese Kleidung übrigens nicht ansteht, so könnt Ihr
sie immer wieder mit einer feinern vertauschen, wenn Ihr nach
St. Louis kommt. Wenn es sich nicht gerade träfe, daß ich so
viel Geld ausstehen hätte, ich würde Euch gern mehr geben“
-- -- setzte der Farmer hinzu, indem er dem in einem Innern
frohlockenden Ungarn zwei Bills hinreichte, jede im Werthe
von zwanzig Dollars -- -- -- legt Euch dann schlafen und
bleibt nur liegen, bis ich Euch wecke -- --“
Ein solches Entgegenkommen hatte der Ungar nicht er
wartet; er sah nun, daß er die Gutmüthigkeit des Farmers nicht überschätzt hatte. --
Sarah schloß diese Nacht kein Auge. Das Bild Lajos's
stand beständig vor ihrer Seele. --
Noch bevor es Tag wurde, weckte Watson den Ungarn
und ersuchte ihn, die Farm zuverlassen. Als Lajos dem Farmer
zum Abschiede die Hayd drückte, schwebte eine Frage auf seinen
Lippen,der jedoch kein Wort einen Ausdruck verlieh. -- --
„Wo ist Sarah!“ schien er zu fragen.
Den nächsten Tag schon befand sich Lajos in anständiger
Kleidung in der Kajüte der „Sultana“, die ihren regelmäßigen
Trip nach New-Orleans machte.
_______________________
Als der Winter dem Frühling gewichen war und die ganze Natur wieder proßte und blühte, hatte
Watson ein Töchterchen auf Russel's Farm gebracht, um hier, entfernt von
dem Orte so trauriger Ereignisse, sich zu zerstreuen und im
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Umgange mit dessen fröhlichen, lebenslustigen Töchtern ihren Herzenskummer zu verscheuchen.
Die Nachrichten, die Watson von Zeit zu Zeit über sein
Kind einzog, waren jedoch nicht dazu geeignet, ihn mit frischer Hoffnung zu beseelen.
Auch auf Russel's Farm ging Sarah traurig und stumm
umher und konnte den Spielen ihrer Freundinnen keinen Reiz abgewinnen.
Am liebsten hielt sie sich in dem großen Treibhause auf,
streifte die welken Blätter von den Camelien und Gardenias
oder band sie an Stäbchen fest. Zwei Blumen hatte sie besonders ihre ungetheilte
Aufmerksamkeit gewidmet; sie standen in hellgrün glacierten Töpfen mit schmalen messingenen Reifen.
Es waren die in der alten Welt wild wachsende Kornblume
und das Gänseblümchen, die man hier als Zierpflanzen heran
zieht und die in keinem Blumengarten oder Treibhause fehlen dürfen.
Wie war Sarah mit diesen Blumen so innig vertraut geworden?
Liebte sie in ihnen die Heimath desjenigen Mannes, der
noch immer ihr Herz gefangen hielt?
_______________________
Fünftes Capitel.
Unerwartet
Wir befinden uns wieder in New-Orleans.
An einer Ecke der Chartres-Straße saßen in einem der
elegantesten Kaffeehäuser der Stadt zwei Männer und spielten
Domino à la poudre.
Diese Variation des gewöhnlichen Domino's wird regelrecht
nur in gewissen Clubbs gespielt, deren Lokale ein Fremder
nur unter höchst schwierigen Bedingungen betreten darf. An
dem erwähnten Spiele müssen in der Regel drei Personen
Theil nehmen, unter denen sich stets eine Dame befinden
muß, worin auch das Charakteristische dieser Variation liegt.
Die Dame hat beim Beginne einer jeden Tour das Vorrecht,
den ersten Stein auszusetzen. Trifft es sich, daß die Dame
gleich von vornherein den doppelt Weißen in die Hände bekommt und
sie setzt ihn aus, so verzichtet dieselbe auf das
Weiterspielen und die Andern müssen sich wieder neue Steine
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wählen und die Parthie zu Zweien beginnen. Wer nun von
diesen Beiden gewinnt, erwirbt sich die ausschließliche Gunst
der Dame - die freilich nur einige Stunden dauert. Dieses
Spiel wird auch hie und da ohne Beisein der Dame entriert
und der Doppel-Weiße giebt dann den Ausschlag bei einer
zufällig gleichen Anzahl von Punkten, wobei der Verlierende
den Andern in die Arme einer liebenswürdigen Dame zu
fuhren hat. Doch die näheren Details dieses galanten Spieles
gehören nicht hieher, da unsere Geheimnisse auch für das
Boudoir des schönen Geschlechtes bestimmt sind, das es stets
geliebt hat, dergleichen Röthel selbst zu lösen und sich die
geheimnißvolle Decke nicht von fremder Hand lüften zu lassen.
Kokette und alte Jungfern werden in den „Geheimnissen“
schwerlich ihre Rechnung finden, ebensowenig die orientalisch
lüsternen Bloomers, da es in New-Orleans, wie überhaupt
in allen Parishes von Louisiana dem schönen Geschlechte verboten
ist, Hosen zu tragen, außer -- den Frauen der Redakteure deutscher Zeitungen.
Unsere beiden Männer spielten dießmal jedoch um keine
Dame, sondern um Geld, was im Grunde genommen auch
viel kluger war. Die Summe, um welche sie spielten, schien
nicht unbedeutend zu sein, was man daraus ersehen konnte,
daß der verlierende Theil öfters sich mit verhaltener Wuth in
die Lippen biß und nach geendeter Parthie mit halblauter
Stimme Revange auf den ganzen bisherigen Verlust verlangte.
Als aber der Glücklichere von Beiden auf dies Anerbieten nicht
eingehen wollte, indem er wohl voraussah, daß er bei einem
etwaigen Gewinne doch nichts empfinge, da sein Gegner Alles
verspielt und daß er, wenn ihm das Glück den Rücken kehrte
das bisher Erlangte wieder herauszugeben hätte -- als er ihm
nun dies entschieden ablehnte, schlug der Andere heftig mit geballter
Faust auf die steinerne Platte des Tisches, daß die
Dominosteine zu beiden Seiten auf den Boden fielen und überließ
sich den heftigsten Ausbrüchen seines Zornes.
Sehen wir uns in dem mit Menschen aus den entferntesten
Ländern angefüllten Caffee-Salon etwas näher um.
In einer Ecke desselben sitzt ein langer, hagerer Mann und
durchblättert nachlässig die aufgelegten Journale; nur hie und
da läßt er sein Auge über den Saal schweifen und firiert die
beiden Spieler. Er ist höchst seltsam gekleidet. Ein langer,
schmaler Mantel von dunkler Farbe, der vermittelt eines
hochstehenden Kragens bis an das Kiun geschlossen ist und fast
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den Boden berührt, umhüllt die nüchterne Gestalt. Der kleine
Kragen, der nachdem Nacken zu sich etwas umbiegt, läßt ein
dunkelrothes Futter hervorsehen; die Aermel langen bis über
die Hälfte der Hände hinaus und bedecken sie manchmal sogar
ganz. Zudem ist der Mantel seiner ganzen Länge nach von Vorne zugeknöpft.
Sein spitziges Gesicht, daß eine unverhältnißmäßig breite
und hohe Stirne beherrscht, ist gelb und fahl und seine Wangen
dergestalt eingefallen, daß man eine flache Hand hineinlegen
könnte. Seine Nase, die nach der Mitte hin sehr stark auswärts geht,
ist gegen das Ende ebenso stark wieder einwärts
gebogen und berührt fast die feinen, kaum sichtbaren Lippen.
Ueber den Augen, die von einer grünen Brille mit Seitengläsern
vollkommen eingeschlossen werden, sieht man ein paar
buschige graue Augenbraunen von unheimlicher Länge. Ueber
seine Stirne läuft von einem Ohre zum andern ein bläulichrother
Streif, der durch die hereingekämmten grauen Haare
nur wenig verdeckt wird. Dieser Kopf mußte einmal unter
dem Scalpiermesser eines Indianers gewesen sein; denn es
war die regelrechte Scalpierlinie, die gegen die Schläfe zu abwärts
steigt. Dieser Mann war jedenfalls durch irgend einen
glücklichen Zufall der Vollendung dieser Execution entgangen.
Schon lange hatte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden
erregt. So manchen trieb die Neugierde, seine Bekanntschaft
zu machen, indem man sich bemühte, eine Conversation mit
ihm anzuknüpfen. Aber alle Versuche waren umsonst. Er
antwortete höchstens mit Ja oder Nein und dieß in einem solch
widerlichen Tone, daß Jeden die Lust verging, ihn weiters mit
Worten zu belästigen. So saß er schon zwei Stunden bei
seiner Tasse Mokka, wie ein schweigender Senator, der seine
Trappistenrolle trefflich zu spielen versteht. Hätte er nicht den
neugierigen Fragern manchmal mit Ja oder Nein geantwortet,
so wäre man leicht veranlaßt gewesen, ihn für stumm oder für
einen Jünger des Trappistenordens zu halten, wo zu letzterem
seine originelle Kleidung noch beitrug.
[LSZ - 1854.02.17]
Der Eine der oben erwähnten Spieler überließ sich noch
immer - trotz der Einsprache des Wirthes -- den schrecklichsten
Verwünschungen. Sein Gegner sah ihn dabei ganz kaltblütig
und spöttisch-lächelnd an, was ihn nur noch mehr reizte. Der
ganze Kaffee-Salon war auf den Ausgang dieser Scene gespannt
und man ersuchte den Wirth, die Beiden so lange
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gewähren zu lassen, als sie nicht durch handgreifliche Demonstrationen
die Sicherheit der Gäste gefährdeten. Der Alte im schwarzen Mantel rückte plötzlich
seinen Stuhl, der bisher wie angenagelt schien, zog aus einer Seiten
tasche eine hohe Mutze von Waschbärenpelz -- wie sie gewöhnlich die Rockymountain-Jäger
zu tragen pflegen --, setzte sie auf den an vielen Stellen schon kahlen Kopf, erhob
sich sodann und ging gemessenen Schrittes auf die Spieler zu.
Aller Blicke waren auf ihn gerichtet, auf ihn, den Geheimnißvollen, der bis
jetzt an Nichts Theil zu nehmen schien. Auf allen Gesichtern zeigte sich die regte
Spannung; denn das Entschiedene, das aus seinen Mienen sprach, schien eine neue
Katastrophe unter den beiden Spielern herbeiführen zu wollen.
Indem sich der Allte demjenigen Spieler, der den Verlust
erlitt, näherte, sagte er zu ihm in jenem englischen Accente,
der den Franzosen leicht verrieth; „Erlauben Sie, mein Herr,
daß ich mich in Ihre Angelegenheit menge und Ihren Gegner
dringend ersuche, die Revanche schleunigst anzunehmen -- -- --
und Sie, mein Herr,“ und dabei wandte er sich an den
Andern, „werden mir gewiß die Erfüllung meines eben aus,
gesprochenen Wunsches nicht verweigern, da ich überzeugt bin,
daß Sie ein „Gentleman“ sind und den point d'honneur beim
Spiele kennen. Sie haben diesen Herrn, wie es scheint, durch
die Gunst Fortuna's völlig geplündert, daher es auch, da Sie
wahrscheinlich keinen Termin zur Beendigung ihres Spieles
festgesetzt haben, nicht anders als billig ist, daß Sie die Parthie
auf Risico der bisher gewonnenen Summe zum wiederholten Male entrieren.
„„Ja wohl, ja wohl -- nicht Anders als billig!““ er
tönte es jetzt aus. Aller Munde.
Es ist merkwürdig, welche Gewalt manche Menschen auf
ihre Umgebung ausüben. Ein einziges, zu rechter Zeit ausgesprochenes Wort, ja
oft nur ihre bloße Erscheinung bestimmt sie zu Handlungen, Thaten und Entschlussen, die
sonst nie verwirklicht worden wären. Und so war es auch hier. Die Nemlichen,
welche erst kurz vorher noch die stillen Beobachter
spielten oder im faden, unfruchtbaren Gerede sich über Beide
amüsierten, interessierten sich nun fur den unglücklichen Spieler
und Alles drängte sich um den Tisch, um der bescheidenen und
doch so stolzen Bitte des geheimnußvollen Mannes Nachdruck zu verleihen.
Es darf durchaus nicht befremden, daß in einem
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öffentlichen Lokale, wo täglich so viele Hunderte von Menschen aus
und eingehen, trotz des eigentlichen Verbotes um nicht geringe
Summen Geldes gespielt wird. Das Spielen um Geld in
Kaffeehäusern und Wirthsstuben ist zwar verboten, jedoch
achtet man hier sehr wenig darauf. Wie viele Gesetze werden
hier nicht vor Aller Augen übertreten; wie viele Polizeibeamten
sind nicht selbst dabei betheiligt! Es ist Vieles verboten, aber
es wird auch Vieles geduldet: Dieß macht New-Orleans wohl zur freiesten Stadt in den
Ver.Staaten. Abgesehen davon, daß unsere Spieler das
Auffallende klingender Munze vermieden, indem sie sich gegen
seitig nur Banknoten zuschoben, so hätte sicher Niemand Etwas
einzuwenden gehabt, wenn Goldstucke lärmend und klingend
von einer Seite zur andern geflogen wären. Es ist ein höchst
seltener Fall, daß deshalb Jemand polizeilich betreten wird.
Eine Ausnahme macht man in der Regel nur bei notorischen
Spitzbuben und Vagabonden. Trotz seines sittlichen Verderbens
besitzt hier in New-Orleans eine Aufrichtigkeit, die die Größe
der Vergehen oft vermindern macht; es besitzt eine Freimuthigkeit,
eine Naivetät, die die lauernde Themis gar oft schon entwaffnet.
Man hält es hier nicht der Mühe werth, sich wegen
eines Spiel-Verbotes in Schlupfwinkel zu vergraben und das
Tageslichtzu scheuen. Man will offen ertappt sein. Wir wollen
hiermit New-Orleans durchaus keine Lobrede halten, sondern
wir erwähnen dieß nur gegenüber den Muckern und scheinheiligen
Sundern östlicher und westlicher Städte, denen New
Orleans nichts Anderes ist, als das Sodom und Gomorrha
der Ver.Staaten und die es doch eher verdienen, von einem
tüchtigen Schwefelregen gewaschen zu werden.
Durch den allgemeinen Applaus der Anwesenden und
durch die entschiedene Bitte oder vielmehr Forderungdes Alten
eingeschüchtert, nahm der noch kurz vorher sich Weigernde das
Spiel unter dem oben erwähnten Risico von Neuem auf.
Mehrere Gäste rückten ihre Stühle herbei und belagerten so
förmlich den Tisch. Das großartige Treiben am grünen Tische
hätte bei ihnen nicht mehr Interesse erwecken können, als wie
es sich jetzt an der Marmortafel, wo nur zwei Dominospieler
sich gegenüber saßen, kund gab. Der Alte blieb dicht hinter
seinem Manne stehen und schien es darauf abgesehen zu haben,
denselben scharf zu beobachten. Das Spiel begann. Nur wenige
Züge und das Spiel ward vom Nämlichen wieder gewonnen.
