Geheimnisse von New Orleans


Buch ---- Band II Zeitung Daten
Band II
  1. 01 Feb 1854
  2. 02 Feb 1854
  3. 03 Feb 1854
  4. 04 Feb 1854
  5. 05 Feb 1854
  6. 07 Feb 1854
  7. 08 Feb 1854
  8. 09 Feb 1854
  9. 10 Feb 1854
  10. 11 Feb 1854
  11. 12 Feb 1854
  12. 14 Feb 1854
  13. 15 Feb 1854
  14. 16 Feb 1854
  15. 17 Feb 1854
  16. 18 Feb 1854
  17. 19 Feb 1854
  18. 21 Feb 1854
  19. 22 Feb 1854
  20. 23 Feb 1854
  21. 24 Feb 1854
  22. 25 Feb 1854
  23. 26 Feb 1854
  24. 28 Feb 1854
  25. 01 Mrz 1854

 



[LSZ - 1854.02.01]

Zweiter Band.

Erstes Kapitel.

Jenny und Frida.

    Unter all' den Tausenden, die uns jährlich die alte Welt sendet und die hier oft schon in kurzer Zeit die Nichtigkeit ihrer ersehnten Wünsche und goldenen Träume erlebten, verdienen gewiß die am meisten unsere innigste Theilnahme, denen jenseit des Oceans eine gewählte Erziehung und sinnige Bildung Herz und Gemüth veredelt und auch in den gewöhnlichsten Phasen des Lebens einen feinen Takt verliehen haben.
    Dem Manne, sieht er sein Glück auch zertrümmert und all' seine Hoffnungen an dem starren Felsen des unerbittlichen Egoismus zerschellt, geziemt es nicht, trostlos die Hände zu ringen und die heimathlichen Laren herauf zu beschwören. Ist er doch in einem Lande, wo die freie Entwicklung seiner materiellen und geistigen Kräfte den weitesten Spielraum hat, und wenn er heute arm und verlassen dasteht, so kann ihn morgen schon ein glücklicher Wurf in einen Wirkungskreis führen, der ihn seiner Umgebung geschätzt und unentbehrlich macht.
    Nicht so bei einem Weibe.
    Findet es in dem fremden Lande für das Gute und Schöne, das es in der alten Heimath zurückgelassen, keinen Ersatz, oder haben es widrige Umstände und die gewöhnlichen Verknüpfungen des prosaischen Lebens aus dem Sonnentempel seiner Anbetung und Verehrung herabgestürzt, so kann es wohl seinen Thränen freien Lauf lassen und sich nach dem heimathlichen Heerde mit doppelter Glut und dem innigsten Verlangen zurücksehnen. Dasjenige Weib beginge ein Verbre chen, das der Sicherstellung seiner Existenz den Zaubergarten seines Herzens, in dem die heimathlichen Blumen knospeten und blühten, opferte oder das mit klugelnder Vorausberechnung den geregelten Abschluß eines Lebens von gesicherten Existenzmitteln besitzt machen wollte -- dem es leicht sein würde, die

 

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Herzensfasern, die es noch an den Mährchentraum früherer Tage ketten, zu durchschneiden. --
    Es giebt nichts Erhabeneres und Majestätischeres, als ein Frauenherz, das auf fremdem Boden aus ungestillter Sehnsucht verblutet; es ist aber auch nichts so verächtlich und verbrecherisch, als das Herz eines Weibes, das mit bitterem Hohne seiner Heimath gedenkt und sich brüstet, wenn es ihm gelungen, dieselbe verläugnet zu haben. --
    Dem Manne können unsere Sterne im blauen Felde Ermuthigung und wohl auch Begeisterung abgewinnen; denn er denkt dabei an die Größe einer Nation, die dazu berufen ist, ihre Segnungen über den ganzen Erdball zu verbreiten. Aber das Weib? Das Weib sieht in den Sternen unsers Banners nur die Sterne, die ihm einst in der Heimath vom wolkenlosen Himmel entgegen geleuchtet und unendliche Sehnsucht in's Herz gezaubert haben. Was kümmert es die Größe einer Nation! die Größe und der Reichthum seines Herzens sind es, die sein Leben ausfüllen und die es ermuthigen und stählen. --
    Jenny und ihre Schwester Frida sind die Passionsblumen einer altadeligen, ursprünglich sehr reichen und begüterten Familie. Ihr Vater war Einer der ersten Kronbeamten an einem süddeutschen Hofe und somit auch Standesherr.
    Der hohe Adel in der Residenz schied sich damals in zwei Partheien, die sich beständig befehdeten und gegenseitig den Rang in Erwerbung von Hofämtern, Kronstellen und andern bedeutenden Chargen abzulaufen bemüht waren. Die Eine, die protestantische Parthei, war die schwächere und zählte nur wenige, die von dem regierenden Fürsten begünstigt waren; die Andere, die katholische oder eigentliche Hofparthei, die von den früheren Ministerialen des Churfürstenthums abstammte und durchschnittlich begüterter und reicher war, als die protestantische, führte bei allen Vorkommnissen des Hofes den Vorsitz und ihre Glieder hatten so ziemlich alle bedeutenden Civil- und Militair-Aemter in Händen.
    Der Vater der beiden Schwestern war Protestant und somit die Zielscheibe der Intriguen und Kabalen der katholischen Adelsparthei. --
    Nur den Bemühungen der Herzogin von Braganza, die sich damals längere Zeit in der Residenzstadt aufhielt, in Verbindung mit dem Herzog von L*, gelang es, die Intriguen dieser Parthei zu durchkreuzen und so wenigstens noch einige Jahre dem Vater Jenny's und Frida's seine Stelle zu erhalten.

 

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Diese Begünstigung hatte er übrigens seiner Gattin, einer gebornen Italienerin, aus dem berühmten Geschlechte der Bernardi Taron, zu verdanken, die mit Donna Maria da Gloria, wenn auch in weiter Verzweigung, versippt war. Glühend für die Grundsätze und den Glauben ihrer Kirche, hatte sie die Herzogin von Braganza, die eben so strenge an ihrer Kirche festhielt, zur innigsten Freundin gewonnen und daraus erklären sich die Anstrengungen der Letzteren, dem Standesherrn in Betreff der Behauptung seiner Würde behülflich zu sein. --
    Aus den Kinderjahren der beiden Schwestern treten uns keine wichtigen Momente entgegen, wenn man nicht das Ereigniß hervorheben will, daß sie mit ihrem sechsten Jahre zur katholischen Religion übertraten. Es geschah dies auf den ausdrücklichen Wunsch des regierenden Fürsten, der sich auf eine mehr als protegierende Weise für die beiden hübschen Engelsköpfchen interessierte. Das Beste, was die Kinder durch diesen Act gewannen, war, daß sie dem Herzen ihrer Mutter näher gebracht wurden.
    Bis zu ihrem eilften Jahre standen sie unter der Obhut einer vortrefflichen Gouvernante, deren Herzensgüte und reines Wohlwollen einen günstigen Einfluß auf die beiden Schwestern ausübte.
    Nach dem plötzlich erfolgten Ableben ihrer Erzieherin brachte man sie in das adelige Pensionat der Residenzstadt, woselbst sich Herz und Geist auf die schönste Weise entfalteten und veredelten. Mit Prämien überhäuft, verließen sie dasselbe in ihrem sechszehnten Jahre und wurden nun nach dem herkömmlichen Gebrauche in die große Welt eingeführt.
    Umschwärmt und umgaukelt von jungen und bejahrten Cavalieren, waren sie die Königinnen auf den Bällen, wo nur immer solche veranstaltet wurden. Wo Jenny und Frida erschienen, war ein Schwarm von Anbetern um die versammelt, die sich in ihrem Jugendglanze wärmten und sonnten. Doch war es bis jetzt noch Keinem gelungen, die Aufmerksamkeit Einer von den beiden Schwestern auf sich zu ziehen. Ihre redselige Liebenswürdigkeit und ungebundene Naive tät, die nie die Grenzen der Anmuth überschritten, entzückten und bezauberten; sie machten aber auch die sentimentalen Schwärmer rasend und verzweifelt.
    Die Fama der Haute Volée bezeichnete bald diesen, bald jenen als den Bevorzugten der beiden Grazien; ja, man ließ

 

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hie und da schon die bedenklichsten Vermuthungen laut werden, die, wenn nicht zur gehörigen Zeit unterdrückt, die Unbescholtenheit der beiden Schwestern in Gefahr bringen mußten. --
    So wurde man aber an einem schönen Tage mit der verzweifelten Neuigkeit überrascht, daß zwei Stiftsdamen mehr in der Residenzstadt seien, die das Ordenskreuz der heiligen Anna trügen.
    Bei dieser so unerwarteten Nachricht waren alle Heiraths candidaten und ebenbürtigen Courmacher wie vom Blitze getroffen und liefen verzweifelt von einem Antichambre und von einem Boudoir in das Andere, um die so entsetzliche Kunde mit Windeseile zu verbreiten und ihren Herzensergießungen freien Lauf zu lassen.
     Als aber nicht lange nachher bekannt wurde, daß der Vater der nunmehrigen Stiftsdamen vom Orden der heiligen Anna, beim alten Fürsten in Ungnade gefallen und für seinen zerrütteten Finanzzustand in Zukunft keine ausgleichende Hand zu hoffen blieb, beruhigten sich die entsetzten Gemüther schnell wieder und sahen sich nach den Blumen anderer Zonen um. --
    Wo aber Venus ihre Augen zu Boden schlägt, da nimmt Amor die schärfsten Pfeile aus seinem Köcher hervor und endet sie sicher und geübt, am liebsten in den unbefleckten Schooß.
Wo Amor im Hinterhalte liegt, mögen sich Himmel und Hölle verschwören, -- er wird sie allein mit dem sanften Rauschen seines Flügelpaares zu Boden werfen. Er baut sein Nest so gut unter die nackten Balken einer Bauernhütte, als unter die vergoldeten Schwibbbogen eines Thronsaales. Er kichert ebenso schelmisch aus dem Busentuch der Schnitterin, als aus den Falten des Purpurmantels einer Königin. Er fliegt ebenso gut gelaunt in den Schooß einer Bajadère, als in den einer Priesterin der Vesta. -- -- -- -- --
    Es war einer der glänzendsten Galatage, die der Hof noch je gesehen. In der Hofcapelle wird das bei solchen Gelegenheiten übliche Hochamt abgehalten. Der Erzbischof selbst in vollem Ornate, eingehüllt in den reich mit Brillanten besetzten, goldgestickten Rauchmantel, präsidiert am Altare. Seine Ministranten sind zwei Suffraganbischöfe; denn der hier versammelte Hof, umgeben vom hohen Adel und den höchsten Würden trägern, duldet es nicht, daß der niedere Clerus vor ihren Augen fungiere.
[LSZ - 1854.02.02]
    Da -- -- in dem nemlichen Augenblicke, als der Hohepriester der allein seligmachenden Kirche das Allerheiligste

 

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emporhebt, um es der Menge zu zeigen, begegnen sich zwei Blicke, die sich früher nie gesehen und nun in verzehrenden Feuer auf und niederflackern. Einer der Pagen des Hofes, die, mit Wachskerzen in der Hand, an den untersten Stufen des Altars stehen, sieht in die tiefblauen Augen einer jungen Dame, die, kaum zwei Schritte von ihm entfernt, eben auf die Kniee niedersinkt und statt zum Allerheiligsten aufzusehen, den himmelblauen Augen des blonden Edelknaben begegnet.
    Die junge Dame trägt das schwarzjammetne Ordenskleid einer Stiftsdame. An dem breiten hellblauen seidenen Band, das über ihren Busen läuft, flimmert im reinsten Email das Ordenskreuz der heiligen Anna.-- -- -- --
    So zogdie Liebe in Jenny’s unbeflecktes Herz, um später auf fremdem Boden und tausende von Meilen vom Altare ihrer Verehrung entfernt,an Emil, dem blonden leidenschaftlichen Pagen, einen treulosen Gatten zu finden.
    An jenem Tage streifte Jenny das Ordenskleid von sich; denn es war ihr zu eng für das tobende, zitternde Herz. --
    Für den Standesherrn war dieser Tag der Letzte, an dem er seinem Fürsten zur Seite stand.
    Die Verleihung des St.Annen Ordens an seine beiden Töchter, die mit einer bedeutenden jährlichen Präbende begleitet war, schien die ganze Entschädigung für sein nunmehr einge büßtes Amt.
    Sein Vermögen selbst war unbedeutend und kaum im Stande, den Forderungen des Lebens in einer Residenzstadt zu genügen.
    Wie höchst unangenehm mußte es daher den Vater der beiden Schwestern betreffen, als ihm Jenny eines Tages entschlossen entgegenkam und bemerkte, daß sie aufgehört habe, Stiftsdame zu sein, da der junge Graf Emil* der Verlobte ihres Herzens sei.
    Der alte Standesherr, anfangs erzürnt,da Emil unvermögend war und nur auf ein rasches Avancement im Staatsdienste hoffen konnte, und das erst, wenn er die Pagerie verlassen und seine academischen Studien vollendet -- fügte sich in den Entschluß seiner Tochter, da er deren Charakter nur zu wohl kannte und auch einsah, daß mit Gewalt hier nichts auszurichten sei, indem er sich dadurch nur das Herz eines Kindes entfremden würde.
    So schickte er sich denn in das Unvermeidliche und als ihm Jenny ein Jahr später den Wunsch ausdrückte, in Begleitung

 

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von Emil’s Bruder und Frida's mit ihrem Verlobten nach Amerika überzusiedeln, traf ihn zwar dieser doppelte Schlag etwas hart, aber er gab seine Zustimmung. Eine beträchtliche Summe, die sie in den Stand setzen sollte, sich in einer der südlichen Staaten anzukaufen, wurde durch eine unerwartete Zugabe der Mutter noch bedeutend erhöht, so daß ihnen nichts mehr im Wege stand, die ferne Reise über den Ocean anzutreten. --
    Es dringt in neuerer Zeit von unsern Ufern eine geheimmißvolle Stimme hinüber in die alte Welt, die selbst von ihren verzogensten Kindern gerne gehört wird. Diese macht Columbia oft matt und krank und sie sehnen sich wieder zurück nach ihren Hausgöttern; aber Andere werden auf dem transatlantischen Boden gekräftigt und wachsen im rastlosen Streben wie Riesen heran. An jenen scheint die neue Welt das unterdrückte Volk zu rächen; diese nimmt sie freudig in ihre Arme und zeigt ihnen willig die Wege, die sie wandeln müssen, um früher er duldete Erniedrigungen zu vergessen. -- -- --
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    „Ich war dort; nie habe ich eine solche Nacht gesehen.
    „Es waren nicht mehr Sterne, was man am Himmel sah, mein Herr, es war Goldstaub. Das Meer war durch einen Wind so angenehm und leicht gerunzelt, daß man ist keinen andern wünschen würde, um in's Paradies zu gehen.
    „Das war nicht Alles. Das Schiff schien die Wellen zu entzünden, indem es dieselben theilte.
    „Es war nichts zu thun. Das Schiff ging alle Segel außen, Topmast und Beiegel im Winde, wie ein junges Mädchen, das Sonntags in die Messe wandelt.
    „Ich neigte mich über die Wand hinaus und schaute in's Meer.“
Tausend und ein Gespenst)
    Der wohl gekupferte Dreimaster „Guttenberg“ verließ seinen Ankerplatz. Eine günstige Brise trieb ihn in kurzer Zeit durch den Canal, der die hochgethürmten Kreidefelsen des stolzen Albions von der blühenden Normandie trennt.
    Als er auf der Höhe von Lissabon schwamm, waren seit seiner Ankerlichtung noch nicht volle zwei Tage verstrichen. Vergnügt rieb sich der Capitain die Hände; denn es war die erste Fahrt, die der „Guttenberg“ nach New-Orleans unternahm.
    Die Schiffsmannschaft hatte gute Tage. Einige lagen in halbaufgerichteter Stellung auf dem Rettungsboote und floch ten oder banden Taue; andere wieder rauchten aus kurzen Tonpfeifen, gefüllt mit zerschnittenen Primchen. Wieder andere

 

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plauderten mit den schönen jungen Bauernmädchen oder tändelten mit deren langen Zöpfen und hielten Musterung an den steifen Miedern und den silbernen Ketten und Gulden, mit denen dieselben behängt waren.
    Der Sohn des Untersteuermanns, ein Junge von acht Jahren, saß auf dem Nacken des „Guttenberg“, der wohlgeschnitzt, mit einem Buch in der Hand, das Vordertheil des Auswandererschiffes zierte und sein Gesicht dem Westen zuwandte.
    Ein phantastischer Freischärler aus dem schleswig-holsteinischen Kriege in blauer Blouse mit hochstehendem schwarzroth goldenem Kragen warf eine fingersdicke Angel nach den das Schiff umkreisenden Delphinen aus. Mehrere Kinder, Knaben und Mädchen saßen auf dem Rande des Backbords und klatschten in die Händchen, so oft sich ein Zug fliegender Fische über die Wasser des Oceans erhob und im blinkenden Silberbogen wieder verschwand.
    An den Tauen und übergespannten Seilen hingen die vom Salwasser gelb gewaschenen Hemden und Strümpfe der Zwischendeckspassagiere und schaukelten sich im herrlichen Winde. -- Am wolkenlosen Himmel brannte die Sonne und erweichte die Theerüberzüge am Tackelwerk und an den Dielen der Decke. Aber ihre Strahlen verletzten nicht; denn der Wind, der die Segel blähte, führte auch Kühlung über die gerötheten und verbrannten Gesichter.
    So blieb es Tage, Wochen. Lange schon bliesen die Paasstwinde dem am Steuer stehenden Matrosen in den Rücken -- immer und immer noch die glückliche und günstige Fahrt.
    Auf den Fluthen des Saragossameeres schwamm der räthselhafte Beerentang, ohne Heimath von Well' und Wind dahingetrieben ....
    Der Stern des Schiffes änderte sich jetzt plötzlich und als man in den Windwardscanal fuhr, hörte der Wind auf die Segel zu blähen und die Luft athmete nicht mehr.
    Am Cap Henry lag der Kiel des Schiffes bereits steif im Ocean.
    So wird es oft auch Windstille im Herzen des Menschen, ob es gleich eine Zeitlang in Haft und Eile auf der Fluth seiner Wünsche und Hoffnungen dahingetrieben wird, und noch ehe es im Hafen der Glückseligkeit Anker geworfen. -- -- --
    Wenn widrige Winde das Laviren auf der Seenothwendig

 

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machen, so theilt sich den Passagieren ein böser Mißmuth mit, der alle gute Laune verbannt und jedwede Ermuthigung zurückweist. In viel höherem Grade findet dies bei einer Windstille Statt. Wer kein Neuling auf der See ist, wird sich gewiß noch des unangenehmen Eindruckes erinnern, den die oft Wochen lang dauernde Todtenstille in der Region der Calmen auf ihn gemacht hat.
    Beim Laviren theilt die Bewegung des Schiffes doch noch etwas Elasticität unserm Geiste mit. Aber bei einer Windstille ist man todt bei lebendigem Leibe.
[LSZ - 1854.02.03]
    Ein solches widerliches Mißbehagen fühlten damals die Deckpassagiere des „Guttenberg“. Sie lungerten und lagen allenthalben herum, sie standen auf, um sich wieder hinzusetzen; warfen dann wieder einen trostlosen Blick in die stille See, gafften den Himmel an, krochen in ihre Kojen oder schimpften mit den Matrosen, die ihnen Geräthschaften oder seltene Lebensmittel weggenommen. Nur wenn sie sich Frühmorgens, Mittags und Abends mit ihren hölzernen Trogen und blechernen Kaffeekannen an der Küche herumfließen, balgten und sich gegenseitig wegdrängten, war etwas Leben unter die guten Leute gekommen.
    Die Kajüte gewährte einen ganz andern Anblick.
    Hier war durch irgend einen Zufall eine Gesellschaft der auserlesensten Art zusammengetroffen; eine Seltenheit, die der Erwähnung werth ist.
    Den Capitain, die beiden Steuerleute und den Steward des Schiffes ausgenommen, war die Kajüte nur von sechs Personen besetzt. Ein ungarischer Offizier, der noch vor Kurzem in einem Husarenregimente in Effeck diente, ein deutscher Architekt, ein deutscher Cavallerieoffizier, ein Candidat der Jurisprudenz und Einer ohne Metier, aber von nicht geringem Wissen und einer angenehmen Art, sich ohne Zudringlichkeit der Gesellschaft beliebt und unentbehrlich zu machen.
    Außer diesen befanden sich noch zwei Damen hier, deren anmuthiges, liebenswürdiges Benehmen über die ganze Gesellschaft einen gewissen Reiz ausgoß, so wie der Mond einer Gegend, die sonst keine Schönheiten zeigt, oft einen außerordentlichen Zauber verleiht.
    Es waren Jenny und Frida, vor drei Jahren auf ihrer Reise nach Amerika begriffen.
    An der Seite der Ersteren saß Emil. -- Frida war von des Letztern Bruder ihrem jungen Vetter in die Mitte

 

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genommen. Der Architekt, der von ihm Albert genannt wurde, nannte ihn in brüderlicher Revanche Karl.
    Wir haben Karl in spätern Jahren in Algier kennen gelernt und gesehen, wie zärtlich die beiden Schwestern dem lebensfrohen Mann mit seinen freundlichen Augen entgegen kamen. Auch er hatte sich entschlossen, mit seinen Cousinen in die neue Welt zu wandern.
    Was später aus Albert geworden, und in welche Gemüthszerrüttung ihn sein eheliches Verhältniß zu Claudinen gebracht, ist uns bekannt.
    Albert, der nie von der Seite Jenny’s gewichen und Karl, der Frida auf dem „Guttenberg“ nie verließ, hatten ihre stille Neigung mit nach Amerika genommen und in welcher Weise sich dieselbe in weiterer Zukunft von dem Augenblicke an, wo wir sie damals gelassen, entfaltet, gehört ihrer Lebensgeschichte späterer Jahre an.
    Frida verhehlte ihre Neigung dem jungen Husarenoffizier nicht, so wie sie von dem Bruder Emil’s zu einem innigeren Verhältniß aufgemuntert wurde. Derselbe drang sogar auf eine Verbindung, die auch bei ihrer Ankunft in der neuen Welt nach einigen Wochen schon bethätigt wurde. --
    Hier, Angesichts der gespensterhaften Gebirgsformation der Insel Haiti hatte Jenny jenes bedeutungsvolle Traumgesicht, das sich an Emil, wenn wir Hiram gedenken, theils schon erfüllt hat, theils vielleicht noch in spätern Jahren seine volle Deutung erhalten soll. --
    Es war in einer jener windstillen Nächte am Bord des „Guttenberg“, als Jenny mitten in der Nacht in ihrer Koje erschreckt aus dem Schlafe auffuhr und nach ihrem Gatten ihre Hände ausstreckte und ihn ungestüm in die Arme schloß. Emil, auf's höchste überrascht, besiegelte die Lippen eines Weibes mit tausend Küssen. Heiße Thränen, die aus Jenny's Augen auf eine Wangen niederbrannten, brachten ihn in peinliche Unruhe, bis ihm die erschreckte Schläferin ihren Traum mittheilte.
    Damals lachten, als es wieder Tag wurde und sie auf dem Decke vergnügt beisammen saßen, Beide über ihren kindischen Schrecken und ihr abergläubisches Herz. Emil hatte wohl noch keine Ahnung -- eine Trennung von seiner Jenny hätte ihm unmöglich geschienen. Aber Jenny dachte oft noch darüber nach und forschte bei Zeiten tiefer, als

 

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es ihrer Ruhe günstig war, über das absonderliche Traumgesicht.
     Aus Jenny’s Tagebuch entnehmen wirfolgende rührende Schilderung:
    „Wenn ich jetzt, wo mir ein verrufenes Weib meinen Emil geraubt, auf die vergangenen Tage der Liebe und des friedlichen Zusammenlebens zurückblicke, so steigt immer wieder jenes Traumgesicht aus meiner Seele auf, das mir vor wenigen Jahren, als unser Schiff regungslos zwischen den Antillen lag, so großes Entsetzen verursachte. Hätten dich doch damals die Stürme zerschellt, Segler aus dem lieben Deutschland! O, daß du an ein zackig' Riff gestoßen wärest und hätte der Blitz auf unser Herz geschrieben: „Sie liebten sich bis zum Tode.“ ...
    „Emil, Emil! Es ist sehr spät, indem ich diese Zeilen niederschreibe. Frida schläft bereits seit einer Stunde; sie träumt vielleicht eben von dir, von unserer versunkenen Liebe und dem vergangenen Glück. Denkst du noch an jene Nacht, wo du in deine aufgeregte Jenny drangst, dir den wüsten Traum zu erzählen? Nein -- du wirst es schon längst vergessen haben -- liegst du vielleicht in diesem Augenblick in den Armen der Leidenschaft? So schaue es noch einmal dieses unglückweissagende Nachtgesicht, und werden dir je diese Blätter zu Gesicht kommen, so mögen sie deine Thränen benetzen.
    „Bis nach Mitternacht blieben wir auf dem Kajütendecke vergnügt und heiter bei Einander. Karl ergötzte uns mit seinem frischen Humor und spann seine Pläne, die er in der neuen Welt auszuführen gedachte, bis auf Jahre hinaus. Luftschlösser wurden gebaut und wieder niedergerissen, um anderen Platz zumachen. Häusliches Glück beschrieben und Verbindungen geschlossen. Emil’s Bruder, der einst so schmucke Cavallerieoffizier, hieb schon tausende von Mexikanern zusammen und sah seinen Namen glänzen unter den Heroen der Republik. Albert, der Architekt, führte die schönste Projection für einen Kenotaph Washington's aus und hörte seinen Namen mit Anerkennung im weißen Hause nennen. Der Ungar schwärmte für Frida, d.h. er faß die halbe Nacht neben ihr und sprach kein Wort. Mein Emil, als Rechtskundiger, zog den Advocatenstand auf seine Seite und glaubte sich dadurch die Bahn zu einem Senator oder doch allerwenigstens zu einem Repräsentanten des Volkes zu brechen. Ich? ich nahm an alledem herzlichen Antheil, doch im Stillen vertrieb ich den Ehrgeiz und malte mir

 

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eine Idylle auf einer Plantage aus. -- Wir verließen das Deck, nachdem wir noch vorher den Wunsch unsers Capitains entgegengenommen, gut zu schlafen und frisch und heiter wieder zu erwachen.
    „Emil schlief bald ein. Ich mag wohl noch eine Stunde gewacht haben; dann senkte sich der Schlaf auf meine Augenlider, um mich für das unaussprechliche Glück, das ich in der Wirklichkeit genoß, die schwarzen Schatten der Traumwelt erblicken zu lassen:
    „Ich befand mich allein auf dem Schiffe. Nirgends ein lebendes Wesen. Schwarze Wolken hingen vom Himmel und schienen die Masten zu berühren. Beängstigt lief ich umherund rief nach Emil -- doch er hörte mich nicht. Meine Angst überstieg alle Grenzen. Ich kletterte auf die Masten und schrie von ihnen herab in den weiten Ocean den so theuren Namen Emil. Aber der alte Ocean schien meiner zu spotten, ich hörte nur ein Murren und vernahm ein schweres Athmen. Seine Wellen sah ich nicht -- es war ja so finster! -- -- Als ich so jammernd und rufend eine Strickleiter nach der andern bestiegen, einen Mast nach dem andern erklettert, sah ich plötzlich nach der Gegend hin, wo die Insel Haiti aus den ewigen Flurthen steigt, eine riesengroße Gestalt mit einem bleichen, bleichen Antlitz, mit grauen, zerrauften Haaren und magern abgewelkten Händen, die sich krampfhaft zusammendrückten und dann wieder in fürchterlicher Länge ihre Finger auseinander spreitzten. Dann hob die endlose Ketten, die vor ihr lagen, empor und zerschlug sie an den Felsen der Gebirge. Ich hörte sie rasseln -- und so laut, als wären sie vor mir niedergefallen. Vom Gebirge herab sah’ ich -- -- -- O, meine Sinne schwinden mir noch jetzt, wenn ich dieses Bildes gedenke -- -- Emil, meinen Emil an der Hand eines jungen schönen Weibes mit langen schwarzen Haaren und großen blitzenden Augen. Sie gingen auf die riesenhafte Gestalt zu und verneigten sich vor ihr. Dieselbe breitete segnend ihre Hände über sie und führte ihre Lippen zum gegenseitigen Kuß. Es war so finster um mich und doch konnte ich Alles so deutlich überblicken. Ich sah die schwarzen, blitzenden Augen des Weibes und die himmelblauen Augen meines Emil, der entzückt an ihrem Munde hing ... dann verschwand dieses Gemälde. Ein Feuer-Streifen zog jetzt über die Insel hin, der Millionen von schwarzen Männern erleuchtete -- sie schweiften in langen, unabsehbaren Reihen, blutrothe Fahnen stiegen empor und rauschten wie Ströme

 

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vergossenen Blutes, und erhaben über diese Schaaren sah ich wieder jenes verhängnißvolle Weib mit Emil und vor ihnen schritt die abgemagerte Riesengestalt, eine ungeheure Wage in der knöchernen Hand -- -- dann hörte ich wieder Ketten rasseln und zerschellen -- -- dann -- -- O ich glaube gar, ich konnte ihnen hunderte von Meilen nachsehen, sie zogen an unsere Küste, -- dann erscholl lautes Geschrei und ich vernahm rauschende, wilde Gesänge, wie sie aus den Kehlen der Sieger nach gewonnener Schlacht dringen. -- -- Dann, O das Ende dieses Traumes ist so düster -- meine Feder weint -- Emil war auf immer von mir getrennt! Ist es wirklich so? Und doch war es ein Traum! -- -- --“
[LSZ - 1854.02.04]
    Noch mehrere Blätter aus Jenny’s Tagebuch liegen zerstreut vor uns. Viele sind verloren gegangen und mit innigstem Bedauern müssen wir bemerken, daß es gerade diejenigen sind, die aus den Zeiten des Glückes und der liebevollen Hingebung stammten.
    Unter den vor uns liegenden sehen wir eine unvollendete Skizze der weitern Seereise bis zu ihrer Ankunft in New-Orleans und dem ersten Auftreten und Wirken der befreundeten Gesellschaft. Wir sehen daraus, daß sich Jenny mit Frida und ihrem Gatten die ersten drei Monate im St. Charles Hotel aufgehalten und dann mit Letzterem ein niedliches Häuschen an der Apollostraße bezog, das Emil auf einer Auction für dreitausend Dollars erstanden hatte.
    Die Befreundeten des „Guttenberg“ hatten sich durch gegenseitigen Besuch und harmonisches Zusammenwirken, besonders wo es galt, die Schwierigkeiten der fremden Verhältnisse und Verbindlichkeiten zu überwinden und sie auf die best möglichste Weise zu ordnen, Einander unentbehrlich gemacht. Frida, die nunmehrige Frau des ungarischen Husarenoffiziers, der trotz der Einwendungen Jenny’s und Karls eine Civilehe geschlossen, hielt sich fast den ganzen Tag über bei ihrer Schwester auf, da ihr Gatte die meiste Zeit bei einem Geschäfte beschäftigt war, das in einer Cigarrenfabrik bestand. Frida schien die erste Zeit glücklich und zufrieden. Aber Jenny, die in den Augen Frida's zu lesen verstand und der nicht die geringste Gemüthsbewegung der geliebten Schwester entging, bemerkte gar bald, daß die Ehe für Frida keine Himmelsleiter sei, um auf ihr die Glückseligkeit zu ersteigen. --
    Vetter Karl war es gleich anfangs gelungen, auf einem Mobile Boote als Clerk engagiert zu werden, was er zum Theil

 

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der zufälligen Bekanntschaft mit dem Eigner jenes Schiffes, zum Theil auch seiner bereits sich in Deutschland angeeigneten Kenntniß der englischen Sprache verdankte. Er erhielt die für einen Neuling in der fremden Welt ganz artige Summe von hundert Dollars per Monat. Bei der jedesmaligen Ankunft des Bootes unterließ er nie, Jenny und Frida zu besuchen und bald wohnte er im Hause jener bald dieser. --
    Albert, der junge Architekt, hatte die erste Zeit mit bedeutenden Schwierigkeiten zu kämpfen, bis es ihm endlich nach vielem Mühen gelang, eine Stelle als Zeichner beim Bau eines bedeutenden Gebäudes in New-Orleans zu erlangen. Ungeachtet seiner rastlosen Thätigkeit behielt er doch noch immer so viel Zeit übrig, von der verbotenen Frucht zu naschen, und so kam es denn, daß er auf einem seiner Liebeswege die Bekanntschaft des liebenswürdigen Fräuleins Claudine de Lesuire machte, die von ihrer alten Tante verhätschelt und verzogen wurde. Doch versäumte er es dabei nie, seine regelmäßigen Visiten in dem Häuschen an der Apollostraße abzustatten. -- --
    So verstrich ein Jahr. Emil, der mit der bedeutenden Summe, über die er noch zu verfügen hatte, nach dem Wunsche Jenny's -- und wie es bereits in Deutschland vorausbestimmt war, eine kleine Plantage ankaufen sollte, war, nachdem er seine Gattin von einem Monat auf den andern vertröstet, seinen bisherigen Vorsätzen untreu geworden und verschleuderte mit seinem Bruder und dem bereits banquerott gewordenen Ungar in wüsten Gelagen und an verdächtigen Orten einen großen Theil der Gelder. Die gute Jenny, der dies Benehmen ihres Gatten kein Geheimniß blieb, versuchte. Alles mögliche, ihn wieder auf die rechte Bahn zurückzuführen. Auf eine solche Zurechtweisung, die von ihr stets auf höchst zarte Weise geschah, schien es dann, als ob Emil wieder in das Geleise seiner Pflicht zurückgeführt war. Er beschwor sie, ja er weinte sogar ganze Nächte an ihrem Halse.
    Aber worüber weinte er? Er weinte, daß er seine Gattin nicht mehr so lieben könne, wie bisher; er weinte, daß er nicht die Kraft in sich fühlte, ihr dies zu gestehen. -- --
    Für ihn und für Jenny war es bereits zu spät.
    Lucy Wilson hatte ihn in ihre Netze verstrickt.
    So wurde das Häuschen an der Apollostraße von ihm bald verkauft, da sich die Bedürfnisse Lucy’s und die Ausgaben in Mulattoes' Settlement steigerten und dafür ein Haus in

 

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Algiers um die weniger als halbe Kaufsumme des besessenen Eigenthums eingerichtet.
    Um diese Zeit lohnte der Ungar die Freigebigkeit Emil's damit, daß er plötzlich aus New-Orleans verschwand und die arme Frida ihrem Schicksale überließ.
        Wie es aber im Leben gewöhnlich zu geschehen pflegt, daß, wenn sich einmal ein Unglück ereignet, bals ein zweites und drittes nachfolgt, so war es auch hier.
    Während der wüsten Orgien in Mulattoe's Settlement gerieth Emil’s Bruder wegen eines reizenden Quadroonen Mädchens mit einem mexikanischen Desperado in heftigen Streit, wobei er erdolcht wurde. Dieser Vorfall brachte Emil auf einige Zeit von seinen gewohnten Ausschweifungen ab und als ihm ein Brief aus Deutschland zukam, worin man schrieb, daß seine Eltern wegen der wiederholt drohenden Anzeichen einer kommenden Revolution, entschlossen wären, in Bälde den heimathlichen Boden zu verlassen, so schien er geneigt, eine Verhältnisse mit Jenny wieder zu ordnen und die Verbindung mit Lucy aufzugeben.
    Den Brief hatte er seiner Gattin verheimlicht.
Der glühende Sinnenrausch, in dem ihn Lucy gefangen hielt, war jedoch nur zu gut geeignet, Emil wiederholt zum Renegaten seiner Gefühle und Vorsätze zu machen.
    Nach vielem Hin- und Herschwanken vermied er endlich Jenny ganz und kam nie mehr nach Algiers hinüber.
    Doch Jenny's liebendes Herz gab ihn nicht auf.
    Wer hat noch je die geheimen Herzschläge eines liebenden Weibes belauscht? Schwäche und Charakterlosigkeit sind die Harpyen, die die triviale öffentliche Meinung gegen ein armes Weib losläßt, das in diesem Falle so handelt, wie Jenny.
    Ja, Jenny wußte es, daß Emil mit der Leidenschaft zu Bette ging, daß er in die Umarmung dieses Weibes seine Liebe ergoß und doch sehnte sie sich nach ihm; doch liebte sie ihn noch. -- -- --
    War dies Schwäche oder Entwürdigung ihrer Weiblichkeit?
    Ihr, die ihr außerhalb ihres Herzens steht, richtet sie nicht!
    Welcher Heroismus und zugleich welche unendliche Liebe -- die Lavaströme, die die üppigen Kissen einer Nebenbuhlerin versengen, noch in ihrer Erkaltung zu ersehnen! -- -- -- -- --

 

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    Jenny war rastlos in ihren Bemühungen, Emil wieder in ihre Arme zu führen. Seinen Aufenthalt in New-Orleans hatte sie bald ausgeforscht und eines Abends, als sich Emil eben in eine Kleider warf, um sich zu Lucy zu begeben, erhielt er von seiner Gattin ein Billet, so herzlich, so schonend, so stürmisch und wieder so himmlisch ergeben und flehend, daß er dem Ueberbringer des Schreibens ein paar Zeilen mitgab, worin er auf das gewissenhafteste versprach, sie in Algiers zu besuchen.
    So sind denn jene Worte zu erklären, die er damals Lucy auf der Gallerie ihres Hauses zuwarf: „Ich habe heute noch eine Pflicht zu erfüllen!“
    Wie wir aber wisen, versäumte Emil das eheliche Stell, dich ein.
    War es ein freier Wille?
    Denken wir an Hiram.
    Emil scheint vom Schicksale zu einer andern Laufbahn bestimmt, als sich am häuslichen Heerde die Füße zu wärmen. --
    Auch der letzte Versuch der gepeinigten Jenny mißglückte. Auch von dem Brief, den der kleine Tiberius nach der Rue d'Amour trug, war nichts mehr zu erwarten. --
    „Wo ist mein Emil?“ so ruft jetzt Jenny in die dunkle Nacht hinaus, nachdem sie jede Spur von ihm verloren. Was geht wohl jetzt in ihrer Seele vor?
    Sie weint und denkt an den Traum zwischen den Antillen.
[LSZ - 1854.02.05]
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Zweites Capitel.

In der Ferne.

Auf der Farm des Mr.Watson fing es bereits an, lebendig zu werden.
    Der Wiederschein der eben aufgehenden Sonne zitterte auf den Terrassen des gegenüberliegenden St. Louis und verschwand in das Dunkel der Höhenzüge, die sich längst des Hyde Parkes bis zu Colonel D'Fallon's Besitzungen hin erstrecken.
    Mr.Watson's Farm war die bedeutendste auf Bissle's Island und die auf ihr gezogenen Vegetabilien die gesuchtesten auf den Märkten von St.Louis. Mr.Watson zog die besten

 

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Melonen, die feinsten und seltensten Gemüsearten; eine wenn auch nicht sehr ausgedehnte Baumschule befand sich im vortrefflichsten Zustande, was man übrigens nur der Geschicklichkeit eines deutschen Gärtners zu verdanken hatte.
    Ungeachtet des ungünstigen Terrains, da die Farm öfter von Ueberschwemmungen zu leiden hatte, war es dem deutschen Gärtner dennoch gelungen, die trefflichsten Obstarten zu ziehen. Ja selbst solche, die gewöhnlich nur auf steinigem Boden fortkommen, gediehen zur schönsten Reife. Hier standen zwei Reihen von saftigen „gold blotched“ Aprikosen und den süßen kleinen „Breda“ und „Alsace.“ An diese reihten sich der Bayou entlang die Kirschenarten „Reine Hortense“, „Bigarreau noir“ und die erst im Herbst zur Reife gelangende „Morello."
    Selbst mehrere Pflaumensorten, die bisher seltsamer Weise nur am Kaskaskia River gedeihen wollten, kann man hier antressen. „Admiral Rigny“ und „Prince of Wales“ zieren im Spätherbste die Tische eines Lucas und Chouteau in St. Louis. Bei den Fruchthändlern konnte man sie nie sehen; denn Mr. Watson verstand es allein sehr gut, seine seltenen Früchte mit bedeutendem Gewinne an den rechten Mann zubringen. --
    Das Welschkorn, was man an verschiedenen Stellen der Farm stehen sah, war nur zur Fütterung der Kühe und Pferde bestimmt, die hier in nicht geringer Anzahl vorhanden waren. Mr. Watson hatte dieses Jahr über 50 Acker Waizen gebaut, der sich bereits gelb zu färben begann.
    In der Nähe des Wohngebäudes, das von zwei gewaltigen Sycamoren beschattet wurde, war auf einer Strecke von zwanzig bis dreißig Fuß der Versuch gemacht, Castorbohnen zu ziehen.
    Zwölf Acker mit Kartoffeln und drei mit Tomatoes, die sich an einigen Parthien schon zu röthen anfingen, grenzten an einen dichten Wald, der sich in einen schmalen Streifen bis an den Mississippi hinzog.
    Ein Theil dieses Waldes war schon unter der Art gefallen und an einer Stelle, wo das Waldland sich zu verlaufen begann, bemerkte man die sonst stehen bleibenden Baumstumpen mit größter Sorgfalt ausgerodet und entfernt. Hunderte von Klaftern des schönsten Hickory lagen entweder auf den Flatbooten, oder standen noch zwischen den Lichtungen des ausgehauenen Waldes.

 

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Ueber zwanzig bis dreißig Arbeiter fanden schon seit mehreren Wochen Beschäftigung. Einige fällten die Bäume, andere machten sie zum Aufklaftern geschickt und wieder andere rissen die Stumpen heraus und suchten den Boden von den noch allenthalben herumstreifenden oft armsdicken Verschlingungen der Mustang Rebe zu befreien.
    Der Grund dieser allseitigen Thätigkeit und ordnenden Emsigkeit war, daß eine Compagnie eine Ferry nach dem jenseitigen Illinois-Ufer in's Leben treten ließ.
    Dieser Platz war am besten hiezu geeignet und daher vor allen, die man früher für dieses Unternehmen gewählt, in Angriff genommen worden.
    Ein zur Ferry Landung führender Fahrweg nahm über dies noch einen Theil seiner Farm weg, den er, wie sich leicht denken läßt, nicht um den geringsten Preis abgab. --
    Mr. Watson mußte daher eine Fence enger zusammenziehen; doch war seine Farm noch immer die größte auf Bissle's Island. --
    Mr. Watson war schon mehrere Jahre Wittwer und lebte mit seinem Töchterchen, einem bildschönen Mädchen, in thätiger Zurückgezogenheit und verließ jene nur, wenn er mit seinem Gemüsewagen über die Brücke der Bayou auf den Markt nach St. Louis fuhr. Dort verkaufte er dann in eigener Person die Erzeugnisse seiner Farm.
    Nur, wenn er Hühner, Turkey's und anderes Geflügel mit auflud, hatte er einen seiner Arbeiter bei sich.
    Sarah, des Farmers Töchterchen, hatte noch nicht das fünfzehnte Jahr zurückgelegt. Sie war eine jener Erscheinun gen, die nur in frischer grüner Umgebung, inmitten von Blumen, Bäumen und Gesträuchen, bezaubern. Reizend war sie anzusehen, wenn sie durch das Welschkorn schlüpfte und mit ihren runden fleischigen Händchen dasselbe auseinandertheilte, um leichter durchzukommen.
    In der Stadt, in der Umgebung einer verfeinerten Welt ließ sie kalt.
    Sarah war eine von jenen lichten Blondinen, deren Haare etwas in's Röthliche hinüberspielen. Doch hatte sie einen schneeweißen, reinen, durchaus mackellosen Teint. Ihre Füße gehörten zwar nicht zu den kleinsten, doch waren sie um die Knöchel wohl gerundet und drall. Ihre Zehen waren, wie ihre Finger, kurz und fleischig und hatten die elte Eigenschaft

 

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an sich, eine Maiskolbe, eine Tomatoe oder sonst einen rundlichen Gegenstand vom Boden aufheben zu können.
    Possierlich war es anzusehen, wenn sie ein solches Experiment producirte.
    Frisch, lebhaft, munter, ausgelassen, ohne Ziererei, kugelte sie sich bald hier, bald dort herum. War ihr Vater oder auch einer der Arbeiter auf den Feldern oder im Gemüsegarten eben beschäftigt, diese oder jene Verrichtung vorzunehmen, so schlich sie sich unbemerkt hinter sie und versetzte ihnen mit einer Gerte oder auch manchmal mit einem Stück Holz einen Klaps und war dann höchst erfreut, wenn sie sich noch zur rechten Zeit aus dem Staub machen oder sich hinter einen Baum oder ein Gebüsch verbergen konnte. --
    Die deutschen Arbeiter auf Mr.Watson's Farm nannten sie unter sich „unser Gretchen im Busch“
    Unter den Arbeitern ihres Vaters befand sich auch ein Ungar, der vor einigen Wochen in ziemlich verwahrlostem Zustande auf die Farm gekommen und dem Mr.Watson das Arbeiten im Holze zugetheilt hatte.
    Dieser Mann, der das dreißigste Jahr noch nicht über schritten zu haben schien, hatte Eines jener mysteriösen Gesichter, die selbst den größten Physiognomen in Verlegenheit bringen können. Seine stark bebuchten schwarzen Augenbraunen waren tief auf das dunkle Auge herabgesenkt und gaben demselben ein finsteres Ansehen.
    Sein rothes wollenes Matrosenhemd und das große gelbseidene Taschentuch, das gewöhnlich seine Beinkleider unter der Taille zusammenhielt, machten jedoch seine Gestalt aus nehmend malerisch.
    Dem aufmerksameren Beobachter entging eine Störung seines sich angewohnten Temperaments nicht, die sich oft ganz unerwartet durch ein unheimliches Flackern in einem sonst festblickenden Auge und ein höhnisches Herunterziehen der beiden Mundwinkel kund gab. Er suchte dies so viel als mögzu verbergen und schien sichtbar beruhigt, wenn er glaubte, von den Anwesenden nicht firiert worden zu sein.
    Solche Menschen sind übrigens nicht sehr selten.
    Den strengsten Stoikern, bei ihren Symposien scheinbar die ruhigsten, resigniertesten Menschen, flackert oft ein diabolisch Flämmchen im Herzen, das sich von Zeit zu Zeit phosphorisch den Mienen mittheilt, und daher oft -- ohne daß wir im

 

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Stande wären, uns davon Rechenschaft geben zu können -- für uns etwas Grauenhaftes hat.
    Der kleinen Sarah war Lajos -- so hieß der Ungar -- nicht gleichgültig. Ihr gefielen seine langen, schwarzen Haare, sein rabenschwarzer Schnurr- und Knebelbart. War er mit Holzfällen beschäftigt, so kam sie öfter zu ihm geeilt und brachte ihm ein Stückchen Schinken oder Kornbrod mit Syrup bestrichen und nebenbei oft noch in einer kleinen Flasche von dem guten Cognac, den ihr Vater nur bei seltenem Besuche credenzte.
    Auf Lajos machte dieses zuvorkommende, liebevolle Benehmen der kleinen Sarah einen nicht geringen Eindruck. Das kleine drollige Yankeemädchen mit ihrem weichen, lichtblonden Haare und den vielen Grübchen an den Händen stach ihm schon gleich bei seinem ersten Erscheinen auf der Farm in die Augen, und er hatte sich im Stillen darüber geärgert, daß er hier nur die Rolle eines Arbeiters übernehmen sollte, wo er so gerne die eines glänzenden Liebhabers gespielt hätte. --
[LSZ - 1854.02.07]
    Immer näher rückte der Tag heran, an dem Sarah die Ruhe ihres Herzens einbüßen sollte.
    Es war an einem Sonntag, als ihr Vater bereits um 4 Uhr Morgens mit einem seiner Arbeiter die Farm verließ und mit wohlgefülltem Wagen über die Brücke der Bayou den Broadway entlang auf den Markt nach St. Louis fuhr.
    Watson wollte sein Frühstück in der Stadt zu sich nehmen. So saßen denn Lajos und Sarah allein an gedeckten Tische.
    „Wie gefällt Euch mein Vater?“ leitete Sarah die Unterhaltung ein.
    „Mister Watson ist ein äußerst thätiger Mann und hat ein sehr gutes Herz. Wenn mich dein Vater noch behalten will, wenn die Arbeit im Holze vorüber ist, so hätte ich große Lust, die Gärtnerei zu erlernen und wurde nebenbei auch noch die schweren Arbeiten übernehmen,“ antwortete Lajos und warf einen durchdringenden Blick auf das Mädchen.
    „Seid deshalb nicht besorgt“ entgegnete Sarah, „wenn Ihr Lust habt, hier zu bleiben, so kommt ihr nur dem Wunsche meines Vaters entgegen.“
    „So hat Mr.Watson schon davon gesprochen, mir hier noch weiters Beschäftigung zu geben?“
    „Wir haben erst gestern Abend Euer weiteres Hierbleiben auf unserer Farm besprochen, falls Ihr damit einverstanden seid und Ihr nicht Lust habt, anderwärts Euer Fortkommen zu suchen“ warf die Kleine lebhaft ein, dann sprach sie weiter

 

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    „Ich weiß es wohl, daß unsere Nachbarn Mr.Williams und Carr ein Paar Dollars mehr Lohn geben, als mein Vater -- aber die Arbeiter werden auch darnach behandelt. Ueberdieß halten sie mehrere Niggers und nicht Jeder mag in solcher Gesellschaft schaffen. Ich wenigstens kann keinen weißen Mann achten, der mit Niggern arbeitet. Als meine Mutter noch lebte, hatte mein Vater fünf Sklaven. Auf meine Bitten hat er sie aber verkauft und seitdem hält er nur weiße Gentlemen auf seiner Farm.“
    „Das ist sehr schön von deinem Vater“ sagte Lajos, ohne etwas dabei zu denken. Aber seine Blicke waren beständig auf den kleinen Mund und die herzigen Augen des Yankeemädchens gerichtet.
    Die erste Tasse Caffee war ausgetrunken.
Sarah erhob sich von ihrem Stuhle und trat mit der Kanne nahe an Lajos, um ihm die leere Tasse wieder zu füllen.
Der Ungar schien auf diesen Moment schon gepaßt zu haben.
Als Sarah an ihn herantrat, so faßte er sie zärtlich beim Arme, sah ihr mit flammenden Augen ins Gesicht und sagte zu ihr in entschlossenem Tone:
    „Sarah, sieh mich an!“
    „Laßt mir nur erst Euren Caffee einschenken, dann will ich Euch so lange ansehen, wie Ihr wollt,“ erwiederte Sarah in kindlicher Unbefangenheit.
    „Sieh' mich an, Sarah!“ wiederholte Lajos, indem er ihre Hand, die die Caffeekanne hielt, abwehrte.
    „So muß ich Euch doch wohl ansehen, wenn Ihr Gewalt gebraucht“ lachte Sarah, indem sie ihre Kanne niedersetzte. --
    „So, So -- -- jetzt hab' ich Euch angesehen -- nun laßt mich auch Euch einschenken!“
    „Du sollst mich noch einmal ansehen, meine liebe Sarah!“ Das „liebe“ betonte er so ungestüm, daß auf Sarah's Wangen eine brennende Röthe aufstieg.
    Ihre Händchen und Füße zitterten.
    So zittern auch die Staubfäden einer Blume, auf der sich zum Erstenmale seit ihrem Aufblühen ein Schmetterling schaukelt.
    Auch Lajos zitterte. Aber ein Zittern war die Freude, auf so leichte Weise das Herz eines schuldlosen Mädchens er obert zu haben.
    Lajos wußte,was er that. --

 

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    Während so Sarah bebend und sprachlos vor ihm stand, musterte er die Sicherheit des Ortes, warf rasche Blicke nach dem Fenster und der offenstehenden Thüre, berechnete mit elektrischer Schnelligkeit die Zeit der Abwesenheit des Vaters, -- kurz, alle seine Gedanken concentrierten sich darauf, die arme Sarah für die Zukunft zur Märtyrerin ihrer Gefühle zu machen. --
    Ein Schuß, der nicht weit von ihnen fiel, brachte Sarah wieder zur Besinnung. Lajos sprang ärgerlich auf und während Sarah zur Thüre hinauseilte, machte er sich mit dem Sattel, zeug zu thun, das neben dem Feuerplatze an der Wand hing. In der Verwirrung schnallte er die Riemen bald höher, bald tiefer, putzte mit seinem Aermel die Sporen, hauchte sie dann an und putzte sie wieder.
    Als er glaubte, hinlänglich gefaßt zu sein, eilte auch er zur Thüre.
    Sarah stand in einer Entfernung von zwölf Schritten vor einem ältlichen Manne in leichter Farmerkleidung, der sich auf eine Flinte mit sehr langem Rohre stützte.
    „Das war mein General Taylor“ hörte er ihn zu Sarah sahen, „mein schönster Türkey -- ich habe mir gleich gedacht, daß er in Euer Gehege geflogen ist; es ist nicht recht von Euch, daß Ihr mir nichts davon gesagt habt, da Ihr doch wußtet, daß ich ihn schon seit acht Tagen suchte. Ich glaubte schon, William's Nigger hätten ihm die Federn ausgerupft -- ich hätte ihn gerne lebendig gehabt -- nun -- Einerlei -- wir verspeisen ihn jetzt bei Euch.“
    Er hob den fetten Vogel, dem mehrere Rehposten fast den ganzen Hals abgerissen, vom Boden
    „Ich kann Euch in Wahrheit versichern“ betheuerte Sarah, daß wir Euren Vogel noch kein Einziges mal in unserer Fence gesehen, Mister Carr -- -- Ihr thut meinem Vater wirklich Unrecht, wenn Ihr so von ihm denkt. Zudem haben wir selbst so viele Turkey's, daß, wenn zwanzig Stück zu Euch auf Besuch kämen, wir gar nicht merkten, daß sie uns abhanden gekommen.
    „Nun, es ist schon Alles wieder recht“ schöner Trotzkopf, „was aber die Turkey's betrifft, so möchte ich mit Euch nicht tauschen; wenn die Eurigen auch zahlreicher sind, so sind die Meinigen um fünf Pfund schwerer. Ihr versteht es auch nicht recht, mit diesen Dingern umzugehen.“
    „Wir verstehen es recht wohl, Mister Carr, Ihr seht

 

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nur immer auf die magern und wollt' nie in unsern Stall schauen, wo sie eingesperrt sind und fett werden. Erst heute Morgen hat mein Vater wieder über fünfzig Stück auf den Markt gebracht, die noch zweimal so schwer sind, wie Euer General Taylor, auf den Ihr so versessen seid.“
[LSZ - 1854.02.08]
    „Nun, nun, es ist schon Alles recht“ beruhigte sie der Farmer, „wie steht's denn aber mit der Ferry, die wird wohl auch in ewigen Zeiten nicht fertig -- -- ich begreife deinen Vater gar nicht, wie er dieser bankerotten Sippschaft das schöne Stück Waldland abtreten konnte -- sie hätten's mir wenigstens theuer genug bezahlen müssen, -- -- es ist auch gar kein geeigneter Platz für eine Ferry. Die paar Dutchmen, die täglich von Neu-Bremen hinüberfahren -- das ist die ganze Fracht!“ --
    „Dutchmen?“ wiederholte Sarah: „Ihr thätet auch besser, Mister Carr, Euren Yankee Hochmuth abzulegen. Wem anders, als diesem fleißigen redlichen Volke, das Ihr so verächtlich. „Dutchmen“ nennt“ haben wir die Größe unseres Staates zu verdanken? Wem anders, als den Deutschen sind wir für den blühenden Zustand unserer Farmen in Missouri verpflichtet? Eure Nigger, Mister Carr, bebauen und bepflanzen nur die Felder; die Deutschen aber haben sie Euch erst urbar und zum Anbau geschickt machen müssen. -- -- Merkt es Euch nun ein für alle Mal, Mister Carr; daß ich Nichts auf die Deutschen kommen lasse und daß Ihr in Zukunft „Germans“ und nicht „Dutchmen“ zu sagen habt!“ --
    Der alte Farmer strich sich das Kinn und sagte lächelnd:
    „Miß Sarah Watson hat wohl einen „Beau“ unter den Dutchm -- -- -- Germans?“ korrigierte er sich.
    „Wollen wir davon aufhören, Mister Watson“ nahm sich Sarah zusammen, „und wenn Ihr Euren General Taylor bei uns verspeisen wollt, so gebt mir ihn her, ich will ihn gleich rupfen.- Ihr könnt dann so lange im Frontroom warten, bis mein Vater vom Markte zurückkehrt -- -- vergeßt auch nicht, ihm zu sagen, daß er Euren Turkey zurückgehalten hat!“
    „Das werde ich wohl bleiben lassen“ erwiederte Mister Carr, „mit Eurem Vater ist nicht zu spaßen.“
    „So haltet Ihr mich denn für so verschwiegen?“ frug Sarah naiv.
    Der Ungar, welcher eben aus der Thüre der Küche trat, in der er mit Sarah gefrühstückt hatte, fesselte jetzt die Aufmerksamkeit des Farmers.

 

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    Er wandte sich zu Sarah und frug sie:
    „Wer ist dieser Mann?“
    Dieses plötzliche Ueberspringen von ihrer bisherigen Unterhaltung auf den Gegenstand ihrer Liebe, brachte Sarah vollkommen außer Fassung. -
    Als der Farmer mit bedeutendem Blicke bald den Ungarn, der, sein Gesicht von ihm halb abgewandt, nach der Seite zu sah, wo St. Louis lag, von Kopf bis zu den Füßen maß, bald Sarah anblickte, so glaubte sie sich verrathen -- ja es kam ihr plötzlich der Gedanke, der alte Farmer könnte sie vorhin belauscht haben. Sie wurde über und über roth und spielte mit den Blättern eines an sie streifenden Haselstrauches.
    „Wißt Ihr auch, Miß, warum ich Euch frage?“ frug er wieder,
    „Wie soll ich's wissen?“ erwiederte Sarah kleinlaut und verlegen.
    „Es ist ein Ungar, nicht?“
    „Ja, Mister Carr.“
    „Er arbeitet auf Eurer Farm?“
    „Ja, Mister Carr.“
    „Er ist erst seit vier Wochen bei Euch?“
    „Ja, Mister Carr.“
    „Ich glaube, wir haben uns schon einmal irgendwo in St. Louis gesehen.“
    „So, Mister Carr?“
    „Gebt einmal Acht, Miß, wie er zusammenfährt, falls er mich noch erkennt!“
    Der Farmer verließ jetzt Sarah und ging auf die Küche zu, auf deren Thürschwelle der Ungar stand, der nun auch sein Gesicht dem Herantretenden zuwandte. --
    „Wie geht’s Gentleman?“ bewillkommte der Farmer Lajos in spöttischem Tone.
    Als Lajos den Farmer genauer ansah, wurde er leichenblaß und dankte stotternd.“
    Er bekam jedoch schnell wieder seine Fassung.
    „Macht mich nicht unglücklich, ich bitte Euch, Sir! flehte der Ungar, jedoch so leise, daß es nur Mister Carr, der ganz hart an ihm stand, vernehmen konnte.
    Sarah befand sich noch immer auf der nemlichen Stelle, wo sie der Farmer verlassen. Sie blickte unverwandt auf die Beiden.
    Als sie Lajos erbleichen sah und bemerkte, wie er flehend

 

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seinen Blick auf den Farmer richtete, so fing sie am ganzen Leibe an zu zittern. Sie glaubte jetzt gewiß zu sein, daß sie der alte Carr belauscht und Lajos deßhalb nun in's Verhör genommen habe. -
    „Deßhalb mache ich Euch noch nicht unglücklich, Gentleman“, erwiederte der alte Carr wieder im spöttelnden Tone, „wenn ich es Sarah's Vater sage, daß ihr den Verräther gespielt.“
    „Ich bitte Euch, Sir! Macht mich nicht unglücklich!“ flehte der Ungar zu wiederholtem Male.
    „Ihr wollt, daß ich Euch schonen soll, Euch, der Ihr um ein paar lumpige Dollars einen armen Soldaten in's Unglück stürzen wolltet, -- -- wißt, es war mein Neffe, den Ihr verrathen habt -- -- -- Schurke!“ schrie jetzt der alte Farmer erhitzt. --
    Sarah, die die letzten Worte des alten Carr deutlich gehört und nun sah, daß es sich hier um etwas ganz anderes handle, als sie bisher befürchtet, lief, als sie den Farmer eine so drohende Geberde gegen den Ungar annehmen sah, rasch auf die Beiden zu. --
    Lajos knirschte mit den Zähnen und biß sich vor Wuth die Lippen blutig; als der Farmer Sarah erzählte:
    „Ihr wißt doch, Miß, daß der Friedensrichter der zweiten Ward mein guter Freund ist und daß ich oft Stundenlang in seiner Office sitze. So bin ich denn wieder einmal bei ihm, es war Nachmittags zwischen drei und vier Uhr, als dieser „feine“ Gentleman hereintritt und meinen Freund benachrichtigt, daß er einen Deserteur wisse, den er gegen dig ausgesetzte Belohnung von zehn Dollars -- zehn Dollars Miß! -- Uncle Sam anszuliefern Willens sei. Mein Freund fragt ihn nun nach den näheren Umständen, und da erfährt er denn aus dem Munde dieses feinen Gentleman's, daß er mit dem Deserteur die Seereise von Galveston nach New-Orleans und dann von New-Orleans nach St. Louis unternommen, und daß es ihm der Soldat selbst im Vertrauen gesagt, daß er ein Deserteur der Ver.Staaten Armee sei. -- --
    „Als ihn der Friedensrichter um den Namen des Soldaten fragt, so mußt” ich denn hören, daß es mein Neffe war, der erst kürzlich von den Dragonern in Texas desertiert. Ich gebe meinem Freunde gleich einen bedeutungsvollen Wink. Dieser hält ihm wegen seiner schändlichen Verrätherei eine tüchtige Strafpredigt und giebt ihm die Weisung mit auf den Weg, daß

 

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er sich mit solchem Bussineß nicht befasse und wenn er seine zehn Dollars haben wollte, so sollte er nur nach den Jefferson Barracks gehen, um sie dort in Empfang zu nehmen...“
    „Ist das wahr, Sir!“ fiel Sarah jetzt in die Rede, indem sie an Lajos aufsah.
    „Ich kann Euch nichts anderes auf Eure Frage antworten, Miß Watson, als, daß ich glaube, dieser Mann ist betrunken -- oder -- --“
    „Betrunken?“ schrie der Farmer, indem er sich wüthend auf den Ungarn losstürzte, der seinerseits die nervige Faust unter das Kinn des Farmers drückte.
    Sarah warf sich zwischen die Ringenden, die sich mit der höchsten Erbitterung. Einer den Andern auf den Boden zu drücken suchten. -- -- -- --
    Ein Wagen rollte über die Brücke der Bayou.
    Sarah lief jammernd ihrem Vater entgegen, der nun vom Wagen sprang und mit seiner Tochter dem Wohngebäude der Farm zueilte.
    Er kam zu spät.
    Auf dem Boden lag bluttriefend im letzten Todesröcheln der alte Carr. Der Ungar setzte über die Fencen der umliegenden Farmen.
[LSZ - 1854.02.09]
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Drittes Capitel.