„Domino!“ schrie der Glückliche, indem er vom Stuhle
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aufstand und sich in die Brust warf, „Wieder gewonnen! Und
nun, mein Herr,“ sagte er nach einer kleinen Pause, indem er
sich umkehrte und sich an den Alten wandte, „Sie haben sich
durch Ihre Einsprache so freundschaftlich gegen meinen Kameraden
gezeigt -- nun haben Sie auch die Güte und verhelfen
mir zu meinem Gelde; denn der hat keinen Cent mehr in
seiner Tasche -- -- es standen nicht mehr als hundert Dollars
auf dem Spiel! Da sehen Sie mein Herr,“ indem er eine
Handvoll Bills unter einem Hute hervorzog, „Alles in guten
Louisiana State Noten!“ Die Umstehenden staunten; denn
daß es sich um eine so hohe Summe handelte, hatten sie nicht
erwartet. Nur der Alte schien nicht überrascht. Er erwiederte
gleich darauf: „Getrauten Sie sich wohl, so verwegen zu sein,
das Glück noch einmal zu versuchen? Ich werde Sie dann
nicht mehr zum Drittenmale belästigen, wenn Ihnen Fortuna
auch dießmal wieder günstig sein sollte. Ich stehe für die
Schuldforderung, die Sie an Ihren Gegner zu machen haben.“
Der glückliche Spieler erstaunt über dieses wiederholte
Ansinnen des Alten -- denn er mochte das „Gutsagen“ einer
so großen Summe bei dem so ärmlich aussehenden Manne
bezweifeln -- entgegnete: „Mein Herr, wer Sie auch sein
mögen, so ersuche ich Sie, mich mit Ihren Zudringlichkeiten von
nun an in Ruhe zu lassen, indem ich mich bereits vorher so
loyal gegen Sie bewiesen habe und Ihren Wunsch erfüllte -
zudem müßten Sie unermeßliche Reichthumer besitzen, wenn
Sie für jeden Spieler, der im Unglücke sitzt und sein Geld
verspielt hat, Bürgschaft leisten wollten. Freilich -- setzte er
mit spöttischer Miene hinzu -- hätten Sie da in New-Orleans
einen großen Wirkungskreis.“
„Wenn Sie nur der Zweifel an der Realität meines
Geldbeutels hindert,“ entgegnete mit äußerster Ruhe der Alte,
„so könnte mir doch noch das Vergnügen zu Theil werden,
meinen Wunsch befriedigt zu sehen, wenn diese Zweifel gehoben
sind.“ Indem er dieses sagte, griff er behutsam in einen Man
tel, nahm ein kleines schwarzsammetnes Portefeuille, auf dem
man undeutliche Zeichen mit Silber gestickt, sehen konnte,
daraus hervor, öffnete es und legte vor den Augen der erstaunten
Gäste das zehnfache der gewonnenen Summe auf den
Tisch. Ein allgemeines Gemurmel ließ sich durch den Saal
vernehmen. „Wer muß das sein?“ flüsterte man sich zu.
„Das ist ja der zweite Mc-Donough!“ „Der Kerl hat den
Teufel im Leibe,“ wisperte ein kleines Männchen, „seht nur
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unter den Mantel, der Pferdefuß wird ihm nicht fehlen.“ --
„Den Schwanz habe ich schon bei seinem Eintritte hervor
schauen sehen,“ bemerkte ein bigotter Spanier. „Und was
er für lange magere Finger hat! Es fehlen nur noch die
Krallen daran!“ Diese Fragen und Gegenfragen wurden
jedoch so leise gewechselt, daß der Alte durchaus nichts davon
vernehmen konnte. Uebrigens schien er nur mit sich und dem
einen Spieler beschäftigt.
„Tausend Dollars -- eine Kleinigkeit!“ bemerkte der
Alte. „Setzen Sie sich nun mein Herr und beginnen Sie ge
troten Muthes von Neuem!“ Der Angeredete ließ sich beim
Anblicke des vielen Geldes leicht verblenden, doch konnte er
eine gewisse Scheu und Aengstlichkeit in seinen Gesichtszügen
nicht ganz verbergen.
Wieder begann das Spiel -- -- -- da plötzlich donnerte
dem dießmal befangenen Spieler der Alte:
„Falsch gespielt!“ in die Ohren,
daß derselbe erschreckt zusammenfuhr und maschinenmäßig die Hände von den Steinen gleiten ließ.
Es wäre dem falschen Spieler jetzt unmöglich gewesen, zu
entwichen; denn von allen Seiten drängten sich die Umstehen
den herbei und bildeten eine undurchdringliche Mauer. Das
mußte jener auch einsehen, da er nicht im Geringsten Miene
machte, zu entfliehen. Kreideweiß sah er da und ließ alle
Scheltworte über sich ergehen. Man fand sehr bald den obigen
Ausruf begründet.
Die Steine waren nämlich mit der äußersten Vorsicht gezeichnet,
was der Alte schon früher ahnen mochte. Ebenso verhielt es sich mit noch fünf andern
Spielen, die der Wirthauf Verlangen herbeibringen mußte. Man staunte. Der Wirth
sah verlegen auf die Seite. Der Alte nahm sein hingelegtes
Geld und barg es wieder in sein Portefeuille. --
Den Betrüger nahm man fest.
[LSZ - 1854.02.18]
_______________________
Sechstes Capitel.
Die Brautfahrt.
„Ein Mädchen oder ein Weibchen
Wünscht Papageno für sich,
Und so ein zartes Täubchen
Ist Seligkeit für mich --
Ist Se-lig-keit für mich!“
(Zauberflöte.)
Seit jenem verunglückten Ständchen in Toulouse Street
hatte der Büchsenspanner einen tödtlichen Haß auf alle Franzosen.
- 57 -
Hörte er auf der Straße französisch sprechen, so wurde
er vor Wuth über und über roth, wie ein gesottener Krebs und
fluchte ihnen so lange -- im Stillen -- nach, bis sie aus seiner
Sehweite verschwunden waren.
Wie immer, so hielt er auch diesmal wieder einen üblichen Monolog:
„Diese Frenschmänner meinen gerade, sie dürften. Einem
nur so auf dem Kopf herumtanzen, weil sie Frenchmänner
sind. Es ist gar kein anständiges Leben mehr in dieser Stadt,
sie verderben die gute Sitte und stürzen manches unschuldige
Mädchen in’s größte Unglück. -- -- Doch, ich will von alle
dem nichts sagen, wenn sie nur meine Landsmännin ungeschoren ließen.
Das gute Kind wird zuletzt noch ganz verdorben -- durch diese ver-r-r-r-dammten
Frenchleut'! -- -- -- Hätte ich damals nur nicht meine Guitarre in der Hand
gehabt -- ich hätte ihn schön zugerichtet -- ja, bei Gott! wenn
das meine Landsmännin wüßte, sie wurde diesem Frenchmann
gewiß die Augen auskratzen, wenn er sich noch einmal unter
fangen würde, ihr ein Ständchen zu bringen -- -- ja bei
Jingo, was dieses frenschische Ungethüm nur geglaubt hat, wer
ich bin -- ja, bei Gott, einen Mann so zuzurichten, der in
Tübingen Aesthetik gehört und es beinahe bis zum Staatsera
men gebracht hat -- wenn ich das nach Deutschland schreiben
wollte, Niemand würde es mir glauben. --“
Der heutige Tag war für die Zukunft des Büchsenspanners
entscheidend, ob er sich nemlich unter das sanfte Joch der Ehe
beugen oder für immer Junggeselle bleiben sollte.
Im ersteren Falle mußte es durchaus Orleana sein, da
er nur für sie allein das zu fühlen glaubte, was einem braven Ehemanne zukomme.
Zu diesem Zwecke lag eine auserlesene Toilette auf seinem Klapptische.
Sein schwarzer Frack, den er als Confirmand vor fünfzehn
Jahren das erste Mal getragen, war schon Tags vorher tüchtig abgewaschen und abgebürstet
und lag jetzt über eine Stuhllehne zum Trocknen ausgebreitet.
Von Zeit zu Zeit betastete er ihn und berechnete die
Zeit, in der er völlig trocken sein könnte. Daß die Aermel etwas zu kurz waren,
schien ihn nicht zu beängstigen, denn nach seiner Meinung wurden dadurch die
schönen gesteiften Manschetten um so mehr herausgehoben und da er einmal in irgend
einem Buche gelesen, daß die Frauen besonders auf die Hände
- 58 -
eines Mannes sehen, so glaubte er schon allein dadurch eine
unverlöschbare Flamme in Orleana's Herzen anzufachen.
Ein Brief, den er für sie auf die Post getragen, mußte
Orleana nur noch mehr von seiner Liebe überzeugen.
Jener Brief lautete:
„Hochedelgeborenes Fräulein Orleana, wohnhaft in Toulousestreet,
sechs Gschwärs*) ab von der Office der „Deutschen Gesellschaft“!
Ja,in der That und ohne Umschweife Hochedelgeborenes Fräulein! “
„Wenn ich mich hiemit erkühne, Ihnen, mein Fräulein,
ein paar Zeilen zukommen zu lassen, so ist damit noch nicht
gemeint, daß ich schon von vornherein auf Ihre Liebe Anspruch
mache. Ich bin ein Deutscher und das sei Ihnen
hiermit genug. Ich bin keiner von jenen zudringlichen
Frenschmännern, die durch ihre liederliche Aufführung Sie,
Hochedelgeborenes Fräulein, in den Abgrund des Lasters
und des sittlichen Ruines zu stürzen drohen. Ich halte es als
Landsmann daher für meine Pflicht, ja noch mehr, für eine
Noth-Pflicht, Sie vor diesem Gesindel zu warnen, und sollten
Sie geneigt sein, hiemit meine Hände mit den Rosenketten
der Ehe zu binden, so sagen Sie es mir ohne Umstände,
gerade heraus, wie es sich einer so verehrten Landsmännin
geziemt. Ich besitze alle jene Eigenschaften, die ein ordentliches
Mädchen verlangen kann, in bedeutendem Grade, und
wenn sie nach vielen Jahren einmal in Ihre Vergangenheit
zurückblicken, so müssen Sie sich doch wenigstens gestehen,
daß sie sich einem Landsmann an den Hals geworfen, der
es schon gleich von vornherein gut mit Ihnen gemeint hat.
Daß Sie mir aber später keine Vorwürfe machen können,
daß ich Sie hintergangen, indem ich Ihnen verheimlicht,
daß ich kein Geld habe, so sage ich es Ihnen gleich jetzt frisch
von der Leber weg: ich habe Keines. Ich weiß aber, daß
ein so ordentliches Mädchen, wie Sie sind, verehrte Landsmännin,
schon gleich von vornherein kein Geld von mir
verlangt und so viel Bildung besitzt, mit einem liebevollen
Herzen zufrieden zu sein. Was meine eigene Persönlichkeit
anbelangt, so werden Sie gleich von vornherein bemerken,
daß ich kein so mageres Ding bin, als diese liederlichen
_______________________
*) Vermuthlich: „Squares.“
- 59 -
Frenschmänner, die es schon gleich von vornherein schlecht
mit Ihnen meinen. Wenn Sie mir erlauben, Sie morgen
zur Diner-Zeit zu besuchen, so werden Sie gleich von vorn
herein die Bemerkung machen, daß Sie es mit einem anständigen
Manne zu thun haben. Also morgen werde ich so
frei sein, Sie zu besuchen und Ihren gütigen Entschluß entgegen
zu nehmen. Die erste Zeit nach unserer Verheirathung
können wir in Ihrem Hause wohnen, und für mich eigens
gleich von vornherein ein Cabinetchen für meine Büchsen,
Gewehre und Pistolen, die schon so lange bestellt sind und
an denen ich noch da und da herum zu flicken habe -- --
doch -- das können wir noch späterhin mit Einander besprechen. -- Also
noch einmal, daß Sie mich morgen zur Diner-Zeit richtig und pünktlich erwarten.
Ergebenst und respectvoll Ihr
Sie hochachtender Landsmann Kaspar Hahn.“
Wie man sich leicht denken kann, war Orleana bei Durchlesung
dieses Briefes auf's höchste empört. War der Brief
wirklich ernstlich gemeint und flossen diese Worte aus der Feder
eines Narren, der sich in der That in sie verliebt hatte, oder
hatte man es gewagt, sich mit ihr einen so abscheulichen Spaß
zu erlauben? Diese Fragen versetzten ihr jungfräuliches Gemüth in die
peinlichste Unruhe. Nachdem sie dieselben gegen Einander abgewogen, hielt
sie es für das Klügste, den morgigen Tag jedenfalls erst abzuwarten, und wenn der sich Angemeldete
nicht erschiene, ernstliche Maßregeln zu ergreifen, um dem
Urheber dieses empörenden Briefes nachspüren zu lassen.
Sehnlichst wünschte sie, daß das Erstere der Fall sein möchte;
denn einem verliebten, tölpelhaften Narren seine Idee aus dem
Kopf zu treiben, dazu fühlte sie sich gewachsen. Einer abscheu
lichen Verschwörung gegen ihre weibliche Wurde aber entgegen
zu treten, hielt sie für mehr als gefährlich. Schon der Gedanke,
ihr Name könne auf diese Weise vor den schmutzigen Richter
stuhl pöbelhafter Menschen gezogen werden, schien ihr uner
träglich. --
Der Büchsenspanner hatte alle nur erdenklichen Mittel,
wie sie seine Caffe herbeizuschaffen im Stande war, angewandt,
um sich so bräutigamsmäßig als möglich herauszustaffiren.
Sein aufgestülpter Heckerhut mußte einem Seidenhut
weichen, und sein baumwollenes rothgestreiftes Sacktuch einem
feinen, weißen Battist-Tuche, das mit den feinsten Spitzen bejetzt war.
- 60 -
Er hatte dasselbe nicht gekauft, sondern es vergangenen
Sonntag vor der Kathedrale liegen sehen und zu sich gesteckt.
vSo recht emsig mit seiner Toilette beschäftigt, wurde er
von einem Manne unterbrochen, der, ohne erst an die Thüre
zu pochen, ungeniert hereintrat und sich hart an ihn heranmachte.
„Comment s'en va, Monsieur Kaspar?“ waren die ersten Worte.
„Sprechen Sie doch deutsch, Herr Weber -- ich kann kein French!“ antwortete
ärgerlich der Büchsenspanner.
„Ich will nur sehen, wenn Sie einmal französisch sprechen
lernen, Monsieur Kaspar -- sind doch schon über sieben Jahre
in der Saud
*) -- -- Sehen Sie doch einmal die Franzosen
kinder an, wie die schon fertig französisch sprechen können -
und Sie sind schon über dreißig Jahre alt und sprechen noch kein einziges Wort. -- --“
„Das ist auch etwas ganz Anderes, unser Einer, der
studiert hat, muß an gescheitere Sachen denken, als frensch zu
lernen -- das verstehen Sie nicht, Herr Weber. --“
„Apropos“, unterbrach ihn der Lothringer, ein Mann
hoch in den Dreißigern, „wie steht's mit der Rente? "Sind
schon über zwei Monate, daß ich's Ihnen nachsehe -- ich habe
keine Lust mehr, länger zu warten -- 's sind böse Zeiten und ich brauche mein Geld.-“
„Aber liebster Herr Weber, ich hab' Ihnen doch gesagt,
daß -- -- wenn -- -- daß ich eine gute Parthie in Aussicht
habe -- -- -- no, no, sehen Sie mich nicht so zweideutig an,
Herr Weber, -- -- no, no, sie wissen ja, ich will meine reiche
Landsmännin heirathen -- und es schon gleich von vornherein
mit ihr abmachen, wie viel sie mir alle Woche Taschengeld geben muß. -- --“
„Lassen Sie sich nicht auslachen, Monsieur Caspar -- --
sacre nom de dieu! Sie, Sie und die reiche Creolin heirathen?
Was glauben Sie denn? Da sind schon Andere da, die auf
sie lauern -- -- Sie, Sie? -- was wollten Sie einwenden, wenn
ich Anspruch auf ihre Hand machte -- -- ich bin doch noch ein
Mann, wenigstens 1200 Dollars werth, und habe noch dazu
zwei Lots am neuen Besen
**) und was haben denn Sie? Sie
können ja nicht einmal drei Dollars Rente monatlich bezahlen
-- lassen Sie sich nicht auslachen, Monsieur Kaspar -- -- mein
Geld will ich und sonst.Nichts! --“
_______________________
*) soll wahrscheinlich so viel heißen, als: „im Süden (south)“.