Der Raubmord auf der
Lookingglass-Prairie

    „Wenn Ihr mich nach Shellville begleiten wollt, so steht Euch mein anderes Pferd zu Diensten; auch könnt Ihr eines von diesen Büffelfellen nehmen und es mit diesem Riemen um den Leib des Pferdes schnallen; für eine Trense ist dieser Strick gut genug und zudem ist es ein stilles, ruhiges Thier, das ein Kind von fünf Jahren regieren könnte. Ich würde Euch gerne meinen Sattel verabfolgen, aber seht, ich bin ihn nun einmal gewöhnt und zudem muß ich fest aufsitzen, sonst wäre ich nicht im Stande, meine Waaren fortzutransportieren und sie während des Reitens im Gleichgewicht zu erhalten -- -- wie gesagt, wenn Ihr mich bis dorthin besten wollt, so

 

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laßt Euch das Pferd vom gelben Jack aus dem Stall führen; in Shellville habe ich einen Bekannten, der reitet es dann morgen wieder zurück; denn ich selbst werde schwerlich vor einigen Monaten wieder hierher kommen, da ich im Sinne habe, auch eine Tour nach New-Orleans zu unternehmen.“
    „Es wäre mir lieber, Euere Lydia wäre ein wildes, ungestümes Thier, sie würde bald Respect vor meinen Schenkeln bekommen “
    „Man sieht's Euren Schenkeln auch an, daß Ihr nicht zum Erstenmale ein Pferd besteigt -- -- doch ich kann Euch versichern, meine Lydia ist nicht immer so zahm und still gegewesen. Es sind jetzt vier Monate, daß ich mit ihr vor einem Brande auf der Lookingglass-Prairie floh, hui, wie liefen uns da die Flammen nach; als wir ihnen einmal ausgewichen zu sein glaubten, so drehte sich plötzlich der Wind und jagte uns das ganze Feuermeer vor's Gesicht -- da! -- jetzt wo hinaus und wohin? dachte ich. Meine Lydia wieherte -- nein, es war kein Wiehern mehr, sie heulte vor Furcht und Entsetzen; ihre Mähnen standen in die Höhe, wie die Borsten eines angeschossenen Keulers, der sich auf seinen Verfolger stürzt. -- Sie hätte mich damals bald abgeworfen, wenn ich sie nicht tüchtig auf's Nasenbein geschlagen hätte; denn das kann sie von jeher ein für allemal nicht leiden. Sie stürmte mit mir fort -- ich verlor dabei über zweihundert Dollars Waare; sie ließ sich auch nicht abhalten, als uns die Flammen bis an den Little Creek verfolgten, sie stürzte sich hinein, schwamm mit mir hinüber, ohne mich abzuwerfen und gerettet waren wir.-- Seitdem ist sie so still und furchtsam, und entsetzt sich vor einem brennenden Reisighaufen. -- Seht', ein solches Thier war das; ich wollt', ihr hättet sie früher kennen gelernt, ihr hättet Euch gewiß in Eurem ganzen Leben kein besseres Pferd gewünscht. -- So laßt Euch nur das Pferd geben. In einer halben Stunde wollen wir aufbrechen; denn diese Nacht will ich noch fort, damit wir morgen früh gegen 9 Uhr in Shellville sind.“ --
    „Vorerst wollen wir aber noch einen guten Cognac zu uns nehmen“, Mister Cleveland, bemerkte der Andere, ein Mann mit langen schwarzen Haaren und einem schwarzen Schnurrbart. „Die Nacht wird kühl und durch das hohe, nasse Gras zu reiten, ohne sich gehörig den Magen erwärmt zu haben, möchte nachtheilig auf Eure Gesundheit wirken.“
    Der Pedlar -- denn das war Cleveland -- lächelte über diese feine Aufforderung des schwarzbärtigen „Stranger's,“

 

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da er sehr gut wußte, daß dieser keinen „damn’d Cent“ in der Tasche hatte.
    Er ließ sich daher das Vorrecht des Treatens nicht nehmen.
    Der Andere hatte dies auch erwartet.
    Sie gingen in eine jener einsam stehenden Land-Grocerien, wie man sie im Staate Illinois zu Hunderten vorfindet. Sie sind gewöhnlich nicht weit vom Flußufer entfernt und immer so gelegen, daß sich den Landbewohnern in einem Umkreise von vielen Meilen keine erhebliche Schwierigkeit bietet, hierher zu gelangen.
    Hier sind die Zusammenkünfte für County- und Staatswahlen. In der Nähe solcher Grocerien ist das Terrain der nie fehlenden Stumpredner, die sich oft drei bis vier Tage aufhalten, ohne nüchtern zu werden, uatürlich auf Kosten ihrer erlesenen Candidaten.
    Während einer solchen Zeit macht der Landgrocerist immer die besten Geschäfte und zieht oft eine vierhundert Dollars an einem Einzigen Tage aus seiner Schieblade unter dem Counter hervor.
    Der Grocerist sieht vergnügt diesem tollen Treiben zu und läßt hie und da ein Wort zu Gunsten des Redners fallen, der sich die Kehle heiser geschrieen und den stürmischen Beifall der Zuhörer damit belohnt, daß er sie insgesammt mit an die Bare zieht.
    Haben nun Whiskey und Brandy gehörig elektioniert und rüstet man sich für die Heimkehr, so nimmt noch mancher Farmer für seine Lady buntfarbigen Kattun mit oder auch Schuhe, Bonnets, Fane's, Strümpfe u.s.w.; denn mit Allem diesem muß ein Landgrocerist versehen sein. Er ist Schuster, Schneider, Strumpfwirker, Dreßmaker, Blackshmith, Alles in Einer Person. Auch ihre Bäbies vergessen dann die begeisterten Wähler nicht. Für sie wird Candy von allen Sorten und in jeder Farbe mitgenommen. Ginger Cackes, Molasses Candy -- kurz alle jene feinen Confituren, wie sie der Yankee liebt. --
    „Macht gute Geschäfte, Cleveland, und wenn ihr nach New-Orleans kommt, so vergeßt nicht, mir meine Cigarren mitzubringen und meine Bekannte zu grüßen“, rief der Grocer noch dem Pedlar nach, als dieser mit seinem Reisegefährten fortritt.
    Nach einem zweistündigen Ritte befanden sich dieselben auf der Lookingglass-Prairie, die sich in unabsehbarer Ferne vor ihren Blicken ausdehute.

 

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    Die Nacht war sternenklar; nur einige leichte Wölkchen zogen über den Himmel und verbargen auf Augenblicke die volle Scheibe des Mondes.
    Nur derjenige, welcher schon einen nächtlichen Ritt durch. die endlosen Prairien des Westens unternommen hat, kann sich einen Begriff von der erhabenen und stillen Majestät machen, die über diese Flächen ausgebreitet ist.
    Man glaubt die Athemzüge der Natur zu vernehmen und vergißt alle kleinlichen Sorgen und Mühseligkeiten, die uns in der Umgebung von Menschen und im rastlosen Getriebe des werkelthätigen Lebens so oft verstimmen und unsere natürlichen Empfindungen und Regungen in krankhafter Spannung erhalten,
    Man überläßt sich so ganz seinen Gefühlen und das Herz feiert in solchen Momenten ein Osterfest und zersprengt die Fesseln, in denen es klügelnder Verstand und die conventionellen Regeln des gesellschaftlichen Lebens gefesselt hielten.
    Die Oriflamme der Liebe leuchtet auf dem ruhigen Antlitz des Jünglings, wenn er an die Geliebte in der Ferne denkt. Wer Haß und Groll im Herzen getragen, vergiebt und verzeiht; die Zahlen verschwinden aus dem Kopfe des Speculanten; selbst das Pferd senkt seinen Nacken und folgt gehorsam seinem Lenker.
    Horch! Da tönt plötzlich ein Schrei aus dem Dunkel der hohen Gräser und bald darauf ein wehmüthiges Glucksen.
    Ueber den glitzernden Thautropfen erhebt sich ein unruhiges Flattern und Flügelschlagen.
    Es ist ein Prairiehuhn mit seinen Jungen, das von einem vorbeistreifenden Rudel wilder Hunde aus seinem Schlafe aufgeschreckt wurde.
    Man sieht die Hunde nicht; nur die Spitzen der Gräser theilen sich auf Augenblicke und zittern im Mondlichte.
    Alles wieder feierliche Stille ringsumher.
    Aus den Nüstern der Pferde streicht der Hauch und verliert sich im Nachtthau.
    „Haltet Euch näher an meiner Seite“, unterbrach der Pedlar ein mehrstündiges Stillschweigen, indem er sein Pferd anhielt und nach seinem Reisegefährten zurückfah, der in einer Entfernung von ungefähr fünfzehn Schritten zurückgeblieben War.
    „Das Gras wird jetzt bald höher,“ fuhr er dann fort, und es wäre leicht möglich, daß Ihr mich dann aus dem Gesichte

 

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verlöret -- noch eine halbe Meile weiter und es wächst uns bis an den Hals.“
    „Ja, Ihr habt Recht, Mister Cleveland, es ist auch viel gemüthlicher, neben Einander zu reiten“ erwiderte der Andere, indem er sein Pferd rascher antrieb.-
    So ritten sie einige Zeit stillschweigend neben Einander und gelangten bald an die Stelle, wo ihnen die feuchten Gräser das Gesicht streiften und näßten.
    „Es ist nicht immer so fröstlich auf der Prairie“ ließ der Pedlar dem Andern vernehmen, „besonders nicht um diese Jahreszeit bei einem so schönen, sternenklaren Himmel. -- -- Seht einmal dort hinauf, das letzte kleine Wölkchen verfliegt so eben, -- -- seht, seht, rief er dann lebhafter aus, diese großen Leuchtkäfer, wie sie funkeln, wie sie blitzen!“
    Der Andere sah sich nach allen Seiten um und entgegnete: „Ihr habt wohl einen Sternschnuppen vom Himmel fallen sehen, Mister Cleveland und habt ihn für einen Leuchtkäfer gehalten. --“
    „Da, da hier -- jetzt fliegen sie Euch gerade vors Gesicht -- -- da, seht Ihr sie denn nicht? -- seht, seht, sie sind noch immer da - hascht sie doch!“
    Der Andere sah sich wieder nach allen Seiten um, blickte nach oben, nach unten --
    „Nun, wenn Ihr sie nicht seht, so will ich sie Euch fangen“; mit diesen Worten griff der Pedlar mit seinen Händen weit aus, fuhr jedoch im nächsten Augenblick erschrocken zurück.
    „Zum Teufel, was treibt Ihr, seid Ihr verrückt -- -- Ihr hättet mir bald beide Augen ausgedrückt -- -- “rief der Andere.
[LSZ - 1854.02.10]
    „So straf” mich der Himmel“, erwiederte der Pedlar „wenn ich Eure Augen nicht für Leuchtkäfer gehalten habe.“
    So war es auch.
    Da die Beide bis an die Schläfe von den Riesengräsern umgeben waren, und der Stand des Mondes ihre Schatten gegenseitig verband, so konnten sie von sich selbst nichts er blicken, als höchstens die Augen, die wie Glühwürmer durch das feuchte Dunkel der Prairie zogen.
    Da der Reisegefährte des Pedlars öfter sein Gesicht gegen denselben wandte, so war diese Täuschung um so erklärlicher.
    „Ich wollte nur“, hub Cleveland nach einiger Zeit wieder an, „ich hätte meine Buffaloschuhe nicht in St. Louis liegen lassen, sie würden mir jetzt gut zu Statten kommen, meine Schuhe sind schon ganz durchnäßt.“

 

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    „Die meinigen auch“, erwiederte ein Reisegefährte, „habt Ihr nicht ein paar wollene Lappen, ein altes Unterhemd oder sonst Etwas; ich möchte es mir gern um die Füße binden.“
    „Da habt Ihr einen guten Einfall, den will ich mir auch zu Nutzen ziehen“, sagte der Pedlar und schickte sich an, die Riemen seines Mantelsackes zu lösen.
    Der Andere knickte das hohe Gras.
    Das Pferd des Pedlars stemmte sich jetzt plötzlich auf die Vorderbeine und schlug so hoch aus, daß die Hufen über die Höhe der Gräser hinaus flankten und im Mondlichte glitzerten.
    „Bst, Bst! John“ -- besänftigte der Pedlar sein Pferd, indem er sich gewandt über den niedergesenkten Kopf desselben auf den Boden gleiten ließ. „Bst, Bst, John, alle Teufel -- was hast du denn?“ -- --
    Zwei Schüsse hallten durch die Stille der endlosen Prairie.
    Wüthend vor Schmerz sprang das Pferd noch einmal in die Höhe und fiel dann leblos auf die Leiche seines Herrn nieder. --
    Lajos's Augen schwebten gierig über der ersehnten Beute. -
    „Donner und Doria“ rief der Mörder vor sich hin, „wenn mir das Pferd jammt dem Gepäcke davongerannt wäre, so wäre es unnöthig gewesen, seinen Herrn zu erschießen -- da laß einmal sehen, armer John, wo ist dir meine Kugel hingedrungen? -- sieh", sieh", was ich für ein Glücksvogel bin, ein paar Zoll weiter ab und die Bestie hätte noch Lust verspürt, das Weite zu suchen.“
    Während sich Lajos über das Pferd lehnte und bald knieend, bald stehend das Gepäck des Pedlars auseinanderzerrte, schnubberte Lydia an der Leiche ihres ehemaligen Herrn herum und ließ sich neben ihn auf den Boden nieder, indem sie ihren Kopf auf die Brust desselben legte.
    Lajos hatte sein Geschäft bald beendet. Viertausend Dollars, theils in Gold, theils in Missouri Staatspapieren, waren die Frucht einer emsigen Nachforschung.
    Und jetzt?
„Nach Shellville darf ich nicht reiten, denn da kennen sie Cleveland's Mähre“, dachte er bei sich. „Zurück ohne sie würde Verdacht erregen.“ Lajos bedachte aber im ersten Augenblicke nicht, daß er eben so wenig nach Shellville als zurückreiten konnte, da er weder jenen noch diesen Weg mehr gefunden hätte.

 

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Und es war erst eine Stunde vor Mitternacht. --
    Er trat auf Lydia zu, die mit ihrem Kopfe noch immer auf der Brust des Ermordeten lag.
    „Willst du gleich aufstehen, verrückte Bestie -- -- ich glaube gar, du trauert über den todten Rülps da -- -- marsch auf -- -- “fluchte Lojos auf die Stinte und kneipte sie in den Widerriß, um sie so zum Aufstehen zu bewegen. Aber das treue Thier bewegte sich nicht von der Stelle.
    Neben an lag das Pferd des Pedlars. -- -- --
    Mit einem Schrei des Entsetzens, der weit hin durch die stille Majestät der Nacht gelte, sprang Lajos plötzlich auf und führte seine Hände krampfhaft zur linken Wange. Selbst Lydia hob bei diesem entsetzlichen Schrei ihren Kopf empor und sah sich nach dem Mörder ihres Herrn um.
    Lajos geberdete sich, als wäre eine ganze Hölle von Furien nnd Schlangen in einem Innern geschäftig. Seine Augen sprangen weit aus ihren Höhlen heraus, als wollten sie so um so leichter Zeugen dieser erschrecklichen Seene sein. Nach allen Richtungen hin spie er das Blut, das von einer Wange auf seine Lippen floß.
    Grauses Stöhnen und Pfeifen, das sich seiner Brust entwand, wurde nur unterbrochen, wenn er seine rasenden Flüche herausstieß.
    Ein Rudel Prairiewölfe, die ein unerklärlicher Instinkt hieher geführt hatte, um sich über die Leichen herzustürzen, stob klässend auseinander, als sie diese männliche Furie erblickten, die heulend, fluchend und winselnd den Boden zerstampfte.
    Das Pferd des Pedlars hatte noch im letzten Todeskampfe in die Wange des Mörders gebissen. --
    Wenn die Stille der Nacht über ein unverdorbenes Gemüth und schuldloses Herz eine erquickende Weihe ausgießt und ausgestandene Leiden und Mühseligkeiten vergessen läßt; wenn die nächtliche Leuchte am reinen, sternbesäeten Himmel den Dichter in’s Reich der Träume versenkt und seine pochen den Fibern küßt; wenn getäuschte Liebe über den weiten Bogen der Milchstraße hinirrt,um auf ihr ihren Schmerz auszuweinen, da ringt der Mörder fluchend die Hände und verwünscht die Sterne, den Mond und sehnt sich nach der blendenden Sonne.
    Ermattet und bis auf's Aeußerte erschöpft stand Lajos wieder neben Lydia.
    Er schickte keine Flüche mehr über das wogende Gräsermeer -- aber es grollte und fluchte um so stärker in seiner Brust.

 

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    „Wenn diese Bestie nur ein Mensch wäre“ dachte er bei sich, „ich würde ihr ein Denkmal hinterlassen, das es selbst im Tode noch schänden würde.“
    Lydia schien keine Lust zu haben, aufzustehen und die Last des Mörders zu tragen. Lajos wandte alle nur erdenkliche Mittel an, aber Alles umsonst. Es war Zeit, einen raschen Entschluß zu ergreifen, um vom Orte seiner Greuelthat weg zukommen.
    „Zu Fuß mit diesem Gelde und nicht wissen, welche Richtung ich einzuschlagen habe? -- Schade jetzt, daß ich mich nie um Astronomie bekümmert -- die Gestirne würden mir ungefähr den Weg vermeiden lassen, den ich nicht wieder zurückgehen darf, oder soll ich gar noch einige Tage hier herumirren und dann vielleicht doch wieder auf den nemlichen Ort zurückkommen? -- -- Teufel, Teufel, Lajos hat so wenig erfinderischen Geist?“
    Rathlos stand er so einige Augenblicke.
    Ein Gedanke blitzte jetzt plötzlich über die dunklen Züge des Mörders.
    „Diese störrische Bestie will ich auf die Beine bringen“ -- sagte er zu sich und machte sich über das für ihn unnütze Gepäck des Pedlars her und steckte dasselbe in Brand.
    Er hatte richtig calculirt.
    Kaum hatte Lydia das aufsteigende Feuer erblickt, als sie sich raschvom Boden erhob und wiehernd ausgriff. Auf diesen Moment war Lajos vorbereitet.
    Mit räthselhafter Gewandtheit warf sich der ehemalige ungarische Husarenoffizier auf den Rücken des Pferdes und faßte mit raschem Griff die gesträubte Mähne.
    „Donner und Doria“ hallte es durch die schweigende Nacht, „das geht ja wie in die Hölle! -- Prairiebrand, Prairiebrand,“ lachte er in's Ohr der Stute, als sich der nächtliche Himmel weithin zu röthen begann und die Flammen ihnen mit Windeseile nacheilten. --
    „Prairiebrand, Prairiebrand, Lydia! fort, fort in die Hölle!“ --
[LSZ - 1854.02.11]
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Viertes Capitel.

Gretchen im Busch.

Grünt der Wald und röthet sich die Haide,
Winter floh mit seinem Flimmerkleide,
In der Halde schmolz der Schnee.
Wo die wilden Vöglein lockend schlagen,
Geht des Farmers Kind mit leisen Klagen!

        Blaue Blumen, rother Klee,
Blühtnicht mehr, mein Herz ist allzu weh!
            (Otto der Schütz.)
    Seit jenem bedauernswerthen Ereigniß,das den Tod des alten Farmers Carr und die Flucht Lajos's zur Folge hatte, war Sarah ein ganz anderes Mädchen geworden. Sie schlich sich nicht mehr hinter ihren Vater, um ihm, wenn er gerade beschäftigt war, auf den Rücken einen Klaps zu versetzen; sie kugelte sich nicht mehr auf dem Boden herum und sprach nur wenig oder gar nicht mit ihren Nachbarn. Die Perlhühner konnten ungestört die Nacht über im Freien zubringen; denn sie trieb sie nicht mehr, wie früher, in's Gehege. Der muntere „Red bird“*), bisher daran gewöhnt, von ihr während des Tages dreimal eine frische Zulage zu erhalten, hatte seine gute Laune verloren und stieß mit seinem schwarz befiederten Köpfschen mürrisch und trotzig an das feine Drahtgitter des Käfiges und wollte sich durchaus nicht zufrieden stellen, wenn ihn um Mittagszeit eine andere Hand bediente. Die Kühe bezeugten ihren Unmuth und Verdruß über den Mangel an Kleie, die nur Sarah zu ihrer Zufriedenheit herrichten und mischen konnte, dadurch, daß sie unruhig herumtrampelten und des Nachts, wenn sie in ihrer Fence eingesperrt waren, oft einen solchen Spektakel verursachten, als wären sie von einem Panther jählings überfallen worden.
    Watson schüttelte bedenklich den Kopf, wenn er sein Töchterlein ansah, aus dem so plötzlich alle Heiterkeit und rosige Lebensfrische geschwunden waren. Der bloße Vorfall mit dem alten Farmer konnte nach seiner Meinung unmöglich eine so gänzliche Umgestaltung ihres bisherigen Frohsinns hervorgebracht haben. So viel getraute er sich zu, beurtheilen zu können.
    Es kam ihm wohl manchmal in den Sinn, daß sein Kind eine stille Neigung für Lajos im Herzen getragen haben könne, die durch jene unglückliche Katastrophe nur noch mehr angesacht,
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*) Die Virginische Nachtigall.

 

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ihr Herz jetzt quäle und martere; wenn er dann aber wieder alle früheren Umstände erwog, so glaubte er sich doch getäuscht zu haben. So war der Herbst vorübergegangen und hatte einem äußerst strengen Winter Platz gemacht.
    Die Aeste der Sykamoren und Cottonbäume seufzten unter dem gewaltigen Druck des auf ihnen lastenden Schnee’s, der mehrere Fuß tief die ganze Gegend weit und breit bedeckte.
    Das Farmerhaus war oft so eingeschneit, daß sechs Hände vollauf zu thun hatten, um nur in der nächsten Umgebung den Schnee wegzuschaffen. Der tiefe Schnee hinderte den Farmer schon seit einigen Wochen, auf den Markt nach St.Louis zu fahren,was ihn sehr mißmuthig und verstimmt machte. --
    An einem Abend, wo es wieder so recht schneite und stürmte, saß der Farmer mit Sarah allein an einem großen runden Tisch mit grauer Marmorplatte, den einst Mistreß Watson von einer Freundin in St.Louis zum Geschenk er halten hatte.
    Beide waren emsig damit beschäftigt, Gemüse- und Blumensämereien zu sondieren und dieselben in eigens hiezu verfertigte Packetchen zu vertheilen.
    Watson's Arbeiter hatten sich bereits niedergelegt. Draußen heulte der Wind und rüttelte an den Thüren und Fenstern des Farmerhauses. --
    Neben der Thüre lag eine große Dogge, die heute wegen des stürmischen Wetters die Erlaubniß erhalten hatte, die Nacht im warmen Zimmer zuzubringen.
    Sarah war sehr fleißig im Füllen der Päckchen mit den verschiedenen Sämereien. Sie hatte bereits mehre Dutzend neben sich in ein Handkörbchen gelegt, das sie jetzt ihrem Vater zuschob, der dieselben in einer ordnenden Weise in die Fächer einer Stellage vertheilte. -
    Keines sprach ein Wort.
    Watson, der sich diesen Abend fest vorgenommen hatte, der so auffallenden Umwandlung der Gemüthstimmung seines Kindes auf die Spur zu kommen, hatte bis jetzt geschwiegen und sann im Stillen nach, auf welche Weise es ihm wohl gelingen könnte, Sarah zu irgend einem Geständniß zu bringen. Da sie ihm auf seine oftmaligen Fragen hierüber stets ausweichend begegnet war, so wollte er nun auf einem Umwege zu seinem Ziel gelangen.
    Als ihm Sarah ein zweites Körbchen zuschob, sagte er: „Wenn ich gewußt hätte, daß Lajos ein so jähzorniges

 

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und hitziges Temperament besäße, so wäre er von mir nicht als Arbeiter angenommen worden. Wir hätten uns dann alle diese Unannehmlichkeiten, die aus jener That für uns damals entstanden, leicht ersparen können. Der alte Carr muß es doch auch mit ihm zu bunt getrieben haben, daß er in solchen Jähzorn gerathen konnte. --
    „Ihr würdet es gewiß auch nicht gleichgültig hinnehmen, Vater, wenn Euch Jemand eine solche Beschimpfung zufügte,“ entgegnete Sarah, ohne aufzublicken.
    „Allerdings mein Kind. Aber wenn man eine entehrende Handlung begeht, so muß man sich es auch gefallen lassen, darüber zur Rede gestellt zu werden.“
    „Aber Vater -- Ihr glaubt also noch immer, daß der ungarische Gentleman einer solchen entehrenden Handlung fähig sei?“
    „Deine eigene Beschreibung jenes verhängnißvollen Auftrittes giebt mir das Recht, über ihn den Stab zu brechen.“ bemerkte der Farmer, sein Kind dabei scharf beobachtend.
    „„Das könnt Ihr nicht, lieber Vater.-- Ich glaube ganz bestimmt, daß ihn Mister Carr für einen Andern angesehen hat; denn diese Ungarn gleichen. Einer dem Andern. Sagtest du nicht selbst zu mir, daß Lajos dem jungen Manne, der voriges Jahr bei uns arbeitete, aufs Haar gleiche. Kann es nicht eben so gut Marian gewesen sein? Marian war ein boshafter, heimtückischer Mensch, vor dem ich mich jedesmal fürchtete, wenn er mir nahe kam. Aber Lajos -- -- es ist aber nicht recht, daß man einen Menschen für schlecht hält, ohne die gehörigen Beweise in Händen zu haben,“ unterbrach sich Sarah, da sie fühlte, schon zu weit in ihrer Theilnahme für Lajos gegangen zu sein. --
    Der Farmer, dem diese Unterbrechung nicht entgangen war, fuhr fort:
    „Wo er jetzt wohl herumirren mag, der arme Lajos? Gäbe der Himmel, daß man seiner nicht habhaft wird; denn da müßtest du wieder als Zeuge vor Gericht erscheinen, -- -- doch das wäre noch das Geringste, aber so ein Mörder, wenn er seine That auch nicht vorsätzlich verübt hat, muß doch ein jämmerliches Dasein dahinfristen, -- -- ich würde in einem solchen Falle lieber freiwillig meinem Leben ein Ende machen -- -- ja, ja, wo er jetzt wohl herumirren mag - ein solches Loos ist gewiß nicht beneidenswerth. -- --“
    Sarah konnte ihre Gefühle nicht länger mehr zurückdrängen.

 

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    Heiße Thränen perlten über ihre Wangen und benetzten das Packetchen, das sie eben mit dem Samen des blauen Rittersporn gefüllt hatte,
    Auf dem Gesichte des Farmers leuchtete die Freude, daß es ihm endlich gelungen, den Zustand seines lieben Kindes er forscht zu haben. Was wollte er mehr Beweise? Was anders, als diese Thränen, sagten ihm, daß sein Kind Lajos liebte, ja noch liebt. Und was war Lajos in den Augen. Aller, die ihn kannten oder die von dem Vorfalle auf Watson's Farm gehört hatten? In Aller Augen blieb und war der Ungar ein Mörder, der, flüchtig vor der unerbittlichen Themis, vielleicht in Bälde durch irgend einen Zufall den Händen der Gerechtigkeit ausgeliefert werden konnte.
    Die Freude, die er anfangs darüber empfand, ein Kind auf so leichte Weise überlistet zu haben und dadurch hinter das Geheimniß seines Seelenzustandes gekommen zu sein, machte bald einer andern Stimmung Platz. Denn als er auf Sarah hinübersah, wie sie so liebekrank ihr Köpfchen sinken ließ und die Thränen zurückzuhalten bemüht war, da war es ihm nicht mehr möglich, ein Kind noch länger auf der Folter des Still schweigens zu martern und zu quälen, oder sie gar einem weitern Verhöre zu unterwerfen. --
    Er zog sie zu sich auf seinen Schooß und suchte sie nach besten Kräften zu beruhigen.
    „Sarah, mein gutes Kind, warum hast du deinem Vater bisher so wenig Vertrauen geschenkt und ihm deinen Kummer verheimlicht? Sage mein Kind, ist deine Liebe zu Lajos so tief in dein Herz gedrungen, daß sie dir alle Seelenruhe raubt, und allen jugendlichen Frohsinn verscheucht? -- -- Mädchen, Mädchen, welche Veränderung ist mit dir vorgegangen! Lebte deine selige Mutter noch, sie würde ihr Kind nicht mehr erkennen. -- --“
    „O, mein Vater“ sagte im schmerzlichen Tone Sarah, „Ihr seid so gut gegen Euer Kind -- -- aber Vater, sagt mir, begehe ich denn ein so großes Unrecht, wenn ich Lajos liebe? Ihr habt ihn doch früher auch geliebt, mein Vater. Wißt Ihr noch an jenem Abend, wo Eure andern Arbeiter, weil die Arbeitsstunden vorüber waren, nichts mehr anrühren wollten, -- wißt ihr noch, als uns Lajos bis spät in die Nacht hinein half, die Kartoffelu herauszunehmen, weil Ihr sie den Tag darauf auf den Markt bringen wolltet. Was sagtet Ihr damals zu mir, mein Vater? -- --

 

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    „Sagtet Ihr nicht: wie lieb' ich diesen ungarischen Gentleman; er ist so ruhig, so fleißig und gesetzt? -- --“
    Sarah schlug ihre Augen auf und sah ihrem Vater zuversichtlich in's Gesicht, als erwarte sie von ihm ganz gewiß eine versöhnende Antwort.
[LSZ - 1854.02.12]
    „Mein Kind,“ erwiederte der betrübte Vater nach einiger Unterbrechung, „es bestehen in der menschlichen Gesellschaft gewisse Normen und Gesetze, die nicht überschritten werden dürfen. Die Welt frägt nicht nach dem Urtheile eines jungen liebenden Mädchens, sie kümmert sich nicht um die Thränen, die unglückliche Liebe vergießt -- sie ergreift mit ihren harten Händen nur die nackte Thatsache. Die Leiden eines liebevollen Herzens können ihr nicht zur Richtschnur für ihre Handlungen und Maßregeln dienen. -- -- Glaube mir, mein liebes Kind, ich würde deiner Liebe nichts in den Weg stellen, wenn sich Lajos nicht selbst durch jene schreckliche That von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen hätte, die ihn stets richten wird, mag er ein noch so vorzügliches Herz und treffliches Gemüth haben.“
    „Wenn die Welt so verfährt,“ erwiederte Sarah ernst, „so ist sie höchst ungerecht und gefühllos.“
    „Lajos hat eine That begangen, die das Gesetz nicht uns geahndet lassen kann. Sein Jähzorn, angefacht durch eine arge Beleidigung seiner persönlichen Würde, zieht nicht in der Wage der Gerechtigkeit, die das Gesetz in den Händen hält. -- -- Laß dir rathen von deinem Vater, der es gut mit dir meint, entschlage dich dieser unglückseligen Liebe und gieb deinem jungen Herzen den Frieden wieder, der früher in ihm gewohnt.“
    Watson hielt den Ungarn in der That für einen trefflichen Mann und glaubte nichts weniger, als daß Lajos jemals einen Verräther gespielt haben könnte. Vor seinem Richterstuhle war er schon längst gerechtfertigt; nur fand er es für nöthig, seiner Tochter seine wahre Gesinnung zu verheimlichen, um dieselbe nicht noch mehr in ihrer Liebe zu demselben zu bestärken. Er sah sehr wohl ein, wie leicht der Jähzorn einen Menschen zu einer solchen That treiben könne, und daß Lajos in diesem Falle mehr zu beklagen, als zu verurtheilen sei. Die Sprache, die er gleich anfangs mit Sarah über diesen Gegenstand führte, war von ihm nur fingiert und, wie wir wissen, nur darauf be rechnet, hinter das Herzensgeheimniß seines Kindes zu kommen. -- -- --
    „Schien es mir doch eben, als wenn Jemand an jenem

 

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Fenster gewesen wäre,“ bemerkte Watson, indem er seinen Kopf emporhob und nach der bezeichneten Stelle hinsah. Sarah folgte unwillkührlich einen Blicken.
        Zu gleicher Zeit verließ die Dogge ihren Platz an der Thüre und reckte ihren Hals in die Höhe.
    „Sieh, Sarah, wie aufmerksam Nero ist!“
    „Ihr habt Euch wohl getäuscht, Vater -- Nero leg' dich wieder hin, es ist nichts.“
    Statt sich hinzulegen, schritt Nero einige Schritte weiter vor, das Fenster nicht aus den Augen lassend.
    „Schließ die Vorhänge, mein Kind,“ bat der Farmer, „das dumme Thier meint jetzt wirklich, wir hätten etwas gesehen.“ --
    Sarah verließ ihren Platz und ging auf das bezeichnete Fenster zu.
    Eben war sie im Begriffe, die Schleife, mit der die Vorhänge zurückgebunden waren, zu lösen, als sie plötzlich ihre Hände von denselben gleiten ließ und mit bleichem und verstörtem Antlitz in die Arme ihres erstaunten Vaters eilte.
    Ein jammervolles Hülferufen, unterbrochen von dem Gebele Nero's, drang von Außen durch die eben zerbrochene Fensterscheibe.
    „Was ist vorgefallen? Sarah, mein Kind, sagt, was giebt"s, was hast du -- -- wer war es?“ frug Watson verwirrt durch einander, indem er sich anschickte, hinaus zu eilen.
    „Vater, Vater, bleibt, bleibt!“ flehte Sarah, denselben zurückhaltend.
    „Vater -- Lajos!“ das waren die einzigen Worte, die sie auf wiederholtes Fragen ihres Vaters hervorbringen konnte.-
    „La--jos? -- --“ bebte es in gedehntem Tone von den Lippen des Farmers und auch er wurde bleich wie der Tod. Von Draußen ertönte immer lauter und durchdringender das Hülferufen.
    Nero's Bellen ging zu jenem unheimlichen Heulen über, das man im gewöhnlichen Leben als den Vorboten eines nahen Todesfalles bezeichnet. --
    Sarah hatte sich nicht getäuscht; es war in der That Lajos, dem sie in's Auge blickte, als sie vor dem Fenster stand.
    Um sich das so unerwartete Erscheinen des Ungarn an diesem Orte zu erklären, müssen wir etwas zurückgehen.
    Als damals der alte Carr auf Lajos stürzte, war es Letzterem

 

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gelungen, durch eine geschickte Wendung sich den Fäusten desselben zu entreißen und sich nun selbst mit verdoppelter Gewalt auf den alten Farmer zu werfen. Er hatte ihn auch bald zu Boden gedrückt. Im ersten Aufalle seiner Wuth hatte der Ungar seine Hände so fest um den Hals desselben zusammengedrückt, daß der alte Carr bereits in einigen Secunden zu athmen aufhörte.
    Lajos hatte dies kaum bemerkt, als ihn auch schon die schlimmen Folgen einer That lebhaft vor Augen traten und ohne sich noch weiters umzusehen, eilte er über die Fencen der umliegenden Farmen und stand nicht eher still, als bis er an einem vorspringenden Felsblock am Mississippi-Ufer erschöpft zu Boden sank.
    Eine undurchdringliche Finsterniß hatte ihn überrascht. Kein Stern blinkte vom Himmel.
    Hie und da brauste ein Dampfer an ihm vorüber und zeigte ihm die von der Glut gerötheten Gesichter der Feuerleute.
In fieberhafter Aufregung und mit ängstlicher Ungeduld erwartete er den Anbruch des Tages.
    Er schloß die ganze Nacht kein Auge. --
    Als endlich der Morgen heraufzudämmern begann, bemerkte er zu einem nicht geringen Entzücken, daß er sich an einer Landung befände, wo die Boote gewöhnlich Holz zur Feuerung einnehmen.
    Er beschloß nun, mit dem nächsten Boot, das den Mississippi herauskäme und hier Holz einladen würde, fortzufahren Da er vollkommen von Geld entblößt war und auch gerade keine Lust hatte, für seine Passage mit den Deckhands zu arbeiten, so hatte er im schlimmsten Falle die Aussicht, ausgesetzt zuwerden. Da nun der nächste Landungsplatz am jenseitigen Illinois-Ufer gelegen war, so wünschte er nichts sehnlicher, als daß man ihn heißen würde, das Boot zu verkassen.
    So geschah es auch. Gegen fünf Uhr Morgens legte die „Amazonia“, die erst vor einer halben Stunde ihren Wharf in St. Louis verlassen hatte, an der angedeuteten Stelle an, was sie immer zu thun pflegte, da man ihr hier das Material zur Feuerung billiger lieferte, als in St. Louis oder fünf Meilen weiter aufwärts.
    Lajos betrat das Boot und mischte sich mitten unter die hier in bedeutender Anzahl vorhandenen Zwischendeckspassagere.
    Die „Amazonia“ mochte kaum zwölf Meilen zurückgelegt

 

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haben, als der Clerk des Bootes seine übliche Musterung im Decke vornahm.
    Mit Lajos waren zu gleicher Zeit noch mehrere Passagiere eingestiegen.
    Als der Clerk von denselben das Passagegeld eincassirt, ging er auf Lajos zu, der getrennt von den Uebrigen, eben am Rande des Hinterdeckes saß und in weiter Ferne hin die Furchen zu verfolgen schien, die das Steuer in's Wasser grub.
        „Ich habe kein Geld“ war eine trockene Antwort, als ihn der Clerk des Bootes zur Bezahlung aufforderte.
    „Wenn Ihr kein Geld habt“ warf der Clerk in barschem Tone hin, so helft bei der nächsten Landung Holz mit einladen - oder wir setzen Euch aus. -- --“
    Als die „Amazonia“ die nächste Landung erreicht hatte, verließ Lajos das Boot, um nicht wieder auf dasselbe zurück zukehren.
    Der Clerk durchstöberte in Begleitung des Mate das ganze Boot, um ihn aufzusuchen und zur Arbeit anzutreiben.
    Sie suchten umsonst.
    Ohne Zweck durchstreifte der Ungar eine Farm nach der andern, überall sich als Arbeiter anbietend, aber immer wünschend, nicht angenommen zu werden. Bei dieser Gelegenheit ließ er sich denn auch nicht zweimal bitten, seinen leeren Magen zu speisen.
    So gelangte er denn nach zwei Tage Herumstreifen an jene Landgrocerie, wo er die Bekanntschaft des Pedlars Cleveland machte. Er setzte diesem in so eindringlicher Weise seine traurige Lage auseinander, wie er schon mehrere Tage, aber immer vergebens, nach Arbeit suche, daß ihm Cleveland sein Pferd anbot, um mit ihm nach Shellville zu reiten, wo er ihn bei einem Bekannten für guten Lohn unterbringen wollte. -- Das Weitere ist uns bereits bekannt und wir haben nur da anzuknüpfen, wo wir ihn, mit beiden Händen die gesträubte Mähne Lydia's fassend, im tollsten Carriere dahinfliegen sahen. --
[LSZ - 1854.02.14]
    Durch das Anzünden der Effekten des Pedlars Cleveland war der verdorrte Frühwuchs, über den die mannshohen Herbstgräser schwankten, in Brand gerathen. Ein anfänglich leiser, dann immer stärker sich erhebender Wind hatte in wenigen Minuten auf eine Strecke von zwölf Meilen die Prairie in ein Flammenmeer verwandelt, das sich mit reißender Schnelligkeit, der Richtung des Windes folgend, dahinwälzte.

 

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    Da Lajos den Wind im Rücken hatte, so hatten auch ihn bald die prasselnden Flammen erreicht. Schon leckten sie an den Hufen des dahinfliegenden Pferdes, -- -- nur noch Eine Sekunde, und Mann und Pferd hätten hier ihr Grab gefunden -- -- da stürzt sich Lydia in die Fluthen des Little Creek, der hier die Lookingglass-Prairie von den Rolling-Prairies auf der andern Seite des Flüßchens abschneidet. Die Flammen schlugen noch einige Male hinüber, ein nachdringender Feuerstrom scheint sie hierin noch zu bestärken -- doch sie finden am jenseitigen Ufer keine Nahrung und verlassen diese Stätte.
    Durch und durch naß und am ganzen Leibe vor Frost zitternd, verließ Lajos das nasse Bett, das ihn so unerwartet vor einem jähen, unvermeidlichen Untergange beschützt.
In weiter Ferne sah er noch das rasende Feuermeer sich dahinwälzen, ja, es dünkte ihm, als er mit Einemmale eine ungeheure Rauchsäule aufsteigen sah, daß eine Farm oder gar eine ganze Village dadurch in Brand gerathen seien.
    Lydia mußte entweder ertrunken oder davongeeilt sein. Er konnte sie nirgends erblicken. Aber welchen Wuthausbrüchen gab er sich hin, als er bemerken mußte, daß er all sein geraubtes Geld verloren, daß seine viertausend Dollars verschwunden waren.
    Die Riemen des Geldgurtes, den er sich um den Leib geschnallt, mußten aufgegangen sein -- dessen war er gewiß. „Lag der Gürtel im Flusse oder auf der abgebrannten weiten Prairie? Wie viele Meilen hatte er zurückgelegt, welchen Weg hatte Lydia eingeschlagen?“ das waren Fragen, deren Beantwortung ihn zur Verzweiflung treiben mußten.
    Und es war erst eine Stunde nach Mitternacht. --
    „Donner und Doria! Ist denn die ganze Hölle darauf versessen, mich zu Grunde zu richten? Bin ich denn nicht selbst Satan genug, um ihr zu befehlen, mir zu helfen und an die Hand zu gehen -- -- ich glaube, wenn man so rasch auf Einander zwei Morde begangen hat, kann man auch die Unterstützung der Hölle beanspruchen! -- --“
    Sein Inneres schwieg einige Augenblicke, dann brach es wieder um so heftiger los:
    „Geld! Geld! Ehre, Ruhm, guten Namen - Alles lieber eher verlieren, aber nur kein Geld! - Satanas, Satanas Geld, Geld! -- -- --“
    Hätten die Sterne diese Worte vernehmen können, sie hätten sich entsetzt in's tiefe Nachtblau zurückgezogen und

 

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würden für diese Nacht nicht mehr geleuchtet haben. So aber führte sie der wehende West mit sich fort -- weit, weit hin über die rauchenden Brandstätten zur Leiche des ermordeten Pedlars. --
    In langen Schritten eilte der Ungar über das kurze Gras der Rolling-Prairie, nachdem er es nach einem viertelstündigen Herumspähen am Ufer des Creek aufgegeben hatte, nach einem Geld weiter zu suchen und es nach einigem Nachdenken auch für klüger hielt, sobald als möglich dieses Terrain im Rücken zu haben.
    Erst jetzt überdachte er den dummen Streich, den er begangen, indem er das Gepäck des Pedlars und mit ihm die Prairie in Brand gesteckt. Er sah jetzt zu spät ein, daß es klüger gewesen wäre, entweder den Tag abzuwarten oder sich nach der nächsten, besten Richtung hin aus dem Staube zu machen. In keinem von beiden Fällen hätte er mehr riskiert, als er jetzt wirklich eingebüßt. Und gab es nicht noch andere Mittel?
    Wie es aber gewöhnlich zu geschehen pflegt, der Klügste verliert in außerordentlichen Fällen den rechten Pfad aus den Augen und stürzt sich blindlings dem Verderben entgegen. Lajos hatte den noch übrigen Theil der Nacht eine ziemliche Strecke zurückgelegt. Als er gegen Morgen eine Farm anfichtig wurde, war er so ermüdet, daß er sich gerne nieder gesetzt hätte, um auszuruhen. Auch schmerzte ihn seine Wange. Er knüpfte sein Halstuch los und bandes sich so um's Gesicht, daß man die schreckliche Wunde nicht sehen konnte; vergaß aber dabei, das ihm im ganzen Gesicht herumklebende Blut abzuwaschen.
    Seinem schon früher einmal aufgeführten Manöver getreu, suchte er auch hier wieder nur um Arbeit nach, um bei dieser Gelegenheit seinen Hunger zu stillen.
    Als der Farmer, ein Pennsylvania Deutscher, das blutbefleckte Gesicht des herankommenden Mannes sah, schaute er denselben verdutzt an und war höchlicht erstaunt, als ihn dieser bleiche Mann um Arbeit auf seiner Farm ansprach.
    Auf ein blutbeflecktes Gesicht durch eine Bemerkung des Farmers aufmerksam gemacht, gab er zur Antwort, daß er bei seiner nächtlichen Fußreise über einen großen Stein gestolpert sei und sich an der spitzen Kante desselben eine Wange aufgeschlagen habe.
    Der Farmer, dem diese Erklärung nicht ganz zuverlässig

 

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dünkte, lud ihn zwar zum „Breakfeast“ ein, versicherte ihm übrigens gleich, daß er jetzt keinen Arbeiter brauche, da das Korn bereits eingebracht sei und er das Uebrige mit Beihülfe seines fünfzehnjährigen Sohnes selbst versehen könnte. Das ärmliche Aussehen Lajos's bestimmte ihn übrigens, demselben einen langen,abgetragenen blauen Blanketrock, mit einem breiten schwarzen Streifen über den Rücken, anzubieten, den der selbe auch mit großem Danke anzunehmen schien und ihn auch auf der Stelle anzog.
    „Ihr seid wohl noch nicht lange im Lande?“ frug der Farmer beim Weggehen den Ungarn, in jenem mit deutschen und englischen Worten gemischten Dialekte, wie er den Bauern in Pennsylvanien eigen ist.
    „Nein; nicht lange“ seufzte in scheinheiligem Tone der Ungar -- uns armen Einwanderern geht es lange schlecht, bis wir einmal mit dem herrschenden Tone in Eurem Lande bekannt sind. Und hat man sich auch einige Dollars bei Seite gelegt, so wird man krank, bekommt die Ague oder ein bilieuses Fieber und ist dann wieder so weit, als man früher war -- d.h. man hat wieder Nichts -- -- Ihr wißt gar nicht, wie schlecht es unser Einem, der mit den Sitten und Gebräuchen Eures Landes nicht vertraut ist, gehen kann. Wer sich auf ehrliche Weise mit seiner Hände Arbeit etwas verdienen will, kommt am schlechtesten weg.“
    „Sagt das nicht“, unterbrach ihn der Pennsylvanier in gutmüthigem Tone, „Ihr scheint mir das Vorurtheil eingesogen zu haben, daß man sich hier nur durch Schwindeleien und gewissenloses Speculieren. Etwas erwerben kann. Glaubt mir, daß, wenn Ihr auch hie und da einen Mann findet, der sich auf solche Weise einen Reichthum erworben hat, derselbe noch nicht den Charakter und die Solidität unserer Nation befleckt. Seht einmal um Euch, all diese blühenden Farmen, mit ihren schönen freundlichen Häuschen, sind durch Hände Arbeit entstanden und haben viel Schweiß gekostet. Kehrt ein bei unsern Nachbarn und Ihr werdet lauter thätige und rechtliche Männer finden, die unserer glorreichen Republik nur zur Ehre gereichen können. Ich sehe es Eurem mißmuthigen Gesichte an, daß Ihr immer nur die Schattenseiten unseres Landes im Auge habt. Wenn Ihr auch augenblicklich ohne Verdienst seid, so soll Euch das noch nicht entmuthigen oder Euch gar auf die falsche Idee leiten, unsere Republik sei ein schlechtes Land, das seine Kinder nicht zu ernähren weiß -- -- kommt noch Einmal

 

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mit mir herein, Ihr seht mir so traurig und verstimmt ans - daß es Euch gut thäte, von mir ein zehn Dollar Bill nicht auszuschlagen. Um die Ursache Eures Verstimmt eins will ich Euch übrigens nicht fragen -- es geht mich nichts an.“ -- --
    Als der Ungar die Farm verlassen hatte, sagte der Farmer zu seinem Sohne: „Ich weiß nicht, Sam, aber dieser Mann hat mir ein Grauen eingeflößt -- ich weiß nicht, was er begangen haben mag -- die Blutflecken in seinem Gesicht und die zugebundene Wange wollen mir nicht recht gefallen -- man fällt auch nicht gleich, so mir nichts dir nichts, über einen Stein und zerschlägt sich das halbe Gesicht, -- -- ich wünsch' ihm alles Glück auf die Reise -- -- ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit gethan --“. --
    Für Lajos begann jetzt eine Zeit wahrhaft satanischen Strebens, das nur darauf gerichtet schien, seinen Mitmenschen zu schaden, Familienbande mit einer fluchbeladenen Hand zu zerreißen und selbst seinen Wohlthätern, wo er es nur im Stande war, Schaden zuzufügen.
    Wohl ist es ein Glück für die Menschheit, daß nur wenige, wie Lajos, auf unserer Erde wandeln -- sie würde zum offenen Grabe, an deren Rande Hyänen und Vipern ihre sicilianischen Vespern halten.
    Lajos war durch und durch von seinem Hasse gegen die Menschen, die er alle nur für geschaffen hielt, um sie für sich auszubeuten, erfüllt. Es freute ihn, Menschen anzutreffen, denen der Friede aus der Brust gewichen oder die einst glücklich, nun im tiefsten Elende schmachteten. Er hielt sie für eben so viele Bundesgenossen, die ihm einst zur Seite stehen oder auf irgend eine Art noch nützen würden, ohne jedoch einen Gedanken für eine Verpflichtung gegen dieselben in sich aufkommen zu lassen. Sie mußten von der nemlichen Hand, der sie ihre Hülfe gereicht, eben so unerbittlich zu Boden geschlagen werden. Wäre Lajos ein Mensch gewesen, er hätte dem Pennsylvanier, der ihm das Reisegeld in die Hand gedrückt, wenn er sich ihm auch nicht dankbar erwiesen, doch wenigstens nicht Böses wünschen sollen, wie er es in der That gethan.
[LSZ - 1854.02.15]
    „Der dumme Rülps“ sagte er damals zu sich: „er hätte mir gerade so gut ein Hundert Dollars bill geben können -- -- ich wollte, der Satan brennte ihm seine ganze Farm weg, auf die er sich so viel einbildet -- -- der ungeschliffene Bauer, was er für ein Wesen aus diesem Hundestall von einer Republik macht -- -- Kornbrod, Speck und Molasses -- Molasses,

 

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Speck und Kornbrod, -- das sind die feinen Gerichte, die man uns an der großen Tafel dieser Republik serviert. Die Gesandten traktiert das weiße Haus mit Cornbeef und Cabbage und hängt ihnen die Temperenzmedaille des Pater Matthew um den ausgetrockneten Hals. -- -- -- Pah, Pah! Wenn man diesem Volke auch Tokayer und Ruster Ausbruch vorletzte, es würde die Beide auf die Seite werfen, um einem Syrupfasse Platz zu machen! -- --“ --
    Der Winter war herangerückt und Lajos befand sich trotz mehrer verübten Schwindeleien und unfreiwilligen Gelderpressungen in schlimmerer Lage, als er sich vor jener Affaire in der Looking-Glass-Prairie sah. Seit jener Flucht von Bissle's Island war in seinem Aeußern eine bedeutende Veränderung vorgegangen, die ihn nur mit genauer Noth noch erkennen ließ. Ein voller, pechschwarzer Bart wucherte um sein Gesicht, und bedeckte bis zur Hälfte die Narbe an seiner Wange, die, ihn ebenfalls unkenntlich machend, bis nahe an die untern Augenlider lief. Keine Miene verrieth jetzt mehr ein verbrecherisches Aufwallen oder einen teuflischen Entschluß, nichts brachte ihn mehr in Verlegenheit -- die überraschendsten Vorfälle durften auf ihn einstürmen -- kein Zug verrieth seine innere Bewegung. Sein Gesicht glich einem gemalten Bild, das der Tod selbst auf die Leinwand gepinselt. Es hätte Jemand auf ihn zutreten und ihn Mörder nennen können -- er hätte ihm in eisigster Ruhe eine Ohrfeige versetzt, ohne sich nur im Geringsten durch sein Mienenspiel zu verrathen.
    Der äußere Mensch hatte sich vollkommen an ihm überlebt, - nur sein Inneres war in ewiger Thätigkeit, ohne jedoch bis jetzt. Etwas Großes, wenn auch im Schlechten, zu Tage befördert zu haben. Seine bisher verübten Vergehen schienen eben so viele Ringe zu der großen Kette der Verbrechen schmieden zu wollen, die ihn in Zukunft wenigstens im Laster groß erscheinen lassen.
    Vertrauend auf ein verändertes Aeußere hatte er es wie der gewagt, nach St. Louis zurückzukehren; ja, er war so dreist, jenes Bierhaus aufzusuchen, in dem der Friedensrichter, der ihm damals wegen der Verrätherei an dem armen Soldaten die Thüre gewiesen, als Stammgast bekannt war und fast jeden Abend einkehrte. --
    Hier, von der bittersten Noth gequält und aus allen Boardinghäusern hinausgeworfen, faßte er endlich den schon lange gehegten Entschluß, wieder nach New-Orleans zu eilen,

 

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um die vielleicht in vermögender Lage sich befindende Frida aufzusuchen, die er vor einem Jahre so schändlich verlassen, um mit dem von Emil erpreßten Gelde in weiter Ferne ein freies Leben zu führen.
    Aber wie nach New-Orleans gelangen? Ohne Geld? Das ginge wohl, wenn er sich dazu entschließen könnte, für seine Passage zu arbeiten. Sich aussetzen lassen, wie damals am Illinois-Ufer? das wäre auf einer Fahrt von sechs bis zehn Tagen ohne Nutzen und würde ihn nur von seinem Ziele entfernen, das er nun so schnell als möglich zu erreichen suchte.
    Geld zu erlangen in St.Louis, war für ihn eine höchst schwierige Sache -- -- denn wer wollte ihm auch nur Einen Cent verabfolgen? -- Er hätte sich geradezu auf's Stehlen verlegen müssen. Er war übrigens schon so tief verkommen und depraviert, daß er sich wirklich nicht gescheut, einen gemeinen Diebstahl von einigen Dollars zu begehen, obwohl er es vorgezogen hätte, einen Mord zu arrangieren, mit dem sich einige Tausend Dollars machen ließen.
    Ging er an den Schaufenstern der Geldwechsler vorüber, so blieb er oft sinnend vor denselben stehen und ging mehrere Male schon mit dem Vorsatze um, durch einen kecken Griff sich einiger hundert Dollars Bills zu bemächtigen und dann das Weite zu suchen.
    Das war aber ein zu gefährliches Spiel und nur vom cabbalistischen Griffe eines gewandten Taschenspielers auszuführen möglich gewesen.
    Da schweifte eines Tages ein Blick hinüber auf Bissle's Island, das er ganz vergessen zu haben schien und wo er ein Wesen wußte, das für ihn. Alles zu thun im Stande wäre. „Sollte er Sarah nicht angehen, ihm -- Geld zu verschaffen? Wie würde er aber von dem Vater Sarah's aufgenommen, Er, der Mörder des alten Carr? Er kannte die Gutmüthigkeit des Vaters Sarah's -- würde er ihm nicht, wenn er plötzlich erschiene, die Mittel an die Hand geben, sich in einen andern Theil der Union begeben zu können? Jene That wurde ja nur in momentaner Aufwallung verübt, und das wird Mister Watson wohl zu würdigen wissen und mir ein Mitleid nicht versagen. Mit der Verrätherei Geschichte, falls Sarah ihrem Vater davon gesagt, will ich leicht fertig werden -- der alte Carr war entweder besoffen oder er hat mich für einen Andern angesehen! Wer bringt gegen mich Gegenbeweise auf? Und wo keine bestimmten Beweise zu führen sind, muß sich zuletzt

 

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doch immer in diesem Falle die Schaale des Mitleids auf meine Seite senken. -- -- Heute ist gerade das rechte Wetter -- der tiefe Schnee, der kalte, rauhe Wind -- ich, zerlumpt, vor Kälte zitternd -- das muß mir Alles das Mitleiden Watson's zusichern -- --“ --
    Daß er diesen Entschluß wirklich ausgeführt, wissen wir bereits.
    Lange schlich er um das Farmerhaus herum und sah durch das Fenster Sarah mit ihrem Vater beschäftigt, die verschiedenen Sämereien zu ordnen und sie in Packetchen zu vertheilen.
    So hatte er eben wieder, als Sarah die Vorhänge schließen wollte, sein Gesicht den Scheiben zugekehrt, um vor seinem Erscheinen die Gemüthstimmung Beider zu erforschen. Und dieses Talent besaß er im höchsten Grade. Sein scharfes Auge erkannte im Augenblicke, daß er hieher nicht umsonst seine Schritte gelenkt, und daß er hier, wenn nicht viel, doch wohl Etwas zu hoffen habe.
    Sarah hatte Lajos trotz seines großen Bartes gleich er, kannt -- wie hätte sie auch seine Augen vergessen können? diese glühenden Augen, die der Pedlar Cleveland einst für Leuchtkäfer gehalten hatte, die durch das hohe Gras der Prairie dahinzogen. -- -- An diesen Augen hätte die Lajos erkannt, wenn sein Gesicht bis auf's Aeußerste unkenntlich gemacht und verzerrt gewesen wäre.
    Kann ein Mädchen die Augen vergessen, die ihm der Traum der ersten Liebe in’s Herz gezaubert? --
    Als Sarah, bleich wie eine liebekranke Lilie, vom Fenster zurückwich, um in die Arme ihres erstaunten Vaters zu eilen, war die aufmerksame Dogge durch die Fensterscheiben gesprungen, daß dieselben klirrend niederfielen. Wie im Fluge hatte sie sich auf den Ungarn gestürzt und ihn durch die Schwere ihres Körpers zu Boden gestreckt.
    Ein entsetzliches Jammergeschrei, untermischt mit dem Heulen der Dogge drang bald darauf zu den Ohren des Farmers und seines Kindes.
    „Vater, Vater bleibt, bleibt,“ flehte Sarah, als sie den selben sich erheben sah, um hinauszueilen.
    „Vater -- Lajos!“
    La--jos -- -- --?“
    Sarah hing sich an den Rock ihres Vaters, als derselbe endlich zur Thüre eilte und die Dogge bei ihrem Namen rief.
    Augenblicklich hörte der Hund zu heulen auf, als er die

 

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Stimme seines Herrn vernommen hatte; doch drückte er noch immer die Tatzen seiner Vorderbeine gegen die Brust und den Hals des am Boden Liegenden, so daß diesem fast der Athem ausging.
    Watson schien schon wieder gefaßt, als er die noch immer sich sträubende Dogge am Halsband ergriff, um sie von dem Körper des Ungarn wegzuziehen.
    „Was soll das, Lajos? und noch dazu in so später Stunde -- wißt Ihr nicht mehr, wo Ihr seid und daß Ihr diesen Ort zu vermeiden habt?“
    Sarah stand bebend hinter ihrem Vater, den sie noch immer am Rocke hielt.
    Lajos hatte sich halb aufgerichtet und sagte mit eisiger Ruhe:
    „Mister Watson, es thut mir nur leid, Euch so unnöthigen Schrecken eingejagt zu haben -- wäret Ihr eine Minute später gekommen, so hätte mich Euer Nero kalt gemacht -- -- wahrscheinlich wollte er das Rächeramt übernehmen -- -- -- seh' ich recht, so ist's die nemliche Stelle, wo der alte Carr sein Leben ausgehaucht!“
    „Laßt das Gerede!“ sagte in ernstem Tone Watson und half dabei dem Ungarn vom Boden auf.
    „Kommt mit herein in die warme Stube und sagt mir, was Euch in so später Stunde hieher führt -- kann ich Euch in etwas helfen -- ich werde für Euch thun, was in meinen Kräften steht -- aber gelobt mir erst feierlicht, nie wieder hierher zurückzukehren!“ -- -- Solltet Ihr es je wieder wagen, Euren Fuß auf diese Farm zu setzen, so würde ich Euch ohne Schonung den Gerichten ausliefern...“
[LSZ - 1854.02.16]
    Der Ungar versprach dies, indem er dem Farmer in pathetischer Weise die Hand drückte.
    Als sie in die Stube eintraten, blieben Vater und Tochter entsetzt stehen.
Lajos gewährte in der That einen haarsträubenden Anblick. In ganzen Büscheln hatte ihm die Dogge die Haare aus dem Kopf gerissen und lagen nun zerstreut auf Schultern und Nacken. Auf der Narbe an seiner Wange, die die Zähne der Dogge wieder aufgerissen, stand das Blut in dicken, klebrigen Tropfen und hatte die Spitzen eines Backenbartes roth gefärbt; seine Kleider zerrissen und zerlumpt und von seinen erstarrten Händen war an mehreren Stellen die Oberhaut abgeschält.
    Der Farmer wußte im „ersten Augenblicke nicht, wie er sich benehmen sollte.

 

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    Sarah hatte sich in den Schaukelstuhl ihres Vaters niedergelassen, und verbarg ihr Gesicht in den Falten ihres Kleides. --
    Auffallend ist es, daß die Arbeiter Mr. Watson's durch das Geheul der Dogge nicht aus den Betten getrieben wurden. Wahrscheinlich waren sie trotz des tiefen Schnees und der bitterlichen Kälte zu den Töchtern der anwohnenden Farmer geeilt, um denselben ihre Huldigungen darzubringen.
    Auf andere Weise läßt es sich nicht erklären. --
    „In solchem Zustande könnt Ihr Euch von hier nicht entfernen“, begann Watson wieder --, geht in dies Kabinet hier und wacht Euch das Blut aus dem Gesicht; ich will Euch dann ein paar Hosen und einen weißen Blanketrock geben; wenn Euch diese Kleidung übrigens nicht ansteht, so könnt Ihr sie immer wieder mit einer feinern vertauschen, wenn Ihr nach St. Louis kommt. Wenn es sich nicht gerade träfe, daß ich so viel Geld ausstehen hätte, ich würde Euch gern mehr geben“ -- -- setzte der Farmer hinzu, indem er dem in einem Innern frohlockenden Ungarn zwei Bills hinreichte, jede im Werthe von zwanzig Dollars -- -- -- legt Euch dann schlafen und bleibt nur liegen, bis ich Euch wecke -- --“
    Ein solches Entgegenkommen hatte der Ungar nicht er wartet; er sah nun, daß er die Gutmüthigkeit des Farmers nicht überschätzt hatte. --
    Sarah schloß diese Nacht kein Auge. Das Bild Lajos's stand beständig vor ihrer Seele. --
    Noch bevor es Tag wurde, weckte Watson den Ungarn und ersuchte ihn, die Farm zuverlassen. Als Lajos dem Farmer zum Abschiede die Hayd drückte, schwebte eine Frage auf seinen Lippen,der jedoch kein Wort einen Ausdruck verlieh. -- --
    „Wo ist Sarah!“ schien er zu fragen.
    Den nächsten Tag schon befand sich Lajos in anständiger Kleidung in der Kajüte der „Sultana“, die ihren regelmäßigen Trip nach New-Orleans machte.
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    Als der Winter dem Frühling gewichen war und die ganze Natur wieder proßte und blühte, hatte Watson ein Töchterchen auf Russel's Farm gebracht, um hier, entfernt von dem Orte so trauriger Ereignisse, sich zu zerstreuen und im

 

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Umgange mit dessen fröhlichen, lebenslustigen Töchtern ihren Herzenskummer zu verscheuchen.
    Die Nachrichten, die Watson von Zeit zu Zeit über sein Kind einzog, waren jedoch nicht dazu geeignet, ihn mit frischer Hoffnung zu beseelen.
    Auch auf Russel's Farm ging Sarah traurig und stumm umher und konnte den Spielen ihrer Freundinnen keinen Reiz abgewinnen.
    Am liebsten hielt sie sich in dem großen Treibhause auf, streifte die welken Blätter von den Camelien und Gardenias oder band sie an Stäbchen fest. Zwei Blumen hatte sie besonders ihre ungetheilte Aufmerksamkeit gewidmet; sie standen in hellgrün glacierten Töpfen mit schmalen messingenen Reifen. Es waren die in der alten Welt wild wachsende Kornblume und das Gänseblümchen, die man hier als Zierpflanzen heran zieht und die in keinem Blumengarten oder Treibhause fehlen dürfen.
    Wie war Sarah mit diesen Blumen so innig vertraut geworden?
    Liebte sie in ihnen die Heimath desjenigen Mannes, der noch immer ihr Herz gefangen hielt?
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Fünftes Capitel.