**) Wahrscheinlich: „new Basin.“
- 61 -
[LSZ - 1854.02.19]
Aber, lieber, bester Herr Weber, „auf cerevis“ und das
ist gewiß genug gesagt von einem Mann, der auf sein Ehren
wort hält -- es ist ja Alles schon in Richtigkeit mit uns --
heut' ess' ich bei ihr zu Diner -- und einen Liebesbrief hat sie
ja auch schon von mir erhalten. -- -- --“
„Ich sag's Ihnen jetzt noch einmal und zum allerletzten
Mal, Monsieur Kaspar -- -- mein Geld will ich -- die sechs
Dollars will ich haben -- jetzt gleich will ich sie -- heirathen
Sie dann wen und wann Sie wollen. -- --“
„Wie können Sie aber auch gleich so hitzig sein, Herr
Weber, Sie sind doch so halb und halb ein Landsmann zu mir,
und da müssen Sie schon ein Auge zudrücken -- -- -- geben
Sie mir Ihre Hand, Herr Weber, Sie werden es gewiß nicht
bereuen -- -- sehen Sie, noch heute halte ich um ihre Hand
an und dann -- dann sind sie „gefest“ -- lieber, bester Herr
Weber -- trubeln sie mich jetzt nicht länger mehr, sonst
komm ich nicht mehr zum Diner -- und ich hab's ihr ganz gewiß versprechen müssen. -- --“
Der Lothringer, der gerade auch nicht das Schießpulver
erfunden zu haben schien, mochte auf diese Betheuerung hin so
halb und halb glauben, daß doch etwas an der Sache Wahres
sein könnte; denn er stimmte nun einen ganz andern Ton an:
„Eh bien, Monsieur Weber! -- Wie lange wird's wohl
noch herhalten, bis Ihr Euch zusammentrauen laßt?“
„Das wird gleich. Alles heute schon von vornherein abgemacht
zwischen uns Beiden und dann könnt Ihr vielleicht schon Morgen, aber doch ganz gewiß
Uebermorgen Eure Rente erhalten -- -- Herr Weber, Ihr seid mir doch nicht böse?“
„Schnackischer Kerl, warum sollte ich Dir böse sein -- --
aber Sie werden mich dann wohl nicht mehr ansehen, Monsieur Kaspar, wenn Sie
einmal die reiche Creolin geheirathet haben?“
„Dann verkennen Sie mich, wenn Sie das von mir
glauben können, Herr Weber -- -- dann vergesse ich Sie erstrecht nicht - da wollen
wir mit Einander erst recht fidel sein -- Herr Weber!“
„Nun adieu, ich will Euch nun nicht länger mehr trubeln,
zieht Euch nur recht sein an und macht Eure Sachen gut,
rief der Lothringer noch dem Büchsenspanner zu, als er bereits
die Thürklinke in der Hand hielt und hinausging.
„Der verdammte Lothringer soll mir keinen Schritt in's
Haus setzen, wenn wir einmal zusammen getraut sind -- der
- 62 -
wird sich wundern -- -- eine sechs Dollars Rente will ich
ihm bezahlen - das wird aber auch Alles sein. Meine Landsmännin
würde schöne Augen machen, wenn ich ihr einen so
vierschrötigen, ungeschlachteten Menschen vorstellte -- sie würde
sich wenig um seine zwei Lots am neuen Besen bekümmern --
meine Landsmännin ist ein ordentliches, braves Mädchen und
tarirt die Männer nicht darnach, wie viele Lots sie am Besen
oder sonst irgendwo haben - meine Landsmännin fragt nur
nach einem liebenden Herzen und das kann ich ihr gleich von
vornherein, wenn wir zusammenkommen, anbieten -- -- Kaspar,
Kaspar, was werden deine Freunde dazu sagen, wenn
sie hören, daß der ehemalige Herumschwiemler, das alte Haus,
der Büchsenspanner, ein so reiches und noch dazu von vornherein
so unschuldiges, braves Mädchen geheirathet hat --
die werden gelb und grün werden, vor Neid und Aerger. --.“
Wie man sieht, war es beim Büchsenspanner bereits zur
siren Idee geworden, daß er glaubte, Orleana würde ihm ohnealle Widerrede Jugend,
Schönheit, Reichthum und noch mehrere andere Vorzüge opfern und sich noch glücklich schätzen,
„Frau Büchsenspannerin Hahn“ betitelt zu werden.
Ein mit solchen Hallucinationen behafteter Mensch hat
nicht weit mehr zum Verrücktwerden.
Bei dem Büchsenspanner waren es die Folgen des Uebermaßes
der am weiblichen Geschlechte begangenen Jugendstunden,
die unglücklicherweise in einer wirren Ideenverknüpfung und
krankhaften Schwärmerei für das reiche, schöne deutsche Creolen
Mädchen ihren Culminationspunkt erreichen sollten. --
Daß der Büchsenspanner nicht ohne Bildung war, haben
wir bereits aus seiner damaligen Apotheose schöner Frauen gesehen.
Es schien ihm unmöglich, daß Orleana nicht seine Lebens
gefährtin werden sollte - denn, sagte er zu sich noch oft im
Stillen: „Wenn ich auch nicht schön bin, so bin ich doch wenigstens
interessant, und wie viele Beispiele hat man nicht, daß
die gefeiertsten Frauen häßlichen, interessanten Männern vor
schönen und uninteressanten den Vorzug gegeben haben?“ --
Wenn er öfter über ein eingebildetes Glück schwärmte,
so geschah es manchmal, daß er Gewissensbisse wegen seines
früher gepflogenen Lebenswandels in sich verspürte, und es
überkam ihn immer eine große Angst, wenn er darüber nach
grübelte, ob es ihm die reiche Creolin wohl ansehen würde,
- 63 -
daß bereits schon anderswo seine Liebeseufzer ein williges
Gehör gefunden haben.
„Darüber soll ich mir aber gleich von vornherein kein
graues Haar wachsen lassen“, bemerkte er dann für sich, „es
ist auch gar nicht möglich, daß mir meine Landsmännin so
etwas dergleichen ansehen kann -- -- O, sie wird und muß mir
glauben, daß sie meine erste Liebe ist, wenn ich es ihr betheure
wenn ich alle Heiligen im Himmel hoch und theuer beschwöre,
wenn ich ihr im ersten Sturme meiner Leidenschaft zu Füßen
falle und flehend und mit träumerischem Jünglingsauge zu ihr
hinaufblicke in ihr himmelschönes Gesicht, O, sie wird und muß
ihrem Büchsenspanner das gleich von vornherein so nothwendige Vertrauen schenken.“
„Morgen, Morgen, ja Morgen oder ganz gewiß schon
Uebermorgen um diese Zeit! Was sind die zwei Lots des Lothringer
am neuen Besen gegen die zwei frisch überzogenen Lots in einem Brautbett --?“
Hier unterbrach er sich lachend: „Büchsenspanner, bei
Jingo, dein Glück macht dich noch witzig -- bei Gott, wie
mancher Romanschreiber würde mich um dieses köstliche Wort,
spiel beneiden, wenn ich es gedruckt mit fetter, gesperrter Schrift
herausgeben würde -- und dieser Witz kam mir doch so von ungefahr, ohne
daß ich zuerst darüber lange nachdachte. --“
Der Büchsenspanner suchte, während er so mit sich sprach,
nach seiner Bartwichse, die er endlich nach langem Herumstöbern in einem alten Stiefel vorfand.
Er hatte einen ziemlich großen Schnurrbart von rother
Farbe, den er nun schwarz zu wichen sich bemühte; dann
nahm er ein Stückchen Talg und klebte die störrischen Haare
zusammen, indem er die beiden Enden nach der Nase zu einbog.
Sein feines Battisttaschentuch steckte er in die linke
Obertasche seiner rothammtnen Weste und ließ die Zipfel heraus hängen.
Sein Frack, der jetzt völlig getrocknet war, ließ ihm über
den Rücken etwas zu enge und die beiden Frackflügel standen
vielleicht zu weit auseinander und mochten seiner Taille Eintrag thun.
Das kümmerte ihn aber Alles blutwenig; denn er war
vollkommen uberzeugt, daß seine vermeintliche Braut durchaus
nur auf den innern Menschen sehe und sich durch außen angebrachtes Flitterwerk nicht bestechen lasse. --
Nachdem er sich in seinem zerbrochenen Spiegel wohl
- 64 -
zwanzigmal von hinten und von vorne besehen; dabei aber
den innern Menschen nie außer Acht gelassen hatte, verließ er seine Wohnung.
Es war bereits nahe an drei Uhr Nachmittags und eben
die Zeit,wo ihn Orleana erwartete.
Wie damals, als er Orleana jenes verhängnißvolle
Ständchen bringen wollte, so war er auch dieses Mal wieder
zu weit die Toulousestraße hinabgegangen. Er sah erst einen
Irrthum ein, nachdem er schon an Victor's Restaurat vorbeigegangen.
„Nun, weil ich jetzt einmal so weit umsonst gegangen bin,
so kann ich auch einen „Kleinen“ mit auf den Weg nehmen -- schaden kann's nicht -- es
geht so besser vom Herzen, wie Schiller sagt.“
In seiner Zerstreuung wäre er fast zu Victor hineingetreten,
doch hatte er es noch zur rechten Zeit bemerkt und ging schräg über in die „Rheinpfalz.“
Der Wirth der „Rheinpfalz“, ein schöner großer Mann
mit vollem Barte und einer ächt militairischen Tournure, stand eben vor der Thüre.
„Warum so geputzt, Kaspar? Ihr macht wohl bald
Hochzeit?“ frug er den Eintretenden.
„Gerade errathen -- Mister Sch. und da Ihr immer
vom Besten vorräthig habt, so will ich einen „Kleinen“ mit
nehmen -- -- bei Euch kehrt man immer gerne ein, und wenn
alle Wirthe so wären, wie Ihr, so wär' es ein ganz anderes
Leben in dem verdammten New-Orleans. -- -- Da, der Victor da drüben,
der soll noch an mich denken, wenn ich einmal Zeit habe -- -- doch -- Barkeeper, da, da -- -- ich muß
gleich wieder fort -- -- Adjeu, Adjeu, alle zusammen!
Der Wirth der „Rheinpfalz“ sah noch lange lächelnd dem
Büchsenspanner nach, der mit seinen ausgespreizten Frackzipfeln in weiten, doch
vorsichtigen Schritten die Toulousestreetentlang ging und nicht wenig die Bewunderung
der Vorübergehenden erregte. --
Sehen wir uns nach Orleana um.
[LSZ - 1854.02.21]
Dieselbe erwartete mit großer Ungeduld den Mann, der
sich so naiv zum Diner eingeladen hatte und sicher kommen
wollte, sie seiner gränzenlosen Liebe und Verehrung zu versichern.
Auf einem Tische sah man in der That statt,
wie gewöhnlich, Eines, jetzt zwei Gedecke.
- 65 -
Unruhig ging sie in ihrem kleinen, aber sehr elegant möblirten
Empfangzimmer auf und ab, hie und da stieg ein leichtes
Lächeln in ihrem Gesichte auf, wenn sie nämlich an das wirkliche Erscheinen des
verliebten, unfläthigen Narren dachte.
Orleana hatte heute ihren schönsten Tag: Noch nie
strahlte ihr Teint weißer und blendender, noch nie schwamm
das Hygrom
*) in reinerem Wasser durch ihre wunderschönen
Augen.
In warmer Fülle lag das schwarze, in's Bläuliche schillernde
Haar aufdem vollen Nacken, der, mehr als halb entblößt,
selbst der Tugend eines Cherubim gefährlich gewesen wäre.
Dieser Nacken, den noch nie die Hand oder die Lippen
eines Mannes berührt, war Orleana's Stolz, und ihr feiner
classischer Sinne hatte eine solche Bekleidung gewählt, daß ein
Verehrer des Schönen und Göttlichen am weiblichen Körperbaue,
wenn er nahe bei ihr stand, mit leichter Mühe einen
Blick in die Wärme des ganzen Rückens tauchen konnte.
Fern von aller Prüderie, hielt es Orleana für ihre Pflicht, .
das Schönste, was die Natur ihr verliehen, vor Niemanden zu verbergen.
Betsy, Orleana's Sklavin, meldete einen Gentleman.
„Sein Name, Betsy?“
„Cäschbär Jahn .. wenn ich recht verstanden habe, Mylady.“
**)
„Wird wohl Kaspar Hahn -heißen müssen,“ dachte Orleana bei
sich, dann befahl die Betsy, den Gentleman vorzuführen.
Sie selbst trat an einen großen Spiegel vor und ordnete
die über demselben hängenden Guirlanden von Immergrün.
Dies that sie, um durch den Spiegel den Eindruck bemessen zu
können, den der Eintretende auf sie machen würde, ohne daß
derselbe es selbst bemerken könnte, daß er von ihr beobachtet
würde.
Betsy schob jetzt die beiden großen Thürflügel zurück und
der Büchsenspanner trat in's Empfangzimmer -- d.h. er blieb auf der Schwelle stehen.
Der Büchsenspanner war, nachdem er die „Rheinpfalz“
_______________________
*) Hygron (Griechisch): Das Feuchte, Wollüstig-Schwimmende in den
Augen der mediceischen Venus und antiken Artemis.
**) Es war eine besondere Laune Orleana’s,
sich „Mylady“ titulieren zu lassen. Sie verlangte diese Benennung nicht nur von Betsy,
sondern von Allen, in deren Kreisen sie sich bewegte. -- Man darf ihr dieß durchaus nicht
für gewöhnlichen Hochmuth anrechnen. --
- 66 -
verlassen hatte, sporntreichs Orleana's Haus zugeeilt, doch
als er an demselben angekommen, fehlte ihm plötzlich der
Muth, die Schelle zu ziehen und er kehrte wieder um.
Nachdem er in jedem Barroom, an dem er vorbei kam,
einen „Kleinen“ zu sich genommen, fühlte er vor lauter
„Kleinen“ seinen Muth plötzlich so groß heranwachsen, daß er
jetzt wirklich an der Schelle zog und die die Thüre öffnende
Betsy in pathetischem Tone befragte, ob er Mylady sprechen könne,
Doch kaum war Betsy mit einer bejahenden Antwort ihrer
Herrin zurückgekommen, so entfiel ihm der Muth zum zweiten
Male, und zwar in so erstaunlicher Weise, daß er sich plötzlich
ganz nüchtern fühlte, als hätte er den ganzen Tag keinen
einzigen „Kleinen“ zu sehen bekommen.
Als nun gar Betsy die beiden großen Thürflügel zurück
schob und er auf der Schwelle stehend, Orleana vor dem Spiegel
beschäftigt sah, so wünschte er sich in diesem Augenblicke
Tausende von Meilen von diesem Ort weg, ja er wäre gern
wieder hinausgeschlichen, wenn er nicht befürchtet hätte, bei
der geringsten Bewegung sich zu verrathen.
Orleana musterte einstweilen den auf der Schwelle stehen
den Büchsenspanner durch das helle Spiegelglas.
Derselbe nahm seinen Hut bald in die rechte, bald in die
linke Hand, bald drückte er ihn so stark unter den Arm, daß er
knisterte und krachte, dann nahm er ihn wieder unter den Arm
hervor und hielt ihn mit beiden Händen vor die Brust -- natürlich
immer noch im festen Glauben, Orleana hätte ihn noch nicht bemerkt.
Als er endlich glaubte, sich gehörig arrangiert und
in Position gebracht zu haben, wollte er schon einen Schritt weiter
vorwärts thun -- da fiel ihm plötzlich ein, daß er nicht daran
gedacht, eine gehörige Ansprache einzustudieren, die ihn schon
von vornherein im vortheilhaftesten Lichte erscheinen lassen sollte.
Doch was sollte er jetzt beginnen? die Zeit drängte --
Orleana konnte sich ja jeden Augenblick umdrehen und ihn bemerken. --
Orleana, die noch immer durch den Spiegel auf ihn
hinsah und nur so zum Schein an den Immergrün-Guirlanden
zupfte und ordnete, weidete sich im Stillen gar sehr an der
Verlegenheit und dem Schwanken und Unsicher sein dieses
Mannes. Endlich brach ihr aber doch die Geduld und ehe der
träge Gedankengang des Büchsenspanners im Stande war,
- 67 -
nur wenigstens ein paar Worte ausfindig zu machen -- drehte
sich Orleana um und ging mit der ganzen Grazie ihres Wesens
auf den bebenden Büchsenspanner zu, der seine Augen von
Orleana abwandte und mit denselben einen Platz für seinen Hut suchte.
„Meiu Herr, habe ich das Vergnügen, mit dem Manne
bekannt zu werden, der auf heute Mittag mein Gast sein
wird?“ redete ihn Orleana anmuthig an, und als der so
Angeredete zwar die Lippen bewegte aber durchaus nichts erwiederte, so
erbat sie sich ein Geleite in das nahebei gelegene
Speisezimmer, wo, wie wir bereits bemerkten, zwei Gedecke serviert waren.
Bangend und unsicheren Trittes folgte ihr der Büchsen
spanner und ließ sich vorsichtig in den ihm von Orleana angebotenen Stuhl nieder.
Er schwieg noch immer; sogar seine Augen wagten nicht,
nach Orleana aufzusehen. --
„Mein Herr“, unterbrach Orleana das Stillschweigen,
das ihr jetzt lästig zu werden anfing, „Ihre werthen Zeilen,
die mir gestern durch die Post zukamen, ließen mich, ungeachtet
meiner mehrmaligen Bemühungen, sie zu entziffern, bis jetzt
über den wahren Grund ihres Hierseins in Zweifel. -- --“
Dem Büchsenspanner war bei diesen Worten all seine
Glut für Orleana wieder zurückgekehrt.