Unerwartet

    Wir befinden uns wieder in New-Orleans.
    An einer Ecke der Chartres-Straße saßen in einem der elegantesten Kaffeehäuser der Stadt zwei Männer und spielten Domino à la poudre.
    Diese Variation des gewöhnlichen Domino's wird regelrecht nur in gewissen Clubbs gespielt, deren Lokale ein Fremder nur unter höchst schwierigen Bedingungen betreten darf. An dem erwähnten Spiele müssen in der Regel drei Personen Theil nehmen, unter denen sich stets eine Dame befinden muß, worin auch das Charakteristische dieser Variation liegt. Die Dame hat beim Beginne einer jeden Tour das Vorrecht, den ersten Stein auszusetzen. Trifft es sich, daß die Dame gleich von vornherein den doppelt Weißen in die Hände bekommt und sie setzt ihn aus, so verzichtet dieselbe auf das Weiterspielen und die Andern müssen sich wieder neue Steine

 

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wählen und die Parthie zu Zweien beginnen. Wer nun von diesen Beiden gewinnt, erwirbt sich die ausschließliche Gunst der Dame - die freilich nur einige Stunden dauert. Dieses Spiel wird auch hie und da ohne Beisein der Dame entriert und der Doppel-Weiße giebt dann den Ausschlag bei einer zufällig gleichen Anzahl von Punkten, wobei der Verlierende den Andern in die Arme einer liebenswürdigen Dame zu fuhren hat. Doch die näheren Details dieses galanten Spieles gehören nicht hieher, da unsere Geheimnisse auch für das Boudoir des schönen Geschlechtes bestimmt sind, das es stets geliebt hat, dergleichen Röthel selbst zu lösen und sich die geheimnißvolle Decke nicht von fremder Hand lüften zu lassen. Kokette und alte Jungfern werden in den „Geheimnissen“ schwerlich ihre Rechnung finden, ebensowenig die orientalisch lüsternen Bloomers, da es in New-Orleans, wie überhaupt in allen Parishes von Louisiana dem schönen Geschlechte verboten ist, Hosen zu tragen, außer -- den Frauen der Redakteure deutscher Zeitungen.
    Unsere beiden Männer spielten dießmal jedoch um keine Dame, sondern um Geld, was im Grunde genommen auch viel kluger war. Die Summe, um welche sie spielten, schien nicht unbedeutend zu sein, was man daraus ersehen konnte, daß der verlierende Theil öfters sich mit verhaltener Wuth in die Lippen biß und nach geendeter Parthie mit halblauter Stimme Revange auf den ganzen bisherigen Verlust verlangte. Als aber der Glücklichere von Beiden auf dies Anerbieten nicht eingehen wollte, indem er wohl voraussah, daß er bei einem etwaigen Gewinne doch nichts empfinge, da sein Gegner Alles verspielt und daß er, wenn ihm das Glück den Rücken kehrte das bisher Erlangte wieder herauszugeben hätte -- als er ihm nun dies entschieden ablehnte, schlug der Andere heftig mit geballter Faust auf die steinerne Platte des Tisches, daß die Dominosteine zu beiden Seiten auf den Boden fielen und überließ sich den heftigsten Ausbrüchen seines Zornes.
    Sehen wir uns in dem mit Menschen aus den entferntesten Ländern angefüllten Caffee-Salon etwas näher um.
    In einer Ecke desselben sitzt ein langer, hagerer Mann und durchblättert nachlässig die aufgelegten Journale; nur hie und da läßt er sein Auge über den Saal schweifen und firiert die beiden Spieler. Er ist höchst seltsam gekleidet. Ein langer, schmaler Mantel von dunkler Farbe, der vermittelt eines hochstehenden Kragens bis an das Kiun geschlossen ist und fast

 

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den Boden berührt, umhüllt die nüchterne Gestalt. Der kleine Kragen, der nachdem Nacken zu sich etwas umbiegt, läßt ein dunkelrothes Futter hervorsehen; die Aermel langen bis über die Hälfte der Hände hinaus und bedecken sie manchmal sogar ganz. Zudem ist der Mantel seiner ganzen Länge nach von Vorne zugeknöpft.
    Sein spitziges Gesicht, daß eine unverhältnißmäßig breite und hohe Stirne beherrscht, ist gelb und fahl und seine Wangen dergestalt eingefallen, daß man eine flache Hand hineinlegen könnte. Seine Nase, die nach der Mitte hin sehr stark auswärts geht, ist gegen das Ende ebenso stark wieder einwärts gebogen und berührt fast die feinen, kaum sichtbaren Lippen. Ueber den Augen, die von einer grünen Brille mit Seitengläsern vollkommen eingeschlossen werden, sieht man ein paar buschige graue Augenbraunen von unheimlicher Länge. Ueber seine Stirne läuft von einem Ohre zum andern ein bläulichrother Streif, der durch die hereingekämmten grauen Haare nur wenig verdeckt wird. Dieser Kopf mußte einmal unter dem Scalpiermesser eines Indianers gewesen sein; denn es war die regelrechte Scalpierlinie, die gegen die Schläfe zu abwärts steigt. Dieser Mann war jedenfalls durch irgend einen glücklichen Zufall der Vollendung dieser Execution entgangen. Schon lange hatte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden erregt. So manchen trieb die Neugierde, seine Bekanntschaft zu machen, indem man sich bemühte, eine Conversation mit ihm anzuknüpfen. Aber alle Versuche waren umsonst. Er antwortete höchstens mit Ja oder Nein und dieß in einem solch widerlichen Tone, daß Jeden die Lust verging, ihn weiters mit Worten zu belästigen. So saß er schon zwei Stunden bei seiner Tasse Mokka, wie ein schweigender Senator, der seine Trappistenrolle trefflich zu spielen versteht. Hätte er nicht den neugierigen Fragern manchmal mit Ja oder Nein geantwortet, so wäre man leicht veranlaßt gewesen, ihn für stumm oder für einen Jünger des Trappistenordens zu halten, wo zu letzterem seine originelle Kleidung noch beitrug.
[LSZ - 1854.02.17]
    Der Eine der oben erwähnten Spieler überließ sich noch immer - trotz der Einsprache des Wirthes -- den schrecklichsten Verwünschungen. Sein Gegner sah ihn dabei ganz kaltblütig und spöttisch-lächelnd an, was ihn nur noch mehr reizte. Der ganze Kaffee-Salon war auf den Ausgang dieser Scene gespannt und man ersuchte den Wirth, die Beiden so lange

 

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gewähren zu lassen, als sie nicht durch handgreifliche Demonstrationen die Sicherheit der Gäste gefährdeten. Der Alte im schwarzen Mantel rückte plötzlich seinen Stuhl, der bisher wie angenagelt schien, zog aus einer Seiten tasche eine hohe Mutze von Waschbärenpelz -- wie sie gewöhnlich die Rockymountain-Jäger zu tragen pflegen --, setzte sie auf den an vielen Stellen schon kahlen Kopf, erhob sich sodann und ging gemessenen Schrittes auf die Spieler zu.
    Aller Blicke waren auf ihn gerichtet, auf ihn, den Geheimnißvollen, der bis jetzt an Nichts Theil zu nehmen schien. Auf allen Gesichtern zeigte sich die regte Spannung; denn das Entschiedene, das aus seinen Mienen sprach, schien eine neue Katastrophe unter den beiden Spielern herbeiführen zu wollen.
    Indem sich der Allte demjenigen Spieler, der den Verlust erlitt, näherte, sagte er zu ihm in jenem englischen Accente, der den Franzosen leicht verrieth; „Erlauben Sie, mein Herr, daß ich mich in Ihre Angelegenheit menge und Ihren Gegner dringend ersuche, die Revanche schleunigst anzunehmen -- -- -- und Sie, mein Herr,“ und dabei wandte er sich an den Andern, „werden mir gewiß die Erfüllung meines eben aus, gesprochenen Wunsches nicht verweigern, da ich überzeugt bin, daß Sie ein „Gentleman“ sind und den point d'honneur beim Spiele kennen. Sie haben diesen Herrn, wie es scheint, durch die Gunst Fortuna's völlig geplündert, daher es auch, da Sie wahrscheinlich keinen Termin zur Beendigung ihres Spieles festgesetzt haben, nicht anders als billig ist, daß Sie die Parthie auf Risico der bisher gewonnenen Summe zum wiederholten Male entrieren.
    „„Ja wohl, ja wohl -- nicht Anders als billig!““ er tönte es jetzt aus. Aller Munde.
    Es ist merkwürdig, welche Gewalt manche Menschen auf ihre Umgebung ausüben. Ein einziges, zu rechter Zeit ausgesprochenes Wort, ja oft nur ihre bloße Erscheinung bestimmt sie zu Handlungen, Thaten und Entschlussen, die sonst nie verwirklicht worden wären. Und so war es auch hier. Die Nemlichen, welche erst kurz vorher noch die stillen Beobachter spielten oder im faden, unfruchtbaren Gerede sich über Beide amüsierten, interessierten sich nun fur den unglücklichen Spieler und Alles drängte sich um den Tisch, um der bescheidenen und doch so stolzen Bitte des geheimnußvollen Mannes Nachdruck zu verleihen.
    Es darf durchaus nicht befremden, daß in einem

 

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öffentlichen Lokale, wo täglich so viele Hunderte von Menschen aus und eingehen, trotz des eigentlichen Verbotes um nicht geringe Summen Geldes gespielt wird. Das Spielen um Geld in Kaffeehäusern und Wirthsstuben ist zwar verboten, jedoch achtet man hier sehr wenig darauf. Wie viele Gesetze werden hier nicht vor Aller Augen übertreten; wie viele Polizeibeamten sind nicht selbst dabei betheiligt! Es ist Vieles verboten, aber es wird auch Vieles geduldet: Dieß macht New-Orleans wohl zur freiesten Stadt in den Ver.Staaten. Abgesehen davon, daß unsere Spieler das Auffallende klingender Munze vermieden, indem sie sich gegen seitig nur Banknoten zuschoben, so hätte sicher Niemand Etwas einzuwenden gehabt, wenn Goldstucke lärmend und klingend von einer Seite zur andern geflogen wären. Es ist ein höchst seltener Fall, daß deshalb Jemand polizeilich betreten wird. Eine Ausnahme macht man in der Regel nur bei notorischen Spitzbuben und Vagabonden. Trotz seines sittlichen Verderbens besitzt hier in New-Orleans eine Aufrichtigkeit, die die Größe der Vergehen oft vermindern macht; es besitzt eine Freimuthigkeit, eine Naivetät, die die lauernde Themis gar oft schon entwaffnet. Man hält es hier nicht der Mühe werth, sich wegen eines Spiel-Verbotes in Schlupfwinkel zu vergraben und das Tageslichtzu scheuen. Man will offen ertappt sein. Wir wollen hiermit New-Orleans durchaus keine Lobrede halten, sondern wir erwähnen dieß nur gegenüber den Muckern und scheinheiligen Sundern östlicher und westlicher Städte, denen New Orleans nichts Anderes ist, als das Sodom und Gomorrha der Ver.Staaten und die es doch eher verdienen, von einem tüchtigen Schwefelregen gewaschen zu werden.
    Durch den allgemeinen Applaus der Anwesenden und durch die entschiedene Bitte oder vielmehr Forderungdes Alten eingeschüchtert, nahm der noch kurz vorher sich Weigernde das Spiel unter dem oben erwähnten Risico von Neuem auf. Mehrere Gäste rückten ihre Stühle herbei und belagerten so förmlich den Tisch. Das großartige Treiben am grünen Tische hätte bei ihnen nicht mehr Interesse erwecken können, als wie es sich jetzt an der Marmortafel, wo nur zwei Dominospieler sich gegenüber saßen, kund gab. Der Alte blieb dicht hinter seinem Manne stehen und schien es darauf abgesehen zu haben, denselben scharf zu beobachten. Das Spiel begann. Nur wenige Züge und das Spiel ward vom Nämlichen wieder gewonnen. „Domino!“ schrie der Glückliche, indem er vom Stuhle

 

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aufstand und sich in die Brust warf, „Wieder gewonnen! Und nun, mein Herr,“ sagte er nach einer kleinen Pause, indem er sich umkehrte und sich an den Alten wandte, „Sie haben sich durch Ihre Einsprache so freundschaftlich gegen meinen Kameraden gezeigt -- nun haben Sie auch die Güte und verhelfen mir zu meinem Gelde; denn der hat keinen Cent mehr in seiner Tasche -- -- es standen nicht mehr als hundert Dollars auf dem Spiel! Da sehen Sie mein Herr,“ indem er eine Handvoll Bills unter einem Hute hervorzog, „Alles in guten Louisiana State Noten!“ Die Umstehenden staunten; denn daß es sich um eine so hohe Summe handelte, hatten sie nicht erwartet. Nur der Alte schien nicht überrascht. Er erwiederte gleich darauf: „Getrauten Sie sich wohl, so verwegen zu sein, das Glück noch einmal zu versuchen? Ich werde Sie dann nicht mehr zum Drittenmale belästigen, wenn Ihnen Fortuna auch dießmal wieder günstig sein sollte. Ich stehe für die Schuldforderung, die Sie an Ihren Gegner zu machen haben.“
    Der glückliche Spieler erstaunt über dieses wiederholte Ansinnen des Alten -- denn er mochte das „Gutsagen“ einer so großen Summe bei dem so ärmlich aussehenden Manne bezweifeln -- entgegnete: „Mein Herr, wer Sie auch sein mögen, so ersuche ich Sie, mich mit Ihren Zudringlichkeiten von nun an in Ruhe zu lassen, indem ich mich bereits vorher so loyal gegen Sie bewiesen habe und Ihren Wunsch erfüllte - zudem müßten Sie unermeßliche Reichthumer besitzen, wenn Sie für jeden Spieler, der im Unglücke sitzt und sein Geld verspielt hat, Bürgschaft leisten wollten. Freilich -- setzte er mit spöttischer Miene hinzu -- hätten Sie da in New-Orleans einen großen Wirkungskreis.“
    „Wenn Sie nur der Zweifel an der Realität meines Geldbeutels hindert,“ entgegnete mit äußerster Ruhe der Alte, „so könnte mir doch noch das Vergnügen zu Theil werden, meinen Wunsch befriedigt zu sehen, wenn diese Zweifel gehoben sind.“ Indem er dieses sagte, griff er behutsam in einen Man tel, nahm ein kleines schwarzsammetnes Portefeuille, auf dem man undeutliche Zeichen mit Silber gestickt, sehen konnte, daraus hervor, öffnete es und legte vor den Augen der erstaunten Gäste das zehnfache der gewonnenen Summe auf den Tisch. Ein allgemeines Gemurmel ließ sich durch den Saal vernehmen. „Wer muß das sein?“ flüsterte man sich zu. „Das ist ja der zweite Mc-Donough!“ „Der Kerl hat den Teufel im Leibe,“ wisperte ein kleines Männchen, „seht nur

 

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unter den Mantel, der Pferdefuß wird ihm nicht fehlen.“ -- „Den Schwanz habe ich schon bei seinem Eintritte hervor schauen sehen,“ bemerkte ein bigotter Spanier. „Und was er für lange magere Finger hat! Es fehlen nur noch die Krallen daran!“ Diese Fragen und Gegenfragen wurden jedoch so leise gewechselt, daß der Alte durchaus nichts davon vernehmen konnte. Uebrigens schien er nur mit sich und dem einen Spieler beschäftigt.
    „Tausend Dollars -- eine Kleinigkeit!“ bemerkte der Alte. „Setzen Sie sich nun mein Herr und beginnen Sie ge troten Muthes von Neuem!“ Der Angeredete ließ sich beim Anblicke des vielen Geldes leicht verblenden, doch konnte er eine gewisse Scheu und Aengstlichkeit in seinen Gesichtszügen nicht ganz verbergen.
    Wieder begann das Spiel -- -- -- da plötzlich donnerte dem dießmal befangenen Spieler der Alte: „Falsch gespielt!“ in die Ohren, daß derselbe erschreckt zusammenfuhr und maschinenmäßig die Hände von den Steinen gleiten ließ.
    Es wäre dem falschen Spieler jetzt unmöglich gewesen, zu entwichen; denn von allen Seiten drängten sich die Umstehen den herbei und bildeten eine undurchdringliche Mauer. Das mußte jener auch einsehen, da er nicht im Geringsten Miene machte, zu entfliehen. Kreideweiß sah er da und ließ alle Scheltworte über sich ergehen. Man fand sehr bald den obigen Ausruf begründet.
    Die Steine waren nämlich mit der äußersten Vorsicht gezeichnet, was der Alte schon früher ahnen mochte. Ebenso verhielt es sich mit noch fünf andern Spielen, die der Wirthauf Verlangen herbeibringen mußte. Man staunte. Der Wirth sah verlegen auf die Seite. Der Alte nahm sein hingelegtes Geld und barg es wieder in sein Portefeuille. --
    Den Betrüger nahm man fest.
[LSZ - 1854.02.18]
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Sechstes Capitel.

Die Brautfahrt.

„Ein Mädchen oder ein Weibchen
Wünscht Papageno für sich,
Und so ein zartes Täubchen
Ist Seligkeit für mich --
Ist Se-lig-keit für mich!“
        (Zauberflöte.)
    Seit jenem verunglückten Ständchen in Toulouse Street hatte der Büchsenspanner einen tödtlichen Haß auf alle Franzosen.

 

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Hörte er auf der Straße französisch sprechen, so wurde er vor Wuth über und über roth, wie ein gesottener Krebs und fluchte ihnen so lange -- im Stillen -- nach, bis sie aus seiner Sehweite verschwunden waren.
    Wie immer, so hielt er auch diesmal wieder einen üblichen Monolog:
    „Diese Frenschmänner meinen gerade, sie dürften. Einem nur so auf dem Kopf herumtanzen, weil sie Frenchmänner sind. Es ist gar kein anständiges Leben mehr in dieser Stadt, sie verderben die gute Sitte und stürzen manches unschuldige Mädchen in’s größte Unglück. -- -- Doch, ich will von alle dem nichts sagen, wenn sie nur meine Landsmännin ungeschoren ließen. Das gute Kind wird zuletzt noch ganz verdorben -- durch diese ver-r-r-r-dammten Frenchleut'! -- -- -- Hätte ich damals nur nicht meine Guitarre in der Hand gehabt -- ich hätte ihn schön zugerichtet -- ja, bei Gott! wenn das meine Landsmännin wüßte, sie wurde diesem Frenchmann gewiß die Augen auskratzen, wenn er sich noch einmal unter fangen würde, ihr ein Ständchen zu bringen -- -- ja bei Jingo, was dieses frenschische Ungethüm nur geglaubt hat, wer ich bin -- ja, bei Gott, einen Mann so zuzurichten, der in Tübingen Aesthetik gehört und es beinahe bis zum Staatsera men gebracht hat -- wenn ich das nach Deutschland schreiben wollte, Niemand würde es mir glauben. --“
    Der heutige Tag war für die Zukunft des Büchsenspanners entscheidend, ob er sich nemlich unter das sanfte Joch der Ehe beugen oder für immer Junggeselle bleiben sollte.
    Im ersteren Falle mußte es durchaus Orleana sein, da er nur für sie allein das zu fühlen glaubte, was einem braven Ehemanne zukomme.
    Zu diesem Zwecke lag eine auserlesene Toilette auf seinem Klapptische.
    Sein schwarzer Frack, den er als Confirmand vor fünfzehn Jahren das erste Mal getragen, war schon Tags vorher tüchtig abgewaschen und abgebürstet und lag jetzt über eine Stuhllehne zum Trocknen ausgebreitet.
    Von Zeit zu Zeit betastete er ihn und berechnete die Zeit, in der er völlig trocken sein könnte. Daß die Aermel etwas zu kurz waren, schien ihn nicht zu beängstigen, denn nach seiner Meinung wurden dadurch die schönen gesteiften Manschetten um so mehr herausgehoben und da er einmal in irgend einem Buche gelesen, daß die Frauen besonders auf die Hände

 

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eines Mannes sehen, so glaubte er schon allein dadurch eine unverlöschbare Flamme in Orleana's Herzen anzufachen.
    Ein Brief, den er für sie auf die Post getragen, mußte Orleana nur noch mehr von seiner Liebe überzeugen.
    Jener Brief lautete:
„Hochedelgeborenes Fräulein Orleana, wohnhaft in Toulousestreet, sechs Gschwärs*) ab von der Office der „Deutschen Gesellschaft“! Ja,in der That und ohne Umschweife Hochedelgeborenes Fräulein! “
    „Wenn ich mich hiemit erkühne, Ihnen, mein Fräulein, ein paar Zeilen zukommen zu lassen, so ist damit noch nicht gemeint, daß ich schon von vornherein auf Ihre Liebe Anspruch mache. Ich bin ein Deutscher und das sei Ihnen hiermit genug. Ich bin keiner von jenen zudringlichen Frenschmännern, die durch ihre liederliche Aufführung Sie, Hochedelgeborenes Fräulein, in den Abgrund des Lasters und des sittlichen Ruines zu stürzen drohen. Ich halte es als Landsmann daher für meine Pflicht, ja noch mehr, für eine Noth-Pflicht, Sie vor diesem Gesindel zu warnen, und sollten Sie geneigt sein, hiemit meine Hände mit den Rosenketten der Ehe zu binden, so sagen Sie es mir ohne Umstände, gerade heraus, wie es sich einer so verehrten Landsmännin geziemt. Ich besitze alle jene Eigenschaften, die ein ordentliches Mädchen verlangen kann, in bedeutendem Grade, und wenn sie nach vielen Jahren einmal in Ihre Vergangenheit zurückblicken, so müssen Sie sich doch wenigstens gestehen, daß sie sich einem Landsmann an den Hals geworfen, der es schon gleich von vornherein gut mit Ihnen gemeint hat. Daß Sie mir aber später keine Vorwürfe machen können, daß ich Sie hintergangen, indem ich Ihnen verheimlicht, daß ich kein Geld habe, so sage ich es Ihnen gleich jetzt frisch von der Leber weg: ich habe Keines. Ich weiß aber, daß ein so ordentliches Mädchen, wie Sie sind, verehrte Landsmännin, schon gleich von vornherein kein Geld von mir verlangt und so viel Bildung besitzt, mit einem liebevollen Herzen zufrieden zu sein. Was meine eigene Persönlichkeit anbelangt, so werden Sie gleich von vornherein bemerken, daß ich kein so mageres Ding bin, als diese liederlichen
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*) Vermuthlich: „Squares.“

 

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Frenschmänner, die es schon gleich von vornherein schlecht mit Ihnen meinen. Wenn Sie mir erlauben, Sie morgen zur Diner-Zeit zu besuchen, so werden Sie gleich von vorn herein die Bemerkung machen, daß Sie es mit einem anständigen Manne zu thun haben. Also morgen werde ich so frei sein, Sie zu besuchen und Ihren gütigen Entschluß entgegen zu nehmen. Die erste Zeit nach unserer Verheirathung können wir in Ihrem Hause wohnen, und für mich eigens gleich von vornherein ein Cabinetchen für meine Büchsen, Gewehre und Pistolen, die schon so lange bestellt sind und an denen ich noch da und da herum zu flicken habe -- -- doch -- das können wir noch späterhin mit Einander besprechen. -- Also noch einmal, daß Sie mich morgen zur Diner-Zeit richtig und pünktlich erwarten.
Ergebenst und respectvoll Ihr
Sie hochachtender Landsmann Kaspar Hahn.“

    Wie man sich leicht denken kann, war Orleana bei Durchlesung dieses Briefes auf's höchste empört. War der Brief wirklich ernstlich gemeint und flossen diese Worte aus der Feder eines Narren, der sich in der That in sie verliebt hatte, oder hatte man es gewagt, sich mit ihr einen so abscheulichen Spaß zu erlauben? Diese Fragen versetzten ihr jungfräuliches Gemüth in die peinlichste Unruhe. Nachdem sie dieselben gegen Einander abgewogen, hielt sie es für das Klügste, den morgigen Tag jedenfalls erst abzuwarten, und wenn der sich Angemeldete nicht erschiene, ernstliche Maßregeln zu ergreifen, um dem Urheber dieses empörenden Briefes nachspüren zu lassen. Sehnlichst wünschte sie, daß das Erstere der Fall sein möchte; denn einem verliebten, tölpelhaften Narren seine Idee aus dem Kopf zu treiben, dazu fühlte sie sich gewachsen. Einer abscheu lichen Verschwörung gegen ihre weibliche Wurde aber entgegen zu treten, hielt sie für mehr als gefährlich. Schon der Gedanke, ihr Name könne auf diese Weise vor den schmutzigen Richter stuhl pöbelhafter Menschen gezogen werden, schien ihr uner träglich. --
    Der Büchsenspanner hatte alle nur erdenklichen Mittel, wie sie seine Caffe herbeizuschaffen im Stande war, angewandt, um sich so bräutigamsmäßig als möglich herauszustaffiren.
    Sein aufgestülpter Heckerhut mußte einem Seidenhut weichen, und sein baumwollenes rothgestreiftes Sacktuch einem feinen, weißen Battist-Tuche, das mit den feinsten Spitzen bejetzt war.

 

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    Er hatte dasselbe nicht gekauft, sondern es vergangenen Sonntag vor der Kathedrale liegen sehen und zu sich gesteckt.
vSo recht emsig mit seiner Toilette beschäftigt, wurde er von einem Manne unterbrochen, der, ohne erst an die Thüre zu pochen, ungeniert hereintrat und sich hart an ihn heranmachte.
    „Comment s'en va, Monsieur Kaspar?“ waren die ersten Worte.
    „Sprechen Sie doch deutsch, Herr Weber -- ich kann kein French!“ antwortete ärgerlich der Büchsenspanner.
    „Ich will nur sehen, wenn Sie einmal französisch sprechen lernen, Monsieur Kaspar -- sind doch schon über sieben Jahre in der Saud *) -- -- Sehen Sie doch einmal die Franzosen kinder an, wie die schon fertig französisch sprechen können - und Sie sind schon über dreißig Jahre alt und sprechen noch kein einziges Wort. -- --“
    „Das ist auch etwas ganz Anderes, unser Einer, der studiert hat, muß an gescheitere Sachen denken, als frensch zu lernen -- das verstehen Sie nicht, Herr Weber. --“
    „Apropos“, unterbrach ihn der Lothringer, ein Mann hoch in den Dreißigern, „wie steht's mit der Rente? "Sind schon über zwei Monate, daß ich's Ihnen nachsehe -- ich habe keine Lust mehr, länger zu warten -- 's sind böse Zeiten und ich brauche mein Geld.-“
    „Aber liebster Herr Weber, ich hab' Ihnen doch gesagt, daß -- -- wenn -- -- daß ich eine gute Parthie in Aussicht habe -- -- -- no, no, sehen Sie mich nicht so zweideutig an, Herr Weber, -- -- no, no, sie wissen ja, ich will meine reiche Landsmännin heirathen -- und es schon gleich von vornherein mit ihr abmachen, wie viel sie mir alle Woche Taschengeld geben muß. -- --“
    „Lassen Sie sich nicht auslachen, Monsieur Caspar -- -- sacre nom de dieu! Sie, Sie und die reiche Creolin heirathen? Was glauben Sie denn? Da sind schon Andere da, die auf sie lauern -- -- Sie, Sie? -- was wollten Sie einwenden, wenn ich Anspruch auf ihre Hand machte -- -- ich bin doch noch ein Mann, wenigstens 1200 Dollars werth, und habe noch dazu zwei Lots am neuen Besen**) und was haben denn Sie? Sie können ja nicht einmal drei Dollars Rente monatlich bezahlen -- lassen Sie sich nicht auslachen, Monsieur Kaspar -- -- mein Geld will ich und sonst.Nichts! --“
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*) soll wahrscheinlich so viel heißen, als: „im Süden (south)“.
**) Wahrscheinlich: „new Basin.“

 

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[LSZ - 1854.02.19]
    Aber, lieber, bester Herr Weber, „auf cerevis“ und das ist gewiß genug gesagt von einem Mann, der auf sein Ehren wort hält -- es ist ja Alles schon in Richtigkeit mit uns -- heut' ess' ich bei ihr zu Diner -- und einen Liebesbrief hat sie ja auch schon von mir erhalten. -- -- --“
    „Ich sag's Ihnen jetzt noch einmal und zum allerletzten Mal, Monsieur Kaspar -- -- mein Geld will ich -- die sechs Dollars will ich haben -- jetzt gleich will ich sie -- heirathen Sie dann wen und wann Sie wollen. -- --“
    „Wie können Sie aber auch gleich so hitzig sein, Herr Weber, Sie sind doch so halb und halb ein Landsmann zu mir, und da müssen Sie schon ein Auge zudrücken -- -- -- geben Sie mir Ihre Hand, Herr Weber, Sie werden es gewiß nicht bereuen -- -- sehen Sie, noch heute halte ich um ihre Hand an und dann -- dann sind sie „gefest“ -- lieber, bester Herr Weber -- trubeln sie mich jetzt nicht länger mehr, sonst komm ich nicht mehr zum Diner -- und ich hab's ihr ganz gewiß versprechen müssen. -- --“
    Der Lothringer, der gerade auch nicht das Schießpulver erfunden zu haben schien, mochte auf diese Betheuerung hin so halb und halb glauben, daß doch etwas an der Sache Wahres sein könnte; denn er stimmte nun einen ganz andern Ton an:
    „Eh bien, Monsieur Weber! -- Wie lange wird's wohl noch herhalten, bis Ihr Euch zusammentrauen laßt?“
    „Das wird gleich. Alles heute schon von vornherein abgemacht zwischen uns Beiden und dann könnt Ihr vielleicht schon Morgen, aber doch ganz gewiß Uebermorgen Eure Rente erhalten -- -- Herr Weber, Ihr seid mir doch nicht böse?“
    „Schnackischer Kerl, warum sollte ich Dir böse sein -- -- aber Sie werden mich dann wohl nicht mehr ansehen, Monsieur Kaspar, wenn Sie einmal die reiche Creolin geheirathet haben?“
    „Dann verkennen Sie mich, wenn Sie das von mir glauben können, Herr Weber -- -- dann vergesse ich Sie erstrecht nicht - da wollen wir mit Einander erst recht fidel sein -- Herr Weber!“
    „Nun adieu, ich will Euch nun nicht länger mehr trubeln, zieht Euch nur recht sein an und macht Eure Sachen gut, rief der Lothringer noch dem Büchsenspanner zu, als er bereits die Thürklinke in der Hand hielt und hinausging.
    „Der verdammte Lothringer soll mir keinen Schritt in's Haus setzen, wenn wir einmal zusammen getraut sind -- der

 

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wird sich wundern -- -- eine sechs Dollars Rente will ich ihm bezahlen - das wird aber auch Alles sein. Meine Landsmännin würde schöne Augen machen, wenn ich ihr einen so vierschrötigen, ungeschlachteten Menschen vorstellte -- sie würde sich wenig um seine zwei Lots am neuen Besen bekümmern -- meine Landsmännin ist ein ordentliches, braves Mädchen und tarirt die Männer nicht darnach, wie viele Lots sie am Besen oder sonst irgendwo haben - meine Landsmännin fragt nur nach einem liebenden Herzen und das kann ich ihr gleich von vornherein, wenn wir zusammenkommen, anbieten -- -- Kaspar, Kaspar, was werden deine Freunde dazu sagen, wenn sie hören, daß der ehemalige Herumschwiemler, das alte Haus, der Büchsenspanner, ein so reiches und noch dazu von vornherein so unschuldiges, braves Mädchen geheirathet hat -- die werden gelb und grün werden, vor Neid und Aerger. --.“
    Wie man sieht, war es beim Büchsenspanner bereits zur siren Idee geworden, daß er glaubte, Orleana würde ihm ohnealle Widerrede Jugend, Schönheit, Reichthum und noch mehrere andere Vorzüge opfern und sich noch glücklich schätzen, „Frau Büchsenspannerin Hahn“ betitelt zu werden.
    Ein mit solchen Hallucinationen behafteter Mensch hat nicht weit mehr zum Verrücktwerden.
    Bei dem Büchsenspanner waren es die Folgen des Uebermaßes der am weiblichen Geschlechte begangenen Jugendstunden, die unglücklicherweise in einer wirren Ideenverknüpfung und krankhaften Schwärmerei für das reiche, schöne deutsche Creolen Mädchen ihren Culminationspunkt erreichen sollten. --
    Daß der Büchsenspanner nicht ohne Bildung war, haben wir bereits aus seiner damaligen Apotheose schöner Frauen gesehen.
    Es schien ihm unmöglich, daß Orleana nicht seine Lebens gefährtin werden sollte - denn, sagte er zu sich noch oft im Stillen: „Wenn ich auch nicht schön bin, so bin ich doch wenigstens interessant, und wie viele Beispiele hat man nicht, daß die gefeiertsten Frauen häßlichen, interessanten Männern vor schönen und uninteressanten den Vorzug gegeben haben?“ --
    Wenn er öfter über ein eingebildetes Glück schwärmte, so geschah es manchmal, daß er Gewissensbisse wegen seines früher gepflogenen Lebenswandels in sich verspürte, und es überkam ihn immer eine große Angst, wenn er darüber nach grübelte, ob es ihm die reiche Creolin wohl ansehen würde,

 

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daß bereits schon anderswo seine Liebeseufzer ein williges Gehör gefunden haben.
    „Darüber soll ich mir aber gleich von vornherein kein graues Haar wachsen lassen“, bemerkte er dann für sich, „es ist auch gar nicht möglich, daß mir meine Landsmännin so etwas dergleichen ansehen kann -- -- O, sie wird und muß mir glauben, daß sie meine erste Liebe ist, wenn ich es ihr betheure wenn ich alle Heiligen im Himmel hoch und theuer beschwöre, wenn ich ihr im ersten Sturme meiner Leidenschaft zu Füßen falle und flehend und mit träumerischem Jünglingsauge zu ihr hinaufblicke in ihr himmelschönes Gesicht, O, sie wird und muß ihrem Büchsenspanner das gleich von vornherein so nothwendige Vertrauen schenken.“
    „Morgen, Morgen, ja Morgen oder ganz gewiß schon Uebermorgen um diese Zeit! Was sind die zwei Lots des Lothringer am neuen Besen gegen die zwei frisch überzogenen Lots in einem Brautbett --?“
    Hier unterbrach er sich lachend: „Büchsenspanner, bei Jingo, dein Glück macht dich noch witzig -- bei Gott, wie mancher Romanschreiber würde mich um dieses köstliche Wort, spiel beneiden, wenn ich es gedruckt mit fetter, gesperrter Schrift herausgeben würde -- und dieser Witz kam mir doch so von ungefahr, ohne daß ich zuerst darüber lange nachdachte. --“
    Der Büchsenspanner suchte, während er so mit sich sprach, nach seiner Bartwichse, die er endlich nach langem Herumstöbern in einem alten Stiefel vorfand.
    Er hatte einen ziemlich großen Schnurrbart von rother Farbe, den er nun schwarz zu wichen sich bemühte; dann nahm er ein Stückchen Talg und klebte die störrischen Haare zusammen, indem er die beiden Enden nach der Nase zu einbog.
    Sein feines Battisttaschentuch steckte er in die linke Obertasche seiner rothammtnen Weste und ließ die Zipfel heraus hängen.
    Sein Frack, der jetzt völlig getrocknet war, ließ ihm über den Rücken etwas zu enge und die beiden Frackflügel standen vielleicht zu weit auseinander und mochten seiner Taille Eintrag thun.
    Das kümmerte ihn aber Alles blutwenig; denn er war vollkommen uberzeugt, daß seine vermeintliche Braut durchaus nur auf den innern Menschen sehe und sich durch außen angebrachtes Flitterwerk nicht bestechen lasse. --
    Nachdem er sich in seinem zerbrochenen Spiegel wohl

 

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zwanzigmal von hinten und von vorne besehen; dabei aber den innern Menschen nie außer Acht gelassen hatte, verließ er seine Wohnung.
    Es war bereits nahe an drei Uhr Nachmittags und eben die Zeit,wo ihn Orleana erwartete.
    Wie damals, als er Orleana jenes verhängnißvolle Ständchen bringen wollte, so war er auch dieses Mal wieder zu weit die Toulousestraße hinabgegangen. Er sah erst einen Irrthum ein, nachdem er schon an Victor's Restaurat vorbeigegangen.
    „Nun, weil ich jetzt einmal so weit umsonst gegangen bin, so kann ich auch einen „Kleinen“ mit auf den Weg nehmen -- schaden kann's nicht -- es geht so besser vom Herzen, wie Schiller sagt.“
    In seiner Zerstreuung wäre er fast zu Victor hineingetreten, doch hatte er es noch zur rechten Zeit bemerkt und ging schräg über in die „Rheinpfalz.“
    Der Wirth der „Rheinpfalz“, ein schöner großer Mann mit vollem Barte und einer ächt militairischen Tournure, stand eben vor der Thüre.
    „Warum so geputzt, Kaspar? Ihr macht wohl bald Hochzeit?“ frug er den Eintretenden.
    „Gerade errathen -- Mister Sch. und da Ihr immer vom Besten vorräthig habt, so will ich einen „Kleinen“ mit nehmen -- -- bei Euch kehrt man immer gerne ein, und wenn alle Wirthe so wären, wie Ihr, so wär' es ein ganz anderes Leben in dem verdammten New-Orleans. -- -- Da, der Victor da drüben, der soll noch an mich denken, wenn ich einmal Zeit habe -- -- doch -- Barkeeper, da, da -- -- ich muß gleich wieder fort -- -- Adjeu, Adjeu, alle zusammen!
    Der Wirth der „Rheinpfalz“ sah noch lange lächelnd dem Büchsenspanner nach, der mit seinen ausgespreizten Frackzipfeln in weiten, doch vorsichtigen Schritten die Toulousestreetentlang ging und nicht wenig die Bewunderung der Vorübergehenden erregte. --
    Sehen wir uns nach Orleana um.
[LSZ - 1854.02.21]
    Dieselbe erwartete mit großer Ungeduld den Mann, der sich so naiv zum Diner eingeladen hatte und sicher kommen wollte, sie seiner gränzenlosen Liebe und Verehrung zu versichern.
    Auf einem Tische sah man in der That statt, wie gewöhnlich, Eines, jetzt zwei Gedecke.

 

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    Unruhig ging sie in ihrem kleinen, aber sehr elegant möblirten Empfangzimmer auf und ab, hie und da stieg ein leichtes Lächeln in ihrem Gesichte auf, wenn sie nämlich an das wirkliche Erscheinen des verliebten, unfläthigen Narren dachte.
    Orleana hatte heute ihren schönsten Tag: Noch nie strahlte ihr Teint weißer und blendender, noch nie schwamm das Hygrom *) in reinerem Wasser durch ihre wunderschönen Augen.
    In warmer Fülle lag das schwarze, in's Bläuliche schillernde Haar aufdem vollen Nacken, der, mehr als halb entblößt, selbst der Tugend eines Cherubim gefährlich gewesen wäre.
    Dieser Nacken, den noch nie die Hand oder die Lippen eines Mannes berührt, war Orleana's Stolz, und ihr feiner classischer Sinne hatte eine solche Bekleidung gewählt, daß ein Verehrer des Schönen und Göttlichen am weiblichen Körperbaue, wenn er nahe bei ihr stand, mit leichter Mühe einen Blick in die Wärme des ganzen Rückens tauchen konnte.
    Fern von aller Prüderie, hielt es Orleana für ihre Pflicht, . das Schönste, was die Natur ihr verliehen, vor Niemanden zu verbergen.
    Betsy, Orleana's Sklavin, meldete einen Gentleman.
    „Sein Name, Betsy?“ „Cäschbär Jahn .. wenn ich recht verstanden habe, Mylady.“ **)
    „Wird wohl Kaspar Hahn -heißen müssen,“ dachte Orleana bei sich, dann befahl die Betsy, den Gentleman vorzuführen.
    Sie selbst trat an einen großen Spiegel vor und ordnete die über demselben hängenden Guirlanden von Immergrün. Dies that sie, um durch den Spiegel den Eindruck bemessen zu können, den der Eintretende auf sie machen würde, ohne daß derselbe es selbst bemerken könnte, daß er von ihr beobachtet würde.
    Betsy schob jetzt die beiden großen Thürflügel zurück und der Büchsenspanner trat in's Empfangzimmer -- d.h. er blieb auf der Schwelle stehen.
    Der Büchsenspanner war, nachdem er die „Rheinpfalz“
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*) Hygron (Griechisch): Das Feuchte, Wollüstig-Schwimmende in den Augen der mediceischen Venus und antiken Artemis.
**) Es war eine besondere Laune Orleana’s, sich „Mylady“ titulieren zu lassen. Sie verlangte diese Benennung nicht nur von Betsy, sondern von Allen, in deren Kreisen sie sich bewegte. -- Man darf ihr dieß durchaus nicht für gewöhnlichen Hochmuth anrechnen. --


 

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verlassen hatte, sporntreichs Orleana's Haus zugeeilt, doch als er an demselben angekommen, fehlte ihm plötzlich der Muth, die Schelle zu ziehen und er kehrte wieder um.
    Nachdem er in jedem Barroom, an dem er vorbei kam, einen „Kleinen“ zu sich genommen, fühlte er vor lauter „Kleinen“ seinen Muth plötzlich so groß heranwachsen, daß er jetzt wirklich an der Schelle zog und die die Thüre öffnende Betsy in pathetischem Tone befragte, ob er Mylady sprechen könne,
    Doch kaum war Betsy mit einer bejahenden Antwort ihrer Herrin zurückgekommen, so entfiel ihm der Muth zum zweiten Male, und zwar in so erstaunlicher Weise, daß er sich plötzlich ganz nüchtern fühlte, als hätte er den ganzen Tag keinen einzigen „Kleinen“ zu sehen bekommen.
    Als nun gar Betsy die beiden großen Thürflügel zurück schob und er auf der Schwelle stehend, Orleana vor dem Spiegel beschäftigt sah, so wünschte er sich in diesem Augenblicke Tausende von Meilen von diesem Ort weg, ja er wäre gern wieder hinausgeschlichen, wenn er nicht befürchtet hätte, bei der geringsten Bewegung sich zu verrathen.
    Orleana musterte einstweilen den auf der Schwelle stehen den Büchsenspanner durch das helle Spiegelglas. Derselbe nahm seinen Hut bald in die rechte, bald in die linke Hand, bald drückte er ihn so stark unter den Arm, daß er knisterte und krachte, dann nahm er ihn wieder unter den Arm hervor und hielt ihn mit beiden Händen vor die Brust -- natürlich immer noch im festen Glauben, Orleana hätte ihn noch nicht bemerkt.
    Als er endlich glaubte, sich gehörig arrangiert und in Position gebracht zu haben, wollte er schon einen Schritt weiter vorwärts thun -- da fiel ihm plötzlich ein, daß er nicht daran gedacht, eine gehörige Ansprache einzustudieren, die ihn schon von vornherein im vortheilhaftesten Lichte erscheinen lassen sollte. Doch was sollte er jetzt beginnen? die Zeit drängte -- Orleana konnte sich ja jeden Augenblick umdrehen und ihn bemerken. --
    Orleana, die noch immer durch den Spiegel auf ihn hinsah und nur so zum Schein an den Immergrün-Guirlanden zupfte und ordnete, weidete sich im Stillen gar sehr an der Verlegenheit und dem Schwanken und Unsicher sein dieses Mannes. Endlich brach ihr aber doch die Geduld und ehe der träge Gedankengang des Büchsenspanners im Stande war,

 

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nur wenigstens ein paar Worte ausfindig zu machen -- drehte sich Orleana um und ging mit der ganzen Grazie ihres Wesens auf den bebenden Büchsenspanner zu, der seine Augen von Orleana abwandte und mit denselben einen Platz für seinen Hut suchte.
    „Meiu Herr, habe ich das Vergnügen, mit dem Manne bekannt zu werden, der auf heute Mittag mein Gast sein wird?“ redete ihn Orleana anmuthig an, und als der so Angeredete zwar die Lippen bewegte aber durchaus nichts erwiederte, so erbat sie sich ein Geleite in das nahebei gelegene Speisezimmer, wo, wie wir bereits bemerkten, zwei Gedecke serviert waren.
    Bangend und unsicheren Trittes folgte ihr der Büchsen spanner und ließ sich vorsichtig in den ihm von Orleana angebotenen Stuhl nieder.
    Er schwieg noch immer; sogar seine Augen wagten nicht, nach Orleana aufzusehen. --
    „Mein Herr“, unterbrach Orleana das Stillschweigen, das ihr jetzt lästig zu werden anfing, „Ihre werthen Zeilen, die mir gestern durch die Post zukamen, ließen mich, ungeachtet meiner mehrmaligen Bemühungen, sie zu entziffern, bis jetzt über den wahren Grund ihres Hierseins in Zweifel. -- --“
    Dem Büchsenspanner war bei diesen Worten all seine Glut für Orleana wieder zurückgekehrt.
    „Wie?“ erwiederte er in stürmischem Accente, „Sie soll ten nicht wissen, daß ich schon gleich von vornherein -- --“
    Der Büchsenspanner sprach diesen Satz nicht aus, denn er stieß mit seinem Aermel an den kleinen Krystallteller, auf dem mehrere „sweet potatoes“ lagen und warf ihn sammt seinem Inhalte gerade in den Schooß Orleana’s.
    Mit hastigen Händen griff er darnach und zwar mit solch ungeziemender Sicherheit, daß Orleana entrüstet aufsprang und ihm eine nicht sehr zarte Ohrfeige versetzte.
    Dieses etwas zu rasche Verfahren gegen den Büchsenpanner darf hier durchaus nicht befremden.
    Orleana, die bisher noch keines Mannes Hand berührt und deren eigene Hände sogar bebten, wenn sie ihren Leib streiften, war außer sich, als sie die plumpen Hände des Büchsenspanners an derjenigen Stelle fühlte, wohin zu fliegen noch nicht einmal Amor gewagt hatte.
    Der Büchsenspanner, der nichts anderes wollte, als mit schnellem Griffe die hinabfliegenden „sweet potatoes“ zu

 

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erhaschen, hatte, ohne daß er es wußte, in den Augen Orleana's ein ungeheures Verbrechen begangen.
    Und was glauben wohl die schönen Leserinnen, daß der Büchsenspanner that, als ihm diese Ohrfeige von zarter Frauen hand die Wange röthete?
    Er stand nicht einmal von seinem Stuhle auf, bog seinen Körper auch nicht zurück oder auf die andere Seite, sondern verblieb wie angewurzelt in derselben Stellung, mit vorgebeugtem Hals -- nur seine Hände ließ er sinken und klammerte sie um die Kante des Tisches.
    So sah er aus, als erwarte er eine zweite, ähnliche Bestrafung.
    „Weiße Hände schmerzen nicht,“ wollte er vielleicht sagen, als sich seine Lippen auf und niederbewegten.
    Doch er schwieg.
    Wie aber oft die Gedanken und Gefühle des Menschen in einer Secunde umspringen, um andern Platz zu machen, so schien durch eine wunderbare Ideenverkettung dem Büchsenspanner der Moment gekommen zu sein,wo er es wagen dürfte, Orleana seine Liebe zu gestehen und sie zugleich um ihre Hand zu bitten.
    „Bleib' hier Betsy!“ rief Orleana der sich eben entfernenden Sklavin nach und ließ sich wieder in ihren Armstuhl nieder, dessen hohe Lehne sie von hinten ganz verdeckte.
    Der Sitte gemäß stellte sich Betsy hinter die Lehne.
    Der Büchsenspanner ließ jetzt seine Hände von der Kante des Tisches los und richtete sich auf Eine gewaltige Bewegung schien in einem Innern vorzugehen.
    Orleana entging dies nicht. Nachdem ihre erste Aufregung, in die sie die ungestüme Manier des Büchsenspanners versetzte, vorüber war, hatte sie sich fest entschlossen, das Weitere dieses unerwarteten Drama's abzuwarten, und hieß deshalb Betsy im Zimmer zu verweilen.
    „Fräulein, theuerstes Fräulein“ nahm sich der Büchsen spanner zusammen: „da ich schon gleich von vornherein einen so bösen Eindruck auf Sie gemacht habe, und da ich wirklich in meiner Unüberlegtheit Ihre Tischgeräthe in Unordnung gebracht, so bitte ich tausendmal um Entschuldigung, daß sich Ihre schöne Hand hat bemühen müssen, mir ein so unaussprechliches Glück zukommen zu lassen.“
    Orleana war wie aus den Wolken gefallen. Eine solche

 

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höfliche und geduldige Hinnahme einer empfangenen Ohrfeige, schien ihr unbegreiflich. Fast hätte sie für den Büchsenspanner Mitleid gefühlt.
[LSZ - 1854.02.22]
    „Theuertes, schönstes Fräulein“, fuhr er fort: „haben Sie endlich Mitleid mit mir, der ich Tag und Nacht kein Auge schließe, immer in Furcht schwebend, daß Sie mir entrissen werden könnten -- -- ach, ich kenne diese böswilligen Frenchmänner, die alles Mögliche versuchen, mich von Ihnen abwendig zu machen -- aber ich -- -- ich fühle so etwas in mir, was ein Vater für sein Kind, was der jüngste Jüngling für seine erste Geliebte nicht besser fühlen kann -- -- damit ich es gleich von vornherein sage -- ich liebe Sie, ich bete Sie an, ich beschwöre Sie, mich nicht länger hinzuhalten und mir nicht zu versagen, was mir Ihr treffliches Landsmännin-Herz gleich von vornherein wird zukommen lassen -- -- Orleana, theuerte, geliebteste Landsmännin -- --“
    „Mein Herr Hahn“ fiel ihm Orleana, der die Farben jetzt doch zu stark aufgetragen zu sein schienen, in die Rede: „Bedenken Sie, wo Sie sich befinden, und daß ich Sie nicht deßhalb empfing, daß Sie sich hier in meiner Gegenwart in Schwierigkeiten verwickeln sollten --“
    Der Büchsenspanner erwiederte nicht ein Einziges Wort. Verlegen sah er bald auf seinen Teller, bald auf Betsy, die noch immer hinter der Stuhllehne ihrer Herrin stand.
    „Sie müssen eine ziemlich hohe Idee von der Liebenswürwürdigkeit Ihrer Person hegen, Herr Hahn, daß Sie mit so schonungsloser Hand einen Liebesbrief schreiben können; zudem ist es mir noch jetzt räthselhaft, daß Sie gerade mich mit der freudigen Botschaft heimsuchten, an mir eine zukünftige Lebensgefährtin zu haben. Ein Mann von solcher Bildung und so einnehmendem Aleußern, wie Sie, mein Herr, kann ja in Einem Nu Hunderte von Mädchenherzen bezaubern. Wenn Sie den heutigen Tag eine Brautfahrt beschlossen haben, so bin ich jedem Anscheine nach wohl die Erste gewesen, mit der Sie ihre Runde begonnen haben, und in diesem Falle können Sie noch nicht entmuthigt werden, wenn Ihnen Fortuna nicht den ersten Treffer aus ihrer Urne ziehen ließ. -- Wenn ich Sie übrigens jetzt ersuche, von heute ab nie mehr die Schwelle meines Hauses zu betreten oder mir auf irgend eine Art ein Billet dour zukommen zu lassen, so werden Sie als gebildeter junger Mann, dem ja die ganze Welt offen steht, in Zukunft

 

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mit der größten Pünktlichkeit diesen meinen Wunsch zu erfüllen suchen.“
    Entweder verstand der Büchsenspanner Orleana's Worte nicht, oder er wollte sie nicht verstehen.
    Da er -- wie er sich selbst ausdrückte -- einmal im Zuge war, so glaubte er sich berechtigt, nicht eher nachzugeben, bis er einen vollständigen Sieg über Orleana davongetragen.
    Mit der Schnelligkeit einer vom Baume fallenden Hickorynuß fiel der Büchsenspanner auf seine Kniee und drückte in blindem Eifer in festester Umarmung -- die Beine des hohen Lehnstuhles, dessen weiche Polster Orleana's süße Bürde nicht mehr fühlten, an sein pochendes Herz.
    Erst nach Verlauf einiger Minuten bemerkte der Büchsenspanner einen gewaltigen Irrthum. Bestürzt sah er sich im ganzen Zimmer um.
    Er war allein.
    Eben wollte er darüber nachgrübeln, wie es nur möglich gewesen wäre, daß er schon gleich von vornherein einen so unverzeihlichen Irrthum an den Beinen begehen konnte, als Betsy erschien, mit der Weisung ihrer Herrin, er möchte augenblicklich das Haus verlassen und es auch nie wieder wagen,unter ihre Augen zu treten.
    Ohne zu bedenken, daß er vor einer Farbigen stand und daß es ganz gegen den guten Ton sei, hier zu kniren und über flüssig zu komplimentieren, wußte er vor lauter Höflichkeitsbe zeugungen und Entschuldigungsgründen kaum die Thüre zu finden, und drängte bald Betsy, bald sich mit ihr, an die Wand oder an irgend ein Meubel. --
    Betsy, die kein einziges Wort deutsch verstand, gab sich alle erdenkliche Mühe, den Büchsenspanner zu bedeuten, was ihr ihre Herrin aufgetragen und ihn zu überzeugen, wie über flüssiger an diesem Orte sei.
    Der Büchsenspanner warf noch einen schmachtenden Blick zurück auf den leeren Lehnstuhl und murrte im Weggehen über die Härte seines Geschicks. --
*                *
*
    „Claudine de Lefuire!“ meldete Betsy nach Verlauf einer halben Stunde Orleana, die sich eben an's Piano setzen wollte.
    Orleana stand auf und ging ihrer Freundin auf halbem Wege entgegen.

 

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Siebentes Capitel.

Lesbische Liebe.

1.   „-- -- Du machst mich rasend -- ich werde toll --
      Sprich,Weib, was ich Dir schenken soll?
      Du lächelt? Heda! Trabanten! Läufer!
      Man schlage ab das Haupt dem Täufer!“
(Königin Pomare.)

2.   „Auf ihrer Schulter erblickt sie auch --
      Und sie bedeckt sie mit Küssen --
      Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
      Die er einst hineingebissen.“
(Edith Schwanenhals.)
    „Es ist ewig Schade, meine liebe Claudine, daß Dir nicht der glückliche Einfall gekommen ist, mich eine Stunde früher zu besuchen. --
    Mein Gott, welche Scenen! welche rasch auf Einander folgenden Gemüthserschütterungen! Don Juan mit all seiner Liebenswürdigkeit, mit jenem magisch durchleuchteten Augenspiele, das ihm die Herzen aller Frauen im Augenblicke gewinnen läßt, Don Juan, der schlanke, blonde Fant, der in Madrid und Saragossa, in Sevilla und Santillanna, am Quadalquivir und Ebro so gut als am Ganges und Indus Gott Amor all seine Pfeile aus dem Köcher stahl, dieser Don Juan, dieser Frauenverführer, dieser Schrecken aller Ehemänner -- ist vor mir gestanden, ist auf die Kniee gefallen und sah diesmal eine Göttlichkeit und Verwandtschaft mit Aphroditen durch ein Stuhlbein gefährdet und all die Lorbeeren, die ihm Frauenhuld und Frauenlieb um die Schläfe gewunden, waren ihm in Einer Sekunde vom Haupte gerissen. Don Juan hat endlich seine Besiegerin gefunden. Verfluchen wird er die Stunde, die Minute, die Sekunde, in der er's gewagt, sich an das Herz eines deutschen Creolen-Mädchens zu wagen! Don Juan ist in New-Orleans zum Grünhorn geworden.“
    Claudine sah ihre Freundin mit großen Augen an. Sie war über die sonderbare Art und Weise, wie sich Orleana ausdrückte, um so mehr erstaunt, als sie an ihr früher nie eine solche Affektion für Don Juan"s bemerkt hatte, im Gegentheile sie stets bemüht fand, sie schonungslos zu entgöttern und ihnen nur ihre Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie die Gebrechen und Irrthümer der Männerwelt bloßstellen wollte. Orleana fand an Claudinen bisher immer eine energische Gegnerin, die stets darauf bedacht war, ihr die Vorurtheile gegen die Männer mit der Zeit zu benehmen. So hatte die Orleana noch nie sprechen hören. In solchem Tone von Männern reden! In

 

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so leichtem Schwunge über Amor, Köcher, Pfeile, Herzen, Niederfallen hinwegzusetzen, ohne sichzu beschädigen -- -- ei, ei -- was mag wohl mit meiner Orleana vorgefallen sein?
    „Ich verstehe Dich nicht, meine liebe Orleana. -- --“ Das war Alles, was ihr Claudine auf ihre Dithyramben erwiedern konnte. Orleana nahm aus einem kleinen Fächer ihres Sekretairs ein zusammengefaltetes Briefchen, dessen Adresse mit großen gothischen Buchstaben beschrieben oder vielmehr beschmiert war, und reichte es mit lächelnder Miene Claudinen, die gleich bei Durchgehung der ersten Zeilen zu lesen aufhörte und ihrer Freundin erstaunt in's Gesicht sah.
    „Was soll das bedeuten, meine Orleana, Deine vorigen Aleußerungen und jetzt dieser Brief -- -- ich verstehe Dich nicht -- bitte, was ist vorgefallen? Wie kommst Du zu diesem schändlichen Brief -- -- wer, wer hat es gewagt, Dir so etwas zu schreiben -- Orleana, bitte, erkläre es mir -- ich kann es nicht verstehen. -- --“
    Orleana, die die Geduld ihrer Freundin nicht länger mehr auf die Probe stellen wollte, setzte derselben nun den ganzen Thatbestand der Vorkommnisse mit dem Büchsenspanner auseinander. Sein linkisches Benehmen auf der Schwelle des Empfangzimmers, seine Ungeschicklichkeit bei Tische, den Irrthum, den er begangen, als er aufdie Kniee niederfiel -- kurz Alles, was sich von Anfang bis zu Ende mitihm zugetragen, wurde der erstaunten Claudine vorgeführt.
    Orleana, die mit dieser drolligen Liebesaffaire eine glückliche Stimmung für diesen Abend angebahnt zu haben glaubte, war nicht wenig betroffen, als Claudine in wehmüthigem, in’s Herz greifendem Tone hinwarf: „Meine gute Orleana, ich glaube, Du hattest Recht; die Männer wissen die Liebe eines Weibes nicht zu schätzen -- die Männer sind Alle roh in der Liebe.“
    „Wie soll ich das verstehen? Was machte Dich plötzlich so nachdenklich?“ frug Orleana Claudinen verwundert.
    Als Claudine schwieg und eine Thräne im Auge zerdrückte, fuhr Orleana fort:
    „Dein Stillschweigen beunruhigt mich, meine liebe Freundin. Wie kommt es, daß Du, die Du Dich noch vor kurzer Zeit so glücklich fühltest, plötzlich die Bahn der Bewunderung und Anbetung verläßt und ein so hartes Urtheil über die Männer fällt? Doch ich will nicht weiter in Dich dringen und Dein Inneres mit lästigen Fragen bestürmen, meine gute Claudine

 

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-- denn Dein Schweigen und die Thränen in Deinen Augen sagen mir, daß ich da zu schweigen habe, wo es meine Freundin vorzieht, ihren Kummer in ihr Herz zu verschließen und ihr nicht einmal ihrer Orleana zu offenbaren --.“
[LSZ - 1854.02.23]
    „Mir das, Orleana!“ fiel Claudine jetzt lebhaft ein, „und noch dazu in einem Augenblicke, wo mir mein Herz gesagt, daß ich mich von aller Welt lostrennen und nur für meine Orleana leben soll -- -- Orleana, Orleana, wüßtest Du, was ich für Dich fühlte, was ich sogar für Dich gefühlt, als ich mit Albert vor dem Altare stand und Du mir den Brautkranz reichtest? -- Orleana, es ist vielleicht eine Rache des Himmels für ein Verbrechen, daß ich damals nur für ein unschuldiges Kinderspiel hielt, und erst jetzt,wo ich von meinem Manne getrennt, dieses Verbr-- -- O, nein, nein -- es kann kein Verbrechen sein, Orleana, wenn ich Dich liebe - nein, nein, meine Orleana --“
    „Claudine, Claudine!“ fiel Orleana erröthend ein, Du liebtest mich wirklich? O, so habe ich mich nicht getäuscht -- -- wie oft zitterte ich in Deiner Nähe -- und als Du einmal Deinen Arm um meinen Hals schlangt -- -- O Claudine, -- wäre es ein Mann gewesen, ich wäre kalt geblieben, wie Marmor -- -- vor einem Manne hat Orleana noch nie gezittert - sie wird auch in Zukunft vor keinem zittern, Orleana liebt ihre Weiblichkeit zu sehr, als sie Jemand anderm, als einer Freundin -- meiner Claudine preiszugeben -- -- -- doch -- doch“ unterbrach sich Orleana, sich besinnend -- -- „sagtest Du vorher nicht, Du wärst von Deinem Manne getrennt -- oder hab' ich falsch gehört?“ -- --
    Claudine, die bald erröthend, bald erbleichend ihre Hände in die Orleana's legte, machte diese nun mit den Vorfällen jenes Abends vertraut, wo Albert durch eine leichtsinnig hingeworfene Phrase ihre Würde als Gattin so tief verletzte und dadurch einen Bruch herbeiführte, den wohl kein Mann mehr auf dieser Erde zu heilen verstand.
    Wie wir bereits wissen, war Claudine den Morgen nach jener verhängnißvollen Nacht nicht zum Frühstücke erschienen und Albert mußte es nun allein zu sich nehmen. Denselben Morgen, als Albert nach Algiers zu den beiden Schwestern eilte, hatte das Dienstmädchen Claudinens das Billet auf ihrem Gange nach dem Markte bei ihrer Tante in Bourbonstreet pünktlich abgegeben. Die alte Baronin Alma von Saint Marie Eglise eilte auch gleich darauf zu ihrer Nichte und fand sie noch im Bette.