„Wie?“ erwiederte er in stürmischem Accente, „Sie soll
ten nicht wissen, daß ich schon gleich von vornherein -- --“
Der Büchsenspanner sprach diesen Satz nicht aus, denn
er stieß mit seinem Aermel an den kleinen Krystallteller, auf
dem mehrere „sweet potatoes“ lagen und warf ihn sammt
seinem Inhalte gerade in den Schooß Orleana’s.
Mit hastigen Händen griff er darnach und zwar mit solch
ungeziemender Sicherheit, daß Orleana entrüstet aufsprang
und ihm eine nicht sehr zarte Ohrfeige versetzte.
Dieses etwas zu rasche Verfahren gegen den
Büchsenpanner darf hier durchaus nicht befremden.
Orleana, die bisher noch keines Mannes Hand berührt
und deren eigene Hände sogar bebten, wenn sie ihren Leib
streiften, war außer sich, als sie die plumpen Hände des Büchsenspanners
an derjenigen Stelle fühlte, wohin zu fliegen noch nicht einmal Amor gewagt hatte.
Der Büchsenspanner, der nichts anderes wollte, als mit
schnellem Griffe die hinabfliegenden „sweet potatoes“ zu
- 68 -
erhaschen, hatte, ohne daß er es wußte, in den Augen Orleana's
ein ungeheures Verbrechen begangen.
Und was glauben wohl die schönen Leserinnen, daß der
Büchsenspanner that, als ihm diese Ohrfeige von zarter Frauen hand die Wange röthete?
Er stand nicht einmal von seinem Stuhle auf, bog seinen
Körper auch nicht zurück oder auf die andere Seite, sondern
verblieb wie angewurzelt in derselben Stellung, mit vorgebeugtem Hals --
nur seine Hände ließ er sinken und klammerte sie um die Kante des Tisches.
So sah er aus, als erwarte er eine zweite,
ähnliche Bestrafung.
„Weiße Hände schmerzen nicht,“ wollte er vielleicht sagen,
als sich seine Lippen auf und niederbewegten.
Doch er schwieg.
Wie aber oft die Gedanken und Gefühle des Menschen
in einer Secunde umspringen, um andern Platz zu machen, so
schien durch eine wunderbare Ideenverkettung dem Büchsenspanner der
Moment gekommen zu sein,wo er es wagen dürfte, Orleana seine Liebe zu gestehen
und sie zugleich um ihre Hand zu bitten.
„Bleib' hier Betsy!“ rief Orleana der sich eben entfernenden
Sklavin nach und ließ sich wieder in ihren Armstuhl nieder,
dessen hohe Lehne sie von hinten ganz verdeckte.
Der Sitte gemäß stellte sich Betsy hinter die Lehne.
Der Büchsenspanner ließ jetzt seine Hände von der Kante
des Tisches los und richtete sich auf Eine gewaltige Bewegung schien in einem
Innern vorzugehen.
Orleana entging dies nicht. Nachdem ihre erste Aufregung,
in die sie die ungestüme Manier des Büchsenspanners versetzte,
vorüber war, hatte sie sich fest entschlossen, das Weitere dieses
unerwarteten Drama's abzuwarten, und hieß deshalb Betsy im Zimmer zu verweilen.
„Fräulein, theuerstes Fräulein“ nahm sich der Büchsen
spanner zusammen: „da ich schon gleich von vornherein einen
so bösen Eindruck auf Sie gemacht habe, und da ich wirklich in
meiner Unüberlegtheit Ihre Tischgeräthe in Unordnung gebracht,
so bitte ich tausendmal um Entschuldigung, daß sich Ihre schöne
Hand hat bemühen müssen, mir ein so unaussprechliches Glück zukommen zu lassen.“
Orleana war wie aus den Wolken gefallen. Eine solche
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höfliche und geduldige Hinnahme einer empfangenen Ohrfeige,
schien ihr unbegreiflich. Fast hätte sie für den Büchsenspanner Mitleid gefühlt.
[LSZ - 1854.02.22]
„Theuertes, schönstes Fräulein“, fuhr er fort: „haben
Sie endlich Mitleid mit mir, der ich Tag und Nacht kein Auge
schließe, immer in Furcht schwebend, daß Sie mir entrissen werden
könnten -- -- ach, ich kenne diese böswilligen Frenchmänner,
die alles Mögliche versuchen, mich von Ihnen abwendig zu
machen -- aber ich -- -- ich fühle so etwas in mir, was ein
Vater für sein Kind, was der jüngste Jüngling für seine erste
Geliebte nicht besser fühlen kann -- -- damit ich es gleich von
vornherein sage -- ich liebe Sie, ich bete Sie an, ich beschwöre
Sie, mich nicht länger hinzuhalten und mir nicht zu versagen,
was mir Ihr treffliches Landsmännin-Herz gleich von vornherein
wird zukommen lassen -- -- Orleana, theuerte, geliebteste Landsmännin -- --“
„Mein Herr Hahn“ fiel ihm Orleana, der die Farben
jetzt doch zu stark aufgetragen zu sein schienen, in die Rede:
„Bedenken Sie, wo Sie sich befinden, und daß ich Sie nicht
deßhalb empfing, daß Sie sich hier in meiner Gegenwart in
Schwierigkeiten verwickeln sollten --“
Der Büchsenspanner erwiederte nicht ein Einziges Wort.
Verlegen sah er bald auf seinen Teller, bald auf Betsy, die
noch immer hinter der Stuhllehne ihrer Herrin stand.
„Sie müssen eine ziemlich hohe Idee von der
Liebenswürwürdigkeit Ihrer Person hegen, Herr Hahn, daß Sie mit so
schonungsloser Hand einen Liebesbrief schreiben können; zudem
ist es mir noch jetzt räthselhaft, daß Sie gerade mich mit der
freudigen Botschaft heimsuchten, an mir eine zukünftige
Lebensgefährtin zu haben. Ein Mann von solcher Bildung
und so einnehmendem Aleußern, wie Sie, mein Herr, kann ja
in Einem Nu Hunderte von Mädchenherzen bezaubern. Wenn
Sie den heutigen Tag eine Brautfahrt beschlossen haben, so
bin ich jedem Anscheine nach wohl die Erste gewesen, mit der
Sie ihre Runde begonnen haben, und in diesem Falle können
Sie noch nicht entmuthigt werden, wenn Ihnen Fortuna nicht
den ersten Treffer aus ihrer Urne ziehen ließ. -- Wenn ich
Sie übrigens jetzt ersuche, von heute ab nie mehr die Schwelle
meines Hauses zu betreten oder mir auf irgend eine Art ein
Billet dour zukommen zu lassen, so werden Sie als gebildeter
junger Mann, dem ja die ganze Welt offen steht, in Zukunft
- 70 -
mit der größten Pünktlichkeit diesen meinen Wunsch zu erfüllen suchen.“
Entweder verstand der Büchsenspanner Orleana's Worte
nicht, oder er wollte sie nicht verstehen.
Da er -- wie er sich selbst ausdrückte -- einmal im Zuge
war, so glaubte er sich berechtigt, nicht eher nachzugeben, bis
er einen vollständigen Sieg über Orleana davongetragen.
Mit der Schnelligkeit einer vom Baume fallenden
Hickorynuß fiel der Büchsenspanner auf seine Kniee und drückte in
blindem Eifer in festester Umarmung -- die Beine des hohen
Lehnstuhles, dessen weiche Polster Orleana's süße Bürde nicht
mehr fühlten, an sein pochendes Herz.
Erst nach Verlauf einiger Minuten bemerkte der
Büchsenspanner einen gewaltigen Irrthum. Bestürzt sah er sich im ganzen Zimmer um.
Er war allein.
Eben wollte er darüber nachgrübeln, wie es nur möglich
gewesen wäre, daß er schon gleich von vornherein einen so
unverzeihlichen Irrthum an den Beinen begehen konnte, als
Betsy erschien, mit der Weisung ihrer Herrin, er möchte augenblicklich
das Haus verlassen und es auch nie wieder wagen,unter ihre Augen zu treten.
Ohne zu bedenken, daß er vor einer Farbigen stand und
daß es ganz gegen den guten Ton sei, hier zu kniren und über
flüssig zu komplimentieren, wußte er vor lauter Höflichkeitsbe
zeugungen und Entschuldigungsgründen kaum die Thüre zu
finden, und drängte bald Betsy, bald sich mit ihr, an die Wand
oder an irgend ein Meubel. --
Betsy, die kein einziges Wort deutsch verstand, gab sich
alle erdenkliche Mühe, den Büchsenspanner zu bedeuten, was
ihr ihre Herrin aufgetragen und ihn zu überzeugen, wie über
flüssiger an diesem Orte sei.
Der Büchsenspanner warf noch einen schmachtenden Blick
zurück auf den leeren Lehnstuhl und murrte im Weggehen über die Härte seines Geschicks. --
* *
*
„Claudine de Lefuire!“ meldete Betsy nach
Verlauf einer halben Stunde Orleana, die sich eben an's Piano setzen wollte.
Orleana stand auf und ging ihrer Freundin auf halbem Wege entgegen.
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Siebentes Capitel.
Lesbische Liebe.
1. „-- -- Du machst mich rasend -- ich werde toll --
Sprich,Weib, was ich Dir schenken soll?
Du lächelt? Heda! Trabanten! Läufer!
Man schlage ab das Haupt dem Täufer!“
(Königin Pomare.)
2. „Auf ihrer Schulter erblickt sie auch --
Und sie bedeckt sie mit Küssen --
Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
Die er einst hineingebissen.“
(Edith Schwanenhals.)
„Es ist ewig Schade, meine liebe Claudine, daß Dir nicht
der glückliche Einfall gekommen ist, mich eine Stunde früher zu besuchen. --
Mein Gott, welche Scenen! welche rasch auf Einander
folgenden Gemüthserschütterungen! Don Juan mit all seiner
Liebenswürdigkeit, mit jenem magisch durchleuchteten Augenspiele,
das ihm die Herzen aller Frauen im Augenblicke gewinnen läßt, Don
Juan, der schlanke, blonde Fant, der in Madrid und Saragossa, in Sevilla und
Santillanna, am Quadalquivir und Ebro so gut als am Ganges und Indus Gott Amor
all seine Pfeile aus dem Köcher stahl, dieser Don Juan, dieser
Frauenverführer, dieser Schrecken aller Ehemänner -- ist vor
mir gestanden, ist auf die Kniee gefallen und sah diesmal eine
Göttlichkeit und Verwandtschaft mit Aphroditen durch ein
Stuhlbein gefährdet und all die Lorbeeren, die ihm Frauenhuld
und Frauenlieb um die Schläfe gewunden, waren ihm in Einer
Sekunde vom Haupte gerissen. Don Juan hat endlich seine
Besiegerin gefunden. Verfluchen wird er die Stunde, die
Minute, die Sekunde, in der er's gewagt, sich an das Herz
eines deutschen Creolen-Mädchens zu wagen! Don Juan ist
in New-Orleans zum Grünhorn geworden.“
Claudine sah ihre Freundin mit großen Augen an. Sie
war über die sonderbare Art und Weise, wie sich Orleana
ausdrückte, um so mehr erstaunt, als sie an ihr früher nie eine
solche Affektion für Don Juan"s bemerkt hatte, im Gegentheile
sie stets bemüht fand, sie schonungslos zu entgöttern und ihnen
nur ihre Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie die Gebrechen
und Irrthümer der Männerwelt bloßstellen wollte. Orleana
fand an Claudinen bisher immer eine energische Gegnerin,
die stets darauf bedacht war, ihr die Vorurtheile gegen die
Männer mit der Zeit zu benehmen. So hatte die Orleana noch
nie sprechen hören. In solchem Tone von Männern reden! In
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so leichtem Schwunge über Amor, Köcher, Pfeile, Herzen,
Niederfallen hinwegzusetzen, ohne sichzu beschädigen -- -- ei,
ei -- was mag wohl mit meiner Orleana vorgefallen sein?
„Ich verstehe Dich nicht, meine liebe Orleana. -- --“ Das
war Alles, was ihr Claudine auf ihre Dithyramben erwiedern
konnte. Orleana nahm aus einem kleinen Fächer ihres Sekretairs
ein zusammengefaltetes Briefchen, dessen Adresse mit
großen gothischen Buchstaben beschrieben oder vielmehr beschmiert
war, und reichte es mit lächelnder Miene Claudinen,
die gleich bei Durchgehung der ersten Zeilen zu lesen aufhörte
und ihrer Freundin erstaunt in's Gesicht sah.
„Was soll das bedeuten, meine Orleana, Deine vorigen
Aleußerungen und jetzt dieser Brief -- -- ich verstehe Dich nicht
-- bitte, was ist vorgefallen? Wie kommst Du zu diesem schändlichen
Brief -- -- wer, wer hat es gewagt, Dir so etwas zu
schreiben -- Orleana, bitte, erkläre es mir -- ich kann es nicht verstehen. -- --“
Orleana, die die Geduld ihrer Freundin nicht länger mehr
auf die Probe stellen wollte, setzte derselben nun den ganzen
Thatbestand der Vorkommnisse mit dem Büchsenspanner auseinander.
Sein linkisches Benehmen auf der Schwelle des
Empfangzimmers, seine Ungeschicklichkeit bei Tische, den Irrthum,
den er begangen, als er aufdie Kniee niederfiel -- kurz
Alles, was sich von Anfang bis zu Ende mitihm zugetragen,
wurde der erstaunten Claudine vorgeführt.
Orleana, die mit dieser drolligen Liebesaffaire eine
glückliche Stimmung für diesen Abend angebahnt zu haben glaubte,
war nicht wenig betroffen, als Claudine in wehmüthigem,
in’s Herz greifendem Tone hinwarf: „Meine gute Orleana,
ich glaube, Du hattest Recht; die Männer wissen die Liebe
eines Weibes nicht zu schätzen -- die Männer sind Alle roh in der Liebe.“
„Wie soll ich das verstehen? Was machte Dich plötzlich
so nachdenklich?“ frug Orleana Claudinen verwundert.
Als Claudine schwieg und eine Thräne im Auge zerdrückte,
fuhr Orleana fort:
„Dein Stillschweigen beunruhigt mich, meine liebe
Freundin. Wie kommt es, daß Du, die Du Dich noch vor kurzer Zeit
so glücklich fühltest, plötzlich die Bahn der Bewunderung und
Anbetung verläßt und ein so hartes Urtheil über die Männer
fällt? Doch ich will nicht weiter in Dich dringen und Dein
Inneres mit lästigen Fragen bestürmen, meine gute Claudine
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-- denn Dein Schweigen und die Thränen in Deinen Augen
sagen mir, daß ich da zu schweigen habe, wo es meine Freundin
vorzieht, ihren Kummer in ihr Herz zu verschließen und ihr
nicht einmal ihrer Orleana zu offenbaren --.“
[LSZ - 1854.02.23]
„Mir das, Orleana!“ fiel Claudine jetzt lebhaft ein, „und
noch dazu in einem Augenblicke, wo mir mein Herz gesagt, daß
ich mich von aller Welt lostrennen und nur für meine Orleana
leben soll -- -- Orleana, Orleana, wüßtest Du, was ich für
Dich fühlte, was ich sogar für Dich gefühlt, als ich mit Albert
vor dem Altare stand und Du mir den Brautkranz reichtest? --
Orleana, es ist vielleicht eine Rache des Himmels für ein Verbrechen,
daß ich damals nur für ein unschuldiges Kinderspiel
hielt, und erst jetzt,wo ich von meinem Manne getrennt, dieses
Verbr-- -- O, nein, nein -- es kann kein Verbrechen sein,
Orleana, wenn ich Dich liebe - nein, nein, meine Orleana --“
„Claudine, Claudine!“ fiel Orleana erröthend ein, Du
liebtest mich wirklich? O, so habe ich mich nicht getäuscht -- --
wie oft zitterte ich in Deiner Nähe -- und als Du einmal Deinen Arm
um meinen Hals schlangt -- -- O Claudine, -- wäre es ein Mann gewesen, ich
wäre kalt geblieben, wie Marmor -- -- vor einem Manne hat Orleana noch nie
gezittert - sie wird auch in Zukunft vor keinem zittern, Orleana liebt ihre
Weiblichkeit zu sehr, als sie Jemand anderm, als einer Freundin -- meiner
Claudine preiszugeben -- -- -- doch -- doch“ unterbrach sich Orleana, sich
besinnend -- -- „sagtest Du vorher nicht, Du wärst von Deinem Manne getrennt --
oder hab' ich falsch gehört?“ -- --
Claudine, die bald erröthend, bald erbleichend ihre Hände
in die Orleana's legte, machte diese nun mit den Vorfällen
jenes Abends vertraut, wo Albert durch eine leichtsinnig
hingeworfene Phrase ihre Würde als Gattin so tief verletzte
und dadurch einen Bruch herbeiführte, den wohl kein Mann
mehr auf dieser Erde zu heilen verstand.