 

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    Die Zeilen Claudinens hatten die bejahrte Dame in solches Erstaunen gesetzt und ihre Neugierde so sehr erregt, daß sie es nicht abwarten konnte, erst Claudinen die von ihr beanspruchte Stunde zu bestimmen, sondern sie entschloß sich lieber gleich, selbst zu ihr zu eilen. Sie konnte nicht einmal so lange zu Hause verziehen, bis die Pferde angeschirrt waren. Sie, die schon seit mehreren Jahren keinen Fuß auf die Straße gesetzt, ohne erst einen Wagen zu besteigen, war nun, wie ein junges Mädchen der Straße zugeeilt, wo ihre Nichte wohnte, und wo sie dieselbe, wie bereits erwähnt, noch im Bette fand, wenigstens halb aufgerichtet, im tiefsten Negligée, ihre Haare aufgelöst und aufdem nackten Oberkörper verwirrt durch einander fließend. --
    Das Dienstmädchen, welches gespannt der Entwicklung dieses Drama's lauschte, war von Claudinen hinweggeschickt, um hier keine lästige Beobachterin zu haben, der Alles anzuvertrauen, jedenfalls zu viel auf Einmal gewagt gewesen wäre. Man kann sich leicht denken, in welche Unruhe die bejahrte Dame gerieth, als ihr Claudine in kurzen, entschlossenen Wortendie Ursache ihres Billets auseinandersetzte. Die alte Baronin wandte alle Ueberredungskünste an, um ihre Nichte dahin zu bestimmen, dem lieblosen Gatten zu verzeihen und ihn wieder in ihre Arme aufzunehmen.
    „Die Ehe ist das Grab der Liebe!“ -- -- Was hat er sich dabei gedacht? Gar nichts, mein liebes Kind -- Dein Albert hat Dich noch immer so lieb wie früher, und hat nicht die geringste Absicht dabei gehabt, als er diese Dummheit gegen Dich aussprach. -- Albert ist noch ein so junger, unbedachtsamer Springinsfeld, wie es Tausende giebt. Sie wollen Alles kennen, Alles durchschaut und erprobt haben, und zuletzt wissen sie doch nichts. Dieses dumme Wort hat er aus irgend einem Schriftsteller oder vielleicht von einem superklugen Gelbschnabel gehört und glaubte Dir damit gestern Abend zu imponieren. Albert? Was weiß Dein Albert von der Ehe? Ihr Beide wißt noch gar nichts von den Mißhelligkeiten und Drangsalen, die Einem im ehelichen Zusammenleben arriviren können. Was weiß Dein Albert, was weist Du von der Ehe -- Ihr seid ja kaum ein paar Monate verheirathet! Ich lebte 35 Jahre mit Herrn von Saint Marie -- aber ich kann Dir versichern, mein liebes, unartiges Kind, daß es gar nichts so Verhängnißvolles ist, von einem Manne nicht so geliebt zu werden, als man sich als Mädchen in den Kopf gesetzt hat. Und Herr von Saint

 

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Marie war doch ein Mann, von dem man gerade auch nicht sagen konnte, er vernachlässige seine Gemahlin. Lebt nur erst fünf oder zehn Jahre mit Einander, so werdet ihr Euch auch nicht mehr wegen eines unbedachten, leichtsinnig hingeworfenen Wortes grämen. Du kennst die Männer noch nicht, mein kleines, unartiges Claudinchen -- je mehr die kränken, desto mehr lieben sie. Ein Mann, der Dich immer auf den Händen herumträgt, wie einen Gott anbetet, Dir den ganzen Tag Höflichkeiten sagt und Deiner Eitelkeit und Deinem Herzen zu schmeicheln sucht, ist in der Ehe nicht viel werth. Einem solchen Mann ist nie recht zu trauen. Er thut es sicherlich nur, um Dich bei Gelegenheit zu täuschen und in Dingen zu hintergehen, die, wenn Du sie erführest, Dein Loos nicht beneidenswerth machten. -- Sieh, dummes, albernes Claudinchen, wie umsonst Du Dich martert. Liebte Dich Albert nicht, er hätte Dir so Etwas nie gesagt ; er wollte damit sicherlich Deine Liebe auf die Probe stellen. O, ich könnte Dir dergleichen Beispiele genug aufzählen! Wie abscheulich hat mich nicht oft Herr von Saint Marie, mein seliger Gemahl, behandelt! Und hat er mich deshalb weniger geliebt? Nein, mein Kind, noch bis zu seinem letzten Augenblicke trug er eine Alma im Herzen. -- -- Also beruhige Dich nur und lasse mich nie wieder von einem so unseligen Entschluß hören. Du würdest es späterhin gewiß herzlich bereuen, einer bloßen Laune und Unart Deines Mannes halber auf Deine Herzensruhe verzichtet zu haben. Versöhnt Euch bald wieder und liebt Euch wieder so brav, wie früher und schmollt mir nicht wegen so dummer Dinge -- -- Versprich mir das, Claudiuchen, willst Du? -- --“
    Diese und noch andere Versuche von Seiten ihrer Tante konnten Claudinen von ihrem einmal gefaßten Entschlusse nicht abwendig machen. Halb erzürnt gab endlich die Baronin von Saint Marie ihre Zustimmnng zu einer Trennung der beiden Ehegatten, jedoch mit der Vorausbedingung, daß sie mit Albert noch darüber sprechen wollte. --
    Einige Tage später machte Albert der alten Dame einen Besuch, der aber so unglücklich ausfiel, daß diese all' ihren Groll auf Albert wälzte und nun sogar selbst darauf drang, daß die Scheidung so bald als möglich vorgenommen werde.
    Nachdem die hiezu nöthigen Vorbereitungen getroffen und der gesetzliche Act der Trennung eingeholt war, zog Claudine zu ihrer Tante und Albert lebte nun allein in jener Wohnung,

 

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wo er früher in den Armen seiner Gattin so schöne und süße Stunden verlebte,
    Orleana, die sich zur Zeit jener Zwischenfälle in Ocean Springs, in den High Bluffs am Golf von Merico, aufhielt, hatte hierüber von ihrer Freundin Claudine nicht die geringste Nachricht erhalten. Ein schwieriges Unternehmen wäre es, die Beweggründe zu erforschen, die Claudine bei dieser Versäumniß leiteten. Vielleicht hielt sie es auch für geeigneter, dieselbe erst nach ihrer Rückkehr von ihrem Mißgeschicke zu unterrichten. --
    So fanden wir denn heute die arme Dulderin bei Orleana. --

    Leise, Leise! nur stille, nur stille! Traut der Nacht nicht - schließt die Vorhänge, so dicht Ihr könnt; sprecht nicht so laut, denn die Wände haben Ohren.
    Leise, leise! Stille, stille, damit es die böse Welt nicht hört!
    Rubens, Rembrandt, Raphael Santio von Urbino, leiht mir Eure Pinsel; Beethoven, lass' eine Fuge mit Raketengewalt meine Adern durchrasseln und mein Blut kochen; Du Land der Nibelungen, sende mir deine feurigen Weine; gieb mir den Meisel in die Hand, Canova, mit dem Du deinen Paris geschaffen -- oder, nein -- Du, Paris, gieb mir deinen Apfel, damit ich ihn zwischen Orleana und Claudine niederlege. -- -- Du, Pallas Athene, trete auf einige Augenblicke zurück, denn der Panzer liegt Dir zu fest auf dem Busen -- -- auch Priapus weiche zurück, -- denn Du findest hier keinen Mann!
    Aber, wenn es Dir gefällig ist, mein Hermaphrodites Ganymed, so trete herein und kredenze Dein Ambrosia Orleana und Claudinen! -- --
    „Du liebtest mich wirklich, Claudine?“
    „„Wie schön Du bist, Orleana!““
    „Wie schön Dein dunkelblondes Haar und Deine blauen Augen!“
    „„Wie prächtig Deine blauschwarzen Locken und die Sternennacht Deiner Augen!““
    „Wie niedlich und biegsam Deine Taille!“
    „„Wie stolz und majestätisch Dein Wuchs!““
    „Wie klein Deine weißen Hände!“
    „„Wie himmlisch rein Dein Arm, den noch kein Mann beruhrt!““

 

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    „Claudine, diese weiche, zarte Blässe Deines Antlitzes“
    „„Orleana, dieses schöne Roth auf Deinen frischen Wangen!““
    „Claudine, wie wohltönend, schmelzend Deine Stimme!“
    „„Orleana, wie hinreißend Deine Worte!““
    „Du liebtest mich wirklich, Claudine?“ --
    Ein glaubwürdiger Schriftsteller aus der alten Griechen zeit erzählt uns, daß auf der Insel Lesbos Weiber gelebt haben, die sich von keinem Manne berühren ließen, da ihnen die Laune der Natur eine Gabe verliehen, gemäß welcher sie sich selbst genug waren.
    War irgend ein Mädchen auf dem weiten Gebiete von Hellas mit dieser Gabe beschenkt, so eilte es auf jene Insel, um sich eine Lebensgefährtin zu suchen. Als die Römer die Herren von Hellas wurden, entführten sie diese Weiber nach der Siebenhügelstadt und benutzten sie als Sclavinnen, die ihnen in den Bädern behülflich sein mußten.
[LSZ - 1854.02.24]
    Nur an einigen Punkten Großgriechenlands lebten sie frei und genossen hier auch dieselben Rechte, die ihnen einst auf ihrer Insel Niemand streitig gemacht hatte.
    Späterhin, als sich die Römer den Deutschen unterwerfen mußten, gelangten. Viele nach der Lombardei, der Schweiz und dem südlichen Deutschland.
    In vorletzterem Lande war es wieder besonders Meran, wo sie zusammenströmten und ihre Zusammenkünfte den Mittelpunkt ihres räthselhaften Treibens fanden.
    Die beiden Cabots brachten dann Viele mit nach Amerika und Sir Walther Raleigh verpflanzte sie nach Virginien, wo ihnen die Königin Elisabeth ihren vollen Schutz angedeihen ließ und sie anfänglich in auffallender Weise protegierte.
    Man fabelt viel von Elisabeth und Raleigh und die Chronique scandaleuse suchte bisher vergebens die Motive zu erforschen, die die jungfräuliche Königin leiteten, auch Sir Walther ihre Ungnade fühlen zu lassen.
    Daß aber ihre Eifersucht auf Raleigh wegen seines Verhältnisses mit einer lesbischen Dame, die Ursache war, scheint man bis jetzt noch nicht ausgefunden zu haben oder man getraute sich nicht, sich dies zu gestehen.
    Im Schönheitskabinette des Münchener neuen Königsbaues hängt das Portrait dieser Nebenbuhlerin und ihrer so auffallenden Aehnlichkeit mit Orleana kann nur eine sehr

 

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bedenkliche Wahlverwandtschaft zu Grunde liegen, da Lesbos „keine Kinder erzeugt.“
    So viel zum nähern Verständniß der cabbalistischen Gefühlsverirrungen unserer schönen Orleana. --
    Gemächer, wo selten ein Mann erscheint oder doch wenig stens nur kurze Zeit zubringt -- Gemächer, die noch von keiner männlichen Dienerschaft betreten -- Gemächer, auf deren weichen Teppichen nur der Fuß eines Weibes tritt -- Gemächer, an deren Betten, Sopha's und Vorhängen nur der Atlas einer weiblichen Robe vorbeirauscht; solche Gemächer sind für den Mann eine Hölle von Qualen und Schmerzen, wenn Amor seine Pfeile zerbricht und sie dem Scheidenden vor die Füße wirft. Wer sie gesund betreten, verläßt sie krank an Herz und Seele. Sinnestrunken denkt er an die Atlas Robe, die an sein Knie gerauscht; er drückt die Hand an die heiße Stirne und seine Sinne schwinden, wenn sich eine Phantasie je so weit versteigt, an das zu denken, über was der schwere Atlas knistert und kracht. Das ist das verschleierte Bild von Sais, das ist die Cathedrale der Liebe, das ist der Typus der Sinnlichkeit, der der ganzen Natur aufgedrückt ist.
    Wohl ist es kein Verbrechen, das verschleierte Bild zu lüften, wohl ist es keine Verjündigung an dem Allerheiligsten der Weiblichkeit, an dasselbe zu denken, wohl ist es keine Sünde gegen den heiligen Geist, mit bedecktem Haupte in die Cathedrale der Liebe zu treten -- aber die Natur soll es verantworten, wenn sie sich selbst auf ihren Pfaden verirrt -- wenn sie Blumen und Blüthen in's Leben ruft, über deren Pistillen kein männlicher Blüthenstaub regnet, deren Pistillen in stiller Nacht ihren Kelch verlassen, um sich an einander zu schmiegen.
    Stille, stille; nur leise, nur leise; schließt die Vorhänge, so dicht Ihr könnt; sprecht nicht so laut; denn auch die Wände haben Ohren.
    Stille, stille; leise, leise, damit es die böse Welt nicht hört!
    „Du liebtest mich wirklich Claudine?“
    „„O wie verwirrt macht mich diese frische Wärme Deines stolzen Nackens!““
    „Wie jagt mir Dein Busen die Glut durch die Adern!“
    „„Orleana, Orleana, wie so reizend lose Deine Kleider sind!““
    „Claudine, Claudine, wie fest Du geschnürt bist!“
    „„Orleana, Orleana, wie leicht Deine Kleider fallen!““

 

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    „Claudine, Claudine, wie schwer es mir wird, sie abzustreifen!“
    „„Orleana, wie rein und weiß Deine Schultern!““
    „Claudine, woher diese Narben auf den Deinigen?“
    „„Orleana, Orleana - das hat Albert gethan.““
    „Und Du liebst mich wirklich, Claudine?“
„Ich sä'te Maßliebchen
In meinem Garten,
Ein ganzes Beet voll --
Kommt's kaum erwarten,
Bis sie kamen, bis sie blühten,
Um sie zu pflücken
Meinem Liebchen.

Und als sie kamen
Hervorgespitzt,
Hab' ich sie weiblich
Mit Wasser bespritzt.“

„„Knösp’chen hingen
In Fülle bald d'ran,
Es hat Dein Begießen
Ihnen gut gethan.““

„Doch als ich kam
Eines Morgens hinaus,
Was seh' ich O Himmel,
O Schrecken, O Graus --
Die Knösp’chen hingen
Zerknickt auf den Boden --
Mich jammert es sehr
Um die lieben Todten.“

„„Kannst nun Deinem Liebchen
Nicht Maßliebchen mehr geben,
Mich jammert es sehr
Um ihr junges Leben!““

    Wie gesagt, mein Hermaphrodites Ganymed *), trete ungenirt herein, Deine Gegenwart belästigt nicht, es ist hohe Zeit, daß Dein Göttertrank die brennenden Lippen befeuchtet.
    Komm nur herein, mein Ganymed, rümpfe nicht so hoch müthig dein Näschen! Schon längst todt ist der allmächtige Jupiter - der Olymp verlassen und leer -- das ganze Göttergeschlecht ausgestorben -- Du mußt Dich nun wohl herablassen, Sterbliche zu bedienen.
    Komm herein -- Du findest hier einen guten Bekannten. sieh nur, wie der lose Cupido von einem Schooß auf den andern flattert und nicht recht weiß, wo er beginnen soll. Du sieht wohl, solche Besuche sind selten!
    Stille, stille, nur leise, nur leise; damit es die böse Welt nicht hört!
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*) Ganymed's Männlichkeit war sicher nicht die Ursache, weshalb ihn „nepbelegeretes Zevs“ liebte. Als Gott konnte er ihn zudem jede beliebige Minute im Tizianischen Nachtgewande sehen.

 

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    Schließt die Vorhänge, so dicht Ihr könnt!
    Sprecht nicht so laut; denn auch die Wände haben Ohren! --
    „Du liebtest mich wirklich, Claudine?“
    „Orleana, Orleana, wie muß ich mich schämen!““
    „Claudine, Claudine, wie selig bin Ich!“
    „„Orleana, mein Engel, wo ziehst Du mich hin!“
    „Claudine, mein Weibchen, wie will ich Dich küssen!“
    „„Orleana, Orleana, ich muß mich ja schämen!“
    „Nein, Nein, mein lieb” Weibchen, ich küß' Dich ja nur “
    „„Orleana, O laß mich, ich bitt Dich so sehr!““
    „So zittre, Claudinchen, mein Weibchen, nicht mehr!“
*                     *
*
    Wo das Gesetz die Liebe in unauflösbare Fesseln schlägt, wo die Kirche sinnliche Verläugnung proclamiert, wo uns selbst falsche Scham und ererbte Moral abhält, der Natur ihre Rechte zuzugestehen, da legen wir uns an den warmen Busen von Mutter Natur und belauschen ihre Mysterien und sehen mit flammendem Blicke dem großen Räderwerke zu, an dem jeder Zahn das Wort „Liebe“ ächzt.
    In allen Sphären frohlockt es, die Fanfaren des Weltalls schmettern, wo nur immer die Liebe einen Triumph gefeiert. Aber zürnend fahren die Blitze aus dem dunklen Gewölke auf das tyrannische Gesetz und eine usurpierte Moral, wenn sie die Kinder der Erde zwingen wollen, die Glut zu ersticken und ihre Gefühle einzusargen.
    Wie klein und erbärmlich erscheint das Partheiengeplänkel, wie niedrig erscheint selbst das Drama unserer Revolutionen gegen den Riesenkampf der Sinnlichkeit gegen Gesetz und Moral.
    Revolution! schreit die Nonne im Schlafe auf und wirft der Madonna den Rosenkranz in's Gesicht.
    Revolution! knirscht der Priester der alleinseligmachenden Kirche und reißt das Skapulier in Fetzen.
    Revolution! donnert der Proletarier, wenn er die schönen Töchter der Pharaonen sieht.
    Revolution! rasselt der Sklave, wenn durch den dunklen Gang der Cypressen das weiße Kind des Pflanzers wandelt.
    Revolution! wiehert das Pferd, das die Habsucht verstümmelt hat.

 

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    Revolution! brüllt der Stier und flucht unterm Joche einen Schändern.
    Revolution! würden die Weiber von Lesbos stürmen, wenn wir ihrer Liebe zürnen würden. --
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    In den Ver.Staaten ist New-Orleans das Meran der lesbischen Damen, wo sie bis jetzt ungehindert und ungekannt von den Argusaugen der Moral ihre räthelhaften Zusammen künfte hielten. Sonderbarer Weise halten sie sich hier wie sonst allerwärts nur an Gewäffern auf, da ihnen ihre Normen die Nähe derselben unentbehrlich machen. So finden wir sie in Clubs von zwölf bis fünfzehn Gliedern am Herkules Quai, ferner an der Pensacola Landung, wie überhaupt der ganzen linken Seite des neuen Bafin entlang.
    Ihren früheren Sitz am Lake Pontchartrain haben sie eingebüßt. Theils wurden sie von F*, theils durch die Bemü hungen des alten Mc.Donough *) vertrieben.
    Die geehrten Leserinnen werden im dritten Bande mit uns einer von diesen Zusammenkünften beiwohnen und zur Ueberzeugung gelangen, daß die lesbischen Damen nicht so böse sind, als sie meinen und daß sie in ihrer Art eben so viel Anstand und gute Sitte zeigen, als die potenzierte Frauenwelt.
    Es war drei Uhr nach Mitternacht, als Amor durch die Jalousieen flatterte, durch die ein kühlender West über die schlummernden Freundinnen strich.
    Schelmisch lächelte der Mond, gar freundlich glitzerten die Sterne, als sie Amor so über und über roth, mit schlaffem Bogen und leerem Köcher über Toulousetreet dahin fliegen sahen.
[LSZ - 1854.02.25]
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Achtes Capitel.

Albert.

    Albert hatte seit seiner Trennung von Claudinen einen ganz andern Lebenspfad eingeschlagen. War er früher thätig und unermüdlich im Streben nach Sicherstellung seiner Existenz, so hatte ihn jetzt sein Temperament gerade auf die entgegen gesetzte Seite geschleudert, und wenn er sonst seine Kräfte in Ausübung seiner Pflicht und Vervollkommnung seiner Talente
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*) Ob sie jetzt, wo McDonough schon seit einigen Jahren todt ist, wieder ihren ehemaligen Sitz am Lake einnehmen, konnten wir bisher nicht --

 

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übte und stärkte, so sehen wir ihn jetzt das vage Feld der Roués wieder betreten und in einen Sinnenrausch stürzen, der nur unterbrochen wurde, wenn er gezwungen war, sich wieder zu rehabilitieren und „in's Zeug“ zu treten. Seine in pecuniärer Hinsicht nicht unbedeutende Stellung als Zeichner bei dem großen Baue in Coustomhousestreet hatte er eingebüßt, da sich der Architekt, der jenen Bau leitete, wegen seiner zu oftmaligen Vernachlässigung gezwungen fand, einen andern jungen Mann von eben so einnehmendem Aeußern und großen Talenten zu engagieren. Albert sah sich daher genöthigt nur in unregelmäßigen Arbeiten in den verschiedenen Architekts- und Surveyor-Officen sich Geld zu verdienen. Eine Woche zeichnete er in der Bank's Arcade, eine andere wieder bei Reynold's und manchmal arbeitete er mit Capitain Lafarell bei A.Knell und Keathing, und zwar bei den beiden letzteren für eine Summe, die mit der früher verdienten im grellsten Contraste stand.
    Das Anerbieten Claudinen's, ihm durch ihre Tante eine jährliche Zulage von 700 Dollars zukommen zu lassen, hatte er abgeschlagen; denn er war ungeachtet seiner verübten Ercesse noch immer so edel gesinnt, kein Geld von einer Frau anzunehmen, die sich entschließen konnte, sich von ihm zu trennen. Schon mehrmals hatte es Claudine versucht, ihn im Namen ihrer Tante eine Summe anzubieten, die nicht nur hinlänglich gewesen wäre, ihn von momentanen Verlegenheiten zu retten, sondern ihm sogar eine sorgenfreie Eristenz für mehrere Jahre zu sichern, -- aber Albert gab jedesmal eine abschlägige Antwort. --
    Es möchte hier nicht am unrechten Platze sein, eines Erwerbszweiges zu erwähnen, der besonders von dem gebildeten Manne, der, unkundig irgend eines Handwerkes oder sonst nicht vertraut mit denjenigen Wegen, wo man sich, ohne etwas zu arbeiten, seine Dollars verdienen kann, oft mit Vortheil und Glück ergriffen und in ansehnlicher Erweiterung hinaus geführt wurde. Wir meinen das sogenannte Plan machen, d.h. Häuser und Grundstücke, welche die Eigner zu verkaufen gesonnen sind, mit bedeutendem Farbenaufwand dem kauflustigen Publikum auf einem Bogen Papier zu präsentieren. Für diesen Erwerbszweig findet man in New-Orleans zwei Haupt-Stapelplätze, und zwar im zweiten Distrikte in der St.Louis Erchange Alley, die überhaupt von Lithographen, Buchbindern, Buchhändlern, Buchpedlars, Buchdruckern, Job, und Nichtjobdruckern, Architekten, Civilingenieuren, Surveyors

 

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und „angehenden“ und „stout“ Zeichnern so überfüllt und bis in den kleinsten Winkel bevölkert ist, daß den wenigen, daselbst situierten Kanarienvögel - und Kanarienvögelsaamen-Händlern, Hutmachern, Advokaten, „Quatre Colonnes“ u.s.w. auf eine unverantwortliche Weise der Athen benommen wird. Die Häuser- und Lotpläne, die hier verfertigt werden, finden ihre Pinakothek oder Kunstkabinett in der Rotunde des St.Louis Hotels und werden „à la french“ genannt. --
    Das General-Emporium für diese Haus- und Lotpläne bleibt aber stets die Bank's Arcade, wo sie theils die Wände des großen Barroomes bedecken, theils an grünen Stellagen aufgehängt sind, die entweder auf dem Boden oder in einer Erhöhung von vier Fuß auf den hier angebrachten Plattformen herumstehen.
    Das große Barroom des Bank's Arcade Hotels sind übrigens nur die Propyläen zu dem eigentlichen Sitz der Kunst und des guten Geschmackes, wie sie sich hier in schönster und trefflichster Weise entfalten. Dieser Sitz ist die Office der Auctionäre Beard und May, wo man in einen wahren Blumengarten von Haus- und Lotplänen tritt, deren Götterbilder entweder schon losgeschlagen sind oder noch der Versteigerung sehnsüchtig entgegenharren. Die ungeheure Geschäftsausdehnung von Beard, des bekanntesten und renommiertesten Auctionators nicht nur in New-Orleans, sondern auch im ganzen Süden, vielleicht in den ganzen Ver.Staaten, bewirkt, daß hier die Bestrebungen und Bemühungen der Architekten und Zeichner ihren Centralisationspunkt finden. Es ist dieser Verkauf von Häusern und Lots vermittelt solcher Pläne ein ganz eigener Geschäftszweig, der außer in St.Louis bei Lessingwell und Elliot, sonst nirgends in den Ver.Staaten betrieben wird: der Besitzer eines Grundstücks oder eines Hauses wünscht sein Eigenthum so bald als möglich zu verkaufen; er begiebt sich zu diesem Zwecke in die Office der Auctionäre Beard und May und bestellt sich einen Plan, der Grund- und Aufriß eines Hauses und Situation des verkäuflichen Lots auf's genaueste repräsentiert. Mister Beard läuft alsbald eine Treppe hinauf und läßt den ersehnten Plan bei dem Architekten anfertigen. Ist er hier zu seiner Vollendung gediehen, so empfängt ihn der Hausnigger und Leibmarschall Jim, der ihn im Barroom der Arcade entweder an den Wänden oder grünen Stellagen auf hängt. Hier nun werden diese Pläne von den Kauflustigen gemustert, die auf das bloße Ansehen der gemalten Häuser hin,

 

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dieselben kaufen und natürlicherweise manchmal, wenn auch zu spät, ihren begangenen Irrthum einsehen.- Hier findet man die Nestoren der Zeichnenkunst in oftmaligen Zusammenkünften die Errungenschaften und Fortschritte auf dem Gebiete der Architektur, der Feldmeßkunst u.s.w. sehr eifrig besprechen. Doctor Engelhardt, Hübner, Walther, Niemayer und Neumayer haben in der edlen Zeichnenkunst schon mehrere Menschenalter hinter sich und führen somit nach alt hergebrachter Sitte den Vorsitz in den Collegien über Kunst und Kritik. In der Landschaftsmalerei ist die Behandlungsweise Keathing's, das volle, saftige Farbenspiel seiner Trommelbürste *) tonangebend. --
    Zu obigen Aeußerungen führte uns das jetzige Metier Albert's.
    Derselbe lebte noch in der nemlichen Wohnung, in der sich jene Nacht nach den Flitterwochen so entscheidend für Beider Trennung gestaltete.
    Außer einigen nothwendigen, weiblichen Attributen und Utensilien, die Claudine mit sich zu ihrer Tante genommen, war Alles in der nemlichen Ordnung geblieben. Nichts deutete darauf hin, daß hier ein weibliches Wesen fehle; denn dieselbe Ordnung und Pünktlichkeit, wie sie früher an der Tagesordnung gewesen, waren auch jetzt noch sichtbar.
    Die Porzellanfiguren und verschiedene andere Nippsachen auf der Etagére standen noch auf ihrem alten Platze in der durch Claudinen's Hand geordneten Weise.
    Das kleine Mädchen, das Albert bei sich behalten hatte, sorgte dafür, daß sich nirgends Staub sammle. Jeden Tag nahm es die Nippfachen herab, stäubte jede Porzellanfigur, jedes Schälchen und Blumenkörbchen mit Sorgfalt ab und stellte diese kleinen Dinger wieder genau in dieselbe Reihe.
    Sie that dies eigens auf den Befehl Albert's.
    Bridget, so hieß die Kleine, hatte gute Tage und weiter nichts zu thun, als für sich zu kochen; denn Albert kam nur immer auf Augenblicke nach Hause. Selten, daß es sich ereignete, daß er die Woche hindurch auch nur ein einziges Mal in seinem Bette schlief.
    Obwohl er recht gut einsah, daß er Capitalist hätte sein müssen, um die Ausgaben bestreiten zu können, die seine unordentliche, unregelmäßige Lebensweise und eine doch nicht
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*) Ein stumpfer, voller Pinsel, zum Schabloniren benützt. Trommeln: der technische Ausdruck für Schablonen-Arbeit.

 

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benützte Wohnung und Bedienung erheischten, verblieb er dennoch bei seinem Vorsatze, Niemanden die Zimmer beziehen zu lassen, in denen früher seine Frau waltete und wirkte,
    Zu diesem Behufe hatte er mit dem Irländer, dem das Haus gehörte, einen ganz eigenthümlichen Contrakt abgeschlossen, der gewiß von keinem Yankee acceptiert worden wäre,
    Wir werden späterhin wieder darauf zurückkommen. --
    In derselben Nacht, als Claudine in den Armen Orleana's lag, hatte Albert mit mehreren Freunden der Eröffnung des „Louisiana Balles“ beigewohnt, der noch in keiner Saison so brillant arrangiert war, als diesmal.
    Die lustige Gesellschaft kam schon etwas erhitzt in den Tempel Terpsichore's, denn sie hatten bereits mehrere Dutzend Barrooms, Austernshops, Billardsalons und Café's durchschwiemelt, und wenn Einer dem Andern versicherte, daß es endlich Zeit sei, den Ball zu besuchen, so meinte ein Anderer wieder, daß es durchaus nicht darauf ankomme, noch einige „Drinks“ zu sich zu nehmen, da die Nacht lang genug sei und man auch nicht Lust habe, sechs bis sieben Stunden lang seine Schuhe abzuschleifen.
    So waren sie endlich an der Treppe, die in den Ballsaal führte, angelangt, nicht weil sie ein fester Entschluß leitete, sondern weil der rothe Faden, der sie durch unzählige Barrooms führte, hier seinen Endpunkt fand. Keinem gebildeten Roué wird es je einfallen, auf dem Louisiana Balle im Ballcostüme zu erscheinen. Leichte, ungenierte Kleidung und ein paar Eagles im Port Monnaie -- das ist die ganze Ausstattung. Zur Vorsicht ist ein schmales Dolchmesser, wohl verborgen, beizustecken, da Matrosen, Steuerleute und River Boys zu gefährliche Rivalen schöner Tänzerinnen sind.
    „Gentlemen, kommen Sie gefälligst wieder zurück -- ich habe die strengste Ordre, jeden, der hier eintritt, genau zu untersuchen, ob er nicht Waffen bei sich führe“, rief der Portier der lustigen Gesellschaft nach, als dieselbe eben die Treppe zum Ballsaale hinaufstürmen wollte.

[LSZ - 1854.02.26]
    „Ihr seid heute einmal wieder recht pedantisch, Monsieur Dufleur“, antwortete Albert, indem er seine Freunde anhielt und sie bewog, sich der üblichen Durchsuchung zu unterziehen.
    „Laßt Euch nur ruhig visitieren“, flüsterte der Franzose dem wankenden Albert zu, „ich werde es nicht so genau nehmen; zudem seid ihr Deutschen nicht so gefährlich. Ihr führt Eure Waffen doch nur bei Euch, um damit vor den Mademoisellen

 

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zu renommiren -- kommt es zum Scandal, so seid Ihr stets klug genug, nachzugeben oder Euch bei Zeiten aus dem Staube zu machen,-- -- wißt, ich muß nur so dergleichen thun, als ob ich meine Pflicht erfüllte; denn der dort -- und dabei zwinkte er mit seinen kleinen Luchsaugen auf den ersten Portier, -- nimmt es gar genau.“
    Auf diese naive Erklärung Dufleur"s wäre es gewiß sehr grob gewesen, weitere Umstände zu machen oder sichzu weigern, sich von oben bis unten durchsuchen zu lassen.
    „Ich hab’ Euer feines Stilett schon gefühlt“, flüsterte der Portier wieder Albert zu, „es macht aber nichts -- ich sage Euch dies nur, damit Ihr nicht glauben sollt, ich bin so dumm und merke es nicht. Aber ich will Euch den guten Rath ertheilen, das spitze Messerchen in Zukunft nicht mehr in Eure Schuhe zu schieben -- es könnte sich doch einmal treffen, daß ich gerade nicht hier wäre, und der dort würde es Euch nicht mehr zurückgeben -- 's wäre wirklich Schade um Euer Messerchen, das doch wenigstens eine zwanzig Piaster gekostet hat.“
    „Zwanzig?“ erwiederte eben so leise Albert, „wo denkt Ihr hin, Dufleur? Ihr könnt es nicht für fünfzig bekommen.“ Nachdem der Portier auch an den Freunden Albert's die nemliche Barmherzigkeit geübt, stürmte der Trupp die breite Treppe hinauf. --
    Im Saale verklangen eben die letzten Töne einer verzweifelt schlechten Polka. Das Musikcorps, das sämmtlich aus Deutschen bestand, hatte seine Instrumente weggelegt und bewirthete jeder ein Mädchen, wie es ihnen gerade in die Hände lief.
    Die Pause füllte ein „Siebentanz“ aus, den die Matrosen des „Isaac Newton“ in großer Schnelligkeit arrangiert hatten. Der Untersteuermann genannten Schiffes hatte sich von einem der Musikanten eine Violine ausgebeten und spielte ihnen zum Tanze auf, freilich mit nicht bedeutender Virtuosität.
    Drei niedliche Leveedamen schoben sich pfeilgeschwind zwischen je zwei Tänzer, und wenn sie ihre Pas änderten, wurden sie von den Matrosen in die Höhe gehoben und von dem gegenübertretenden aufgefangen.
    „Holla, he Mary! auf und nieder! Jetzt du und jetzt ich, jetzt mir und jetzt dir! Holla, he Girls, jetzt auf und jetzt nieder! Jetzt mir und jetzt dir!“ So ging es nach der bekannten Weise dieses Tanzes unermüdlich fort und es war in der That staunenswerth, wie die betrunkenen Seehelden und Leveedamen nur so lange aushalten konnten. --

 

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    „Nun, Dicker“, hielt jetzt ein Matrose an, indem er sich an einen ziemlich beleibten Mann heran machte, der einen schwarzen Frack trug und dem ein feines Battistaschentuch aus der linken Tasche seiner rothammtenen Weste bis über die Hälfte heraushing, „willst du nicht auch einmal das Tänzchen riskiren? Ihr verdammten Landratten habt auch kein bischen Feuer im Leibe -- da, probir's einmal mit der Mary -- -- -- holla, he Mary, holla he, Dicker, jetzt auf und jetzt nieder! Jetzt mir und jetzt dir! --“
    Der Büchsenspanner -- denn kein anderer war der dicke Mann mit dem engen schwarzen Frack und dem feinen Battisttaschentuch -- glotzte den Sohn der Meere trotz seines überhängenden Fettes an den Augenlidern, mit großen Augen an und besann sich umsonst auf eine ebenbürtige Antwort. Er war gleich nach jenem Auftritte in Orleana's Dining-Room auf den Louisiana Ball geeilt, um nach seiner Meinung hier wieder einmal aufzuleben und die alberne Melancholie, in die ihn seine Landsmännin versetzt, wenigstens für diese Nacht los zu werden. --
    „Nun, verdammte Landratte, wird's bald!“ brüllte ihn der Matrose an, als er sah, daß der Büchsenspanner durchaus keine Anstalt traf, sich dem Siebentanz anzuschließen und die schwarzäugige Mary in die Höhe zu lüpfen.
    Zum großen Unglück des Büchsenspanners war der Sohn der Meere ein Deutscher, und da derselbe den Büchsenspanner, der nur deutsch sprach, verstehen mußte, so konnte er nach echter Seemann's Manier dessen Worte nicht ruhig einstecken. „Herr Matrose“, entgegnete endlich der Büchsenspanner, indem er seinen langen Schwalbenschwanz behutsam unter den linken Arm nahm, so was taugt nicht für unser Einen, der das einmal nicht gewöhnt ist -- -- tanzen Sie nur selbst mit der Shellroad Mary -ich hab's für heute Nacht verschworen, zu tanzen, Herr Matrose.“
    Wenn der Büchsenspanner in seinem ganzen Leben keine Lüge gesagt, so that er es diesmal; denn des Tanzens halber ging er ja auf den Ball, um in den Armen der Töchter Terpsichore's sein Liebesweh auszuschnaufen.
    „Verdammte Landratte, du hast hier nichts zu verschwö ren!“ brüllte ihn der Matrose noch stärker an, indem er den Büchsenspanner mit einem tüchtigen Kniestoß in die Mensur des Siebeutanzes hinein schleuderte, -- -- „du hast hier nichts

 

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zu brummen, Dicker! Holla, he, Dicker, jetzt mir und jetzt dir, jetzt du und jetzt ich!“
    „Aber Herr Matrose“, eiferte der erschrockene Büchsenspanner, „wollen Sie doch gefälligst zur Einsicht kommen, daß ich nicht von vorneherein, ohne mich vorher ein paar Mal zu Hause eingeübt zu haben, Ihrem werthen Tanz mit Anstand beiwohnen kann.“
    Aber Du hier Gasper?“ schrie die Shellroad Mary dazwischen der das alte Haus von früher her bekannt war -- natürlich nur als Statist,da der Büchsenspanner, wenn er mit seinem Freunde mit derselben zu Cassidy wanderte, immer nur eine stumme Rolle spielte, da er kein Wort englisch verstand und trotz eines siebenjährigen Aufenthaltes in New-Orleans auch kein Wort französisch.
    „Du hier, my sweet Heart Gasper?“
    „Jungfer Mary, Sie sehen, daß ich nicht gleich von vorneherein -- --“
    Jetzt bekam er wieder einen Stoß von dem Matrosen, daß ihm die beiden Ohren fausten. „Aber, Aber -- Herr Matrose, Sie sind doch ein Landsmann --“
    „Holla, he, Dicker,“ unterbrach ihn der Matrose wieder und versuchte den Büchsenspanner bei den Beinen in die Höhe zu heben.
    „Hallunke, Dieb,Schurke -- -- sacre nom dedieu, Diebsgesicht, wo hast du dies Taschentuch her“, donnerte plötzlich zwischen dem allgemeinen Wirrwarr um den Büchsenspanner, eine fremde Stimme. Zu gleicher Zeit fühlte der Büchsenspanner eine Hand an seiner Westentasche, die sich des feinen Battisttuches mit den schönen Spitzen bemächtigte. „Dieb, Dieb, Galgenstrick, -- wo hast du dies Taschentuch gestohlen?“
    Als sich der Büchsenspanner den Mann, dem diese Schimpffluth von den Lippen strömte, genauer ansah, erkannte er mit Entsetzen in ihm jenen Frenchman, der ihn damals beim Ständchen bringen auf so grausame Weise behandelt und von Orleana's Haus weggejagt hatte. --
    Dem Franzosen, welcher den Büchsenspanner gleich bei seinem Eintreten in den Ballsaal bemerkt und nicht aus den Augen gelassen hatte, war auch das feine mit Spitzen besetzte Battistaschentuch nicht entgangen, und als er einmal hart hinter ihm stand, so sah er den in eine der Enden des Taschentuches gestickten Namenszug Orleana’s, wie er aus der Hand seiner Schwester, die diese feine Arbeit für Orleana lieferte,

 

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hervorgegangen war, ohne jedoch im geringsten den Verdacht „des Mohren von Venedig“ zu theilen, (da ihm die schöne Creolin noch keine Desdemona war), so war er dennoch äußerst erbost über den gegenwärtigen Besitzer dieses für ihn unschätzbaren Kleinodes, das durch irgend einen Zufall in die Hände des Büchsenspanners gekommen sein mußte. Schon öfter wollte er den unglücklichen Ständchenbringer darüber zur Rede stellen, aber immer glaubte er wieder nicht den passenden Zeitpunkt herangemaht.
    Jetzt, wo er den armen Büchsenspanner von Matrosen des „Isaak Newton“ und von deren Tänzerinnen so in die Enge getrieben sah, brach er plötzlich los und beschenkte ihn in seiner blinden Wuth mit den eben angeführten unbegründeten Titulaturen. --
    Die Aufmerksamkeit der Matrosen wandte sich nun plötzlich vom Büchsenspanner ab auf den schimpfenden Franzosen. Durch eine sonderbare Ideenverknüpfung hatten die betrunkenen Seehelden denselben nun zum Opfer ihrer Brutalitäten und rohen Späße auserlesen. Nicht nur, daß er auf ihr Geheiß dem Büchsenspanner wieder ein Battisttuch zurückerstatten mußte, verlangten sie von ihm noch weiters, demselben zu Füßen zu fallen und Abbitte zu thun. Das schien dem Fran zosen denn doch zu viel zugemuthet, weßhalb er aus seinem Rockärmel ein Terzerol zog und gegen seine Bedränger sich in eine martialische Position setzte. Die Ballordner, welche beschwichtigend und ausgleichend einschreiten wollten, wurden nicht gehört und von einigen Matrosen und hochgeschürzten Damen geneckt und zuletzt bis auf's Aeußerste maltraitiert.
    Der Büchsenspanner, diesen Moment benutzend, schob an die Treppe und schrie aus vollem Halse: „Watsch, Watsch!“ dann polterte er, so schnell er konnte, die Stufen hinab und ohne dem auf ihn zutretenden Dufleur Rede zu stehen, eilte er auf die Straße.
    Wenn er noch einige Minuten im Ballsaale geblieben wäre, hätte er eingesehen, daß er nicht nöthig gehabt „Watsch, Watsch!“ zu rufen; denn die Nachtwache befand sich schon die ganze Nacht über, vier Mann hoch, im Ballroom, wo sie sich unter die Tänzer gemischt hatte.- *)
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*) In neuester Zeit, unter dem Manager A.Cambre, ist das „Louisiana Ballroom“ -- bekanntlich an der Ecke von Esplanade und Victory Straßen gelegen -- nicht mehr so strenge unter polizeilicher Aufsicht gehalten, da ein ausgewählteres Publikum den Tanzboden occupirt hat. Matrosen und Shoreboys in rohen Hemden und weiten Pluderhosen werden gar nicht mehr, wie früherzugelassen. Sie sehen .....

 

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[LSZ - 1854.02.28]
    Der Franzose, von dem zu viel genossenen Liqueur in die aufgeregteste Stimmung versetzt, wehrte sich gegen die auf ihn einstürmenden Wachtleute wie eine gereizte wilde Bestie. Nach vergeblichem Abmühen und Toben mußte er endlich der Ueber macht nachgeben. Die Matrosen mit ihren Girls umkreiseten ihn von allen Seiten, zupften ihn bald an den Haaren, bald kneipten sie ihn in die Waden -- ja sogar in den Bauch, wie es z.B. die originelle Shellroad Mary that, bis die Nachtwache endlich diesem Spiele ein Ende machte, und zwei von ihnen den Franzosen in die Mitte nahmen und nach dem Golgatha, in die Calaboose transportierten, wo es der Zufall wollte, daß man ihm die nemliche Pferdedecke zuwarf, auf der vor kurzer Zeit die zerbrochene Guitarre in der Umarmung des Büchsenspanners lag. --
Die lustige Gesellschaft, in der Albert den Ton angab, hatte sich dem Fandango, der nach dem Programm den Schluß des Balles bilden sollte, angeschlossen.
    Ein Königreich für einein Fandango! Du hast dich bereits halb wahnsinnig getanzt, schon fallen dir die Augen zu, deine Füße schläfern; du liegt an der Brust einer schönen jungen Tänzerin; ohne mehr daran zu denken, daß es eine Tänzerin ist; du greift, du greift -- nun du greift meinetwegen in die leere Luft -- du hast keine Gedanken mehr, nur mechanisch befühlst du deine Westen- oder Hosentasche, ob auch noch Geld darin sitzt; gleichgültig betrachtest du dir die Musikanten, die an der Bare plaudern und durchaus keine Anstalten treffen wollen, eine neue Tour zu beginnen -- -- du schwiemelst mit den Augen, du schwiemelt mit der Nase, mit der Zunge, aber ja nicht mehr mit den Füßen, mit den Händen -- -- du läßt dir vor aller Augen von deiner Tänzerin Dinge gefallen, als wärest du gar kein Mann, sondern eine Milchschwester oder eine Hebamme - du nickst, du fuchtelt mit den laren Hüften, dein Kreuz thut dir nicht mehr weh, und wenn Hunderte von Fäusten darauf tanzen würden -- -- es
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.... sich daher auf die „Hamburger Mühle“ und „Old Zack“ beschränkt. Deßungeachtet kann es nicht immer verhütet werden, daß die Söhne Neptuns hier ihren Rowdyismus einschmuggeln. Diese Renovierung der Elite ist jedoch nicht mit den Ladies vorgenommen worden. Und das mit Recht; denn unsere schönen Orleanserinnen sind überall genehm, mögen sie Hetären oder Pfarrerstöchter sein. -- Unter den hier arrangierten fancy dress Bällen ist der „Masquerade Quadroom Ball“ der brillanteste, aber auch gleicher Zeit der berüchtigte. Ein Analogon zu diesen Maskerad-Quadroom-Bällen bilden in gewisser Hinsicht die Bälle von Madame P* an der Bayou Road, wo sich die hohe Damenwelt von New-Orleans, die sich sonst nur auf den Bällen im St.Charles Hotel präsentiert, im Geheimen in der lüsternen See der Venus vulgivaga badet.
        So viel für Nicht-Orleanser. -

 

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ist dir schon ganz gleichgültig, wie sich deine Nachbarin die „Dress“ bis über's Knie hinaufstreift, um nach dem blauen Fleck zu suchen, den sie beim Niederfallen während des Tanzes davongetragen zu haben glaubt, -- da besteigt der Gott der Musika mit seinen Jüngern zum Letztenmale das Catheder -- ein Präludium! hört Ihr's, der Fandango ruft Euch, erwacht, erwacht, bevor Euch das Finale überrascht und ihr ganz „marode“ seid! --
     Albert war nichts weniger als ein geübter Tänzer, ja er verstand es nicht einmal, richtig anzutreten und Pas zu kreuzen: aber wenn die Töne des Fandango an sein Ohr stürmten, da hob er, da bog er, da wandt' er sich wie ein vollblütiger Castilianer, er schnarrte und schnurrte wie ein Gaucho, er drückte und rieb sich wie der Sphinr Atropos, der zur Zeit des Liebeswehs so dünn und gelenk wie eine Wasserjungfer wird.
    Das thut der Fandango!
    Seht, sieht nur den Albert, wie ausgewechselt er jetzt ist! Wie er der Shellroad Mary das grüne Netz auf den Nacken wirft, wie er zurückfährt, wie sie auf ihn hinfährt, wie die Beide zusammenfahren! Diese runden Ellenbogen, diese Augen -- Dieses bacchantische Alles!
Leihe Albert nur auf einen Augenblick deine Leier, mein lieber Kranker in der Rue Amsterdam; du erhält sie gleich wieder:
„Alle Liebesgötter jauchzen
Mir im Herzen, und Fanfare
Blasen sie und rufen: Heil!
Heil der Königin Pomare!“

„Sie tanzt. Wie sie das Leibchen wiegt:
Wie jedes Glied sich zierlich biegt!
Das ist ein Flattern und ein Schwingen,
Um wahrlich aus der Haut zu springen.

Sie tanzt. Wenn sie sich wirbelnd dreht
Auf einem Fuß, und stille steht
Am End' mit ausgestreckten Armen,
Mag Gott sich meiner Vernunft erbarmen!“

„Also tanzt sie -- und es
Liebesgötter die Fanfare
Mir im Herzen, rufen: Heil!
Heil der Königin Pomare!“ --
    Der Fandango war zu Ende.
    Die Musikbande hatte ihre Instrumente theils in die Etuis geschlossen, theils in die Ueberzüge gesteckt; sie gähnte, wankte und sah sich gegenseitig mit schläfrigen Augen an.
    Außer der Shellroad Mary hatten bereits alle Tänzerinnen das Ballroom verlassen.

 

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    Die Hands des Manager hatten vollauf zu thun, um die herumliegenden Matrosen zum Aufstehen und Fortgehen an zutreiben. Sie stießen sie zu diesem Zwecke mit den Füßen in den Rücken, schlugen sie mit ihren Stäbchen unbarmherzig auf den Kopf, wie es gerade ihre Lage aufdem Boden erheischte.
    Die lustige Gesellschaft mit Albert an der Spitze war noch immer hier. Sie waren bereits wieder nüchtern geworden und schienen nicht im Geringsten mehr müde zu sein. -
    Albert bestieg mit der Shellroad Mary, die mit ihm ganz närrisch that, die eben von der Musikbande verlassene Platform und perorirte von hier aus in pathetischer Weise die Bedeut samkeit und Wichtigkeit eines Balles.
    Die Shellroad Mary stand dicht hinter ihm und legte ihren Kopf auf seine Schulter.
    Sie war ein großes Frauenzimmer mit wunderbar langer und ausgestreckter Taille und vollen, weichen Hüften -- mit Füßen wie Bettina von Arnim, und Händen, wie sie kein Gott schöner für seine Engel schaffen könnte.
    Trotz ihrer bacchantischen Ausgelassenheit, wenn sich ge rade eine außerordentliche Gelegenheit darbot, war auf ihren Gesichtszügen jener ernste sinnliche Typus ausgeprägt, der um so mehr anzog, als die Contraste von Ernst und Sinnlichkeit so oft zum Deckmantel der Tugend und der Unschuld dienen müssen.
    Dieser Typus war es, der Louis Bonaparte zu Fräulein von Teba hinzog. Dieser Ernst war es,dem sie das kaiserliche Diadem verdankte.
    Hätte der Zufall die Shellroad Mary ein Fürstenkind werden lassen, wäre sie statt am Mississippi am Seine Strand geboren worden, die Lilien am Purpurmantel würden ihr eben so gut gestanden haben als die goldenen Bienen der Mero vinger. Kein Bourbone, kein Orleans, kein Napoleonide brauchte sich ihrer zu schämen -- so aber heißt sie statt Ihre kaiserliche königliche Majestät kurzweg die Shellroad Mary. War nicht Maria Stuart, in der Art und Weise, wie sie ihren Herrn Gemahl Franz II. anbetete, nur eine verkappte Shell road Mary? Brantone, der ihr düsteres Abschiedslied *) uns
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*) Bekanntlich beginnt es mit folgender Strophe:
„En mon triste et doux chant,
D'un ton fort lamentable,
Je jette un oiel tranchant
De perte irreparable;
Et cm soupirs cuisans
Passent mcs meilleurs ans.“

 

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aufbewahrt, wäre er beim Anblick der Shellroad Mary nicht in Verlegenheit gerathen, die eben solche Strophen singen zu lassen? Vor diesem Dilemma schützt kein Stand, keine Würde.
    Es gehörte nur die tölpelhafte Zimperlichkeit eines Büchsenspanners dazu, sich von ihr nicht hingerissen zu fühlen.
    Albert hingegen hatte mit seinen seinen üppigen Fühlfäden augenblicklich das „Ewig Weibliche“ an der Shellroad Mary ausgefunden.
    Um sich vor Verkältung zu schützen, hatte sie gleich nach Beendigung des Fandango ein sogenanntes Monkey Jacket von dunkelgrüner Seide, mit drei Reihen gelber Knöpfe, fest um den Leib geschlossen. Ihre helkastanienbraunen Haare lagen aufgelöst um Nacken und Busen, und ihren Kopfputz, der aus einem grünen schillernden Kranze von feinen Metallblättchen, mit weißen Schmelzperlen durchzogen, bestand, hatte sie vorne angeheftet, da wo die Cupidofalte sich gegen die Hüften zu hinerstreckt. --
    Wie sinnend hatte sie so ihren Kopf auf die Schultern Alberts gelegt und mit ernster Aufmerksamkeit horchte sie auf die Worte, wie sie von Albert von der Platform herab in französischer Sprache an die lustige Gesellschaft und die noch wenigen anwesenden Gäste gerichtet wurden.
    Albert ließ sich auf folgende Weise vernehmen:
    „Messieurs und Du meine liebe Tänzerin“ -- dabei gab er der Shellroad Mary einen leisen Druck -- „Ehe Sie sich nach Hause begeben, erlauben Sie mir, einige Worte der Beherzigung und des Nachdenkens an Sie zu richten. Sie Alle, wie Sie hier gegenwärtig sind, haben die ganze Woche mit großer Mühe und unsäglichem Abquälen und Abmartern sich die wenigen Dollars verdienen müssen, die Sie nun in Einer einzigen Nacht geopfert haben. Werden Sie dies je bereuen? Werden Sie ärgerlich darüber werden, wenn Sie in Ihre Taschen fühlen und sie leer finden? Ist in Ihnen nach solchen Lustbarkeiten je eine solche verschrobene Idee aufgetaucht und haben Sie, statt über die Vergänglichkeit der Freuden dieser Erde zu lächeln, ein mürrisches Gesicht gemacht, so erkläre ich Ihnen hiemit, daß Sie sehr Unrecht gethan haben, einen solchen Unsinn in sich aufkommen zu lassen. Der Reiz des Goldes, Messieurs, liegt nicht im Aufheben und Zurück legen, sondern im Verausgeben. Wer Nichts verausgabt, hat auch kein Geld und wäre er so reich wie Crösus. Der Arbeiter, welcher, um sich ein Vergnügen zu bereiten, ein paar Dollars

 

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opfert, ist reicher, als McDonough und Judah Toure, die ihre Summen in Baumwolle und Bauplätze stecken. Aller dings mögen sich diese Herren auch nicht jedem Genusse entziehen, aber er wird ihnen vergällt, wenn Sie an die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer ausgelegten Spekulation denken. Damit aber diese meine aufgestellte Behauptung einen Anstrich von Wahrheit bekomme, so ist es unumgänglich nöthig, daß man unverheirathet ist; denn das Geschrei und Gewinsel der Bäbies vergällen Einem eben so sehr den Genuß, als das Rasseln und Schleifen der Drays und der Anblick eines Boot Manifestes. Sollten Sie, Messieurs, wie Sie hier gegenwärtig sind, noch nicht verheirathet sein, so gebe ich Ihnen hiemit den wohlgemeinten Rath, diese Farce zu unterlassen und Zeitlebens Junggesellen zu bleiben. Lassen Sie sich nicht von der spöttischen Benennung „Hagestolz“ irre leiten; denn ich kann Ihnen mit Bestimmtheit versichern, daß dieses Wort nur eine Rache der Ehemänner von Handwerk in sich enthält. Dieses Wort haben gelbsüchtige Ehemänner erfunden, die dem Schmetterlingsleben eines Junggesellen mit Gram und Aerger zusehen, Weil auf ihrem Herzen der schwere Alp liegt, so verlangen sie in ihrem Egoismus und grämlichen Neid, daß auch Alle von diesem Quälgeister heimgesucht werden. Da sie aber dies nach dem gewöhnliche Laufe der Dinge nicht vermögen, so suchten sie dadurch ihre Rache auszuüben, daß sie eine solche Benennung in die menschliche Gesellschaft eingeschmuggelt haben. -- --“
[LSZ - 1854.03.01]
    Ein donnernder Beifall der Zuhörer bewies Albert, daß er hier nicht umsonst so gesprochen. Freilich machte die lustige Gesellschaft den meisten Spektakel, aber auch die verheiratheten Hands des Manager stießen ihre Stäbe auf die Dielen des Tanzbodens und bezeugten hiemit ihren ungetheilten Beifall. --
    Unter den verspäteten Nachzüglern waren Albert und die lustige Gesellschaft die Einzigen, welche noch im Stande waren, auf dem Heimwege so ziemlich sichern Schritt zu halten. Die Krisis ihres Beklommenseins war bereits nach dem Fandango glücklich vorübergegangen und sie fühlten sich jetzt in der frischen Luft so nüchtern, als hätten sie gar nichts getrunken. Nur sah man den einen oder den anderen die Hand an die Stirne drücken und die trockenen Lippen mit der Zunge befeuchten.
    Die Shellroad Mary hatte sie bereits zwei Squares vom Louisiana Ballroom verlassen, da sie in dieser Umgegend bei einer Freundin die Nacht zuzubringen versprochen hatte.
    Küsse flogen hin, Küsse flogen her -- und die Shellroad

 

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Mary riß sich endlich aus den Armen Albert's los, dem sie noch zum Ueberflusse und als Zeichen ihrer unbegränzten Anhänglichkeit an demselbeu ein Paar Haare aus dem schwarzen Schnurrbarte gebissen hatte.
    In Royalstreet angelangt, zerstreute sich die lustige Gesellschaft nach den verschiedenen Quartieren der Stadt und Albert ging nun allein die Straße entlang, wo er dann in St.Louisstreet einbog, um sich von hier aus geraden Wegs nach Hause begeben, um doch wieder einmal in seinem Bette zu schlafen.
    Als Albert Rue des Ramparts passierte, bemerkte er in geringer Entfernung zwei Männer, von denen der eine in plumpen Gestikulationen dem Andern, der den Stab eines Wachtmanns in der Hand hielt, etwas auseinanderzusetzen suchte. Als der Erste von dem Letzteren beim Arme gefaßt wurde, vernahm Albert folgende Worte, die ihm ein heiteres Lächeln abzwangen:
    „Aber Herr Wachtmann, ich kann Sie versichern, daß ich es nicht gewesen bin, der dem Victor die Läden eingeschlagen, obwohl er es eigentlich schon längst von meiner Hand verdient hätte; aber ich rechne nicht schon gleich von vorneherein mit diesem Bösewicht ab -- denn ich schreib' mir. Alles nur hinter die Ohren. Ich war von jeher kein Freund von Straßenscandal, am allerwenigsten von Fensterscheiben einschmeißen oder gar Laden zertrümmern. -- -- Lassen Sie mich ruhig gehen, Herr Wachtmann, ich habe heut' einen so schlechten Tag verlebt, meine Landsmännin, der Frenchman auf dem Louisiana Ballroom -- O, wenn Sie nur Alles so genau wüßten, Sie würden mir viel eher ihr Beileid schenken, als so grausam sein, mich schon wieder in die Calahoose stecken zu wollen, und zudem sind Sie ja ein Landsmann von mir -- ein deutscher Landsmann, Herr Wachtmann -- -- bedenken Sie doch, was das heißen will -- --!“
    „Schon wieder in die Calaboose stecken? -- wenn Du schon einmal im Loche geschnarcht hast, wirst Du wohl nicht zugut sein, um es noch einmal zu probieren,“ entgegnete lachend die Nachtwache. „Landsmann hin, Landsmann her, das geht mich nichts an, alter Loafer -- marsch, marsch, mit in's Loch!“
    „Albert, der das „alte Haus“ so gut kannte, wir irgend einer von der lustigen Gesellschaft, ging auf die Beiden zu und indem er dem Wachtmann ein paar Worte ins Ohr flüsterte, ließ derselbe seine Hand vom Arme des Büchsenspanners los, der, ohne sich vorher seinem Wohlthäter dankbar zu bezeugen, das Weite suchte.
    „„Was fällt Dir denn ein, Charley, den armen Menschen festzunehmen, um ihm morgen vor dem Recorder noch die wenigen Cents aus der Tasche zu ziehen -- -- -- es giebt genug reiche Loafers in der Stadt, die es hundertmal eher verdienten, beigesteckt zu werden -- -- so macht es Du, so macht's Ihr Alle, solche Kerls laßt Ihr ungeschoren, weil Sie Euch einen Eagle in die Hand drücken können -- das kann so ein armer Bursche, wie der Büchsenspanner aber nicht und daher muß er brummen, und nur deshalb, weil er irgend

 

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Jemandem die Laden eingeschlagen haben soll. -- -- Da -- 'hast Dudiese fünf Dollars -- es ist das letzte, was ich habe. --“
    „Nichts für ungut“, erwiederte der Wachtmann - steckte behaglich sein Geld bei und schlug mit seinem gewichtigen Stocke dreimal nach Einander auf das Banquet, mit einer solchen officiellen Miene, als hätte er nicht im geringsten seine Pflicht als Retter des Vaterlandes verletzt. --
    Nachdenkend legte Albert den noch übrigen Theil seine Weges zurück. Als er in der Nähe der Claibornestraße an Einem der Kirchhöfe vorbei kam, blieb er einige Augenblicke stehen, nahm seinen Hut vom Kopfe und ließ sich von einer heranstreichenden Golfbrise die heiße Stirne kühlen. Es war eine ähnliche Nacht, wie damals, als er in der Nähe dieser Kirchhöfe mit Claudinen spazieren ging und ihm sein aufteigender Mißmuth dictierte, mit derselben zu schmollen. Ebenso helle, wie damals, steuerte der Silbermachen des Mondes durch den tiefblauen Ocean des Nachthimmels, ebenso wie damals lag der golddurchwirkte Mantel leuchtend über der Golfstadt. Fühlte sich Albert damals glücklich? War er es heute? „Du bleibst dem Menschen ein ewiges Räthel“ flüsterte er für sich hin, indem er seine rechte Hand zum Herzen führte, „wer ist wohl im Stande, dich zu ergründen - du Menschenherz? -- -- Bist du ein Himmel, warum verstößt du deine liebsten Engel, die dich auf der Leiter der Sehnsucht und Liebe erklommen? Bist du eine Hölle, warum säugst du an deinem Busen die Unschuld, die Liebe, die Treue ? Bist du ein Lamm, warum bist du oft so grausam wie eine Hyäne und scharrt zu tränken? Bist du ein Tiger, warum haust du deine Krallen nicht gleich in den Busen der Jungfrau, noch ehe sie zu ahnen beginnt, daß es so ein Ding giebt, das man Liebe nennt? -- -- - du giebt mir keine Antwort, meine Worte verhallen umsonst; du bist jetzt so ruhig, mein Herz, so zahm - wer weiß ob du nicht in wenigen Stunden Schlangen ausbrütet ? Herz, mein Herz, bist du vielleicht die Gabe einer schadenfrohen Gottheit, die es nicht ertragen kann, daß es auch außer ihr noch Geschöpfe giebt, die glücklich sind - oder bist du diese schadenfrohe Gottheit selbst, die nur giebt, um wieder zu entreißen, die nur den Schmerz lindert, um ihn um so tobender wieder zurück zu beschwören. -- Einerlei -- wer und was du auch bist, wir sind nun einmal dazu verdammt, dich unser Leben lang herumzutragen und wir können dich nicht entbehren, außer wir bezahlen es mit dem Leben -- --“
    „Es wird eine Zeit für Dich kommen,wo Du anders sprechen wirst“, ertönte hinter ihm eine Stimme, die von einem Manne kam, der eben an ihm vorbeiritt und seinem Pferde die Sporen in die Weichen drückte.
    „Soll das mir gegolten haben?“ dachte Albert bei sich, als er sich erschrocken umwandte und dem Reiter nachsah. --
(Ende des zweiten Bandes.)






01 März 1854




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