Wie wir bereits wissen, war Claudine den Morgen nach
jener verhängnißvollen Nacht nicht zum Frühstücke erschienen
und Albert mußte es nun allein zu sich nehmen. Denselben
Morgen, als Albert nach Algiers zu den beiden Schwestern
eilte, hatte das Dienstmädchen Claudinens das Billet auf ihrem
Gange nach dem Markte bei ihrer Tante in Bourbonstreet
pünktlich abgegeben. Die alte Baronin Alma von Saint Marie
Eglise eilte auch gleich darauf zu ihrer Nichte und fand sie noch im Bette.
- 74 -
Die Zeilen Claudinens hatten die bejahrte Dame in
solches Erstaunen gesetzt und ihre Neugierde so sehr erregt, daß
sie es nicht abwarten konnte, erst Claudinen die von ihr beanspruchte
Stunde zu bestimmen, sondern sie entschloß sich lieber
gleich, selbst zu ihr zu eilen. Sie konnte nicht einmal so lange
zu Hause verziehen, bis die Pferde angeschirrt waren. Sie, die
schon seit mehreren Jahren keinen Fuß auf die Straße gesetzt,
ohne erst einen Wagen zu besteigen, war nun, wie ein junges
Mädchen der Straße zugeeilt, wo ihre Nichte wohnte, und wo
sie dieselbe, wie bereits erwähnt, noch im Bette fand, wenigstens
halb aufgerichtet, im tiefsten Negligée, ihre Haare aufgelöst
und aufdem nackten Oberkörper verwirrt durch einander fließend. --
Das Dienstmädchen, welches gespannt der Entwicklung
dieses Drama's lauschte, war von Claudinen hinweggeschickt,
um hier keine lästige Beobachterin zu haben, der Alles anzuvertrauen,
jedenfalls zu viel auf Einmal gewagt gewesen wäre.
Man kann sich leicht denken, in welche Unruhe die bejahrte
Dame gerieth, als ihr Claudine in kurzen, entschlossenen Wortendie
Ursache ihres Billets auseinandersetzte. Die alte Baronin wandte
alle Ueberredungskünste an, um ihre Nichte dahin
zu bestimmen, dem lieblosen Gatten zu verzeihen und ihn wieder
in ihre Arme aufzunehmen.
„Die Ehe ist das Grab der Liebe!“ -- -- Was hat er sich
dabei gedacht? Gar nichts, mein liebes Kind -- Dein Albert
hat Dich noch immer so lieb wie früher, und hat nicht die
geringste Absicht dabei gehabt, als er diese Dummheit gegen
Dich aussprach. -- Albert ist noch ein so junger, unbedachtsamer
Springinsfeld, wie es Tausende giebt. Sie wollen Alles
kennen, Alles durchschaut und erprobt haben, und zuletzt wissen
sie doch nichts. Dieses dumme Wort hat er aus irgend einem
Schriftsteller oder vielleicht von einem superklugen Gelbschnabel
gehört und glaubte Dir damit gestern Abend zu imponieren.
Albert? Was weiß Dein Albert von der Ehe? Ihr Beide
wißt noch gar nichts von den Mißhelligkeiten und Drangsalen,
die Einem im ehelichen Zusammenleben arriviren können. Was
weiß Dein Albert, was weist Du von der Ehe -- Ihr seid ja
kaum ein paar Monate verheirathet! Ich lebte 35 Jahre mit
Herrn von Saint Marie -- aber ich kann Dir versichern, mein
liebes, unartiges Kind, daß es gar nichts so Verhängnißvolles
ist, von einem Manne nicht so geliebt zu werden, als man sich
als Mädchen in den Kopf gesetzt hat. Und Herr von Saint
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Marie war doch ein Mann, von dem man gerade auch nicht
sagen konnte, er vernachlässige seine Gemahlin. Lebt nur erst
fünf oder zehn Jahre mit Einander, so werdet ihr Euch auch
nicht mehr wegen eines unbedachten, leichtsinnig hingeworfenen
Wortes grämen. Du kennst die Männer noch nicht, mein
kleines, unartiges Claudinchen -- je mehr die kränken, desto
mehr lieben sie. Ein Mann, der Dich immer auf den Händen
herumträgt, wie einen Gott anbetet, Dir den ganzen Tag
Höflichkeiten sagt und Deiner Eitelkeit und Deinem Herzen zu
schmeicheln sucht, ist in der Ehe nicht viel werth. Einem solchen
Mann ist nie recht zu trauen. Er thut es sicherlich nur, um
Dich bei Gelegenheit zu täuschen und in Dingen zu hintergehen,
die, wenn Du sie erführest, Dein Loos nicht beneidenswerth
machten. -- Sieh, dummes, albernes Claudinchen, wie umsonst
Du Dich martert. Liebte Dich Albert nicht, er hätte Dir so
Etwas nie gesagt ; er wollte damit sicherlich Deine Liebe auf
die Probe stellen. O, ich könnte Dir dergleichen Beispiele genug
aufzählen! Wie abscheulich hat mich nicht oft Herr von
Saint Marie, mein seliger Gemahl, behandelt! Und hat er
mich deshalb weniger geliebt? Nein, mein Kind, noch bis zu
seinem letzten Augenblicke trug er eine Alma im Herzen. -- --
Also beruhige Dich nur und lasse mich nie wieder von einem so
unseligen Entschluß hören. Du würdest es späterhin gewiß
herzlich bereuen, einer bloßen Laune und Unart Deines Mannes
halber auf Deine Herzensruhe verzichtet zu haben. Versöhnt
Euch bald wieder und liebt Euch wieder so brav, wie
früher und schmollt mir nicht wegen so dummer Dinge -- --
Versprich mir das, Claudiuchen, willst Du? -- --“
Diese und noch andere Versuche von Seiten ihrer Tante
konnten Claudinen von ihrem einmal gefaßten Entschlusse nicht
abwendig machen. Halb erzürnt gab endlich die Baronin von
Saint Marie ihre Zustimmnng zu einer Trennung der beiden
Ehegatten, jedoch mit der Vorausbedingung, daß sie mit Albert
noch darüber sprechen wollte. --
Einige Tage später machte Albert der alten Dame einen
Besuch, der aber so unglücklich ausfiel, daß diese all' ihren Groll
auf Albert wälzte und nun sogar selbst darauf drang, daß die
Scheidung so bald als möglich vorgenommen werde.
Nachdem die hiezu nöthigen Vorbereitungen getroffen und
der gesetzliche Act der Trennung eingeholt war, zog Claudine
zu ihrer Tante und Albert lebte nun allein in jener Wohnung,
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wo er früher in den Armen seiner Gattin so schöne und süße
Stunden verlebte,
Orleana, die sich zur Zeit jener Zwischenfälle in Ocean
Springs, in den High Bluffs am Golf von Merico, aufhielt,
hatte hierüber von ihrer Freundin Claudine nicht die geringste
Nachricht erhalten. Ein schwieriges Unternehmen wäre es,
die Beweggründe zu erforschen, die Claudine bei dieser Versäumniß
leiteten. Vielleicht hielt sie es auch für geeigneter,
dieselbe erst nach ihrer Rückkehr von ihrem Mißgeschicke zu unterrichten. --
So fanden wir denn heute die arme Dulderin bei Orleana. --
Leise, Leise! nur stille, nur stille! Traut der Nacht nicht
- schließt die Vorhänge, so dicht Ihr könnt; sprecht nicht so laut, denn die Wände haben Ohren.
Leise, leise! Stille, stille, damit es die böse Welt nicht hört!
Rubens, Rembrandt, Raphael Santio von Urbino, leiht
mir Eure Pinsel; Beethoven, lass' eine Fuge mit Raketengewalt meine Adern durchrasseln
und mein Blut kochen; Du Land der Nibelungen, sende mir deine feurigen Weine; gieb
mir den Meisel in die Hand, Canova, mit dem Du deinen
Paris geschaffen -- oder, nein -- Du, Paris, gieb mir deinen
Apfel, damit ich ihn zwischen Orleana und Claudine niederlege.
-- -- Du, Pallas Athene, trete auf einige Augenblicke zurück,
denn der Panzer liegt Dir zu fest auf dem Busen -- -- auch
Priapus weiche zurück, -- denn Du findest hier keinen Mann!
Aber, wenn es Dir gefällig ist, mein Hermaphrodites
Ganymed, so trete herein und kredenze Dein Ambrosia Orleana und Claudinen! -- --
„Du liebtest mich wirklich, Claudine?“
„„Wie schön Du bist, Orleana!““
„Wie schön Dein dunkelblondes Haar und Deine blauen Augen!“
„„Wie prächtig Deine blauschwarzen Locken und die Sternennacht Deiner Augen!““
„Wie niedlich und biegsam Deine Taille!“
„„Wie stolz und majestätisch Dein Wuchs!““
„Wie klein Deine weißen Hände!“
„„Wie himmlisch rein Dein Arm, den noch kein Mann beruhrt!““
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„Claudine, diese weiche, zarte Blässe Deines Antlitzes“
„„Orleana, dieses schöne Roth auf Deinen frischen Wangen!““
„Claudine, wie wohltönend, schmelzend Deine Stimme!“
„„Orleana, wie hinreißend Deine Worte!““
„Du liebtest mich wirklich, Claudine?“ --
Ein glaubwürdiger Schriftsteller aus der alten Griechen
zeit erzählt uns, daß auf der Insel Lesbos Weiber gelebt haben,
die sich von keinem Manne berühren ließen, da ihnen die Laune
der Natur eine Gabe verliehen, gemäß welcher sie sich selbst genug waren.
War irgend ein Mädchen auf dem weiten Gebiete von
Hellas mit dieser Gabe beschenkt, so eilte es auf jene Insel,
um sich eine Lebensgefährtin zu suchen. Als die Römer die
Herren von Hellas wurden, entführten sie diese Weiber nach
der Siebenhügelstadt und benutzten sie als Sclavinnen, die
ihnen in den Bädern behülflich sein mußten.
[LSZ - 1854.02.24]
Nur an einigen Punkten Großgriechenlands lebten sie
frei und genossen hier auch dieselben Rechte, die ihnen einst
auf ihrer Insel Niemand streitig gemacht hatte.
Späterhin, als sich die Römer den Deutschen unterwerfen
mußten, gelangten. Viele nach der Lombardei, der Schweiz und
dem südlichen Deutschland.
In vorletzterem Lande war es wieder besonders Meran,
wo sie zusammenströmten und ihre Zusammenkünfte den Mittelpunkt ihres
räthselhaften Treibens fanden.
Die beiden Cabots brachten dann Viele mit nach Amerika
und Sir Walther Raleigh verpflanzte sie nach Virginien, wo
ihnen die Königin Elisabeth ihren vollen Schutz angedeihen
ließ und sie anfänglich in auffallender Weise protegierte.
Man fabelt viel von Elisabeth und Raleigh und die Chronique
scandaleuse suchte bisher vergebens die Motive zu erforschen, die die
jungfräuliche Königin leiteten, auch Sir Walther ihre Ungnade fühlen zu lassen.
Daß aber ihre Eifersucht auf Raleigh wegen seines
Verhältnisses mit einer lesbischen Dame, die Ursache war, scheint
man bis jetzt noch nicht ausgefunden zu haben oder man getraute sich
nicht, sich dies zu gestehen.
Im Schönheitskabinette des Münchener neuen Königsbaues
hängt das Portrait dieser Nebenbuhlerin und ihrer so
auffallenden Aehnlichkeit mit Orleana kann nur eine sehr
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bedenkliche Wahlverwandtschaft zu Grunde liegen, da Lesbos
„keine Kinder erzeugt.“
So viel zum nähern Verständniß der cabbalistischen
Gefühlsverirrungen unserer schönen Orleana. --
Gemächer, wo selten ein Mann erscheint oder doch wenig
stens nur kurze Zeit zubringt -- Gemächer, die noch von keiner
männlichen Dienerschaft betreten -- Gemächer, auf deren
weichen Teppichen nur der Fuß eines Weibes tritt -- Gemächer,
an deren Betten, Sopha's und Vorhängen nur der Atlas
einer weiblichen Robe vorbeirauscht; solche Gemächer sind für
den Mann eine Hölle von Qualen und Schmerzen, wenn
Amor seine Pfeile zerbricht und sie dem Scheidenden vor die
Füße wirft. Wer sie gesund betreten, verläßt sie krank an Herz
und Seele. Sinnestrunken denkt er an die Atlas Robe, die
an sein Knie gerauscht; er drückt die Hand an die heiße Stirne
und seine Sinne schwinden, wenn sich eine Phantasie je so
weit versteigt, an das zu denken, über was der schwere Atlas
knistert und kracht. Das ist das verschleierte Bild von Sais,
das ist die Cathedrale der Liebe, das ist der Typus der Sinnlichkeit,
der der ganzen Natur aufgedrückt ist.
Wohl ist es kein Verbrechen, das verschleierte Bild zu
lüften, wohl ist es keine Verjündigung an dem Allerheiligsten
der Weiblichkeit, an dasselbe zu denken, wohl ist es keine Sünde
gegen den heiligen Geist, mit bedecktem Haupte in die Cathedrale
der Liebe zu treten -- aber die Natur soll es verantworten,
wenn sie sich selbst auf ihren Pfaden verirrt -- wenn sie
Blumen und Blüthen in's Leben ruft, über deren Pistillen
kein männlicher Blüthenstaub regnet, deren Pistillen in stiller
Nacht ihren Kelch verlassen, um sich an einander zu schmiegen.
Stille, stille; nur leise, nur leise; schließt die Vorhänge,
so dicht Ihr könnt; sprecht nicht so laut; denn auch die Wände haben Ohren.
Stille, stille; leise, leise, damit es die böse Welt nicht hört!
„Du liebtest mich wirklich Claudine?“
„„O wie verwirrt macht mich diese frische Wärme Deines stolzen Nackens!““
„Wie jagt mir Dein Busen die Glut durch die Adern!“
„„Orleana, Orleana, wie so reizend lose Deine Kleider sind!““
„Claudine, Claudine, wie fest Du geschnürt bist!“
„„Orleana, Orleana, wie leicht Deine Kleider fallen!““
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„Claudine, Claudine, wie schwer es mir wird, sie abzustreifen!“
„„Orleana, wie rein und weiß Deine Schultern!““
„Claudine, woher diese Narben auf den Deinigen?“
„„Orleana, Orleana - das hat Albert gethan.““
„Und Du liebst mich wirklich, Claudine?“
„Ich sä'te Maßliebchen
In meinem Garten,
Ein ganzes Beet voll --
Kommt's kaum erwarten,
Bis sie kamen, bis sie blühten,
Um sie zu pflücken
Meinem Liebchen.
Und als sie kamen
Hervorgespitzt,
Hab' ich sie weiblich
Mit Wasser bespritzt.“
„„Knösp’chen hingen
In Fülle bald d'ran,
Es hat Dein Begießen
Ihnen gut gethan.““
„Doch als ich kam
Eines Morgens hinaus,
Was seh' ich O Himmel,
O Schrecken, O Graus --
Die Knösp’chen hingen
Zerknickt auf den Boden --
Mich jammert es sehr
Um die lieben Todten.“
„„Kannst nun Deinem Liebchen
Nicht Maßliebchen mehr geben,
Mich jammert es sehr
Um ihr junges Leben!““
Wie gesagt, mein Hermaphrodites Ganymed
*), trete
ungenirt herein, Deine Gegenwart belästigt nicht, es ist hohe Zeit,
daß Dein Göttertrank die brennenden Lippen befeuchtet.
Komm nur herein, mein Ganymed, rümpfe nicht so hoch
müthig dein Näschen! Schon längst todt ist der allmächtige
Jupiter - der Olymp verlassen und leer -- das ganze Göttergeschlecht ausgestorben -- Du
mußt Dich nun wohl herablassen, Sterbliche zu bedienen.
Komm herein -- Du findest hier einen guten Bekannten.
sieh nur, wie der lose Cupido von einem Schooß auf den andern flattert und
nicht recht weiß, wo er beginnen soll. Du sieht wohl, solche Besuche sind selten!
Stille, stille, nur leise, nur leise; damit es die böse Welt nicht hört!
_______________________
*) Ganymed's Männlichkeit war sicher nicht die Ursache, weshalb ihn
„nepbelegeretes Zevs“ liebte. Als Gott konnte er ihn zudem jede beliebige Minute
im Tizianischen Nachtgewande sehen.
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Schließt die Vorhänge, so dicht Ihr könnt!
Sprecht nicht so laut; denn auch die Wände haben Ohren! --
„Du liebtest mich wirklich, Claudine?“
„Orleana, Orleana, wie muß ich mich schämen!““
„Claudine, Claudine, wie selig bin Ich!“
„„Orleana, mein Engel, wo ziehst Du mich hin!“
„Claudine, mein Weibchen, wie will ich Dich küssen!“
„„Orleana, Orleana, ich muß mich ja schämen!“
„Nein, Nein, mein lieb” Weibchen, ich küß' Dich ja nur “
„„Orleana, O laß mich, ich bitt Dich so sehr!““
„So zittre, Claudinchen, mein Weibchen, nicht mehr!“
*
*
*
Wo das Gesetz die Liebe in unauflösbare Fesseln schlägt,
wo die Kirche sinnliche Verläugnung proclamiert, wo uns selbst
falsche Scham und ererbte Moral abhält, der Natur ihre
Rechte zuzugestehen, da legen wir uns an den warmen Busen
von Mutter Natur und belauschen ihre Mysterien und sehen
mit flammendem Blicke dem großen Räderwerke zu, an dem
jeder Zahn das Wort „Liebe“ ächzt.
In allen Sphären frohlockt es, die Fanfaren des Weltalls
schmettern, wo nur immer die Liebe einen Triumph gefeiert.
Aber zürnend fahren die Blitze aus dem dunklen Gewölke auf
das tyrannische Gesetz und eine usurpierte Moral, wenn sie die
Kinder der Erde zwingen wollen, die Glut zu ersticken und ihre Gefühle einzusargen.
Wie klein und erbärmlich erscheint das Partheiengeplänkel,
wie niedrig erscheint selbst das Drama unserer Revolutionen
gegen den Riesenkampf der Sinnlichkeit gegen Gesetz und Moral.
Revolution! schreit die Nonne im Schlafe auf und
wirft der Madonna den Rosenkranz in's Gesicht.
Revolution! knirscht der Priester der alleinseligmachenden
Kirche und reißt das Skapulier in Fetzen.
Revolution! donnert der Proletarier, wenn er die
schönen Töchter der Pharaonen sieht.
Revolution! rasselt der Sklave, wenn durch den
dunklen Gang der Cypressen das weiße Kind des Pflanzers wandelt.
Revolution! wiehert das Pferd, das die Habsucht verstümmelt hat.
- 81 -
Revolution! brüllt der Stier und flucht unterm
Joche einen Schändern.
Revolution! würden die Weiber von Lesbos
stürmen, wenn wir ihrer Liebe zürnen würden. --
__________________
In den Ver.Staaten ist New-Orleans das Meran der
lesbischen Damen, wo sie bis jetzt ungehindert und ungekannt
von den Argusaugen der Moral ihre räthelhaften Zusammen
künfte hielten. Sonderbarer Weise halten sie sich hier wie sonst
allerwärts nur an Gewäffern auf, da ihnen ihre Normen
die Nähe derselben unentbehrlich machen. So finden wir sie in
Clubs von zwölf bis fünfzehn Gliedern am Herkules Quai,
ferner an der Pensacola Landung, wie überhaupt der ganzen
linken Seite des neuen Bafin entlang.
Ihren früheren Sitz am Lake Pontchartrain haben sie
eingebüßt. Theils wurden sie von F
*, theils durch die Bemü
hungen des alten Mc.Donough
*) vertrieben.
Die geehrten Leserinnen werden im dritten Bande mit
uns einer von diesen Zusammenkünften beiwohnen und zur
Ueberzeugung gelangen, daß die lesbischen Damen nicht so
böse sind, als sie meinen und daß sie in ihrer Art eben so viel
Anstand und gute Sitte zeigen, als die potenzierte Frauenwelt.
Es war drei Uhr nach Mitternacht, als Amor durch die
Jalousieen flatterte, durch die ein kühlender West über die
schlummernden Freundinnen strich.
Schelmisch lächelte der Mond, gar freundlich glitzerten
die Sterne, als sie Amor so über und über roth, mit schlaffem
Bogen und leerem Köcher über Toulousetreet dahin fliegen sahen.
[LSZ - 1854.02.25]
_______________________
Achtes Capitel.
Albert.
Albert hatte seit seiner Trennung von Claudinen einen
ganz andern Lebenspfad eingeschlagen. War er früher thätig
und unermüdlich im Streben nach Sicherstellung seiner Existenz,
so hatte ihn jetzt sein Temperament gerade auf die entgegen
gesetzte Seite geschleudert, und wenn er sonst seine Kräfte in
Ausübung seiner Pflicht und Vervollkommnung seiner Talente
_______________________
*) Ob sie jetzt, wo McDonough
schon seit einigen Jahren todt ist, wieder ihren
ehemaligen Sitz am Lake einnehmen, konnten wir bisher nicht --
- 82 -
übte und stärkte, so sehen wir ihn jetzt das vage Feld der Roués
wieder betreten und in einen Sinnenrausch stürzen, der nur
unterbrochen wurde, wenn er gezwungen war, sich wieder zu
rehabilitieren und „in's Zeug“ zu treten. Seine in pecuniärer
Hinsicht nicht unbedeutende Stellung als Zeichner bei dem
großen Baue in Coustomhousestreet hatte er eingebüßt, da sich
der Architekt, der jenen Bau leitete, wegen seiner zu oftmaligen
Vernachlässigung gezwungen fand, einen andern jungen Mann
von eben so einnehmendem Aeußern und großen Talenten zu
engagieren. Albert sah sich daher genöthigt nur in unregelmäßigen
Arbeiten in den verschiedenen Architekts- und Surveyor-Officen sich
Geld zu verdienen. Eine Woche zeichnete er in der
Bank's Arcade, eine andere wieder bei Reynold's und manchmal
arbeitete er mit Capitain Lafarell bei A.Knell und Keathing,
und zwar bei den beiden letzteren für eine Summe, die
mit der früher verdienten im grellsten Contraste stand.
Das Anerbieten Claudinen's, ihm durch ihre Tante eine
jährliche Zulage von 700 Dollars zukommen zu lassen, hatte
er abgeschlagen; denn er war ungeachtet seiner verübten
Ercesse noch immer so edel gesinnt, kein Geld von einer Frau
anzunehmen, die sich entschließen konnte, sich von ihm zu trennen.
Schon mehrmals hatte es Claudine versucht, ihn im
Namen ihrer Tante eine Summe anzubieten, die nicht nur
hinlänglich gewesen wäre, ihn von momentanen Verlegenheiten
zu retten, sondern ihm sogar eine sorgenfreie Eristenz für mehrere
Jahre zu sichern, -- aber Albert gab jedesmal eine abschlägige Antwort. --
Es möchte hier nicht am unrechten Platze sein,
eines Erwerbszweiges zu erwähnen, der besonders von dem gebildeten
Manne, der, unkundig irgend eines Handwerkes oder sonst
nicht vertraut mit denjenigen Wegen, wo man sich, ohne etwas
zu arbeiten, seine Dollars verdienen kann, oft mit Vortheil
und Glück ergriffen und in ansehnlicher Erweiterung hinaus
geführt wurde. Wir meinen das sogenannte Plan machen,
d.h. Häuser und Grundstücke, welche die Eigner zu verkaufen
gesonnen sind, mit bedeutendem Farbenaufwand dem kauflustigen
Publikum auf einem Bogen Papier zu präsentieren. Für
diesen Erwerbszweig findet man in New-Orleans zwei
Haupt-Stapelplätze, und zwar im zweiten Distrikte in der
St.Louis Erchange Alley, die überhaupt von Lithographen,
Buchbindern, Buchhändlern, Buchpedlars, Buchdruckern, Job,
und Nichtjobdruckern, Architekten, Civilingenieuren, Surveyors
- 83 -
und „angehenden“ und „stout“ Zeichnern so überfüllt und bis
in den kleinsten Winkel bevölkert ist, daß den wenigen, daselbst
situierten Kanarienvögel - und Kanarienvögelsaamen-Händlern,
Hutmachern, Advokaten, „Quatre Colonnes“ u.s.w. auf eine
unverantwortliche Weise der Athen benommen wird. Die
Häuser- und Lotpläne, die hier verfertigt werden, finden ihre
Pinakothek oder Kunstkabinett in der Rotunde des St.Louis
Hotels und werden „à la french“ genannt. --
Das General-Emporium für diese Haus- und Lotpläne
bleibt aber stets die Bank's Arcade, wo sie theils die
Wände des großen Barroomes bedecken, theils an grünen
Stellagen aufgehängt sind, die entweder auf dem Boden oder
in einer Erhöhung von vier Fuß auf den hier angebrachten Plattformen herumstehen.
Das große Barroom des Bank's Arcade Hotels sind
übrigens nur die Propyläen zu dem eigentlichen Sitz der Kunst und
des guten Geschmackes, wie sie sich hier in schönster und trefflichster
Weise entfalten. Dieser Sitz ist die Office der Auctionäre Beard und
May, wo man in einen wahren Blumengarten von Haus- und Lotplänen tritt, deren
Götterbilder entweder schon losgeschlagen sind oder noch der Versteigerung
sehnsüchtig entgegenharren. Die ungeheure Geschäftsausdehnung von
Beard, des bekanntesten und renommiertesten Auctionators
nicht nur in New-Orleans, sondern auch im ganzen Süden,
vielleicht in den ganzen Ver.Staaten, bewirkt, daß hier die
Bestrebungen und Bemühungen der Architekten und Zeichner
ihren Centralisationspunkt finden. Es ist dieser Verkauf von
Häusern und Lots vermittelt solcher Pläne ein ganz eigener
Geschäftszweig, der außer in St.Louis bei Lessingwell und
Elliot, sonst nirgends in den Ver.Staaten betrieben wird:
der Besitzer eines Grundstücks oder eines Hauses wünscht sein
Eigenthum so bald als möglich zu verkaufen; er begiebt sich zu
diesem Zwecke in die Office der Auctionäre Beard und May
und bestellt sich einen Plan, der Grund- und Aufriß eines
Hauses und Situation des verkäuflichen Lots auf's genaueste
repräsentiert. Mister Beard läuft alsbald eine Treppe hinauf
und läßt den ersehnten Plan bei dem Architekten anfertigen.
Ist er hier zu seiner Vollendung gediehen, so empfängt ihn der
Hausnigger und Leibmarschall Jim, der ihn im Barroom der
Arcade entweder an den Wänden oder grünen Stellagen auf
hängt. Hier nun werden diese Pläne von den Kauflustigen
gemustert, die auf das bloße Ansehen der gemalten Häuser hin,
- 84 -
dieselben kaufen und natürlicherweise manchmal, wenn auch zu
spät, ihren begangenen Irrthum einsehen.- Hier findet man
die Nestoren der Zeichnenkunst in oftmaligen Zusammenkünften
die Errungenschaften und Fortschritte auf dem Gebiete der
Architektur, der Feldmeßkunst u.s.w. sehr eifrig besprechen.
Doctor Engelhardt, Hübner, Walther, Niemayer und Neumayer
haben in der edlen Zeichnenkunst schon mehrere Menschenalter
hinter sich und führen somit nach alt hergebrachter
Sitte den Vorsitz in den Collegien über Kunst und Kritik. In
der Landschaftsmalerei ist die Behandlungsweise Keathing's,
das volle, saftige Farbenspiel seiner Trommelbürste
*)
tonangebend. --
Zu obigen Aeußerungen führte uns das jetzige Metier Albert's.
Derselbe lebte noch in der nemlichen Wohnung, in der
sich jene Nacht nach den Flitterwochen so entscheidend für Beider
Trennung gestaltete.
Außer einigen nothwendigen, weiblichen Attributen und
Utensilien, die Claudine mit sich zu ihrer Tante genommen,
war Alles in der nemlichen Ordnung geblieben. Nichts deutete
darauf hin, daß hier ein weibliches Wesen fehle; denn dieselbe
Ordnung und Pünktlichkeit, wie sie früher an der Tagesordnung gewesen,
waren auch jetzt noch sichtbar.
Die Porzellanfiguren und verschiedene andere Nippsachen
auf der Etagére standen noch auf ihrem alten Platze in der
durch Claudinen's Hand geordneten Weise.
Das kleine Mädchen, das Albert bei sich behalten hatte,
sorgte dafür, daß sich nirgends Staub sammle. Jeden Tag
nahm es die Nippfachen herab, stäubte jede Porzellanfigur,
jedes Schälchen und Blumenkörbchen mit Sorgfalt ab und
stellte diese kleinen Dinger wieder genau in dieselbe Reihe.
Sie that dies eigens auf den Befehl Albert's.
Bridget, so hieß die Kleine, hatte gute Tage und
weiter nichts zu thun, als für sich zu kochen; denn Albert kam
nur immer auf Augenblicke nach Hause. Selten, daß es sich
ereignete, daß er die Woche hindurch auch nur ein einziges
Mal in seinem Bette schlief.
Obwohl er recht gut einsah, daß er Capitalist hätte sein
müssen, um die Ausgaben bestreiten zu können, die seine unordentliche,
unregelmäßige Lebensweise und eine doch nicht
_______________________
*) Ein stumpfer, voller Pinsel, zum Schabloniren benützt. Trommeln:
der technische Ausdruck für Schablonen-Arbeit.
- 85 -
benützte Wohnung und Bedienung erheischten, verblieb er
dennoch bei seinem Vorsatze, Niemanden die Zimmer beziehen
zu lassen, in denen früher seine Frau waltete und wirkte,
Zu diesem Behufe hatte er mit dem Irländer, dem das
Haus gehörte, einen ganz eigenthümlichen Contrakt abgeschlossen,
der gewiß von keinem Yankee acceptiert worden wäre,
Wir werden späterhin wieder darauf zurückkommen. --
In derselben Nacht, als Claudine in den Armen Orleana's
lag, hatte Albert mit mehreren Freunden der Eröffnung
des
„Louisiana Balles“ beigewohnt, der noch in keiner
Saison so brillant arrangiert war, als diesmal.
Die lustige Gesellschaft kam schon etwas erhitzt in den
Tempel Terpsichore's, denn sie hatten bereits mehrere Dutzend
Barrooms, Austernshops, Billardsalons und Café's durchschwiemelt,
und wenn Einer dem Andern versicherte, daß es endlich Zeit sei,
den Ball zu besuchen, so meinte ein Anderer wieder,
daß es durchaus nicht darauf ankomme, noch einige „Drinks“
zu sich zu nehmen, da die Nacht lang genug sei und man auch
nicht Lust habe, sechs bis sieben Stunden lang seine Schuhe abzuschleifen.
So waren sie endlich an der Treppe, die in den Ballsaal
führte, angelangt, nicht weil sie ein fester Entschluß leitete,
sondern weil der rothe Faden, der sie durch unzählige Barrooms
führte, hier seinen Endpunkt fand. Keinem gebildeten
Roué wird es je einfallen, auf dem Louisiana Balle im Ballcostüme zu
erscheinen. Leichte, ungenierte Kleidung und ein
paar Eagles im Port Monnaie -- das ist die ganze Ausstattung.
Zur Vorsicht ist ein schmales Dolchmesser, wohl verborgen, beizustecken,
da Matrosen, Steuerleute und River Boys zu gefährliche Rivalen schöner Tänzerinnen sind.
„Gentlemen, kommen Sie gefälligst wieder zurück -- ich
habe die strengste Ordre, jeden, der hier eintritt, genau zu untersuchen,
ob er nicht Waffen bei sich führe“, rief der Portier der lustigen Gesellschaft
nach, als dieselbe eben die Treppe zum Ballsaale hinaufstürmen wollte.
[LSZ - 1854.02.26]
„Ihr seid heute einmal wieder recht pedantisch, Monsieur
Dufleur“, antwortete Albert, indem er seine Freunde anhielt
und sie bewog, sich der üblichen Durchsuchung zu unterziehen.
„Laßt Euch nur ruhig visitieren“, flüsterte der Franzose
dem wankenden Albert zu, „ich werde es nicht so genau nehmen;
zudem seid ihr Deutschen nicht so gefährlich. Ihr führt
Eure Waffen doch nur bei Euch, um damit vor den Mademoisellen
- 86 -
zu renommiren -- kommt es zum Scandal, so seid Ihr stets klug genug,
nachzugeben oder Euch bei Zeiten aus dem Staube zu machen,-- -- wißt, ich
muß nur so dergleichen thun, als ob ich meine Pflicht erfüllte; denn
der dort -- und dabei zwinkte er mit seinen kleinen Luchsaugen auf den
ersten Portier, -- nimmt es gar genau.“
Auf diese naive Erklärung Dufleur"s wäre es gewiß sehr
grob gewesen, weitere Umstände zu machen oder sichzu weigern,
sich von oben bis unten durchsuchen zu lassen.
„Ich hab’ Euer feines Stilett schon gefühlt“, flüsterte
der Portier wieder Albert zu, „es macht aber nichts -- ich sage Euch dies nur,
damit Ihr nicht glauben sollt, ich bin so dumm und merke es nicht. Aber ich
will Euch den guten Rath ertheilen, das spitze Messerchen in Zukunft nicht mehr
in Eure Schuhe zu schieben -- es könnte sich doch einmal treffen, daß
ich gerade nicht hier wäre, und der dort würde es Euch nicht
mehr zurückgeben -- 's wäre wirklich Schade um Euer Messerchen, das
doch wenigstens eine zwanzig Piaster gekostet hat.“
„Zwanzig?“ erwiederte eben so leise Albert, „wo denkt
Ihr hin, Dufleur? Ihr könnt es nicht für fünfzig bekommen.“
Nachdem der Portier auch an den Freunden Albert's die
nemliche Barmherzigkeit geübt, stürmte der Trupp die breite Treppe hinauf. --
Im Saale verklangen eben die letzten Töne einer verzweifelt
schlechten Polka. Das Musikcorps, das sämmtlich aus Deutschen bestand, hatte
seine Instrumente weggelegt und bewirthete jeder ein Mädchen, wie es ihnen
gerade in die Hände lief.
Die Pause füllte ein „Siebentanz“ aus, den die Matrosen
des „Isaac Newton“ in großer Schnelligkeit arrangiert hatten.
Der Untersteuermann genannten Schiffes hatte sich von einem
der Musikanten eine Violine ausgebeten und spielte ihnen zum
Tanze auf, freilich mit nicht bedeutender Virtuosität.
Drei niedliche Leveedamen schoben sich pfeilgeschwind
zwischen je zwei Tänzer, und wenn sie ihre Pas änderten, wurden sie von
den Matrosen in die Höhe gehoben und von dem gegenübertretenden aufgefangen.
„Holla, he Mary! auf und nieder! Jetzt du und jetzt ich,
jetzt mir und jetzt dir! Holla, he Girls, jetzt auf und jetzt
nieder! Jetzt mir und jetzt dir!“ So ging es nach der bekannten Weise
dieses Tanzes unermüdlich fort und es war in
der That staunenswerth, wie die betrunkenen Seehelden und
Leveedamen nur so lange aushalten konnten. --
- 87 -
„Nun, Dicker“, hielt jetzt ein Matrose an, indem er sich
an einen ziemlich beleibten Mann heran machte, der einen
schwarzen Frack trug und dem ein feines Battistaschentuch aus
der linken Tasche seiner rothammtenen Weste bis über die
Hälfte heraushing, „willst du nicht auch einmal das Tänzchen
riskiren? Ihr verdammten Landratten habt auch kein bischen
Feuer im Leibe -- da, probir's einmal mit der Mary -- -- --
holla, he Mary, holla he, Dicker, jetzt auf und jetzt nieder! Jetzt mir und jetzt dir! --“
Der Büchsenspanner -- denn kein anderer war der dicke
Mann mit dem engen schwarzen Frack und dem feinen Battisttaschentuch -- glotzte
den Sohn der Meere trotz seines überhängenden Fettes an den Augenlidern, mit
großen Augen an und besann sich umsonst auf eine ebenbürtige Antwort. Er
war gleich nach jenem Auftritte in Orleana's Dining-Room auf
den Louisiana Ball geeilt, um nach seiner Meinung hier wieder
einmal aufzuleben und die alberne Melancholie, in die ihn
seine Landsmännin versetzt, wenigstens für diese Nacht los zu werden. --
„Nun, verdammte Landratte, wird's bald!“ brüllte ihn
der Matrose an, als er sah, daß der Büchsenspanner durchaus
keine Anstalt traf, sich dem Siebentanz anzuschließen und die
schwarzäugige Mary in die Höhe zu lüpfen.
Zum großen Unglück des Büchsenspanners war der Sohn
der Meere ein Deutscher, und da derselbe den Büchsenspanner,
der nur deutsch sprach, verstehen mußte, so konnte er nach
echter Seemann's Manier dessen Worte nicht ruhig einstecken.
„Herr Matrose“, entgegnete endlich der Büchsenspanner,
indem er seinen langen Schwalbenschwanz behutsam unter den
linken Arm nahm, so was taugt nicht für unser Einen, der das
einmal nicht gewöhnt ist -- -- tanzen Sie nur selbst mit der
Shellroad Mary -ich hab's für heute Nacht verschworen, zu tanzen, Herr Matrose.“
Wenn der Büchsenspanner in seinem ganzen Leben keine
Lüge gesagt, so that er es diesmal; denn des Tanzens halber
ging er ja auf den Ball, um in den Armen der Töchter
Terpsichore's sein Liebesweh auszuschnaufen.
„Verdammte Landratte, du hast hier nichts zu verschwö
ren!“ brüllte ihn der Matrose noch stärker an, indem er den
Büchsenspanner mit einem tüchtigen Kniestoß in die Mensur
des Siebeutanzes hinein schleuderte, -- -- „du hast hier nichts
- 88 -
zu brummen, Dicker! Holla, he, Dicker, jetzt mir und jetzt dir, jetzt du und jetzt ich!“
„Aber Herr Matrose“, eiferte der erschrockene Büchsenspanner,
„wollen Sie doch gefälligst zur Einsicht kommen, daß
ich nicht von vorneherein, ohne mich vorher ein paar
Mal zu Hause eingeübt zu haben, Ihrem werthen Tanz mit Anstand beiwohnen kann.“
Aber Du hier Gasper?“ schrie die Shellroad Mary
dazwischen der das alte Haus von früher her bekannt war --
natürlich nur als Statist,da der Büchsenspanner, wenn er mit
seinem Freunde mit derselben zu Cassidy wanderte, immer nur
eine stumme Rolle spielte, da er kein Wort englisch verstand
und trotz eines siebenjährigen Aufenthaltes in New-Orleans auch kein Wort französisch.
„Du hier, my sweet Heart Gasper?“
„Jungfer Mary, Sie sehen, daß ich nicht gleich von vorneherein -- --“
Jetzt bekam er wieder einen Stoß von dem Matrosen,
daß ihm die beiden Ohren fausten. „Aber, Aber -- Herr Matrose, Sie sind doch ein Landsmann --“
„Holla, he, Dicker,“ unterbrach ihn der Matrose wieder
und versuchte den Büchsenspanner bei den Beinen in die Höhe zu heben.
„Hallunke, Dieb,Schurke -- -- sacre nom dedieu, Diebsgesicht,
wo hast du dies Taschentuch her“, donnerte plötzlich
zwischen dem allgemeinen Wirrwarr um den Büchsenspanner,
eine fremde Stimme. Zu gleicher Zeit fühlte der Büchsenspanner
eine Hand an seiner Westentasche, die sich des feinen Battisttuches
mit den schönen Spitzen bemächtigte. „Dieb, Dieb,
Galgenstrick, -- wo hast du dies Taschentuch gestohlen?“
Als sich der Büchsenspanner den Mann, dem diese
Schimpffluth von den Lippen strömte, genauer ansah, erkannte er mit
Entsetzen in ihm jenen Frenchman, der ihn damals beim
Ständchen bringen auf so grausame Weise behandelt und von Orleana's Haus weggejagt hatte. --
Dem Franzosen, welcher den Büchsenspanner gleich bei
seinem Eintreten in den Ballsaal bemerkt und nicht aus den
Augen gelassen hatte, war auch das feine mit Spitzen besetzte
Battistaschentuch nicht entgangen, und als er einmal hart
hinter ihm stand, so sah er den in eine der Enden des Taschentuches
gestickten Namenszug Orleana’s, wie er aus der Hand
seiner Schwester, die diese feine Arbeit für Orleana lieferte,
- 89 -
hervorgegangen war, ohne jedoch im geringsten den Verdacht
„des Mohren von Venedig“ zu theilen, (da ihm die schöne
Creolin noch keine Desdemona war), so war er dennoch äußerst
erbost über den gegenwärtigen Besitzer dieses für ihn unschätzbaren
Kleinodes, das durch irgend einen Zufall in die Hände
des Büchsenspanners gekommen sein mußte. Schon öfter
wollte er den unglücklichen Ständchenbringer darüber zur Rede
stellen, aber immer glaubte er wieder nicht den passenden Zeitpunkt herangemaht.
Jetzt, wo er den armen Büchsenspanner von Matrosen
des „Isaak Newton“ und von deren Tänzerinnen so in die
Enge getrieben sah, brach er plötzlich los und beschenkte ihn in
seiner blinden Wuth mit den eben angeführten unbegründeten Titulaturen. --
Die Aufmerksamkeit der Matrosen wandte sich nun plötzlich
vom Büchsenspanner ab auf den schimpfenden Franzosen.
Durch eine sonderbare Ideenverknüpfung hatten die betrunkenen
Seehelden denselben nun zum Opfer ihrer Brutalitäten
und rohen Späße auserlesen. Nicht nur, daß er auf ihr Geheiß dem
Büchsenspanner wieder ein Battisttuch zurückerstatten
mußte, verlangten sie von ihm noch weiters, demselben zu
Füßen zu fallen und Abbitte zu thun. Das schien dem Fran
zosen denn doch zu viel zugemuthet, weßhalb er aus seinem
Rockärmel ein Terzerol zog und gegen seine Bedränger sich in
eine martialische Position setzte. Die Ballordner, welche beschwichtigend
und ausgleichend einschreiten wollten, wurden
nicht gehört und von einigen Matrosen und hochgeschürzten
Damen geneckt und zuletzt bis auf's Aeußerste maltraitiert.
Der Büchsenspanner, diesen Moment benutzend, schob an
die Treppe und schrie aus vollem Halse: „Watsch, Watsch!“
dann polterte er, so schnell er konnte, die Stufen hinab und
ohne dem auf ihn zutretenden Dufleur Rede zu stehen, eilte er auf die Straße.
Wenn er noch einige Minuten im Ballsaale geblieben
wäre, hätte er eingesehen, daß er nicht nöthig gehabt „Watsch,
Watsch!“ zu rufen; denn die Nachtwache befand sich schon die
ganze Nacht über, vier Mann hoch, im Ballroom, wo sie sich
unter die Tänzer gemischt hatte.-
*)
_______________________
*) In neuester Zeit, unter dem Manager A.Cambre,
ist das „Louisiana Ballroom“ -- bekanntlich an der Ecke von Esplanade und Victory Straßen gelegen
-- nicht mehr so strenge unter polizeilicher Aufsicht gehalten, da ein ausgewählteres
Publikum den Tanzboden occupirt hat. Matrosen und Shoreboys in rohen Hemden
und weiten Pluderhosen werden gar nicht mehr, wie früherzugelassen. Sie sehen .....
- 90 -
[LSZ - 1854.02.28]
Der Franzose, von dem zu viel genossenen Liqueur in die
aufgeregteste Stimmung versetzt, wehrte sich gegen die auf ihn
einstürmenden Wachtleute wie eine gereizte wilde Bestie. Nach
vergeblichem Abmühen und Toben mußte er endlich der Ueber
macht nachgeben. Die Matrosen mit ihren Girls umkreiseten
ihn von allen Seiten, zupften ihn bald an den Haaren, bald
kneipten sie ihn in die Waden -- ja sogar in den Bauch, wie
es z.B. die originelle Shellroad Mary that, bis die Nachtwache
endlich diesem Spiele ein Ende machte, und zwei von
ihnen den Franzosen in die Mitte nahmen und nach dem Golgatha, in
die Calaboose transportierten, wo es der Zufall wollte,
daß man ihm die nemliche Pferdedecke zuwarf, auf der vor
kurzer Zeit die zerbrochene Guitarre in der Umarmung des
Büchsenspanners lag. --
Die lustige Gesellschaft, in der Albert den Ton angab,
hatte sich dem Fandango, der nach dem Programm den Schluß
des Balles bilden sollte, angeschlossen.
Ein Königreich für einein Fandango! Du
hast dich bereits halb wahnsinnig getanzt, schon fallen dir die
Augen zu, deine Füße schläfern; du liegt an der Brust einer
schönen jungen Tänzerin; ohne mehr daran zu denken, daß es
eine Tänzerin ist; du greift, du greift -- nun du greift
meinetwegen in die leere Luft -- du hast keine Gedanken mehr,
nur mechanisch befühlst du deine Westen- oder Hosentasche, ob
auch noch Geld darin sitzt; gleichgültig betrachtest du dir die
Musikanten, die an der Bare plaudern und durchaus keine
Anstalten treffen wollen, eine neue Tour zu beginnen -- -- du
schwiemelst mit den Augen, du schwiemelt mit der Nase, mit
der Zunge, aber ja nicht mehr mit den Füßen, mit den Händen
-- -- du läßt dir vor aller Augen von deiner Tänzerin
Dinge gefallen, als wärest du gar kein Mann, sondern eine
Milchschwester oder eine Hebamme - du nickst, du fuchtelt
mit den laren Hüften, dein Kreuz thut dir nicht mehr weh, und
wenn Hunderte von Fäusten darauf tanzen würden -- -- es
_______________________
.... sich daher auf die „Hamburger Mühle“ und „Old Zack“ beschränkt. Deßungeachtet
kann es nicht immer verhütet werden, daß die Söhne Neptuns hier ihren Rowdyismus
einschmuggeln. Diese Renovierung der Elite ist jedoch nicht mit den Ladies
vorgenommen worden. Und das mit Recht; denn unsere schönen Orleanserinnen
sind überall genehm, mögen sie Hetären oder Pfarrerstöchter sein. -- Unter den hier
arrangierten fancy dress Bällen ist der „Masquerade Quadroom Ball“ der brillanteste,
aber auch gleicher Zeit der berüchtigte. Ein Analogon zu diesen Maskerad-Quadroom-Bällen
bilden in gewisser Hinsicht die Bälle von Madame P* an der Bayou Road,
wo sich die hohe Damenwelt von New-Orleans, die sich sonst nur auf den Bällen im
St.Charles Hotel präsentiert, im Geheimen in der lüsternen See der Venus vulgivaga badet.
So viel für Nicht-Orleanser. -
- 91 -
ist dir schon ganz gleichgültig, wie sich deine Nachbarin die
„Dress“ bis über's Knie hinaufstreift, um nach dem blauen
Fleck zu suchen, den sie beim Niederfallen während des Tanzes
davongetragen zu haben glaubt, -- da besteigt der Gott der
Musika mit seinen Jüngern zum Letztenmale das Catheder --
ein Präludium! hört Ihr's, der Fandango ruft Euch, erwacht,
erwacht, bevor Euch das Finale überrascht und ihr ganz „marode“ seid! --
Albert war nichts weniger als ein geübter Tänzer, ja er
verstand es nicht einmal, richtig anzutreten und Pas zu kreuzen: aber
wenn die Töne des Fandango an sein Ohr stürmten,
da hob er, da bog er, da wandt' er sich wie ein vollblütiger
Castilianer, er schnarrte und schnurrte wie ein Gaucho, er
drückte und rieb sich wie der Sphinr Atropos, der zur Zeit des
Liebeswehs so dünn und gelenk wie eine Wasserjungfer wird.
Das thut der Fandango!
Seht, sieht nur den Albert, wie ausgewechselt er jetzt ist!
Wie er der Shellroad Mary das grüne Netz auf den Nacken
wirft, wie er zurückfährt, wie sie auf ihn hinfährt, wie die Beide zusammenfahren!
Diese runden Ellenbogen, diese Augen -- Dieses bacchantische Alles!
Leihe Albert nur auf einen Augenblick deine Leier, mein
lieber Kranker in der Rue Amsterdam; du erhält sie gleich wieder:
„Alle Liebesgötter jauchzen
Mir im Herzen, und Fanfare
Blasen sie und rufen: Heil!
Heil der Königin Pomare!“
„Sie tanzt. Wie sie das Leibchen wiegt:
Wie jedes Glied sich zierlich biegt!
Das ist ein Flattern und ein Schwingen,
Um wahrlich aus der Haut zu springen.
Sie tanzt. Wenn sie sich wirbelnd dreht
Auf einem Fuß, und stille steht
Am End' mit ausgestreckten Armen,
Mag Gott sich meiner Vernunft erbarmen!“
„Also tanzt sie -- und es
Liebesgötter die Fanfare
Mir im Herzen, rufen: Heil!
Heil der Königin Pomare!“ --
Der Fandango war zu Ende.
Die Musikbande hatte ihre Instrumente theils in die
Etuis geschlossen, theils in die Ueberzüge gesteckt; sie gähnte,
wankte und sah sich gegenseitig mit schläfrigen Augen an.
Außer der Shellroad Mary hatten bereits alle Tänzerinnen das Ballroom verlassen.
- 92 -
Die Hands des Manager hatten vollauf zu thun, um die
herumliegenden Matrosen zum Aufstehen und Fortgehen an
zutreiben. Sie stießen sie zu diesem Zwecke mit den Füßen in
den Rücken, schlugen sie mit ihren Stäbchen unbarmherzig auf
den Kopf, wie es gerade ihre Lage aufdem Boden erheischte.
Die lustige Gesellschaft mit Albert an der Spitze war noch
immer hier. Sie waren bereits wieder nüchtern geworden und
schienen nicht im Geringsten mehr müde zu sein. -
Albert bestieg mit der Shellroad Mary, die mit ihm ganz
närrisch that, die eben von der Musikbande verlassene Platform
und perorirte von hier aus in pathetischer Weise die Bedeut
samkeit und Wichtigkeit eines Balles.
Die Shellroad Mary stand dicht hinter ihm und legte
ihren Kopf auf seine Schulter.
Sie war ein großes Frauenzimmer mit wunderbar langer
und ausgestreckter Taille und vollen, weichen Hüften -- mit
Füßen wie Bettina von Arnim, und Händen, wie sie kein Gott
schöner für seine Engel schaffen könnte.
Trotz ihrer bacchantischen Ausgelassenheit, wenn sich ge
rade eine außerordentliche Gelegenheit darbot, war auf ihren
Gesichtszügen jener ernste sinnliche Typus ausgeprägt, der um
so mehr anzog, als die Contraste von Ernst und Sinnlichkeit so
oft zum Deckmantel der Tugend und der Unschuld dienen müssen.
Dieser Typus war es, der Louis Bonaparte zu Fräulein
von Teba hinzog. Dieser Ernst war es,dem sie das kaiserliche
Diadem verdankte.
Hätte der Zufall die Shellroad Mary ein Fürstenkind
werden lassen, wäre sie statt am Mississippi am Seine Strand
geboren worden, die Lilien am Purpurmantel würden ihr eben
so gut gestanden haben als die goldenen Bienen der Mero
vinger. Kein Bourbone, kein Orleans, kein Napoleonide
brauchte sich ihrer zu schämen -- so aber heißt sie statt Ihre
kaiserliche königliche Majestät kurzweg die Shellroad Mary.
War nicht Maria Stuart, in der Art und Weise, wie sie ihren
Herrn Gemahl Franz II. anbetete, nur eine verkappte Shell
road Mary? Brantone, der ihr düsteres Abschiedslied
*) uns
_______________________
*) Bekanntlich beginnt es mit folgender Strophe:
„En mon triste et doux chant,
D'un ton fort lamentable,
Je jette un oiel tranchant
De perte irreparable;
Et cm soupirs cuisans
Passent mcs meilleurs ans.“
- 93 -
aufbewahrt, wäre er beim Anblick der Shellroad Mary nicht
in Verlegenheit gerathen, die eben solche Strophen singen zu
lassen? Vor diesem Dilemma schützt kein Stand, keine Würde.
Es gehörte nur die tölpelhafte Zimperlichkeit eines
Büchsenspanners dazu, sich von ihr nicht hingerissen zu fühlen.
Albert hingegen hatte mit seinen seinen üppigen
Fühlfäden augenblicklich das „Ewig Weibliche“ an der Shellroad Mary ausgefunden.
Um sich vor Verkältung zu schützen, hatte sie gleich nach
Beendigung des Fandango ein sogenanntes Monkey Jacket
von dunkelgrüner Seide, mit drei Reihen gelber Knöpfe, fest
um den Leib geschlossen. Ihre helkastanienbraunen Haare lagen
aufgelöst um Nacken und Busen, und ihren Kopfputz, der aus
einem grünen schillernden Kranze von feinen Metallblättchen,
mit weißen Schmelzperlen durchzogen, bestand, hatte sie vorne
angeheftet, da wo die Cupidofalte sich gegen die Hüften zu hinerstreckt. --
Wie sinnend hatte sie so ihren Kopf auf die Schultern
Alberts gelegt und mit ernster Aufmerksamkeit horchte sie auf
die Worte, wie sie von Albert von der Platform herab in französischer
Sprache an die lustige Gesellschaft und die noch wenigen anwesenden Gäste
gerichtet wurden.
Albert ließ sich auf folgende Weise vernehmen:
„Messieurs und Du meine liebe Tänzerin“ -- dabei gab
er der Shellroad Mary einen leisen Druck -- „Ehe Sie sich
nach Hause begeben, erlauben Sie mir, einige Worte der Beherzigung
und des Nachdenkens an Sie zu richten. Sie Alle,
wie Sie hier gegenwärtig sind, haben die ganze Woche mit
großer Mühe und unsäglichem Abquälen und Abmartern sich
die wenigen Dollars verdienen müssen, die Sie nun in Einer
einzigen Nacht geopfert haben. Werden Sie dies je bereuen?
Werden Sie ärgerlich darüber werden, wenn Sie in Ihre
Taschen fühlen und sie leer finden? Ist in Ihnen nach solchen
Lustbarkeiten je eine solche verschrobene Idee aufgetaucht und
haben Sie, statt über die Vergänglichkeit der Freuden dieser
Erde zu lächeln, ein mürrisches Gesicht gemacht, so erkläre ich
Ihnen hiemit, daß Sie sehr Unrecht gethan haben,
einen solchen Unsinn in sich aufkommen zu lassen. Der Reiz
des Goldes, Messieurs, liegt nicht im Aufheben und Zurück
legen, sondern im Verausgeben. Wer Nichts verausgabt, hat
auch kein Geld und wäre er so reich wie Crösus. Der Arbeiter,
welcher, um sich ein Vergnügen zu bereiten, ein paar Dollars
- 94 -
opfert, ist reicher, als McDonough und Judah Toure,
die ihre Summen in Baumwolle und Bauplätze stecken. Aller
dings mögen sich diese Herren auch nicht jedem Genusse entziehen,
aber er wird ihnen vergällt, wenn Sie an die Möglichkeit
und Wahrscheinlichkeit einer ausgelegten Spekulation
denken. Damit aber diese meine aufgestellte Behauptung einen
Anstrich von Wahrheit bekomme, so ist es unumgänglich nöthig,
daß man unverheirathet ist; denn das Geschrei und Gewinsel
der Bäbies vergällen Einem eben so sehr den Genuß, als das
Rasseln und Schleifen der Drays und der Anblick eines Boot
Manifestes. Sollten Sie, Messieurs, wie Sie hier gegenwärtig
sind, noch nicht verheirathet sein, so gebe ich Ihnen hiemit den
wohlgemeinten Rath, diese Farce zu unterlassen und Zeitlebens
Junggesellen zu bleiben. Lassen Sie sich nicht von der spöttischen
Benennung „Hagestolz“ irre leiten; denn ich kann Ihnen
mit Bestimmtheit versichern, daß dieses Wort nur eine Rache
der Ehemänner von Handwerk in sich enthält. Dieses Wort
haben gelbsüchtige Ehemänner erfunden, die dem Schmetterlingsleben
eines Junggesellen mit Gram und Aerger zusehen,
Weil auf ihrem Herzen der schwere Alp liegt, so verlangen sie
in ihrem Egoismus und grämlichen Neid, daß auch Alle von
diesem Quälgeister heimgesucht werden. Da sie aber dies nach
dem gewöhnliche Laufe der Dinge nicht vermögen, so suchten sie
dadurch ihre Rache auszuüben, daß sie eine solche Benennung
in die menschliche Gesellschaft eingeschmuggelt haben. -- --“
[LSZ - 1854.03.01]
Ein donnernder Beifall der Zuhörer bewies Albert, daß
er hier nicht umsonst so gesprochen. Freilich machte die lustige
Gesellschaft den meisten Spektakel, aber auch die verheiratheten
Hands des Manager stießen ihre Stäbe auf die Dielen des
Tanzbodens und bezeugten hiemit ihren ungetheilten Beifall. --
Unter den verspäteten Nachzüglern waren Albert und die
lustige Gesellschaft die Einzigen, welche noch im Stande waren,
auf dem Heimwege so ziemlich sichern Schritt zu halten. Die
Krisis ihres Beklommenseins war bereits nach dem Fandango
glücklich vorübergegangen und sie fühlten sich jetzt in der frischen
Luft so nüchtern, als hätten sie gar nichts getrunken. Nur
sah man den einen oder den anderen die Hand an die Stirne
drücken und die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchten.
Die Shellroad Mary hatte sie bereits zwei Squares vom
Louisiana Ballroom verlassen, da sie in dieser Umgegend bei
einer Freundin die Nacht zuzubringen versprochen hatte.
Küsse flogen hin, Küsse flogen her -- und die Shellroad
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Mary riß sich endlich aus den Armen Albert's los, dem sie
noch zum Ueberflusse und als Zeichen ihrer unbegränzten Anhänglichkeit
an demselbeu ein Paar Haare aus dem schwarzen Schnurrbarte gebissen hatte.
In Royalstreet angelangt, zerstreute sich die lustige Gesellschaft nach
den verschiedenen Quartieren der Stadt und Albert
ging nun allein die Straße entlang, wo er dann in St.Louisstreet einbog, um
sich von hier aus geraden Wegs nach Hause begeben, um doch wieder einmal in
seinem Bette zu schlafen.
Als Albert Rue des Ramparts passierte, bemerkte er in
geringer Entfernung zwei Männer, von denen der eine in plumpen
Gestikulationen dem Andern, der den Stab eines Wachtmanns
in der Hand hielt, etwas auseinanderzusetzen suchte. Als der
Erste von dem Letzteren beim Arme gefaßt wurde, vernahm
Albert folgende Worte, die ihm ein heiteres Lächeln abzwangen:
„Aber Herr Wachtmann, ich kann Sie versichern, daß
ich es nicht gewesen bin, der dem Victor die Läden eingeschlagen,
obwohl er es eigentlich schon längst von meiner Hand verdient
hätte; aber ich rechne nicht schon gleich von vorneherein mit
diesem Bösewicht ab -- denn ich schreib' mir. Alles nur hinter
die Ohren. Ich war von jeher kein Freund von Straßenscandal, am
allerwenigsten von Fensterscheiben einschmeißen oder
gar Laden zertrümmern. -- -- Lassen Sie mich ruhig gehen,
Herr Wachtmann, ich habe heut' einen so schlechten Tag verlebt, meine
Landsmännin, der Frenchman auf dem Louisiana Ballroom -- O, wenn Sie nur
Alles so genau wüßten, Sie würden mir viel eher ihr Beileid schenken, als
so grausam sein, mich schon wieder in die Calahoose stecken zu wollen, und zudem
sind Sie ja ein Landsmann von mir -- ein deutscher Landsmann, Herr
Wachtmann -- -- bedenken Sie doch, was das heißen will -- --!“
„Schon wieder in die Calaboose stecken? -- wenn Du
schon einmal im Loche geschnarcht hast, wirst Du wohl nicht zugut
sein, um es noch einmal zu probieren,“ entgegnete lachend
die Nachtwache. „Landsmann hin, Landsmann her, das geht
mich nichts an, alter Loafer -- marsch, marsch, mit in's Loch!“
„Albert, der das „alte Haus“ so gut kannte, wir irgend
einer von der lustigen Gesellschaft, ging auf die Beiden zu und
indem er dem Wachtmann ein paar Worte ins Ohr flüsterte,
ließ derselbe seine Hand vom Arme des Büchsenspanners los,
der, ohne sich vorher seinem Wohlthäter dankbar zu bezeugen, das Weite suchte.
„„Was fällt Dir denn ein, Charley, den armen Menschen
festzunehmen, um ihm morgen vor dem Recorder noch die
wenigen Cents aus der Tasche zu ziehen -- -- -- es giebt
genug reiche Loafers in der Stadt, die es hundertmal eher
verdienten, beigesteckt zu werden -- -- so macht es Du, so
macht's Ihr Alle, solche Kerls laßt Ihr ungeschoren, weil Sie
Euch einen Eagle in die Hand drücken können -- das kann so
ein armer Bursche, wie der Büchsenspanner aber nicht und
daher muß er brummen, und nur deshalb, weil er irgend
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Jemandem die Laden eingeschlagen haben soll. -- -- Da --
'hast Dudiese fünf Dollars -- es ist das letzte, was ich habe. --“
„Nichts für ungut“, erwiederte der Wachtmann - steckte
behaglich sein Geld bei und schlug mit seinem gewichtigen
Stocke dreimal nach Einander auf das Banquet, mit einer
solchen officiellen Miene, als hätte er nicht im geringsten seine
Pflicht als Retter des Vaterlandes verletzt. --
Nachdenkend legte Albert den noch übrigen Theil seine
Weges zurück. Als er in der Nähe der Claibornestraße an Einem der
Kirchhöfe vorbei kam, blieb er einige Augenblicke
stehen, nahm seinen Hut vom Kopfe und ließ sich von einer
heranstreichenden Golfbrise die heiße Stirne kühlen. Es war
eine ähnliche Nacht, wie damals, als er in der Nähe dieser
Kirchhöfe mit Claudinen spazieren ging und ihm sein aufteigender
Mißmuth dictierte, mit derselben zu schmollen. Ebenso
helle, wie damals, steuerte der Silbermachen des Mondes
durch den tiefblauen Ocean des Nachthimmels, ebenso wie
damals lag der golddurchwirkte Mantel leuchtend über der
Golfstadt. Fühlte sich Albert damals glücklich? War er es
heute? „Du bleibst dem Menschen ein ewiges Räthel“ flüsterte
er für sich hin, indem er seine rechte Hand zum Herzen
führte, „wer ist wohl im Stande, dich zu ergründen - du
Menschenherz? -- -- Bist du ein Himmel, warum verstößt
du deine liebsten Engel, die dich auf der Leiter der Sehnsucht
und Liebe erklommen? Bist du eine Hölle, warum säugst du
an deinem Busen die Unschuld, die Liebe, die Treue ? Bist du ein
Lamm, warum bist du oft so grausam wie eine Hyäne und scharrt
zu tränken? Bist du ein Tiger, warum haust du deine Krallen
nicht gleich in den Busen der Jungfrau, noch ehe sie zu ahnen
beginnt, daß es so ein Ding giebt, das man Liebe nennt? -- --
- du giebt mir keine Antwort, meine Worte verhallen umsonst; du
bist jetzt so ruhig, mein Herz, so zahm - wer weiß ob du nicht in
wenigen Stunden Schlangen ausbrütet ? Herz, mein Herz, bist du
vielleicht die Gabe einer schadenfrohen Gottheit, die es nicht ertragen kann, daß es auch außer ihr
noch Geschöpfe giebt, die glücklich sind - oder bist du diese
schadenfrohe Gottheit selbst, die nur giebt, um wieder zu entreißen, die
nur den Schmerz lindert, um ihn um so tobender
wieder zurück zu beschwören. -- Einerlei -- wer und
was du auch bist, wir sind nun einmal dazu verdammt, dich
unser Leben lang herumzutragen und wir können dich nicht
entbehren, außer wir bezahlen es mit dem Leben -- --“
„Es wird eine Zeit für Dich kommen,wo Du
anders sprechen wirst“, ertönte hinter ihm eine Stimme, die von einem
Manne kam, der eben an ihm vorbeiritt und seinem Pferde
die Sporen in die Weichen drückte.
„Soll das mir gegolten haben?“ dachte Albert bei sich,
als er sich erschrocken umwandte und dem Reiter nachsah. --
(Ende des zweiten Bandes.)
01 März 1854
Restauriert und bearbeitet aus Buch und Zeitung von
Peter R K Wagner - 2019